BT-Drucksache 16/13934

Ursachen und Hintergründe der Betriebseinschränkungen bei der Berliner S-Bahn - Sicherheit im Eisenbahnverkehr

Vom 24. August 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13934
16. Wahlperiode 24. 08. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Petra Pau, Dorothee Menzner,
Lutz Heilmann, Eva Bulling-Schröter und der Fraktion DIE LINKE.

Ursachen und Hintergründe der Betriebseinschränkungen
bei der Berliner S-Bahn – Sicherheit im Eisenbahnverkehr

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie gewährleistet der Bund seine Aufsichtspflicht über die Berliner S-Bahn,
die von der bundeseigenen Deutschen Bahn AG als Tochterunternehmen ge-
führt wird?

2. Sind oder waren Mitglieder der Bundesregierung, Mitarbeiter eines Bundes-
ministeriums oder Mitglieder des Deutschen Bundestags im Aufsichtsrat der
Berliner S-Bahn vertreten?

Wenn ja, wer ist seit wann oder war von wann bis wann in der Zeit seit Januar
1995 im Aufsichtsrat der S-Bahn Berlin GmbH?

Wenn nein, warum nicht?

3. Inwieweit ist die Bundesregierung in die Entscheidungen bei und über die
S-Bahn Berlin GmbH als alleinige Eigentümerin des Mutterkonzerns ein-
gebunden?

4. Bei welchen Sitzungen und zu welchen Zeitpunkten ist den Aufsichtsrats-
mitgliedern der Deutschen Bahn AG oder dessen Tochterunternehmen das
Qualify-&-Qualify-Plus-Portfolio bekannt gemacht und gegebenenfalls zur
Entscheidung vorgelegt worden?

5. In welchem Maße und in welchen Schritten hat die S-Bahn Berlin GmbH seit
1999 Wartungsintervalle für Züge der Baureihe 481/482 gestreckt, und wann
erhielt die Bundesregierung jeweils Kenntnis davon?

6. Welche Vereinbarungen mit der S-Bahn Berlin GmbH oder welche Ver-
fügungen, die sich an dieses Unternehmen richteten, hat das Eisenbahn-
bundesamt (EBA) infolge welcher Ereignisse seit 1995 getroffen oder an-
geordnet?

7. Wann und infolge welcher Ereignisse erfuhr das EBA jeweils von welchen
Verstößen der S-Bahn Berlin GmbH gegen Verfügungen oder gegen Selbst-
verpflichtungen gegenüber dieser Behörde?

8. Welche Kenntnis hatten EBA und Bundesregierung vom Gutachten des Bahn-
forschungszentrums Kirchmöser zu einem Rad der Zugbaureihe 481/482, das
bereits vor 2003 nach nur 740 000 Kilometern Laufleistung dezimeterlange
Risse aufwies, für die eine außergewöhnliche Belastung und nicht Fehler im
Stahl als Ursache genannt wurde?

Wenn ja, wurde davon der Aufsichtsrat der S-Bahn Berlin GmbH informiert,
und welche weiteren Konsequenzen wurden daraus wann gezogen?

Wenn nein, wie erklärt sich die Bundesregierung dazu?

Drucksache 16/13934 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

9. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass es am 14. Februar 2009 bei der
Berliner S-Bahn einen Achs- oder Radbruch gegeben hat?

Wenn nein, welche genauen Angaben über einen Vorfall anderer Art kann
die Bundesregierung machen, der sich an diesem Tag bei der S-Bahn Berlin
GmbH zugetragen hat?

Wenn ja, wann hat die Bundesregierung von dem Vorfall erfahren, und wel-
che Konsequenzen hat sie daraus gezogen?

