BT-Drucksache 16/13864

Risiko-Reaktoren abschalten

Vom 3. August 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13864
16. Wahlperiode 03. 08. 2009

Antrag
der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel Höhn, Jürgen Trittin, Hans-Josef Fell,
Sylvia Kotting-Uhl, Winfried Hermann, Nicole Maisch, Cornelia Behm,
Undine Kurth (Quedlinburg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Risiko-Reaktoren abschalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Nutzung der Atomenergie ist mit unkalkulierbaren Risiken verbunden. Die
von der Atomwirtschaft und ihren politischen Verbündeten benutzte Floskel
„Deutsche Atomkraftwerke sind die sichersten der Welt!“ ist schlichtweg falsch.
Dies zeigen erneut die Geschehnisse im Atomkraftwerk Krümmel, das nach
zweijähriger Revision nach einem Trafobrand bereits wenige Tage nach Wie-
derinbetriebnahme wegen eines erneuten Trafodefektes abgeschaltet werden
musste. Im Nachgang des Vorfalls kamen weitere Details ans Tageslicht, die das
hohe Risiko des Pannen-AKWs Krümmel belegen. Außerdem ziehen die Si-
cherheitskultur und Informationspolitik der Vattenfall Europe AG – wie bereits
vor zwei Jahren nach dem Trafobrand im gleichen Kraftwerk – weiterhin die ge-
setzlich vorgeschriebene Zuverlässigkeit und Fachkunde der Vattenfall Europe
AG ernsthaft in Zweifel.

Krümmel ist aber nur ein weiteres Indiz für die wachsende Unsicherheit deut-
scher Atomkraftwerke. Je älter die Reaktoren, desto höher die Sicherheits-
risiken. In Deutschland stehen die altersschwachen Atommeiler Biblis A und B,
Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel mit jeweils rund 400 Störfällen auf den Stör-
falllisten ganz oben. Trotzdem versuchen die Energiekonzerne seit Jahren die
Laufzeiten ausgerechnet dieser Altanlagen zu verlängern. Sie gefährden damit
wissentlich Millionen Menschen.

Zu den altersbedingten Risiken kommen ungelöste technische Probleme. So
konnte das Problem der Verstopfung des so genannten Reaktorsumpfes in
Druckwasserreaktoren seit 17 Jahren nicht gelöst werden – auch weil die Atom-
aufsichten der Länder dem Problem nicht mit dem nötigen Nachdruck nachge-
gangen sind. Bis heute ist ein ernster Zwischenfall wie in Barsebäck 1992 nicht
ausgeschlossen.

Die Bundesregierung selbst räumte in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein, dass die alten AKWs nicht mehr
dem internationalen Stand von Forschung und Technik entsprechen. Bestätigt
wird der schlechte technische Zustand deutscher Atomkraftwerke auch von
einer Expertenkommission des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, an der externe Sachverständige sowie Fach-
leute von Bund und Ländern beteiligt waren. Sie kam erst kürzlich zu dem ein-
vernehmlichen Ergebnis, dass das deutsche kerntechnische Regelwerk, nach
dem die Atomaufsicht die Atomreaktoren überprüft, nicht mehr dem Stand von

Drucksache 16/13864 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wissenschaft und Technik entspricht. Die Kommission legte nach fünfjähriger
Arbeit ein neues, an den Stand von Wissenschaft und Technik angepasstes
Regelwerk vor. Doch anstatt dieses als verbindliche Grundlage für die Atomauf-
sicht im Bundesanzeiger zu veröffentlichen, haben der Bundesminister für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und die Länder beschlossen, den Kata-
log bis Ende 2010 lediglich zu erproben.

Besonders deutlich werden die Risiken der Atomkraft beim Schutz vor Terror-
anschlägen. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ist diese Gefahr nicht
mehr auszuschließen. Wie leicht Terroristen das Gelände eines AKWs besetzen
könnten, zeigte eine Aktion von Aktivisten von Greenpeace e. V., die am
22. Juni 2009 binnen kürzester Zeit auf die Kuppel des Atomkraftwerks Unter-
weser gelangten. Die Auswirkungen eines Sprengstoffanschlags auf ein AKW
wären verheerend, insbesondere wenn Terroristen Zugriff auf die Reaktorhülle
eines alten AKWs bekämen.

