BT-Drucksache 16/2186

Gefahr für die Pressefreiheit im Osten des Ruhrgebietes

Vom 6. Juli 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2186
16. Wahlperiode 06. 07. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Lothar Bisky,
Inge Höger-Neuling, Ulla Lötzer, Sevim Dagdelen und der Fraktion DIE LINKE.

Gefahr für die Pressevielfalt im Osten des Ruhrgebiets

Derzeit findet im Osten des Ruhrgebiets eine massive Konzentration auf dem
lokalen Zeitungsmarkt statt. Die Ruhrnachrichten (RN) des Verlegers Lambert
Rensing-Wolf und die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) haben mit
Genehmigung des Kartellamts ein gemeinsames Unternehmen gegründet. Drei
Tage nach der Erteilung der Genehmigung des Kartellamts zur Gründung einer
Druckerei am 9. Januar 2006 gaben die RN die Schließung ihrer Lokalredak-
tion in Bottrop, Gladbeck und Gelsenkirchen bekannt. Damit ist die WAZ nun
die einzige Tageszeitung in Bottrop und Gladbeck, die in einer Lokalausgabe
erscheint. In Gelsenkirchen erscheint daneben noch die Buersche Zeitung (BZ)
als Lokalzeitung. Aber auch diese stellt zum 30. September ihr Erscheinen ein.
Dies wurde am 30. März bekannt gegeben, dem letzten Erscheinungstag der
RN in den genannten drei Städten. Damit hat die WAZ ihre Monopolstellung
auf dem lokalen Zeitungsmarkt im Ruhrgebiet weiter ausgebaut. In Bochum
und Dortmund drohen ähnliche Entwicklungen, hier wurden die Lokalredaktio-
nen der RN bereits in eigene Gesellschaften ausgelagert. Dies führt nicht nur zu
Lohneinbußen von bis zu 40 Prozent bei den Belegschaften, sondern macht
einen Verkauf oder eine Abwicklung der Gesellschaften und damit der Lokal-
redaktionen in Jahresfrist möglich. Für die Bochumer Ausgabe der RN ist eine
Einstellung zum Jahresende bereits angekündigt.

Insgesamt blieben die Entwicklungen von der Öffentlichkeit unbeachtet, ledig-
lich die Tageszeitungen „tageszeitung“ und „junge Welt“ berichteten. Dabei
trafen insbesondere die mit den Schließungen der Lokalredaktionen einher-
gehenden Stellenstreichungen und die als solche empfundene Bedrohung der
Pressevielfalt bei Belegschaften, Kommunalpolitikern, dem Deutschen Journa-
listenverband und der Gewerkschaft ver.di auf starken Widerspruch. So äußerte
der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Frank Baranowski gegenüber der
„taz“, die Vermutung liege nahe, „dass sich die Verlage das Ruhrgebiet aufge-
teilt haben“. In eine ähnliche Richtung äußerte sich der Dortmunder Medienex-
perte Horst Röper ebenfalls in der „taz“ vom 11. Mai 2006. Die Gewerkschaft
ver.di hat an verschiedener Stelle darauf hingewiesen, dass die BZ mit einer
Auflage von 8 000 verkauften Exemplaren schwarze Zahlen schreibe und kein
betriebswirtschaftlicher Grund zu sehen sei, dass sie schließen müsse. Nach
bisherigem Kenntnisstand hat sich der Verleger Kurt Bauer zu den Vorwürfen
noch nicht geäußert. Er gab lediglich bekannt, dass die wegfallenden Zahlun-

gen der RN, die bis dato den Lokalteil der BZ für ihre Gelsenkirchener Aus-
gabe übernommen hatten, der Grund für die Einstellung seien. Gleichzeitig
wurde nach Angaben von ver.di eine von der Redaktion der BZ entwickelte
Werbeaktion unter bisherigen Lesern der RN nicht genehmigt. Diese Umstände
nähren selbstverständlich den Verdacht, die Verlagshäuser würden das Ruhrge-
biet gezielt unter sich aufteilen. Hinzu kommt, dass die WAZ und die RN über
eine gemeinsame Gesellschaft verbandelt sind: die Ostruhr-Anzeigengesell-

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schaft (ORA), die von beiden Verlagshäusern 1977 gegründet wurde und ihnen
bis heute zu gleichen Teilen gehört. Die ORA vertreibt im östlichen und nörd-
lichen Ruhrgebiet lokale, kostenlose Anzeigenblätter wie „Stadtspiegel“ oder
„Stadtanzeiger“ in einer Gesamtauflage von 1,2 Millionen. Lensing-Wolff
(RN) ist außerdem mit 40 Prozent am Verlagshaus Bauer beteiligt, dass die
Buersche Zeitung herausgibt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sind der Bundesregierung die geschilderten Entwicklungen bekannt, und
welche Einschätzung vertritt sie insbesondere zur abnehmenden Presse-
vielfalt in diesem konkreten Fall?

2. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, ob das Bundeskartellamt in seine
Erwägungen zur Gründung einer gemeinsamen Druckerei der WAZ und der
RN die möglichen bzw. beabsichtigten Folgen für eine Monopolbildung im
Marktsegment der Lokalzeitungen mit einbezogen hat, und sieht sie im
Rückblick diesen Umstand als ausreichend gewichtet an?

3. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, ob das Bundeskartellamt wegen
des Verdachts der

a) Absprache betreffend eine Aufteilung des Markts für Lokalzeitungen im
Falle der Druck-Kooperation von WAZ und RN eine Prüfung eingeleitet
hat?

b) Absprache betreffend eine Aufteilung des Markts für Lokalzeitungen im
Falle der Schließung der Buerschen Zeitung eine Prüfung eingeleitet hat?

Wenn ja, welche Ergebnisse haben entsprechende Prüfungen ergeben, und
was sind die (möglichen) Konsequenzen hieraus?

Wenn nicht, welche Kenntnis hat die Bundesregierung von den Gründen, die
einen entsprechenden Verdacht ausschließen lassen?

4. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung von ähnlichen Prozessen der
Pressekonzentration in anderen Teilen der Bundesrepublik Deutschland, vor
allem den Ballungszentren?

5. Welche Maßnahmen sind von der Bundesregierung geplant oder ergriffen
worden, um die Pressevielfalt auch auf lokaler Ebene sicherzustellen?

Wenn keine entsprechen Maßnahmen geplant oder ergriffen wurden, warum
nicht?

6. Hat die Bundesregierung Kenntnis von Entwicklungen wie oben geschilder-
ten, dass einzelne Lokalredaktionen regionaler Zeitungen als selbständige
Gesellschaften ausgegliedert werden und so nicht mehr an die entsprechen-
den Tarifverträge gebunden sind?

a) Welche Position vertritt die Bundesregierung zu solchen Fällen zu-
nehmender „Tarifflucht“?

b) Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um solche „Tarifflucht“
und die damit meist einhergehenden Einschränkung von Arbeitnehmer-
rechten über die Gründung scheinselbständiger Gesellschaften zu er-
schweren oder ganz auszuschließen?

c) Wenn keine solche Maßnahmen geplant sind, warum nicht?

Berlin, den 6. Juli 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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