BT-Drucksache 16/1588

Zu den türkischen Militäraktionen gegen die kurdische Zivilbevölkerung

Vom 18. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1588
16. Wahlperiode 18. 05. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Kirsten Tackmann, Heike Hänsel,
Dr. Norman Paech und der Fraktion DIE LINKE.

Zu den türkischen Militäraktionen gegen die kurdische Zivilbevölkerung

Am 31. März 2006 hat die EU die Türkei aufgefordert, die Unruhen in den von
Kurdinnen und Kurden bewohnten Gebieten friedlich beizulegen und die
Rechte der kurdischen Minderheit zu gewährleisten.

Bei Trauerfeiern für 14 während eines Einsatzes der türkischen Armee getöteter
Kurdinnen und Kurden kam es am 28. März 2006 in Diyarbakir zu Ausschrei-
tungen: Nach der Beerdigung hatte sich ein Demonstrationszug formiert, der
von der Polizei mit Schusswaffen und Tränengas angegriffen wurde. Die Zahl
der Verletzten betrug über 100, zwei Demonstranten wurden getötet. Darüber
haben deutsche und internationale Medien berichtet, z. B. das ZDF am
28. März 2006, die „Basler Zeitung“ am 29. März 2006, REUTERS am 1. April
2006, „Der Standard“ am 30. März 2006.

Als Reaktion blieben einige Tage lang in vielen Stadtteilen Diyarbakirs die Läden
aus Protest geschlossen. Die Proteste weiteten sich auch auf zahlreiche andere
kurdische und türkische Städte aus. Die Unruhen verstärkten sich, als bei der Be-
erdigung der Opfer in Diyarbakir Polizei und Militär wieder gewaltsam gegen
die Zivilbevölkerung vorging. Wieder wurden Zivilisten erschossen, darunter
auch Jugendliche und Kleinkinder, wieder wurden zahlreiche Zivilisten verletzt
oder verhaftet. Es entwickelten sich bürgerkriegsähnliche Situationen.

Die Online-Ausgabe der Wiener Zeitung vom 4. April 2006 berichtete mit Be-
zug auf die türkische Zeitung „Zaman“, dass 190 Kinder von der Polizei festge-
nommen, 31 von ihnen bereits von Gerichten verurteilt wurden. Andere Be-
richte gehen von höheren Zahlen aus.

Die Partei für eine Demokratische Gesellschaft (DTP), der der Bürgermeister
von Diyarbakir, Osman Baydemir, angehört, rief in einer Presseerklärung dazu
auf, die Auseinandersetzungen in Diyarbakir zu beenden.

Der türkische Kassationsgerichtshof leitete Ermittlungen ein um zu prüfen, ob
die DTP in die Vorfälle in Diyarbakir verwickelt ist. Das Innenministerium hat
Ermittlungen gegen Osman Baydemir als Bürgermeister von Diyarbakir in
Gang gesetzt, weil er die PKK gelobt haben soll. Auch die Staatsanwaltschaft
in Diyarbakir ermittelt gegen Osman Baydemir und einige DTP-Provinzvorsit-
zende.

Der türkische Ministerpräsident erklärte laut „Milliyet“ vom 31. März 2006:
„Unsere Sicherheitskräfte werden die notwendigen Interventionen gegen all
diejenigen durchführen, die sich zum Werkzeug des Terrors machen, auch
wenn es Kinder oder Frauen sind. Ich möchte, dass dies klar verstanden wird.“

Drucksache 16/1588 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Die internationale Presse insbesondere die, deren Mitarbeiter im Land selbst re-
cherchiert haben, wie z. B. AP und REUTERS, nennen als Ursachen für die
Protestaktionen der kurdischen Zivilbevölkerung, das Ausbleiben der gegen-
über der EU zugesagten Reformen im Bereich der Menschenrechte und der
Wirtschaft. „In den Schulen bleibt die kurdische Sprache verboten, und unter
EU-Druck gemachte Versprechungen, der seit Generationen ökonomisch
schwer vernachlässigten Region endlich durch Investitionen und ein umfang-
reiches Regierungsprogramm zum Aufschwung zu verhelfen, bleiben bis heute
unerfüllt.“ So die „Salzburger Nachrichten“ am 5. April 2006.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung gegenüber der Türkei ihr Unverständnis und ihre
Missbilligung über den unverhältnismäßigen Einsatz von militärischer und
polizeilicher Gewalt zum Ausdruck gebracht?

2. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, die die Behauptung, türki-
sches Militär habe bei den Aktionen chemische Waffen eingesetzt, stützen
oder widerlegen?

3. Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung, der Türkei deutlich
zu machen, ob die kurdische Frage einer politischen, gewaltfreien Lösung
bedarf?

4. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, ob bei den Militäraktionen
Panzer deutscher Herkunft gegen die Bevölkerung eingesetzt wurden?

5. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass diese Militäraktionen Einfluss
auf den Beitrittsprozess der Türkei in die EU haben werden?

Berlin, den 17. Mai 2006

Wolfgang Gehrcke
Dr. Kirsten Tackmann
Heike Hänsel
Dr. Norman Paech
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.