BT-Drucksache 16/1581

Gaspreiserhöhungen für Verbraucher

Vom 19. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1581
16. Wahlperiode 19. 05. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Peter Hettlich,
Undine Kurth (Quedlinburg), Christine Scheel, Hans Josef Fell, Winfried Hermann,
Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Reinhard Loske und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gaspreiserhöhungen für Verbraucher

Seit Monaten steigen die Energiepreise signifikant an. Besonders dramatisch ist
die Situation bei den Gaspreisen. Schon 2005 musste ein Durchschnittshaushalt
für seine Gasrechnung ca. 400 Euro mehr ausgeben als noch 2004; in den letzten
drei Jahren stieg die Gasrechnung um 66 Prozent an. Damit ist die Schmerz-
grenze längst erreicht. Verbraucher mit niedrigen Einkommen leiden doppelt
unter den gestiegenen Heizkosten, da sie keine Abhilfe gegen schlechter isolierte
Wohnungen ergreifen können. Aber auch der Großteil der neu gebauten Woh-
nungen und Häuser ist vom Gas abhängig.

Ein Ende der Preisspirale ist nicht in Sicht, Energieexperten erwarten laut einer
Umfrage des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung vom Februar 2006
weiter deutlich steigende Gaspreise. Die Bindung des Gaspreises an den Ölpreis
wird als ein wichtiger Faktor genannt.

Die Ursache für die stark gestiegenen Verbraucherpreise ist nicht nur in den ge-
stiegenen Weltmarktpreisen für Öl und Gas zu suchen. Ein wesentlicher Faktor
ist die starke Marktkonzentration bei der Gasbeschaffung und damit verbunden
der fehlende Wettbewerb in Deutschland. Verschärft wird die Wettbewerbs-
situation durch verschuldete Kommunen, die ihre Energieversorgungen an die
marktbestimmenden Unternehmen verkaufen. Im Vergleich werden in Deutsch-
land sowohl für den Kleinverbraucher als auch für die Industrie die höchsten
Gaspreise in Europa verlangt. Innerhalb Deutschlands sind Preisspreizungen
von über 35 Prozent vorhanden.

Mangelnde Transparenz bei der Kalkulation der Endpreise tragen zu einem
wachsenden Misstrauen in der Bevölkerung gegen weitere Preiserhöhungen
durch die Gasversorger bei. Seit mehr als einem Jahr gibt es in Deutschland eine
wachsende Bewegung, die sich gegen die Preiserhöhungen wehrt. Sie verweisen
auf ihr Überprüfungsrecht im Paragraph 315 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(BGB) und verweigern die Zahlung weiterer Preiserhöhungen, bevor nicht deren
Billigkeit durch eine Offenlegung der Kalkulation vom Gasversorger nachge-

wiesen wird. Verschiedene Landesgerichte befassen sich gerade mit Sammelkla-
gen genau zu diesem Thema.

Die Kläger und viele Verbraucherorganisationen beklagen die mangelhafte Ver-
braucherinformation und die fehlende Transparenz auf dem Gasmarkt. Eine Un-
terstützung ihrer Anliegen durch die Verbraucherpolitik der Bundesregierung ist
bislang kaum erkennbar.

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Als Teil der Daseinsversorgung ist die Preisgestaltung auf den Gasmärkten ein
wichtiges Politikfeld, das nicht in den Hintergrund gedrängt werden darf. Die
Politik ist gefragt, alle Instrumente zu benutzen, um überhöhte Gaspreise für den
Endkunden zu verhindern und eine sichere, wirtschaftliche und nachhaltige Ver-
sorgung mit Gas zu ermöglichen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie haben sich die Haushaltsgaspreise in den letzten zwei Jahren entwickelt
und entspricht diese Entwicklung dem Verlauf des Grenzübergangspreises
(BAFA)?

2. Wie wirkt sich beim Gaspreis die Ölpreisbindung aus, und wie wird die Fol-
geentwicklung eingeschätzt?

3. Es gibt eine Anzahl verschiedener internationaler Ölpreisindizes. Welcher
Ölpreis liegt der Gaspreisbindung zu Grunde?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Kopplung des Gaspreises an den Öl-
preis, und hält sie die Bindung des Gaspreises an den Ölpreis für wett-
bewerbskompatibel?

5. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Preisbindung zu
unterbinden?

