BT-Drucksache 16/1971

Indigene Völker - Ratifizierung des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) Nr. 169 über Indigene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Staaten

Vom 28. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1971
16. Wahlperiode 28. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Indigene Völker – Ratifizierung des Übereinkommens der Internationalen
Arbeitsorganisation (IAO) Nr. 169 über Indigene und in Stämmen lebende Völker in
unabhängigen Staaten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Vereinten Nationen (VN) zählen rund 300 Millionen Menschen in über
70 Ländern zu den indigenen Völkern. Die Mehrzahl dieser Völker lebt in Ent-
wicklungsländern, viele davon in Gegenden, die für die Erhaltung der biologi-
schen Artenvielfalt von hoher Bedeutung sind. Bereits der „Brundlandt-Report“
von 1987 (Our Common Future) führte aus, dass indigene Völker dabei die
natürlichen Ressourcen in beispielhafter Weise nachhaltig nutzen. Die Lebens-
formen indigener Völker, ihre Lebensgrundlagen und traditionellen Rechte sind
jedoch vielerorts bedroht. Menschenrechtsverletzungen von Seiten der Regie-
rungen und die Missachtung ihrer Rechte, auch von Seiten nationaler und inter-
nationaler Unternehmen, sind keine Seltenheit.

Der Schutz indigener Völker wurde durch mehrere internationale Abkommen
(Erklärung von Rio, Agenda 21, Klimakonvention u. a.) aufgegriffen. Die eher
umweltorientierten Ansätze sind durch soziale und menschenrechtliche Initiati-
ven ergänzt worden. In Europa handelt es sich hierbei u. a. um Verordnungen des
Rates der Europäischen Gemeinschaften und Resolutionen des Europäischen
Parlaments. Innerhalb der VN spiegeln sich die Bemühungen um einen erweiter-
ten Menschenrechtsstandard für indigene Völker etwa in Bezug auf die interna-
tionale Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung
(CERD) oder in der Erarbeitung einer Erklärung zu den Rechten indigener
Völker.

Das momentan weitreichendste Dokument ist jedoch die IAO-Konvention 169
von 1989. Sie ist bislang die einzige völkerrechtliche Norm, die die Rechte indi-
gener Völker umfassend und verbindlich festlegt. Die in der Konvention defi-
nierten Grundrechte decken im Wesentlichen folgende Bereiche ab:

– Das Recht auf traditionelles Land und Territorien sowie die Gewährleistung

der örtlichen Kontrolle über natürliche Ressourcen.

– Das Recht auf Selbstbestimmung, dem viele Staaten skeptisch gegenüber ste-
hen, da sie dies als eine Bedrohung ihrer Souveränität deuten. Indigene Völ-
ker verstehen unter dem Recht auf Selbstbestimmung dagegen eher den
Anspruch auf Selbstverwaltung, auf Partizipation und Demokratisierung. So
liegt der besondere praktische Wert der IAO-Konvention 169 in den Vorgaben

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zu speziellen Konsultations- und Partizipationsverfahren für alle Vorhaben
Dritter auf indigenen Territorien. Unter den 17 Staaten, die die Konvention
bisher ratifiziert haben, befinden sich außer Chile alle lateinamerikanischen
Länder mit einem hohen Anteil indigener Bevölkerung.

– Das Recht auf die Aufrechterhaltung der politischen, wirtschaftlichen und
sozialen Systeme indigener Völker sowie Schaffung kulturadäquater Arbeit-
nehmerrechte, Förderung der lokalen Produktion, angemessener sozialer
Absicherung und Zugang zu Ausbildung (unter Berücksichtigung indigener
Sprachen) sowie zum Gesundheitswesen.

Jede Ratifizierung der IAO-Konvention 169 stellt einen wichtigen Beitrag zur
Vertiefung des internationalen Menschenrechtsstandards für indigene Völker
dar; gerade auch durch Länder, die selbst keine indigene Bevölkerung auf ihrem
Staatsgebiet aufweisen. Im Sinne der Förderung des internationalen Menschen-
rechtsstandards haben die Niederlande die Konvention 169 ratifiziert. In diesem
Sinne soll auch die Ratifizierung durch die Bundesrepublik Deutschland erfol-
gen, wobei es nach dem Verständnis des Deutschen Bundestages in Deutschland
keine indigenen und in Stämmen lebenden Völker gibt, auf die die Konvention
Anwendung finden könnte.

