BT-Drucksache 16/14085

Deutsch-Chinesischer Rechtsstaatsdialog

Vom 24. September 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/14085
16. Wahlperiode 24. 09. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert
und der Fraktion DIE LINKE.

Deutsch-Chinesischer Rechtsstaatsdialog

Der Deutsch-Chinesische Rechtsstaatsdialog existiert 2010 bereits zehn Jahre.
Nach dem Verständnis der deutschen Öffentlichkeit sollte dieser Dialog vor
allem der offensiven Diskussion über die Einhaltung und Durchsetzung von
Menschenrechtsstandards dienen. Schon zur Halbzeit des Dialogs hieß es
jedoch auf der Website des Bundesministeriums der Justiz (BMJ), der Vor-
schlag des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zur Institutionali-
sierung eines solchen Dialogs sei deshalb aufgegriffen worden, „weil soziale
Stabilität, wirtschaftliches Wachstum, Auslandsinvestitionen ein hohes Maß an
Rechtssicherheit für Investoren verlangen“. Auf der Homepage des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
hieß es dazu: „Ausländische Investoren erwarten Rechtssicherheit“, deshalb be-
rate Deutschland China im Rechtsbereich. Der ständige Teilnehmer am Runden
Tisch des Dialogs, der Anwalt und Leiter des Instituts für Arbeit, Dr. Rolf
Geffken, kam in einer Auswertung des Dialogs schon 2005 zu dem Ergebnis,
die Themen des Dialogs seien entweder „überwiegend begrenzt auf den Be-
reich des Wirtschaftsrechts oder des Verwaltungsrechts oder aber sie seien
allgemein gehalten und damit zu beliebig“. Fragen, in denen sich der Rechts-
staat zu bewähren habe, also insbesondere Fragen der Behandlung von sozial
und ethnisch Diskriminierten, abhängig Beschäftigten, Arbeitsmigrantinnen
und -migranten etc., würden entweder nur ganz am Rande behandelt oder gar
nicht. Insbesondere scheine der deutliche Zusammenhang zwischen Sozialstaat
und Rechtsstaat in keinem der bisher bekannt gewordenen Projekte reflektiert
worden zu sein.

Der Kölner Rechtssinologe Prof. Robert Heuser kritisiert die „Hochschullastig-
keit“ des Dialogs, da die aktiven Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich über-
wiegend aus dem Universitätsbereich rekrutierten. Die Anwaltsorganisationen
wiederum haben wiederholt auf die bisherige völlige Vernachlässigung der an-
waltlichen Perspektive hingewiesen. Dabei haben sie zugleich darauf aufmerk-
sam gemacht, dass diese Perspektive querschnittsartig die Existenz rechtsstaat-
licher Strukturen verdeutlichen könne. Auf die bei der ersten Deutsch-Chine-
sischen Anwaltskonferenz in Tianjin gemachten Erfahrungen wurde dabei aus-
drücklich hingewiesen.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung die Kritik der genannten Personen und Institutionen
an dem bisherigen Inhalt und Verlauf des Dialogs bekannt?

Drucksache 16/14085 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Ist ihr die Denkschrift des Instituts für Arbeit unter dem Titel „Der lange
Weg Chinas zum Recht“ (2. Aufl. 2008) bekannt?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, teilt die Bundesregierung die darin geäußerte Kritik, und wenn
nein, in welchen Punkten nicht, und warum nicht?

2. Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um dem Vor-
wurf der Hochschullastigkeit des Dialogs zu begegnen?

a) Warum wurde erst für das Jahr 2010 das Thema „Anwaltschaft“ zum
Gegenstand eines gemeinsamen Symposiums gewählt?

b) Ist es zutreffend, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den bis-
herigen Symposien nur aus einem äußerst begrenzten Personenkreis aus-
gesucht wurden und dass beispielsweise Teilnehmende des Runden
Tisches zu diesen Symposien nicht eingeladen wurden, obwohl sie sich
seit langer Zeit mit Fragen der Rechtssituation in China befassen?

Wenn nein, wie erklärt die Bundesregierung den Umstand, dass beispiels-
weise der regelmäßige Teilnehmer am Runden Tisch, Dr. Rolf Geffken,
zu keinem dieser Symposien eingeladen wurde?

3. Warum hält die Bundesregierung folgende bisherige Themen der Symposien
für in höchstem Maße rechtsstaatlich relevant:

a) 2001: „Rechtlicher Rahmen für die unternehmerische Tätigkeit in der
Marktwirtschaft“,

b) 2002: „Die rechtsstaatliche Ordnung der Marktwirtschaft“,

c) 2003: „Internet/Recht der Informationstechnologie“,

d) 2004: „Notstandsregelungen im Rechtsstaat“,

e) sowie zuletzt „Intellectual Property Rights“?

