BT-Drucksache 16/13931

Umsetzung des Soysal-Urteils des Europäischen Gerichtshofs - zweite Nachfrage (zu den Bundestagsdrucksachen 16/12743 und 16/13327)

Vom 24. August 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13931
16. Wahlperiode 24. 08. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Wolfgang Neskovic, Ulla Jelpke,
Dr. Hakki Keskin, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung des Soysal-Urteils des Europäischen Gerichtshofs –
zweite Nachfrage (zu den Bundestagsdrucksachen 16/12743 und 16/13327)

Beim so genannten Soysal-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom
18. Februar 2009 geht es um die Frage, inwieweit türkische Staatsangehörige
infolge eines Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen zwischen der
Europäischen Union und der Türkei von der Visumpflicht ausgenommen wer-
den müssen. Während eine Mehrheitsmeinung in der Fachliteratur und in der
Rechtsprechung aus dem Urteil schlussfolgert, dass z. B. auch türkische Touris-
tinnen und Touristen im Rahmen der Dienstleitungsfreiheit visumfrei nach
Deutschland einreisen können (zuletzt z. B.: Dr. Klaus Dienelt in: Zeitschrift für
Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Heft 5/6/2009, S. 182 ff. und Urteil des
Amtsgerichts Erding, 5 Cs 35 Js 28732/08), versucht die Bundesregierung, die
Auswirkungen des Urteils auf einzelne Bereiche der aktiven Dienstleistungs-
erbringung zu begrenzen.

Das Kernargument der Bundesregierung, wonach der Begriff der Dienstleis-
tungsfreiheit im Assoziationsrecht ein anderer sei als im Gemeinschaftsrecht, ist
bereits deshalb fragwürdig, weil in Artikel 14 des Assoziierungsabkommens
ausdrücklich geregelt ist, dass sich die Vertragsparteien von den Artikeln des
EG-Vertrages zur Dienstleistungsfreiheit leiten lassen. Auch das Bundesverwal-
tungsgericht hat mit Urteil vom 26. Februar 2002 – 1 C 21/00 – entschieden,
dass sich die Begriffe der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im Asso-
ziierungsrecht aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
ergeben. Wenn die Bundesregierung betont, dass das Assoziierungsrecht „keine
automatische Anpassungsklausel hinsichtlich der Rechts(fort)entwicklung im
innergemeinschaftlichen Bereich“ enthalte (Bundestagsdrucksache 16/13327,
Antwort zu Frage 1), übersieht sie, dass der Begriff der Dienstleistungsfreiheit
des EWG-Vertrages bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatz-
protokolls die passive Dienstleistungsfreiheit umschloss (vgl. Dienelt, a. a. O.,
S. 183 f.). Die Bundesregierung selbst zitiert darüber hinaus die Rechtsprechung
des EuGH, wonach die gemeinschaftsvertraglichen Grundsätzliche „soweit dies
möglich ist“ bei der Auslegung des Assoziierungsrechts zu übertragen sind
(Bundestagsdrucksache 16/13327, Antwort zu Frage 1) – warum eine weiter
gehende Visumbefreiung im Bereich der Dienstleistungsfreiheit für türkische
Staatsangehörige nicht möglich sein soll, ist nicht einmal im Ansatz ersichtlich.

Nachdem die Bundesregierung eine erste Anfrage zu den Auswirkungen des
Soysal-Urteils aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller völlig unzu-
reichend und ohne nachvollziehbare rechtliche Begründung beantwortet hatte
(vgl. Bundestagsdrucksache 16/12743), lässt auch die etwas ausführlichere
Antwort auf Bundestagsdrucksache 16/13327 zahlreiche Fragen offen.