10. Warum und wann hat sich die S-Bahn Berlin GmbH verpflichtet, die Räder
von S-Bahnzügen alle sieben Tage zu überprüfen?

a) Welcher Vorgang ging dieser Zusage voraus?

b) Warum wurde die einheitliche Frist gewählt, die unabhängig von der
Laufleistung war?

c) Auf Basis welcher wissenschaftlichen Erkenntnisse wurde die Frist von
sieben Tagen gewählt?

d) Wodurch erlangte diese Zusage der S-Bahn Berlin GmbH einen rechts-
verbindlichen Charakter, insoweit das EBA auf den Verstoß gegen diese
Zusage mit der Anordnung der Außerbetriebnahme der betroffenen Züge
reagierte?

11. Warum und wann hat sich die S-Bahn Berlin GmbH verpflichtet, die Räder
an S-Bahnzügen nach 1,2 Millionen Kilometern Laufleistung auszutauschen?

a) Welcher Vorgang ging dieser Zusage voraus?

b) Warum wurde die einheitliche Laufleistung gewählt, obwohl die Anord-
nung des EBA vom 26. Juni 2009 zwischen den Rädern in Abhängigkeit
von der Achse differenziert?

c) Auf Basis welcher wissenschaftlichen Erkenntnisse wurde diese Lauf-
leistung gewählt?

d) Wodurch erlangte diese Zusage der S-Bahn Berlin GmbH einen rechts-
verbindlichen Charakter, insoweit das EBA auf den Verstoß gegen diese
Zusage mit der Anordnung der Außerbetriebnahme der betroffenen Züge
reagierte?

12. Warum hat das EBA am 26. Juni 2009 angeordnet, dass alle S-Bahnwagen
der Baureihe 481/482 nicht mehr eingesetzt werden dürfen, die auf einer
Radscheibe der ersten Achse mit mehr als 1,2 Millionen Kilometern Lauf-
leistung oder auf einem Rad der letzten Achse mit mehr als 1,45 Millionen
Kilometern Laufleistung rollen?

a) Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen dem zugrunde?

b) Wie werden die konkreten Grenzwerte begründet?

c) Aus welchem Grunde gilt die Laufbegrenzung jeweils nur für die erste
und der letzte Achse eines Fahrzeugs, und weshalb gelten für diese bei-
den Achsen unterschiedliche Werte?

d) Warum wird für die Laufleistung der Räder der übrigen Achsen keinerlei
Laufbegrenzung genannt?

13. Warum genau wurde in den Anordnungen vom 26. und 30. Juni 2009 der
Einsatz der betreffenden Fahrzeuge verboten?

14. Welche anderen Lösungen, die den Berliner S-Bahnverkehr weniger be-
schränkt hätten als das Stilllegen von S-Bahnwagen, wurden geprüft, und
aufgrund welcher Erkenntnisse ist auf diese Möglichkeiten verzichtet wor-
den?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13934

15. Erfolgen die Prüfungen an den Rädern der Baureihe 481/482 derzeit aus-
schließlich in Werkstätten der S-Bahn Berlin GmbH?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, in welchen anderen Werkstätten der Deutschen Bahn AG oder
anderer Eisenbahnverkehrsunternehmen finden diese Prüfungen statt?

16. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass bei der S-Bahn Berlin GmbH
zwischen 2005 und 2008 fast ein Viertel des Personals abgebaut wurde?

17. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass die S-Bahn Berlin GmbH die
Werkstätten in Friedrichsfelde und Erkner bereits geschlossen hat und die
bislang für 2010 geplante Schließung der Hauptwerkstatt Schöneweide
noch nicht abgesagt wurde?

18. Teilt die Bundesregierung die Forderung des S-Bahn Betriebsrates, die
Hauptwerkstatt Schöneweide nicht zu schließen (Begründung)?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Wartungsintervalle
für Achsen und Räder bei den Berliner S-Bahn-Baureihen 480 und 485/858?

20. Welche Anordnungen des EBA bzw. welche Selbstverpflichtungen der
S-Bahn Berlin GmbH gibt es bezüglich der zulässigen Gesamtlaufleistung
von Rädern und der periodischen Prüfung auf Risse an Rädern und Achsen
bei den Baureihen 480 und 485/885?

