BT-Drucksache 16/1443

Modernes Kündigungsschutzrecht und flexible Befristungsregelungen im Interesse der Arbeitsuchenden

Vom 10. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1443
16. Wahlperiode 10. 05. 2006

Antrag
der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans,
Jörg van Essen, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther
(Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk,
Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Modernes Kündigungsschutzrecht und flexible Befristungsregelungen
im Interesse der Arbeitsuchenden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-
wicklung hat in seinem Jahresgutachten 2005/2006 festgestellt, dass u. a. eine
umfassende Liberalisierung des Kündigungsschutzes erforderlich ist, um die
Verfestigung der Arbeitslosigkeit aufzubrechen und insbesondere die Beschäf-
tigungschancen Langzeitarbeitsloser und Geringqualifizierter zu verbessern.
Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für
Arbeit hat zu den am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des
Kündigungsschutzgesetzes festgestellt, dass das Kündigungsschutzrecht durch
die jüngsten Reformen nur wenig flexibler geworden ist und daher kaum mehr
Dynamik am Arbeitsmarkt zu erwarten ist. „Will man mehr Bewegung ins
Beschäftigungssystem bringen, bedarf es beim Kündigungsschutz eines Para-
digmenwechsels. Es geht um den Übergang vom Bestandsschutzprinzip zum
Abfindungsprinzip.“

Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland belegt
den besonderen Reformbedarf im Kündigungsrecht. Das Kündigungsschutz-
recht muss den arbeitsgerichtlichen Realitäten angepasst werden. Die bestehen-
den Beschränkungen treiben im Ergebnis die Arbeitskosten in die Höhe und sind
damit mitverantwortlich für die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit. Unternehmen
wird es erschwert, den Personalbestand den sich ändernden Marktbedingungen
anzupassen. Die hohen mit Entlassungen verbundenen Kosten hindern Unter-
nehmen daran, schnell bei Erholung der Auftragslage neues Personal einzustel-

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len. Das Kündigungsschutzgesetz schützt damit zwar die Inhaber eines Arbeits-
platzes, erschwert aber Arbeitsuchenden den Einstieg in den Arbeitsmarkt.

Deutschland braucht ein zeitgemäßes und den Realitäten entsprechendes Kün-
digungsrecht, um den Herausforderungen einer modernen Wirtschaftsordnung
gerecht zu werden.

Gerade im Mittelstand muss durch eine Reform des Kündigungsschutzgesetzes
die Personalplanung erleichtert werden, um gute Perspektiven für Neueinstel-
lungen zu schaffen. In kleineren und mittleren Betrieben besteht eine Hemm-
schwelle, den Personalbestand über zehn Beschäftigte hinaus auszuweiten.
Kleinere Betriebe ohne eigene Personalverwaltung haben oft große Schwierig-
keiten, das sehr komplizierte Kündigungsrecht anzuwenden. Daher sollte die
Schwelle für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes deutlich an-
gehoben werden. Das Kündigungsschutzgesetz sollte erst nach zweijähriger
Betriebszugehörigkeit anwendbar sein.

Dadurch wird eine flexible Gestaltung des Personalbedarfs ermöglicht, die ge-
rade mittelständische Unternehmen dazu veranlassen wird, Nachfragespitzen
nicht mehr mittels Überstunden auszugleichen, sondern neue Mitarbeiter ein-
zustellen. Die Arbeitnehmer in den nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fal-
lenden Betrieben bleiben weiterhin vor willkürlichen Kündigungen durch die
Schutzklauseln des Zivilrechts geschützt (§§ 138, 242 des Bürgerlichen Gesetz-
buches – BGB).

Das Kündigungsschutzgesetz sollte, wie vom Sachverständigenrat gefordert,
durch ein Vertragsoptionsmodell ergänzt werden. Arbeitgeber und Arbeit-
nehmer sollen bereits bei Vertragsschluss vereinbaren können, welche Form des
Kündigungsschutzes sie im Falle einer arbeitgeberseitigen betriebsbedingten
Kündigung wollen. Statt des gesetzlichen Kündigungsschutzes müssen Ab-
findungszahlungen oder die Verpflichtung zur Finanzierung von Weiter-
bildungsmaßnahmen vereinbart werden können. Die Vereinbarung einer Abfin-
dung, welche die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes ausschließt, eröffnet
den Arbeitsvertragsparteien den Freiraum, individuelle, auf das einzelne
Arbeitsvertragsverhältnis abzielende Abmachungen für den Fall der arbeit-
geberseitigen betriebsbedingten Kündigung zu treffen. Im Gegensatz zu einer
zwingenden Abfindungsregelung, die gerade viele mittelständische Betriebe
überfordern kann, ist es den Arbeitsvertragsparteien freigestellt, welche Abfin-
dungshöhe sie vereinbaren.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer profitieren von dieser Wahlfreiheit. Der Arbeit-
nehmer erhält entweder eine Abfindung oder auf Kosten seines Arbeitgebers
eine Zusatzausbildung, die seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessert. Der
Arbeitgeber erhält die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis rechtssicher und ohne
weitere unkalkulierbare Kosten zu beenden. Langwierige Kündigungsschutz-
prozesse werden vermieden, die ohnehin in der Regel nicht zu einer Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses führen, sondern mit Vergleichen und Abfindungszah-
lungen enden und die Arbeitsgerichte bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit
belasten.