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Es fällt auf, dass sich die Bundesregierung zur Begründung ihrer Auslegung des
Soysal-Urteils auf Bundestagsdrucksache 16/13327 (Antwort zu Frage 1) ledig-
lich auf eine einzige Entscheidung einer Kammer des Berliner Verwaltungs-
gerichts stützt, und dass ihre erst im Rahmen ihrer zweiten Antwort gegebene
ausführlichere rechtliche Darlegung der Begründung dieses Beschlusses genau
entspricht. So entsteht der Eindruck, dass die Bundesregierung bis zum genann-
ten Beschluss über keine im Ansatz tragfähige juristische Begründung verfügte
und es deshalb zunächst vermied, hierzu eine klare Auskunft zu geben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist nach Ansicht der Bundesregierung die Auffassung zutreffend (vgl.
Dr. Dienelt, a. a. O., S. 183 f.), dass der Begriff der Dienstleistungsfreiheit
bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls die passive
Dienstleistungsfreiheit mit umschloss (bitte begründen und Angaben zu
Quellen machen, die die Auffassung der Bundesregierung stützen)?

a) Wenn nein, warum nicht, und wie wäre eine solche Position damit verein-
bar, dass es z. B. bereits in der auf dem EWG-Vertrag fußenden Richtlinie
62/221/EWG vom 25. Februar 1964 entsprechende Regelungen gab, die
ausdrücklich passive Dienstleistungsempfänger mit einschlossen (in der
Präambel, in Artikel 1 Absatz 1 und 2)?

b) Wenn ja, wie ist die Rechtsauffassung der Bundesregierung, „der gemein-
schaftsrechtliche, vor dem Hintergrund des innergemeinschaftlichen Bin-
nenmarktes geprägte Begriff der passiven Dienstleistungsfreiheit“ könne
„nicht direkt in den assoziationsrechtlichen Kontext übertragen werden“,
damit vereinbar?

c) Ist die Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 16/13327
zu Frage 5, wonach der EuGH „erstmalig durch Urteil vom 31. Januar
1984“ festgestellt habe, „dass der gemeinschaftsvertragliche Dienstleis-
tungsbegriff auch die passive Dienstleistungsfreiheit umfasst“, so zu deu-
ten, dass die Bundesregierung der Auffassung ist, der Dienstleistungsbe-
griff des EWG-Vertrages umfasse erst seit der Entscheidung des EuGH
auch die passive Dienstleistungsfreiheit, oder ist es nicht vielmehr so, dass
der EuGH im Jahr 1984 im Rahmen der Auslegung lediglich festgestellt
hat, dass der Dienstleistungsbegriff des EWG-Vertrages die passive
Dienstleistungsfreiheit (schon immer) mit umfasst, d. h. dass dies auch be-
reits zum 1. Januar 1973 der Fall war (bitte begründen)?

d) Bedeutet der Umstand, dass der EuGH in dem von der Bundesregierung
genannten Urteil vom 31. Januar 1984 zur Begründung auf die Richtlinien
62/221/EWG vom 25. Februar 1964 und 73/148 vom 21. Mai 1973 und
den darin verwandten Dienstleistungsbegriff (der die passive Dienst-
leistung umschloss) Bezug genommen hat, nicht zwangsläufig, dass der
Dienstleistungsbegriff des Gemeinschaftsrechts bereits vor dem 1. Januar
1973 auch die passive Dienstleistung mit umschloss (bitte begründen)?

(Bei Frage 1 handelt es sich um eine sinngemäße, differenzierte Wieder-
holung der Frage 5 auf Bundestagsdrucksache 16/13327, die nach Auf-
fassung der Fragestellerinnen und Fragesteller durch den Verweis der Bun-
desregierung auf die Antwort zu Frage 1 nicht klar beantwortet wurde.)