21. Bei welchen Zugbaureihen anderer Eisenbahnverkehrsunternehmen wer-
den hierzulande derzeitig die gleichen Räder, Radscheiben bzw. Radsatz-
wellen verwendet wie bei den Berliner Zügen der Baureihe 481/482?

22. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Wartungsintervalle
für Achsen und Räder bei anderen S-Bahnen der Deutschen Bahn AG?

23. Welche Anordnungen des EBA bzw. welche Selbstverpflichtungen der
S-Bahnen gibt es bezüglich der zulässigen Gesamtlaufleistung von Rädern
und der periodischen Prüfung auf Risse an Rädern und Achsen bei anderen
S-Bahnen der Deutschen Bahn AG (bitte aufschlüsseln nach den Baureihen
472/473 und 474/874 (Hamburg), 420 (Ruhrgebiet, Frankfurt, Stuttgart)
und 423-426 (Ruhrgebiet, Frankfurt, Stuttgart, Hannover, Rhein-Neckar,
München)?

24. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Wartungsintervalle
für Achsen und Räder für Triebwagen im Einsatz der Deutschen Bahn AG
und anderer Eisenbahnverkehrsunternehmen (TALENT, Flirt, LINT Regio-
shuttle), und welche Anordnungen des EBA oder welche Verpflichtungen
der Eisenbahnunternehmen gibt es dort jeweils hinsichtlich der zulässigen
Laufleistung der Räder und der periodischen Prüfung auf Risse an Rädern
und Achsen?

25. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Wartungsintervalle
für Achsen und Räder für die ICE-Triebwagenbaureihen (ICE 1, ICE 2,
ICE 3, ICE-T), und welche Anordnungen des EBA bzw. welche Selbst-
verpflichtungen des Eisenbahnverkehrsunternehmens gibt es hier jeweils
bezüglich der zulässigen Gesamtlaufleistung von Rädern und der periodi-
schen Prüfung auf Risse an Rädern und Achsen?

26. Hat das EBA bislang gesonderte Anforderungen an die Dauerfestigkeit von
Radsatzwellen bei Kesselwagen, insbesondere solcher, mit denen explosive
Stoffe wie Gase, Öl oder Chemikalien transportiert werden, gestellt, die
über die Anforderungen der Allgemeinverfügung zur Instandhaltung von
Radsätzen an Güterwagen des EBA vom 10. Juli 2007 hinausgehen?

Wenn ja, wann, und welche genau?

Wenn nein, wie kann die Bundesregierung gewährleisten, dass die Sicher-
heit dennoch ausreichend ist?

Drucksache 16/13934 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
27. Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus der großen Feldstudie
„Sicherer und wirtschaftlicher Betrieb von Eisenbahnfahrwerken“ gezogen,
die im Abschlussbericht Band 1 und 2 von der Technischen Universität
(TU) Clausthal Zellerfeld dokumentiert und vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) als Forschungsvorhaben (Förderkenn-
zeichen 19P0061 A bis F) gefördert worden ist?

28. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung, dass sich durch die
Feldstudie der TU Clausthal Zellerfeld und durch darauf aufbauende Fach-
veröffentlichungen der Stand der Technik zwar erheblich weiterentwickelt
hat, die der Genehmigung zugrunde liegenden Normen für Radsatzwellen
und Radscheiben von Eisenbahnzügen aber unverändert geblieben und nun-
mehr als überholt zu bewerten sind?

29. Trifft es zu, dass das EBA die rechnerischen Nachweise u. a. auch hinsicht-
lich Materialermüdung von Neuentwicklungen wie Rädern oder Radsatz-
wellen nicht oder nur in Stichproben durch unabhängige Gegenrechnung
prüft (Begründung)?

30. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung, dass dadurch sowohl
Abweichungen vom Stand der Technik, vom Stand der Normung und sogar
schlichte Rechenfehler unerkannt bleiben?

Berlin, den 24. August 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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