Weit geringer noch ist der Schutz vor Angriffen aus der Luft. Die seinerzeit pro-
pagierte Vernebelung der Atommeiler ist gescheitert, der Abschuss eines von
Terroristen entführten Passagierflugzeugs vom Verfassungsgericht untersagt
worden. Nach acht Jahren Diskussion bleibt daher festzuhalten: Die AKW-Be-
treiber haben es nicht geschafft, ein Schutzkonzept für Atomreaktoren gegen ge-
zielte Terroranschläge umzusetzen.

Wie verheerend die Wirkung von Terroranschlägen auf AKWs wäre, ist letztlich
abhängig von der Beschaffenheit der AKW-Bauten. Bereits im Jahr 2002 kam
die Internationale Länderkommission Kerntechnik der Länder Baden-Württem-
berg, Bayern und Hessen in einer bis heute geheim gehaltenen Studie zu dem
Ergebnis, dass nur drei der damals noch 19 Atomkraftwerke gegenüber dem
gezielten Absturz eines Passagierflugzeugs geschützt sind. Die alten Reaktoren
Biblis A und B, Phillipsburg, Isar 1, Unterweser, Neckarwestheim 1 und Bruns-
büttel wären dagegen bereits durch den Absturz eines Kleinflugzeugs gefährdet.

Angesichts der Terrorgefahren müssen die alten, besonders gefährdeten Atom-
kraftwerke so schnell wie möglich vom Netz genommen werden. Der im Kon-
sens mit den Betreibern im Jahr 2001 geschlossene Atomausstieg bietet dazu
hinreichend Möglichkeiten, indem er die Übertragung von Reststrommengen
aus älteren auf neue AKWs ermöglicht. Von dieser Möglichkeit ist jetzt Ge-
brauch zu machen. Der Deutsche Bundestag verweist dabei auf den mit der Ver-
abschiedung des Atomausstiegsgesetzes festgehalten Beschluss: „Der Ausstieg
aus der Atomenergie ist … ein Beitrag dazu, die Bundesrepublik gegen terroris-
tische Angriffe besser zu schützen.“

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● einen Entwurf zur Änderung des Atomgesetzes vorzulegen, der sicherstellt,
dass

– die sieben ältesten Atomkraftwerke schnellstmöglich stillgelegt werden;

– die Übertragung von Reststrommengen auf Kraftwerke mit einem nie-
drigeren Sicherheitsstandard wie z. B. das AKW Krümmel gesetzlich un-
terbunden wird;

– die Atomaufsicht von den Ländern vollständig auf den Bund übertragen
wird;

● das neue kerntechnische Regelwerk unverzüglich im Bundesgesetzblatt zu
veröffentlichen und so verbindlich zu machen;

● den Sicherheitsstandard aller Atomkraftwerke ab sofort nach dem aktuali-
sierten kerntechnischen Regelwerk zu überprüfen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13864

● die gesetzliche Entschädigungspflicht bei der Anordnung von Nachrüstun-
gen zu beseitigen;

● alle atomrechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um den technisch veralteten
Atomreaktor Krümmel stillzulegen;

● von den Betreibern den Nachweis fordern zu lassen, dass ihre Reaktoren
Leckunfälle bei Kühlmittelleitungen sicher beherrschen, und die Reaktoren
im Falle der Nichtbeherrschung stillzulegen;

● die Zuverlässigkeit und Fachkunde der Vattenfall Europe AG als
Atomkraftwerkbetreiber kritisch zu überprüfen und alle atomrechtlichen
Möglichkeiten auszuschöpfen, dem Unternehmen die Erlaubnis für den
AKW-Betrieb zu entziehen.

Berlin, den 3. August 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.