2. Wie ist die Rechtsauffassung der Bundesregierung, „der gemeinschaftsrecht-
liche, vor dem Hintergrund des innergemeinschaftlichen Binnenmarktes ge-
prägte Begriff der passiven Dienstleistungsfreiheit“ könne „nicht direkt in
den assoziationsrechtlichen Kontext übertragen werden“, damit vereinbar,
dass in Artikel 14 des Assoziierungsabkommens ausdrücklich geregelt ist,
dass sich die Vertragsparteien von den Artikeln des EG-Vertrages zur Dienst-
leistungsfreiheit leiten lassen und der EuGH zugleich entschieden hat, dass

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„angesichts der Leitbildfunktion der gemeinschaftsvertraglichen Grundsätze
diese im Rahmen der Auslegung des Assoziierungsrechts in dieses zu über-
tragen sind, soweit dies möglich ist“, wie die Bundesregierung auf Bundes-
tagsdrucksache 16/13327 in der Antwort zu Frage 1 selbst ausführt (bitte
nachvollziehbar begründen und Verweise auf bisherige Antworten ver-
meiden)?

3. Inwieweit ist der Umstand, dass der Assoziationsrat im Bereich der Dienst-
leistungsfreiheit noch keine Maßnahmen nach Artikel 41 Absatz 2 des Zu-
satzprotokolls ergriffen hat (vgl. Antwort der Bundesregierung zu Frage 2 auf
Bundestagsdrucksache 16/13327), in Bezug auf die Folgen der Stillstands-
klausel nach Artikel 41 Absatz 1 und die Interpretation des Soysal-Urteils
überhaupt relevant, weil es diesbezüglich um ein Verschlechterungsverbot
geht, d. h. dass es im Visumrecht im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit
keine zusätzlichen Beschränkungen gegenüber dem Stand vom 1. Januar
1973 geben darf und deshalb die Frage, ob der Assoziationsrat weiter
gehende Maßnahmen ergriffen hat oder nicht, insofern nicht von Bedeutung
ist?

4. Unterfällt im Allgemeinen die Inanspruchnahme eines Sprachkurses in
einem anderen Land der Dienstleistungsfreiheit im Sinne des EG-Vertrages
bzw. der Rechtsprechung des EuGH (bitte begründen)?

(Dies ist die zweite Wiederholung einer nun schon zweimal unbeantwortet
gebliebenen Frage, vgl. Frage 7b auf Bundestagsdrucksache 16/12743 und
Frage 2b auf Bundestagsdrucksache 16/13327; die Fragestellerinnen und
Fragesteller verweisen angesichts des Umstandes, dass die Bundesregierung
erneut keine Antwort gegeben hat, obwohl zuletzt sogar ausdrücklich darauf
hingewiesen wurde, dass diese Frage unabhängig von den übrigen Fragen be-
antwortet werden kann und muss, auf den Beschluss des Bundesverfassungs-
gerichts vom 1. Juli 2009 – 2 BvE 5/06 – zur grundrechtlichen Verankerung
des parlamentarischen Frage- und Informationsrechts und der sich hieraus er-
gebenden Antwortpflicht der Bundesregierung.)

5. Wie lautet die Antwort zu Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 16/13327,
wenn die Bundesregierung berücksichtigt, dass bereits in dieser Frage darauf
hingewiesen wurde, dass das genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
zwar die Niederlassungsfreiheit im Sinne von Artikel 41 Absatz 1 des Zusatz-
protokolls betraf, dass aber das Bundesverwaltungsgericht zugleich in seiner
Begründung auf die „entsprechende Regelung zur Dienstleistungsfreiheit in
Artikel 14 des Abkommens“ hingewiesen hat, und warum sollten also in
Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit andere Grundsätze gelten, obwohl es
sich bei den Regelungen zur Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit in
Artikel 13 bzw. 14 des Assoziierungsabkommens um praktisch wortgleiche
und sinnidentische Regelungen handelt (bitte ausführlich begründen und Ver-
weise auf bisherige Antworten vermeiden)?