Die VN-Dekade der Rechte indigener Völker (1994 bis 2004) hat einige wichtige
Ziele erreicht:

– die Ratifizierung der IAO-Konvention 169 durch 17 Länder,

– die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Erklärungsent-
wurfs über die Rechte indigener Völker,

– die Einsetzung eines Sonderberichterstatters der VN-Menschenrechtskom-
mission zur Lage der Menschenrechte und Grundfreiheiten indigener Völker
(2001),

– die Einrichtung des Permanenten Forums für die Angelegenheiten Indigener
bei den VN (erste Sitzung 2002).

Die Hauptziele der VN-Dekade, die internationale Kooperation mit indigenen
Völkern in den Bereichen Menschenrechte, Umwelt, Entwicklung, Bildung und
Gesundheit, konnten jedoch nicht nachhaltig gefestigt werden. Respektvolle
„neue Partnerschaften“ („partnership in action“) zwischen Regierungen und in-
digenen Völkern, wie sie die IAO-Konvention 169 rechtsverbindlich festlegt,
sind während der zehn Jahre nicht zustande gekommen.

Insbesondere steht die breite Durchsetzung der IAO-Konvention 169 als interna-
tional rechtsverbindliche Norm und Grundlage der neuen Partnerschaften noch
immer aus. Deutschland sollte mit der Ratifizierung einen wichtigen Beitrag
dazu leisten.

In Deutschland hat es in den vergangenen Jahren dazu verschiedene positive An-
sätze gegeben wie z. B. das Sektorpapier des BMZ 1996 sowie die Unterstützung
des Arbeitspapiers der EU-Kommission von 1998 und der EU-Resolution aus
dem gleichen Jahr. Diese Dokumente nehmen alle ausdrücklich Bezug auf die
IAO Konvention 169. Auch im Aktionsprogramm 2015 setzte sich die damalige
Bundesregierung dafür ein, Entwicklungsprozesse im Kontext kultureller, sozia-
ler und wirtschaftlicher Menschenrechte aktiv zu fördern. Schließlich unterstrich
der Deutsche Bundestag (Bundestagsdrucksache 15/136) im Dezember 2002
schon einmal die hohe Bedeutung der IAO-Konvention 169 als internationaler
Menschenrechtsstandard.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,
1. die IAO-Konvention 169 zu den Rechten indigener Völker umgehend zu
ratifizieren;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1971

2. Richtlinien für die Entwicklungszusammenarbeit und Außenwirtschaftsför-
derung zu erarbeiten, welche die Rechte indigener Völker entsprechend der
IAO-Konvention 169 berücksichtigen;

3. den (entwicklungs-)politischen Dialog mit Repräsentanten indigener Völker
zu stärken, vor Ort und von Deutschland aus;

4. bi- und multilaterale Initiativen zum Schutz indigener Völker politisch und
finanziell stärker zu unterstützen. In diesem Zusammenhang sollte die Bun-
desregierung sich insbesondere für eine angemessene Ausstattung des 2002
eingerichteten Permanenten Forums für die Angelegenheiten Indigener
einsetzen. Ebenso sollte die Bundesregierung etwa in der WTO dafür eintre-
ten, dass im Rahmen internationaler Patentrechte und intellektuelle Eigen-
tumsrechte die Rechte indigener Völker gewahrt werden. Sie sollte ferner
insgesamt die herausragende Rolle indigener Völker beim Erhalt der biolo-
gischen Vielfalt anerkennen und sie diesbezüglich politisch und finanziell
fördern;

5. die Mitbestimmung indigener Völker in internationalen Institutionen zu för-
dern und sich dafür einzusetzen, dass auch innerhalb der EU indigene Völker
konsequent als Partner behandelt werden;

6. die systematische Datenerhebung und -bearbeitung zu den Lebensumstände
indigener Völker zu fördern und damit zum Schutz ihrer Rechte und zur
Sicherung ihrer kulturellen Identität beizutragen.

Berlin, den 28. Juni 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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