BT-Drucksache 16/1996

Deutschlands Verantwortung national und international mit einer umfassenden Strategie zur biologischen Vielfalt wahrnehmen

Vom 28. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1996
16. Wahlperiode 28. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Marie-Luise Dött, Katherina Reiche (Potsdam), Dr. Christian
Ruck, Michael Brand, Dr. Maria Flachsbarth, Josef Göppel, Andreas Jung
(Konstanz), Jens Koeppen, Hartmut Koschyk, Katharina Landgraf, Ingbert Liebing,
Philipp Mißfelder, Dr. Georg Nüßlein, Ulrich Petzold, Dr. Norbert Röttgen, Volker
Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Marco Bülow, Dirk Becker, Petra Bierwirth, Gerd
Bollmann, Martin Burkert, Ulrich Kelber, Ute Kumpf, Lothar Mark, Dr. Matthias
Miersch, Marko Mühlstein, Detlef Müller (Chemnitz), Christoph Pries, Heinz
Schmitt (Landau), Olaf Scholz, Frank Schwabe, Dr. Peter Struck und der Fraktion
der SPD

Deutschlands Verantwortung national und international mit einer umfassenden
Strategie zur biologischen Vielfalt wahrnehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Übereinkommen über die Biologische Vielfalt ist mit seinen 188 Vertrags-
parteien der bedeutendste völkerrechtliche Vertrag zum Schutz und zur nach-
haltigen Nutzung der Natur sowie für eine weltweit nachhaltige Entwicklung.
Deutschland gehört zu den Erstunterzeichnern des Übereinkommens und hat
von Anfang an eine aktive Rolle im Bemühen um die Erreichung der Ziele des
Übereinkommens eingenommen. Dies dokumentiert auch eindrücklich die Ein-
ladung der nächsten Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die Biolo-
gische Vielfalt (CBD) im Jahre 2008 nach Deutschland.

Eine intakte Natur sichert die Lebensgrundlagen, die es uns ermöglichen, von
und mit der Natur zu leben. Sauberes Wasser, unbelastete Böden, gesunde Nah-
rungsmittel, ein ausgeglichenes Klima und eine hohe Artenvielfalt sind Indika-
toren dafür. Durch Übernutzung, zusätzliche Flächeninanspruchnahme für Ver-
kehrs- und Siedlungszwecke, Zerschneidung von Lebensräumen und zu hohe
Stoffeinträge verlieren wir zunehmend diese Basis unseres Lebens. Besonders
die armen Völker leiden in wachsendem Maße darunter. Hier hat Deutschland
als große Industrienation – mit einem entsprechenden „ökologischen Fußab-
druck“ – besondere Verantwortung. Der anhaltende Verlust an Biodiversität ist

neben dem Klimawandel die größte weltweite Umweltgefährdung.

Der Schutz der biologischen Vielfalt ist jedoch nicht nur ein nationales, sondern
ein globales Umwelt- und Entwicklungsproblem. Biologische Vielfalt ist nicht
gleichmäßig verteilt. Die Zentren der Biodiversität liegen zumeist in Entwick-
lungsländern. Besonders reichhaltig ist die Vielfalt in der Megadiversen-Al-
lianz von 15 Entwicklungsländern (Bolivien, Brasilien, China, Costa Rica,
Ecuador, Kenia, Kolumbien, Indien, Indonesien, Malaysia, Mexiko, Peru,

Drucksache 16/1996 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Philippinen, Südafrika und Venezuela), in denen rund 80 Prozent der biologi-
schen Vielfalt der Erde anzutreffen sind. Viele dieser Länder sehen in ihrem
Biodiversitätsreichtum ein Potenzial für die Entwicklung ihrer Länder und set-
zen sich in verschiedenen Foren – CBD, Welthandelsorganisation (WTO) und
Welternährungsorganisation (FAO) – unter anderem für einen gerechten Vor-
teilsausgleich, wie er der Zielsetzung der CBD entspricht, sowie gegen Biopira-
terie ein. Das technologische und kaufmännische Wissen für die industrielle
Nutzung und Vermarktung der biologischen Vielfalt ist dagegen ganz wesent-
lich in den Industrieländern konzentriert. Gleichwohl gilt, dass sich durch eine
nachhaltige Nutzung der Biodiversität sowohl für die Entwicklungs- als auch
für die Industrieländer erhebliche Entwicklungspotenziale bieten.

Der Erhalt und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt ist eine ele-
mentare Grundvoraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung in unseren
Partnerländern und damit für eine dauerhafte Bekämpfung der Armut. Der bio-
logischen Vielfalt kommt neben ihrem ökologischen Wert für die gesamte
Menschheit eine zunehmende ökonomische Bedeutung für Entwicklungsländer
zu: Der Welthandel mit Heilpflanzen wird auf 800 Mio. US-Dollar pro Jahr
geschätzt und insgesamt basieren 40 Prozent der Weltmarktwirtschaft auf bio-
logischen Produkten und Verfahren. Daher müssen die nationalen und interna-
tionalen Anstrengungen zur Reduzierung der weiterhin alarmierend hohen Ver-
lustraten an biologischen Ressourcen verstärkt werden. Die biologische Vielfalt
in Subsahara-Afrika ist darüber hinaus ein wesentliches Kapital für die Armen,
weil Produkte des Waldes und Nutzpflanzen für ländliche Haushalte oft Haupt-
nahrungsquelle und ein wichtiges Sicherheitsnetz bei Erkrankungen sind (siehe
auch Bundestagsdrucksache 15/5337).