6. Gilt das Recht auf visumfreie Einreise – unabhängig von der umstrittenen
konkreten Reichweite des Soysal-Urteils – ab Verkündigung des Soysal-
Urteils, oder galt dies Recht durchgehend seit dem 1. Januar 1973 (Inkraft-
treten des Zusatzprotokolls), nur dass hiergegen in der Praxis verstoßen
wurde, weil die Rechte aus dem Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkom-
men nach Auffassung des EuGH europäischen und nationalen Visumsbe-
stimmungen vorgehen (Wiederholung der Frage 7b auf Bundestagsdrucksa-
che 16/13327, weil die maßgebliche Frage danach, ob das Recht auf
visumfreie Einreise nach Maßgabe des – wie auch immer konkret auszule-
genden – Soysal-Urteils seit dem 1. Januar 1973 galt, unbeantwortet geblie-
ben ist)?

7. Welche konkreten Rechtsbehelfe sieht die deutsche bzw. europäische (bitte
differenziert antworten) Rechtsordnung vor, wenn Drittstaatsangehörigen

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ihrer Auffassung nach zu Unrecht eine visumfreie Einreise nach Deutsch-
land verwehrt wurde, und ist in solchen Fällen nach Auffassung der
Bundesregierung insbesondere die ständige Rechtsprechung des EuGH zu
schadenersatzrechtlichen Folgen der Verletzung von Rechten aus dem Pri-
mär- oder Sekundärrecht der EU infolge des „Francovich“-Urteils des
EuGH (C-6/90) anwendbar?

(Wiederholung der Frage 11 auf Bundestagsdrucksache 16/13327 unter aus-
drücklichem Hinweis auf die sich aus der grundrechtlichen Verankerung
des parlamentarischen Frage- und Informationsrechts ergebende Antwort-
pflicht der Bundesregierung; die Frage enthält, anders als die Bundesregie-
rung in ihrer Antwort behauptet hat, keine „hypothetischen“, sondern zwei
ganz konkrete Fragen; zudem geht es auch nicht, wie die Bundesregierung
in ihrer Antwort suggeriert, um die „Vorbereitung der Geltendmachung be-
haupteter Ansprüche“ – was allerdings hinzunehmen bzw. rechtsstaatlich
sogar erwünscht wäre, wenn Rechte der Betroffenen verletzt werden.)

8. Welche Kenntnisse über anhängige Verfahren/Klagen zu den schaden-
ersatzrechtlichen Folgen der Verletzung von Rechten türkischer Staats-
angehöriger im Zusammenhang des Soysal-Urteils (Versagung der visum-
freien Einreise) hat die Bundesregierung?

9. Wie viele Klagen/Anträge türkischer Staatsangehöriger gegen die Bundes-
republik Deutschland wegen einer Versagung der visumfreien Einreise im
Zusammenhang der Soysal-Entscheidung sind nach Kenntnis der Bundes-
regierung inzwischen beim (Ober-)Verwaltungsgericht Berlin anhängig?

10. Welche Kenntnisse über neue Gerichtsentscheidungen zur Visumfreiheit
türkischer Staatsangehöriger infolge des Soysal-Urteils hat die Bundes-
regierung, und wurde gegen den Beschluss VG 34 L 114.09 V des Verwal-
tungsgerichts Berlin vom 16. April 2009 Beschwerde eingelegt, und wenn
ja, wie ist der Stand des Verfahrens?

11. Welche Kenntnisse über Gerichtsentscheidungen zur (fehlenden) Strafbar-
keit der (vermeintlich illegalen) Einreise bzw. des (vermeintlich illegalen)
Aufenthalts türkischer Staatsangehöriger infolge des Soysal-Urteils hat die
Bundesregierung?

12. Warum wird in dem Visumhandbuchbeitrag des Auswärtigen Amts, der vom
Bundesministerium des Innern mitgezeichnet wurde (39. Nachlieferung
vom 27. Mai 2009), zur Umsetzung des Soysal-Urteils maßgeblich an § 1
Absatz 2 der Durchführungsverordnung des Ausländergesetzes DVAuslG
1965 – und nicht an § 5 Absatz 1 DVAuslG – angeknüpft bei der Frage, wel-
che türkischen Staatsangehörigen zum 1. Januar 1973 (zur Ausübung der
aktiven Dienstleistungsfreiheit) visumfrei nach Deutschland einreisen
konnten?

