BT-Drucksache 16/13902

Grabpflege des Angehörigen der Wehrmacht-Spezialeinheit "Brandenburg" Manfred Oberdörffer in Kabul durch die ISAF

Vom 18. August 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13902
16. Wahlperiode 18. 08. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Inge Höger, Heike Hänsel, Ulla Jelpke, Dr. Norman Paech,
Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Grabpflege des Angehörigen der Wehrmacht-Spezialeinheit „Brandenburg“
Manfred Oberdörffer in Kabul durch die ISAF

Auf dem Britischen (bzw. internationalen) Friedhof in Kabul befinden sich in
unmittelbarer Nähe zueinander die Gedenktafeln für die in Afghanistan gefalle-
nen deutschen ISAF-Soldaten und das Grab von Manfred Oberdörffer. Manfred
Oberdörffer gehörte zur nationalsozialistischen Wehrmacht-Spezialeinheit
„Brandenburg“ und starb 1941 als Geheimagent zur Vorbereitung einer wei-
teren Angriffsfront der faschistischen Kriegsführung in Asien. Die „Branden-
burger“ waren eine Spezialeinheit, die hinter feindlichen Linien völkerrechts-
widrige Handlungen unter anderem gegen Partisanen im Balkan ausgeführt
haben. Die „Brandenburger“ können als Speerspitze für Hitlers Eroberungs-
kriege angesehen werden, deren Vorauskommandos den Vormarsch der Wehr-
macht beschleunigen sollten.

In der Taschenbuch-Handreichung für alle in Afghanistan eingesetzten Bundes-
wehrsoldaten „Wegweiser zur Geschichte – Afghanistan“, herausgegeben vom
Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA, Bundeswehr), berichtet Dietrich
Witzel, selber unter nationalsozialistischem Kommando als „Brandenburger“ in
Kabul eingesetzt, verharmlosend und ohne jede Distanzierung oder Kritik über
das „Unternehmen Tiger“, das von 1941 bis 1943 in Afghanistan durchgeführt
wurde. Eine vorgesehene Invasion der Wehrmacht in Indien wurde durch diese
Mission von Afghanistan aus vorbereitet. Dietrich Witzel will bis heute von
Verbrechen der Wehrmacht nichts wissen. Er bezeichnet diese als „einen Seiten-
effekt“. Dietrich Witzel ist gerne gesehen in rechten Kreisen, er gab beispiels-
weise der rechtsextremen Deutschen Militärzeitschrift ein Interview und war
Gast bei einer Veranstaltung des rechtsextremen Verlegers der Zeitschrift, – und
bei der Bundeswehr.

Der „Wegweiser zur Geschichte – Afghanistan“ druckt den von Dietrich Witzel
verfassten Artikel in der ersten bis dritten Auflage ab. Dort ist jeweils auch ein
Foto des Grabsteins von Manfred Oberdörffer zu finden mit dem Hinweis, dass
dieses Grab von den ISAF-Soldaten gepflegt wird. Das Militärgeschichtliche
Forschungsamt wollte der Nachrichtensendung „Kontraste“ dazu kein Inter-
view geben, äußerte jedoch, dass der Wegweiser in der jetzigen Fassung vorerst

nicht mehr an Soldaten ausgegeben wird. Der Beitrag von Dietrich Witzel
wurde inzwischen aus der im Internet verfügbaren Download-Datei des „Weg-
weiser zur Geschichte – Afghanistan“ herausgenommen. Die dritte veränderte
Auflage soll in diesem Sommer (2009) gedruckt vorliegen. Aufgrund der Kritik
wird der Beitrag von Dietrich Witzel nicht wieder abgedruckt, obwohl nach
telefonischer Auskunft an das Abgeordnetenbüro Inge Höger (26. Mai 2009),

Drucksache 16/13902 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

das Buch „auch mit dem Inhalt“ doch immer hoch gelobt worden sei. Es
stimme gar nicht, dass eine Verharmlosung der Wehrmacht stattgefunden hätte.

Der Artikel von Dietrich Witzel wurde vom MGFA zusätzlich in ihrer Zeit-
schrift „Militärgeschichte“, Heft 3/2007, abgedruckt und ist über die Online-
ausgabe damit auch weiterhin im Internet verfügbar. Trotz der Auskunft, dass
der „Wegweiser zur Geschichte – Afghanistan“ zumindest an Soldaten nicht
mehr ausgegeben wird, werden im Buchhandel beispielsweise über Onlinever-
kauf im Internet weiterhin Ausgaben der 2. Auflage als „neu“ angeboten. Auch
gebrauchte Exemplare, also der bisherigen, nicht überarbeiteten Auflagen, wer-
den zum Verkauf angeboten. Auf der Internetseite der Streitkräftebasis wird die
2. Auflage des „Wegweiser zur Geschichte – Afghanistan“ beworben.