Die Regelungen für sachgrundlose Befristungen müssen gelockert werden.
Sachgrundlose Befristungen sind ein flexibles und vor allem unbürokratisches
Instrument, das es den Unternehmen erlaubt, Auftragsspitzen nicht mehr durch
Überstunden, sondern durch Neueinstellungen abzufangen. Auf diese Weise
können auch bei Ungewissheit über die zukünftige Auftragslage, Arbeitsplätze
geschaffen werden. Die für Existenzgründer bereits bestehende Vierjahresfrist
sollte für alle sachgrundlosen Befristungen gelten. Das bestehende Ersteinstel-
lungserfordernis stellt ein erhebliches Beschäftigungshemmnis dar. Vor allem
jungen Menschen, die z. B. während ihres Studiums bereits in Unternehmen
praktische Erfahrungen gesammelt haben, werden dadurch bei der Stellensuche

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behindert, dass sie in dem selben Unternehmen nicht mehr sachgrundlos einge-
stellt werden können. Die Einrichtung einer Sperrzeit zwischen den Arbeitsver-
trägen ist ausreichend, um Kettenarbeitsverträge zu vermeiden.

Eine Streichung des Instruments der sachgrundlosen Befristung hingegen würde
die Unternehmen deutlich in ihrer Flexibilität bei der Personalpolitik beschnei-
den. Die Erwartung, dass ein Wegfall der sachgrundlosen Befristungsmöglich-
keit zu einer Zunahme von Dauerarbeitsplätzen führt, wird sich nicht erfüllen.
Im Gegenteil, es werden neue Beschäftgungsbarrieren errichtet.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf, einen
Gesetzentwurf vorzulegen, der folgende Regelungen enthält:

1. Befristungen ohne sachlichen Grund sind bis zu vier Jahren möglich.

2. Das Verbot, einen Arbeitnehmer nicht mehr befristet ohne sachlichen Grund
zu beschäftigen, der schon einmal befristet oder unbefristet bei dem gleichen
Arbeitgeber beschäftigt war, wird aufgehoben. Das Ersteinstellungsgebot er-
weist sich in der Praxis als Einstellungshemmnis. Stattdessen wird zur Ver-
meidung von Kettenarbeitsverträgen ein Verbot wiederholter Beschäftigung
vor Ablauf von drei Monaten eingeführt.

3. Der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz findet
keine Anwendung in den ersten zwei Jahren der Betriebszugehörigkeit.

4. Der Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes erstreckt sich nur auf
Betriebe mit mehr als 20 Arbeitnehmern. Zur Berechnung wird wie bisher der
Pro-rata-temporis-Grundsatz angewendet.

5. Das Lebensalter als Kriterium für die Sozialauswahl bei betriebsbedingten
Kündigungen wird gestrichen, da diese Regelung die Einstellungschancen
und Reintegration älterer Arbeitsloser auf dem Arbeitsmarkt erheblich
erschwert.

6. In das Kündigungsschutzgesetz wird ein Vertragsoptionsmodell aufgenom-
men. Damit können die Arbeitsvertragsparteien bereits bei Vertragsschluss
vereinbaren, welche Form des Kündigungsschutzes sie für den Fall der ar-
beitgeberseitigen betriebsbedingten Kündigung wollen. Statt des gesetz-
lichen Kündigungsschutzes können Abfindungszahlungen oder die Ver-
pflichtung zur Zahlung von Weiterbildungsmaßnahmen vereinbart werden.

7. Bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses müssen sämtliche aus dem
Arbeitsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung entstandene Ansprüche
– ausgenommen strafbare Handlungen – innerhalb einer Ausschlussfrist von
drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich geltend
gemacht werden. Damit wird das Arbeitsrecht ein Stück weit besser kalku-
lierbar. Eine nachträgliche Zulassung der Klage ist analog zu § 5 des Kündi-
gungsschutzgesetzes noch immer möglich, wenn der Arbeitnehmer die Frist
zur Geltendmachung seiner Ansprüche trotz aller ihm nach Lage der Um-
stände zuzumutenden Sorgfalt nicht einhalten konnte.

8. Im Dritten Buch Sozialgesetzbuch ist sicherzustellen, dass die Ausübung der
Abfindungs- oder Qualifizierungsoption nicht zu einer Sperr- oder Ruhefrist
beim Bezug von Arbeitslosengeld führt.

Berlin, den 10. Mai 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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