a) Geht es in § 1 Absatz 2 DVAuslG 1965 nicht maßgeblich um die Frage,
in welchen Konstellationen bestimmte Staatsangehörige keine Auf-
enthaltserlaubnis (und nur in der Folge dessen auch kein Visum) benö-
tigten, während § 5 Absatz 1 DVAuslG die maßgebliche Regelung für
die Notwendigkeit der Einholung eines Sichtvermerks vor der Einreise
darstellte (so ja auch die Bundesregierung zu Frage 14 auf Bundestags-
drucksache 16/13327, vgl. aber auch den Beschluss des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 6. Mai 1983 – 1 B 58/83 –, Hailbronner, Handbuch
zum AuslR, 2. Aufl. 1998, Rn. 66 und die verbindlichen allgemeinen
Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz zu § 5 DVAuslG 1965;
wenn nein, bitte in Auseinandersetzung mit diesen Quellen begründen)?

b) Wieso wird in dem genannten Visumhandbuchbeitrag die Rechtslage
zum 1. Januar 1973 nicht so dargestellt, wie es die Bundesregierung auf
Bundestagsdrucksache 16/13327 zu Frage 17 getan hat, wonach nämlich

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§ 1 Absatz 2 DVAuslG und § 5 Absatz 1 DVAuslG die „maßgeblichen
Bestimmungen“ zu der Frage sind, welche türkischen Staatsangehörigen
zum 1. Januar 1973 visumfrei nach Deutschland einreisen konnten, und
wonach türkische Staatsangehörige am 1. Januar 1973 nach § 5 Absatz 1
Nummer 2 DVAuslG generell nicht visumpflichtig waren (bitte nach-
vollziehbar begründen)?

c) Weshalb heißt es in dem Visumhandbuchbeitrag, dass „das im maß-
geblichen Zeitpunkt geltende deutsche Ausländerrecht keine Visum-
befreiung für Zwecke der Entgegennahme von Dienstleistungen in
Deutschland“ vorgesehen habe, obwohl eine solche Visumbefreiung zu
jenem Zeitpunkt nach § 5 Absatz 1 Nummer 2 DVAuslG für türkische
Staatsangehörige allgemein galt, und damit natürlich auch für den
Zweck der Entgegennahme von Dienstleistungen?

d) Wie wird die Aussage der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache
16/13327 zu Frage 14c, wonach eine Dienstleistungserbringung „stets
die Ausübung einer Erwerbstätigkeit darstellt“, genau begründet, ins-
besondere in Auseinandersetzung damit, dass zum damaligen Zeitpunkt
eine selbständige oder unselbständige Tätigkeit nicht als Erwerbstätig-
keit galt, wenn sie nicht auf die Erzielung von Gewinn gerichtet oder
wenn kein Entgelt vereinbart oder zu erwarten war, und in Auseinander-
setzung damit, dass in der Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz
1965 zu § 2 in Nummer 15 Tätigkeiten im Rahmen der Dienstleistungs-
erbringung benannten wurden, die nicht als Erwerbstätigkeit angesehen
wurden?

13. War die Visumbefreiung nach § 5 Absatz 1 Nummer 2 DVAuslG 1965 eine
Befreiung aufgrund der Staatsangehörigkeit (bitte begründen)?