4. Warum war bislang kein einziges der Themen in den Symposien der Rechts-
situation von Migrantinnen und Migranten, Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern und Eigenheimbesitzenden gewidmet?

5. Hat die Bundesregierung gegenüber der chinesischen Regierung eine Initia-
tive in dieser Richtung unternommen?

Wenn ja, mit welchem Inhalt und mit welcher Antwort der chinesischen
Seite?

Wenn nein, warum nicht?

6. Hält die Bundesregierung es für ausreichend, das Thema Arbeitsrecht im
Rahmen des Dialogs ausschließlich der Friedrich-Ebert-Stiftung zu über-
lassen?

a) Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, dass die Friedrich-
Ebert-Stiftung bislang über Inhalt und Verlauf der von ihr angeblich oder
tatsächlich durchgeführten Projekte keinerlei öffentliche Verlautbarungen
vorgenommen hat, so dass eine Auswertung dieses Teils des Dialogs
durch die deutsche Öffentlichkeit nicht möglich ist?

b) Welche Schritte beabsichtigt die Bundesregierung zu unternehmen, um
die am Dialog beteiligten Partner zu mehr Transparenz vor allem auch
gegenüber der deutschen Öffentlichkeit zu veranlassen?

7. Auf welche Weise gedenkt die Bundesregierung die Anwaltschaft (organi-
siert und nicht organisiert) im Jahre 2010 bei dem dort vorgesehenen Thema

„freie Advokatur“ zu unterstützen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/14085

a) Auf welche Weise gedenkt die Bundesregierung auch über 2010 hinaus
die Anwaltschaft aktiv in den Dialog mit einzubeziehen?

b) Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die materielle Unterstüt-
zung für die 1. Deutsch-Chinesische Anwaltskonferenz in Tianjin aus-
reichend war (bitte begründen)?

c) Trifft es zu, dass die Mehrzahl der diese Konferenz durchführenden Per-
sonen auf deutscher Seite überwiegend „ehrenamtlich“ arbeitete und
zum Teil auch unter eigenen finanziellen Aufwendungen daran teilneh-
men musste, und wie bewertet die Bundesregierung dies?

8. Im Auftrag der Bundesregierung betreibt die Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit (GTZ) in China in großem Umfang ein sogenanntes
Rechtsberatungsbüro, mit dem sie in erster Linie die Gesetzgebungsorgane
der Volksrepublik China berät.

a) Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Gesetzgebungsberatung
vor allem und in erster Linie Politikberatung ist, da sich die politischen
Vorgaben eines Gesetzes und der Wille des Gesetzgebers vom Inhalt des
Gesetzes kaum trennen lassen?

Wenn nein, warum nicht?

Auf welche konkreten Erfahrungen stützt sich dabei die Bundes-
regierung?

Wenn ja, teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die demokra-
tische Legitimation der chinesischen Gesetzgebungsorgane defizitär ist,
und wenn nein, warum nicht?

Welche konkreten Erfahrungen hat die Bundesregierung insoweit?

b) Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass essentieller Bestandteil
des Rechtsdialogs eine mit der Tätigkeit der GTZ verbundene „Rechts-
entwicklungshilfe“ ist?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, wie ist dann vor diesem Hintergrund das bisherige Budget
der GTZ zu erklären und zu rechtfertigen?

9. Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um ihre an
die GTZ sowie an die Firma Inwent – Internationale Weiterbildung und
Entwicklung gGmbH (Inwent gGmbH) delegierten Aufgaben im Rahmen
des Dialogs entweder selbst zu übernehmen oder anderen dezentralen
Nichtregierungsorganisationen zu übertragen?

a) Warum wurden insbesondere Projekte kleinerer Institutionen nicht un-
terstützt, so z. B. die 1. Deutsch-Chinesische Konferenz zum Arbeits-
recht in Kanton 2004 sowie ein Projekt des Instituts für Arbeit mit der
Renmin-Universität in Peking zur Beteiligung von Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern?

b) Trifft es zu, dass das BMJ bei verschiedenen beantragten Projekten
wiederholt auf die GTZ verwiesen hat, die ihrerseits dann auf „eigene“
Projekte verweist?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung den bisherigen Inhalt und Verlauf von
Fortbildungsveranstaltungen für chinesische Justizangehörige?

a) Wurden bei diesen Fortbildungsveranstaltungen Dozentinnen und
Dozenten eingesetzt, die über Kenntnisse des chinesischen Rechts auf-
grund eigenen Studiums oder aufgrund von Forschungsaufenthalten in

China verfügen, oder handelt es sich dabei ausschließlich oder überwie-
gend um Dozierende, die nur im deutschen Recht zu Hause sind?