In der „dritten, durchgesehenen und erweiterten Auflage“ des „Wegweiser zur
Geschichte – Afghanistan“ ist der Text von Dietrich Witzel herausgenommen;
weiterhin abgedruckt ist jedoch ein Text von Rolf-Dieter Müller über „Afgha-
nistan als militärisches Ziel deutscher Außenpolitik im Zeitalter der Welt-
kriege“. Dieser Text wird durch eine lange Bildunterschrift eingeleitet zu einem
Bild das unter anderem den späteren Wehrmachtsoffizier Oskar Ritter von
Niedermayer zeigt. Die Geschichte Oskar Ritter von Niedermayers durchzieht
den Text von Rolf-Dieter Müller als stilistischen Faden. Seit 1939 gehörte Oskar
Ritter von Niedermayer zum Beirat der „Forschungsabteilung Judenfrage“ in-
nerhalb des nationalsozialistischen Reichsinstituts für Geschichte des Neuen
Deutschlands. Rolf-Dieter Müller selbst stellt im „Wegweiser zur Geschichte –
Afghanistan“ dar, dass Oskar Ritter von Niedermayer Studien über den Einsatz
von Sonderverbänden verfasste (S. 58) und die Aufstellung einer Spezialeinheit
übernahm, die er im Kampf gegen Partisanen im Balkan kommandierte (S. 58).

In der nun online verfügbaren, geänderten „dritten, durchgesehenen und er-
weiterten Auflage“ findet sich statt dem Text von Dietrich Witzel ein neuer
Textkasten, der unter neuer Autorenangabe nur eine leichte Kürzung und Ab-
änderung des bisherigen Textes darstellt. Weiterhin wird dort vom Soldatentod
des „Brandenburger“ Manfred Oberdörffer berichtet und das „Unternehmen
Tiger“ beschrieben. Auch folgender Satz steht wieder im neuen Text: „Sein
Grab auf dem europäischen Friedhof in Kabul existiert noch heute.“ Eine Ände-
rung besteht allein in der Formulierung „noch heute“ statt vorher „heute noch“.
Und das offensichtliche Foto mit der Bildunterschrift wurde gestrichen.

Ein Besuch des Friedhofs in Kabul am 18. Mai 2009 ergab, dass das Grab von
Manfred Oberdörffer erst im letzten Jahr neu angelegt wurde und nun nicht
mehr nur ein Grabstein auf der Wiese ist (vgl. Foto im Buch, S. 49, 2. Aufl.).
Das Grab wurde mit weißem Stein eingefasst und mit hellem Kiesel aufgefüllt,
der Grabstein wurde nun aufrecht positioniert. Neben der Einfassung wächst
ein Rosenstrauch. Der afghanische Friedhofsverwalter erklärt, dass „ein Aus-
länder“ ihn damit beauftragt und bar bezahlt hätte.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum wurde für die Gedenktafeln für die im Rahmen des ISAF-Einsatzes
gefallenen deutschen Soldaten sowie für deutsche Polizeiangehörige inner-
halb der gesamten Friedhofsummauerung ausgerechnet die räumliche Nähe
zum Grab von Manfred Oberdörffer gewählt?

2. a) Wie steht die Bundesregierung zur räumlichen Nähe zwischen den
Gedenktafeln für die in Afghanistan gefallenen Bundeswehrsoldaten und
Polizisten und dem Grab des faschistischen Kriegsagenten Manfred Ober-
dörffer?

b) Wie ist die Haltung im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) zu

diesem offensichtlich hergestellten Zusammenhang zwischen Angehöri-
gen der „Brandenburger“ und der Bundeswehr?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13902

3. Wie steht die Bundesregierung zu der im „Wegweiser zur Geschichte –
Afghanistan“ hergestellten historischen Kontinuität zur Spezialeinheit der
Wehrmacht „Brandenburg“ und der positiven Darstellung der faschistischen
Angriffskriegsplanungen in Asien, die durch Untergrundtätigkeiten der
„Brandenburger“ vorbereitet wurden?

4. a) Welche Position hat die Bundesregierung bezüglich der im „Wegweiser
zur Geschichte – Afghanistan“ bekannt gegebenen Pflege des Grabes von
Manfred Oberdörffer durch deutsche ISAF-Soldaten?

b) Welche Erkenntnisse über bisher durchgeführte Maßnahmen zur Grab-
pflege liegen der Bundesregierung vor?

c) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Pläne der Bundes-
wehr zur zukünftigen Grabpflege?

d) Handeln die deutschen ISAF-Soldaten auf Anweisung, und wenn ja, von
wem, seit wann, warum?

5. a) Warum hat die Bundeswehr die im letzten Jahr erfolgte Neugestaltung
und Vergrößerung des Grabes von Manfred Oberdörffer beauftragt?

b) Aus welchem Budget und von welcher Stelle wurde die Neugestaltung
des Grabes von Manfred Oberdörffer finanziert?