Ab welchem Weltmarktpreis für Öl würde die Bundesregierung von diesen
Möglichkeiten Gebrauch machen bzw. sie unterstützen?

6. Können die bestehenden langfristigen Lieferverträge für Gas die Preise
dämpfen?

7. Um wie viel Euro wird sich die jährliche Gasrechnung eines Durchschnitts-
haushalts ab 2007 durch die geplante Mehrwertsteuererhöhung von 3 Pro-
zent voraussichtlich verteuern?

8. Welche volkswirtschaftliche Relevanz haben die Gaspreise, und wie wirken
sie auf die Binnenkonjunktur?

9. Welche Auswirkungen haben die Gaspreiserhöhungen auf Privathaushalte,
Klein- und mittelständische Unternehmen und die großindustriellen Abneh-
mer?

10. Wie wirkt sich die von den Netzbetreibern beantragte Teilung der Gaspreis-
kalkulation in einen Leistungs- und Arbeitspreis auf private Gaskunden
aus?

11. Hält die Bundesregierung Preissenkungen durch das Ergreifen von wettbe-
werbsfördernden Maßnahmen für möglich, und wenn ja, in welcher Höhe?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung den Anteil an den Gaspreissteigerungen,
der durch steigende Bezugspreise von importiertem Erdgas entsteht, und
wie werden sich die Importpreise entwickeln?

13. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass durch wettbewerbsför-
dernde Maßnahmen erzielte Preissenkungen durch mögliche Preissteige-
rungen bei den Importen überkompensiert werden, und wenn ja, welche
Maßnahmen wird sie dagegen einleiten?

14. Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Gas-
preissteigerungen für den Endverbraucher zu vermeiden bzw. zurückzuneh-
men?

15. Welche speziellen Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die steigen-
den Energiepreise für finanziell schwache Bevölkerungskreise abzufedern,

und ist beabsichtigt, die Bemessungsgrundlagen für staatliche Transferleis-
tungen entsprechend anzupassen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1581

16. In welcher Weise beobachtet die Bundesregierung die Marktentwicklung
bei den nicht genehmigungspflichtigen Kostenbestandteilen Vertrieb, Er-
zeugung und Beschaffung, und welche ordnungspolitischen Maßnahmen
hat die Bundesregierung zur Steuerung ergriffen?

17. Wie viele Genehmigungen zu Netzentgelten/Tarifen hat die Bundesnetz-
agentur mit welcher Begründung verweigert, und wie viele Missbrauchsver-
fahren in Bund und Ländern wurden mit welchem Ergebnis durchgeführt?

18. Wann plant die Bundesregierung die Einführung einer Preisgenehmigung
bei Gas, wenn sich weiter kein Wettbewerb um Haushaltskunden auf dem
Gasmarkt entwickelt?

19. In welcher Weise wird die Bundesregierung die Kontrolle über Betrieb und
Zugangsermöglichung von Dritten bei örtlichen und regionalen Gasspei-
cheranlagen durchführen?

20. Welches Regulierungskonzept wird von der Bundesregierung bei Gasprei-
sen verfolgt, und wie sehen die Vorteile gegenüber anderen internationalen
Konzepten aus?

21. Sind Verbraucherverbände institutionell in der Regulierung eingebunden
und in welcher Weise?

22. Beabsichtigt die Bundesregierung, den Verbraucherverbänden die Überwa-
chung der Energiemärkte aus Verbrauchersicht auf gesetzlicher Grundlage
zu übertragen, und wenn ja, wie wird die finanzielle Grundlage aussehen?

23. Sind die Energieversorgungsunternehmen in die Regulierung des Ferngas-
markts eingebunden, und wenn ja, in welcher Weise?

24. Wie viele der neu geschaffenen Stellen in der Bundesnetzagentur sind noch
nicht besetzt bzw. werden

a) von ehemaligen Mitarbeitern der Energiewirtschaft besetzt,

b) mit ehemaligen Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern besetzt,

c) mit Personen, die sich öffentlich gegen die Energiewirtschaft engagiert
haben, besetzt?

25. Wie bewertet die Bundesregierung den wachsenden Widerstand in der Be-
völkerung gegen die Gaspreiserhöhungen?

26. Gibt es Bestrebungen, das Widerspruchsrecht nach § 315 BGB in Bezug auf
Gaspreiserhöhungen in irgendeiner Weise einzuschränken?