Drucksache 16/14085 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

b) Welche Art von Dolmetscherinnen bzw. Dolmetschern wurde bei diesen
Fortbildungen eingesetzt?

c) Welches Feedback der Teilnehmenden gab es in Bezug auf die einzelnen
Seminare, vor allem bei solchen Veranstaltungen, die die Firma Inwent
gGmbH im Auftrag der Bundesregierung durchgeführt hat?

d) Warum wurde bei diesen Seminaren bislang auf den Einsatz von deut-
schen Anwältinnen und Anwälten, die zugleich chinesische Rechts-
experten sind, verzichtet?

11. Ist der Bundesregierung bekannt, dass in China selbst unter Richterinnen
und Richtern das Thema „Korruption in der Justiz“ diskutiert wird?

a) Wie bewertet die Bundesregierung eine Justiz, die gezwungen ist, soge-
nannte Ethikregeln für Richter aufzustellen, weil im Bewusstsein der
Öffentlichkeit die Justiz – insbesondere in den chinesischen Provinzen –
unter dem Generalverdacht der Korruption steht?

b) Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das Thema Korruption
in der Justiz für die Existenz eines Rechtsstaates von so essentieller Be-
deutung ist, dass darauf im Rahmen eines Rechtsstaatsdialogs nicht ver-
zichtet werden kann?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welche konkreten Konsequenzen ergeben sich daraus für lau-
fende und künftige Projekte in diesem Bereich?

12. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Website des Hauptinitiators der
1. Deutsch-Chinesischen Anwaltskonferenz in Tianjin, des deutschen
Rechtsanwaltes Dr. Rolf Geffken, von der chinesischen Regierung nach
Durchführung der diesbezüglichen Sondierungsgespräche im Juni 2008
und noch kurz vor Durchführung der Konferenz gesperrt wurde und dass
diese Sperre bis heute nicht aufgehoben wurde?

a) Trifft es zu, dass die Bundesregierung dem Betroffenen lediglich die
Version des chinesischen Außenministeriums mitgeteilt hat, wonach es
angeblich „technische Probleme“ mit verschiedenen Servern gebe, ohne
dass allerdings überhaupt Bezug genommen wurde auf den konkret vom
Betroffenen benutzten Server?

b) Trifft es zu, dass die Bundesregierung dem Betroffenen nur empfohlen
hat, den Server zu wechseln, ohne beim chinesischen Außenministerium
auf eine deutliche Klärung und Aufhebung der Maßnahmen zu dringen?

c) Ist der Bundesregierung bekannt, dass die chinesische Regierung über
eine Vielzahl von technischen Möglichkeiten verfügt, Websites aus dem
Ausland zu sperren, aber auch die Sperrung solcher Websites wieder
aufzuheben?

d) Hält die Bundesregierung ihre Untätigkeit in der Angelegenheit der
Website des Dr. Rolf Geffken für ein geeignetes Signal an die chine-
sische Regierung im Rahmen einer offensiven Fortführung des Rechts-
staatsdialogs?

e) Auf welche sonstige Weise beabsichtigt die Bundesregierung eine
konkrete Unterstützung des betroffenen deutschen Anwaltes und aller
künftig von solchen Maßnahmen möglicherweise betroffenen deutschen
Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Dialog?

f) Durch die Sperrung der Website wird dem Anwalt, der eine chinesische
Klientel auf dem Weg nach Deutschland vertritt, der Zugang zu chine-

sischen Mandantinnen und Mandanten mit deutlichem Bezug auf

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/14085

Deutschland verwehrt. Sieht die Bundesregierung hierin einen Verstoß
gegen die Regeln der World Trade Organization (WTO)?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welche Schritte gedenkt die Bundesregierung wegen des Ver-
stoßes gegen die WTO-Regeln zu unternehmen?

g) Ist der Bundesregierung bekannt, dass der Betroffene sich im Rahmen der
Sondierungsgespräche im Juni 2008 in Tianjin offensiv für die Teilnahme
von Menschenrechtsanwältinnen und -anwälten an der 1. Deutsch-Chine-
sischen Konferenz in Tianjin eingesetzt hat und dieses Engagement auch
erfolgreich war?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus für ihr
künftiges Vorgehen im Rahmen des Dialogs?

Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass aktiv am Dialog beteiligte
deutsche Juristinnen und Juristen sich auf eigenes existentielles und be-
rufliches Risiko in und zu China engagieren sollen, oder ist sie gewillt,
solche Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Prozess aktiv zu unterstützen
und zu schützen?

Berlin, den 24. September 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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