6. a) Fanden auf dem internationalen Friedhof in Kabul seit 2002 militärische
Ehrungen und Zeremonien statt bei denen auch Angehörigen der Wehr-
macht gedacht wurde (z. B. für den Wehrmachtsoffizier Oskar Ritter von
Niedermayer)?

b) Wenn ja, welche, und aus welchem Grund, und zu welchem Anlass fan-
den die Ehrungen statt?

c) Welche militärischen Ehrungen und Zeremonien fanden insgesamt seit
2002 auf dem internationalen Friedhof in Kabul statt (bitte vollständige
Auflistung)?

7. a) Was geschah mit den knapp 45 000 Exemplaren des „Wegweisers zur
Geschichte – Afghanistan“, die bisher nicht ausgegeben wurden, wie sich
aus der Angabe von 45 200 im Umlauf befindlichen Büchern (Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zu Ausbildungshandbüchern
der Bundeswehr auf Bundestagsdrucksache 16/12953 (16/13164)) bei
einer Auflage von 90 000 Exemplaren ergibt?

b) Wie viele Bücher der ersten bis dritten Auflage sind noch gelagert?

c) Wo werden die Bücher gelagert?

8. a) Was geschieht zukünftig mit den noch nicht ausgegebenen Exemplaren
der ersten bis dritten (nicht überarbeiteten) Auflage?

b) Wie wird gewährleistet, dass die vorhandenen alten Ausgaben des „Weg-
weiser zur Geschichte – Afghanistan“ nicht an Bundeswehrsoldaten
ausgeben werden und beispielsweise aus Unwissenheit (wieder) in den
Gebrauch gehen?

c) Wurden die alten Bestände zurückgerufen, und wenn ja, wie viele konn-
ten bereits aus dem Umlauf genommen werden?

d) Werden die alten Ausgaben des „Wegweiser zur Geschichte – Afgha-
nistan“ wieder eingesammelt und durch die korrigierte Auflage aus-
getauscht?

e) Was passiert mit den gebrauchten Exemplaren der ersten bis dritten Auf-
lage des „Wegweisers zur Geschichte – Afghanistan“ die noch im Besitz

der Bundeswehr bzw. des MGFA sind?

Drucksache 16/13902 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
9. a) Welchen Zweck verfolgen die unkritischen Informationen im „Weg-
weiser zur Geschichte – Afghanistan“, die im Aufsatz von Rolf-Dieter
Müller über „Afghanistan als militärisches Ziel deutscher Außenpolitik
im Zeitalter der Weltkriege“ einen Fokus auf den Wehrmachtsoffizier
Oskar Ritter von Niedermayer richten, der „mit großer Zustimmung“ „im
Oberkommando der Wehrmacht und im Auswärtigen Amt“ unter Hitler
„,raumgreifende‘ Operationen im Orient“ als globale Strategie propa-
gierte (S. 54)?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung eine solche verharmlosende Dar-
stellung angesichts der Tatsache, dass die Publikation allen deutschen
Soldaten und Soldatinnen, die in Afghanistan eingesetzt werden, als
Einführung überlassen wird?

c) Wieso wurde die unkritische Hervorhebung des Wirkens des Wehr-
machtsoffiziers Oskar Ritter von Niedermayer, der unter anderem an
Forschungen zur „Judenfrage“ arbeitete, trotz der bereits vorhandenen
Kritik am „Wegweiser zur Geschichte – Afghanistan“ nicht mit über-
arbeitet und aus der „aktualisierten“ Auflage gestrichen?

d) Teilt die Bundesregierung diese (nachfolgenden) Ausführungen in der
„dritten, durchgesehenen und überarbeiteten Auflage“, die weiterhin
eine positive Bezugnahme auf die Wehrmacht und nationalsozialistische
Studien unter anderem zum „Einsatz von Sonderverbänden“ (S. 58) ent-
hält sowie unhinterfragt „beschreibt“, dass „[a]fghanische Studenten aus
Deutschland auch Auffassungen mit[brachten], die eine gemeinsame
rassische Grundlage vermuten ließen. Noch heute begegnet man in
Afghanistan der Behauptung „arischer“ Verwandtschaft (…)“ (S. 51),
und wenn nicht, welche Konsequenzen zieht sie hieraus?

10. Was kann die Bundesregierung dazu sagen, dass vom MGFA in dieser
Handreichung für die nach Afghanistan entsandten deutschen Soldaten und
Soldatinnen auch nach der Kritik in der „Kontraste“-Sendung (30. April
2009) und anschließender Überarbeitung weiterhin dem Hinweis auf das
Grab von Manfred Oberdörffer so viel Bedeutung beigemessen wird?

Berlin, den 17. August 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.