a) Inwieweit lässt sich nach Auffassung der Bundesregierung die Regelung
nach § 30 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)
auf Angehörige der in § 41 der Aufenthaltsverordnung (AufenthV) auf-
geführten Staaten reduzieren, da eine solche einschränkende Auslegung
angesichts des insofern eindeutigen Wortlauts der Regelung nicht zu-
lässig ist (Wiederholung der Frage 14f auf Bundestagsdrucksache
16/13327, die bereits eine Nachfrage zu den Fragen 20a bis 20c auf
Bundestagsdrucksache 16/12743 darstellte; in Anbetracht der sich aus
der grundrechtlichen Verankerung des parlamentarischen Frage- und
Informationsrechts ergebenden Antwortpflicht der Bundesregierung
weisen die Fragestellerinnen und Fragesteller darauf hin, dass sich die
Bundesregierung trotz Nachfrage immer noch nicht mit den bereits in
Frage 20a bis 20c auf Bundestagsdrucksache 16/12743 explizit benann-
ten Quellen auseinandergesetzt hat – worum erneut gebeten wird –, in
denen ausgeführt wurde, dass der klare Wortlaut des § 30 Absatz 1 Satz 3
Nummer 4 AufenthG einer einschränkenden Auslegung, wie sie mit dem
Verweis auf § 41 AufenthV in der Gesetzesbegründung vorgenommen
wird, nicht zugänglich ist, so dass die bloße Wiedergabe der Gesetzes-
begründung durch die Bundesregierung keine angemessene Antwort auf
die gestellte Frage darstellt)?

b) Ist die Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 16/13327
zu Frage 14c: „Die Einreise für einen Aufenthalt von mehr als drei
Monaten zum Zwecke des Dienstleistungsempfangs war unter den Vor-
aussetzungen des § 5 Absatz 1 Nummer 1 DVAuslG sichtvermerksfrei
möglich“, so zu verstehen, dass die visumfreie Einreise und ein nicht nur
kurzfristiger, d. h. unter Umständen auch länger als drei Monate dauern-
der Aufenthalt passiven Dienstleistungsempfängerinnen und -empfän-
gern aus der Türkei (z. B. Touristinnen und Touristen und Sprachkurs-
teilnehmerinnen und -teilnehmern) zum 1. Januar 1973 dann möglich

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war, wenn sie keine Erwerbstätigkeit ausüben wollten und keinen Dauer-
aufenthalt anstrebten (Nachfrage zur Klarstellung)?

14. Wie sind die ersten praktischen Erfahrungen mit den nach Ansicht Vieler
sehr komplizierten Bestimmungen zur Umsetzung des Soysal-Urteils?

a) In wie vielen Fällen wurden Bescheinigungen zur Bestätigung der Mög-
lichkeit einer visumfreien Einreise in das Bundesgebiet beantragt/aus-
gestellt?

b) Wie lange dauert eine solche Prüfung im Durchschnitt, und wie viele
schriftliche Nachweise/Dokumente müssen (mindestens, höchstens, im
Schnitt) vorgelegt werden, um eine solche Bescheinigung erhalten zu
können?

c) Welche Vorteile hat dieses Verfahren, wenn es ähnlich kompliziert zu
sein scheint wie ein Visumverfahren und Grenzbeamtinnen und -beamte
zudem nicht an die Bescheinigungen gebunden sind?

d) Wie vorteilhaft ist die Regelung für die Betroffenen angesichts des
Umstandes, dass sie ungeachtet der möglichen visumfreien Einreise in
die Bundesrepublik Deutschland Transitvisa der zu durchreisenden
Schengen-Staaten benötigen, und welche ersten Erfahrungen diesbezüg-
lich liegen der Bundesregierung vor?

e) Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung dazu vor, wie viele
türkische Staatsangehörige mit welchem Ergebnis eine visumfreie Ein-
reise nach Deutschland ohne eine Bescheinigung zur Bestätigung der
Möglichkeit einer visumfreien Einreise in das Bundesgebiet monatlich
begehren bzw. insgesamt bislang begehrt haben?

15. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Äußerung von Günther
Beckstein, der die umstrittene Umsetzung des Soysal-Urteils durch die
Bundesregierung kritisiert: „Das Bild, das Deutschland da von sich zeich-
net, ist kein gutes“ (SPIEGEL ONLINE vom 21. Juni 2009; eine ähnliche
Äußerung Günther Becksteins war der Bundesregierung trotz Angabe der
Quelle auf Bundestagsdrucksache 16/12743, Frage 17 „nicht bekannt“)?

Berlin, den 24. August 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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