27. Welche auf dem Energiegipfel der Bundesregierung am 3. April 2006 gebil-
deten Arbeitsgruppen befasst sich mit den Preiserhöhungen bei Gas, und
wie setzen sich Arbeitsgruppe und -programm zusammen?

28. In welchem Umfang unterstützt die Bundesregierung über die Förderung
des vom BMELV unterstützten Projekts beim Bund der Energieverbraucher
hinaus die Interessenszusammenschlüsse der Energieverbraucher und -kon-
sumgenossenschaften in rechtlicher, finanzieller und tatsächlicher Weise?

29. Beabsichtigt die Bundesregierung, bei der Novellierung der Rechtsverord-
nungen zur Gasversorgung eine grundsätzliche Änderung der Haftungs-
regeln für den Netzbetreiber vorzunehmen, und wenn ja, welche?

30. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass der Übernahme kleinerer
Energieversorgungsunternehmen durch wenige große Energiekonzerne ge-
gengesteuert werden sollte, und welche Maßnahmen sind zu ergreifen?

31. Unterstützt die Bundesregierung Verbraucherzusammenschlüsse in kleinen

Orten und von Unternehmenskooperationen unterhalb der De-Minimis-

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Grenze, die ihre Energieversorgung effizient und ökologisch sinnvoll in die
eigene Hand nehmen, und wenn ja, an welchen Orten?

32. Auf welchen Ferngasleitungen herrscht Leitungswettbewerb, und gibt es in
diesen Leitungen überhaupt freie Kapazitäten für neue Wettbewerber oder
handelt es sich hier nur um potentielle Ausweichrouten?

33. Sieht die Bundesregierung die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde
angesichts des Mengenverhältnisses zwischen Anbieter- und Nachfrager-
vertretern gewahrt, und werden Protokolle und Tarifanträge veröffentlicht?

34. Beabsichtigt die Bundesregierung, einen staatlich geprüften, anbieterunab-
hängig erstellten Preisvergleich zu Gaspreisen für Verbraucher erstellen zu
lassen, wenn ja, wann, wenn nein, warum nicht?

35. Ist der Bundesregierung eine übersichtliche Veröffentlichung der Eigen-
tümerverhältnisse, Gewinn und Investitionstätigkeit der Gasversorger be-
kannt, und wie erfolgt die demokratische Kontrolle der Gasversorgung?

36. Wie viele Entry-Exit-Zonen sind in Deutschland auf der Ferngasebene vor-
gesehen, und sind durch das neue Entry-Exit-System niedrigere oder höhere
Netzdurchleitungsgebühren zu erwarten?

37. Welche Effekte hat der vom Bundeskartellamt ausgehandelte Beistellungs-
wettbewerb, insbesondere auf die Preise?

38. Hält die Bundesregierung den Prozess des „unbundling“ für erfolgreich ab-
geschlossen und ausreichend kontrolliert, und welche Sanktionen ergreift
sie bei unerlaubter Informationsweitergabe innerhalb eines örtlichen Ver-
sorgungsunternehmens?

39. Wie wirken sich die bei der Bundesnetzagentur zur Genehmigung einge-
reichten, in den Verträgen der Netzbetreiber enthaltenen Bestimmungen über
Mehr- und Minderabnahme auf die Möglichkeit des Wechsels von einem
Energielieferanten zu einem anderen aus?

40. Werden Ferngasleitungen de facto steuerlich besser gestellt als lokale Netze,
und wenn ja, mit welcher Begründung?

41. Welche Maßnahmen werden seitens der Bundesregierung erwogen, damit
für Gaskunden ein einfach zu bewältigender Anbieterwechsel über den Bei-
stellungswettbewerb hinaus zum 1. Oktober 2006 möglich wird?

42. Welche Aufsichtsmaßnamen seitens der Aufsichtsbehörden wie Bundeskar-
tellamt und Bundesnetzagentur werden gegenüber den Netzbetreibern und
Gasversorgungsunternehmen unternommen, um einen wirksamen Wettbe-
werb noch vor Beginn der nächsten Heizperiode zu ermöglichen?

43. Beabsichtigt die Bundesregierung, Maßnahmen zu ergreifen, um kleine
Gasversorger gegen die Diskriminierung und Zugangsbeschränkungen zu
schützen, und wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 19. Mai 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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