Die Erreichung der Ziele der Millenniumsdeklaration und die Umsetzung des
Johannesburg-Aktionsplans sind ohne einen Durchbruch beim Schutz und der
nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt nicht möglich.

Beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg hat sich die
Weltgemeinschaft daher das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2010 den Verlust an bio-
logischer Vielfalt signifikant zu reduzieren. Die Europäische Union hat dieses
Ziel auf dem Rat von Göteborg dahingehend konkretisiert, dass der Verlust an
biologischer Vielfalt bis zum Jahr 2010 gänzlich gestoppt werden soll. Die Er-
reichung des 2010-Ziels ist eine zentrale Voraussetzung für die Stabilität und
die nachhaltige Entwicklung der Erde.

Der Deutsche Bundestag begrüßt in diesem Zusammenhang die Vereinbarung
des Koalitionsvertrags, neue Akzente und Initiativen zu ergreifen, um die Ent-
wicklungsländer bei der Bewahrung der biologischen Vielfalt und der entwick-
lungsorientierten Nutzung zu unterstützen.

In Artikel 6 des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt verpflichten
sich die Vertragsparteien, nationale Strategien, Pläne und Programme zur Er-
haltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt zu entwickeln oder
zu diesem Zweck ihre bestehenden Strategien, Pläne und Programme anzu-
passen. Deutschland hat im Jahre 1998 ein strategisches Rahmenkonzept zur
Erfüllung von Artikel 6 vorgelegt und im Jahre 2002 anlässlich der 6. Vertrags-
staatenkonferenz in Den Haag über die Umsetzung und Weiterentwicklung die-
ses Konzepts berichtet.

Die Verabschiedung und Umsetzung einer umfassenden nationalen Strategie
zur biologischen Vielfalt in Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Überein-
kommen steht noch aus. Angesichts des in Deutschland, in Europa und welt-
weit trotz aller Beschlüsse verantwortlicher Gremien nach wie vor anhaltenden

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1996

Verlustes an biologischer Vielfalt ist eine langfristige Orientierung für den
Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt dringlicher denn
je. Auch die Ergebnisse des von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebenen
Millenium Ecosystem Assessment zeigen dies deutlich.

Diese notwendige Orientierung für die nationalen Ziele und Maßnahmen steht
im europäischen und globalen Kontext und muss sowohl die innerstaatlichen
Einrichtungen in Bund, Ländern und Kommunen als auch alle gesellschaft-
lichen Akteure ansprechen, mobilisieren und bündeln. Eine umfassende und
anspruchsvolle nationale Strategie zur biologischen Vielfalt als Beitrag zu einer
weltweiten nachhaltigen Entwicklung kann nur erfolgreich sein, wenn alle
diese Akteure sich ihre Umsetzung zu Eigen machen.

Neben der Formulierung von Leitbildern, zukunftsorientierten Zielen und Maß-
nahmen für alle biodiversitätsrelevanten Themen, die den Schutz der natür-
lichen Lebensgrundlagen verbessern und mit einer naturverträglichen Nutzung
kombinieren sowie Wildnis erhalten bzw. sich entwickeln lassen, ist die Auf-
stellung eines aussagekräftigen Indikatorensystems, mit dem der Grad der Ziel-
erreichung abgebildet werden kann, besonders wichtig.

Die Sicherung des Nationalen Naturerbes, Rückführung der zusätzlichen Flä-
cheninanspruchnahme für Verkehrs- und Siedlungszwecke die Konsequenzen
des demographischen Wandels für die Natur, für die Entwicklung des länd-
lichen Raums und in den Städten, die Folgen des Klimawandels für die Auf-
rechterhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen – all dies sind aktuelle und
zukünftige Herausforderungen, die mit einer Nationalen Biodiversitätsstrategie
unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit angegangen werden müssen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. mit einer umfassenden nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, die
explizit neue Akzente und Initiativen zur Unterstützung der Entwicklungs-
länder bei der Bewahrung der biologischen Vielfalt und der entwicklungs-
orientierten Nutzung vorsieht, allen relevanten Akteuren eine langfristige
Orientierung für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen
Vielfalt zu geben,

2. im Rahmen dieser Strategie Leitbilder, zukunftsorientierte Ziele und Maß-
nahmen für alle biodiversitätsrelevanten Themen zu formulieren, die den
Schutz der Natur verbessern und eine naturverträgliche Nutzung gewährleis-
ten,

3. in der Strategie auch die Bedeutung des Schutzes und Erhalts und einer
nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt für Innovation und Beschäf-
tigung herauszustellen sowie die demographische Entwicklung in Deutsch-
land zu berücksichtigen,

4. in der Strategie nicht nur nationale Aspekte, sondern auch die Verantwor-
tung Deutschlands für die Biodiversität weltweit sowie die Bezüge zu
Armutsbekämpfung und Gerechtigkeit zu betonen,

5. aktuelle und drängende Herausforderungen wie z. B. den Klimawandel und
anhaltende stoffliche Belastungen in der Strategie aufzugreifen,

6. in der nationalen Strategie ein Set von aussagekräftigen Indikatoren zu be-
schreiben, mit dem der Fortschritt bei der Erreichung der Ziele dargestellt
werden kann,

Drucksache 16/1996 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
7. über die Umsetzung der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt regel-
mäßig zu berichten und

8. in den Folgeprozess zur Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie
sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure einzubeziehen.

Berlin, den 28. Juni 2006

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.