BT-Drucksache 16/13533

Grundrechtseingriffe ohne Rechtsmittel (Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 16/11316)

Vom 19. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13533
16. Wahlperiode 19. 06. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Ulla Jelpke, Jan Korte, Kersten Naumann,
Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE.

Grundrechtseingriffe ohne Rechtsmittel (Nachfrage zu
Bundestagsdrucksache 16/11316)

Wird der Angeklagte im Ausgang eines Strafverfahrens wegen Schuldunfähig-
keit freigesprochen, so stehen ihm nach ganz herrschender Auffassung keine
Rechtsmittel gegen das Urteil zu, selbst wenn das Gericht offen lässt, ob über-
haupt eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige Haupttat vorlag (zu alledem: vgl.
BGH 7,153; BGH in NJW 1961, Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO,
48. Aufl., Vor § 296 Rn. 13; anderer Ansicht: OLG Stuttgart, Urteil vom
22. Mai 1959 – 1 Ss 221/59 oder Jürgen Kuckein , „Zur Beschwer des Ange-
klagten bei einem Freispruch wegen Schuldunfähigkeit“ in Gedächnisschrift
für Rolf Keller, S. 137 ff.).

Die Bundesregierung kam in ihrer Antwort (Bundestagsdrucksache 16/11316)
auf die in diesem Zusammenhang gestellte Kleine Anfrage (Bundestagsdruck-
sache 16/11011) im Wesentlichen zu der Einschätzung, dass die Unanfechtbar-
keit von bemakelten Freisprüchen höchstrichterlich bestätigt und eine verfas-
sungsrechtliche Pflicht zur Einführung von Rechtsmitteln nicht bestehe.
Gleichwohl kann der Gesetzgeber von seinem Einschätzungsspielraum auch so
Gebrauch machen, indem er regelt, was verfassungsrechtlich nicht zwingend,
dennoch zulässig und auch gerecht erscheint.

Die richterlichen Feststellungen zum Geisteszustand eines Menschen können
eine vom Urteilsspruch unabhängige selbstständige Beschwer zumindest tat-
sächlicher Art darstellen. Die Ehre eines Menschen ist ein zu schützendes
Rechtsgut. Werden außerhalb eines Gerichtsverfahrens Bewertungen zum
Geisteszustand eines Menschen vorgenommen, kann gegen diese regelmäßig
rechtlich vorgegangen werden. Als Teil einer freisprechenden strafrichterlichen
Entscheidung bleiben solche Bewertungen hingegen unanfechtbar.

Wenn das Gericht darüber hinaus darauf verzichtet, die rechtswidrige Erfüllung
eines Straftatbestandes zu prüfen, weil es die Schuldunfähigkeit als gegeben
ansieht, dann ist es dem Freigesprochenen unmöglich, im Instanzenzug klären
zu lassen, ob überhaupt ein strafwürdiges Verhalten vorlag.

Dass das Bundeszentralregister die Eintragung eines Freispruches wegen

Schuldunfähigkeit nicht für private Zwecke vorhält und entsprechende Aus-
künfte an Behörden von bestimmten Voraussetzungen abhängig macht, ändert
nichts an dem Umstand, dass gleichwohl bei Vorliegen der Voraussetzungen
Auskünfte erteilt werden, deren materielle Richtigkeit keiner gerichtlichen
Nachprüfung zugänglich war und ist.

Drucksache 16/13533 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Anders als es die Bundesregierung in ihrer vorangegangenen Antwort nahelegt,
geht es also nicht um den Wunsch des Angeklagten, aus einem ihm genehmen
Grund freigesprochen zu werden, sondern um dessen Anspruch, sich gegen Be-
wertungen, die seine Ehre und Würde berühren, gerichtlich wehren zu dürfen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit Blick auf den Grad der
Makelhaftigkeit sieht die Bundesregierung zwischen der Situation eines
Freispruches aus Mangel an Beweisen und der Situation eines Freispruches
wegen Schuldunfähigkeit, in dessen Begründung das Vorliegen einer tat-
bestandsmäßigen rechtswidrigen Tat offen gelassen wird?

2. Welche Unterschiede sieht die Bundesregierung zwischen „ungünstigen
Feststellungen nicht rechtsmittelfähiger Personen“ allgemeiner Art (vgl. S. 1
der Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 16/11316) und
der speziellen Feststellung, ein Mensch sei geistig unfähig (gewesen), die
Einsichts- und Steuerungsfähigkeit aufzubringen, eine Straftat zu vermei-
den?

3. Unterstellt, ein Rechtsmittel zur Korrektur gerichtlicher Feststellungen zum
Geisteszustand eines Menschen würde existieren und vom Freigesprochenen
trotz des Risikos eines nachfolgenden Schuldspruchs auch frei verantwort-
lich gewählt, warum sollte der Gesetzgeber das Verschlechterungsverbot des
§ 358 Absatz 2 Satz 1 StPO in dieser Konstellation dann überhaupt bestehen
lassen müssen?

Lägen in dieser Konstellation überhaupt die gesetzgeberischen Gründe vor,
die dieses Gebot hervorbrachten?

4. Wie viele Freisprüche wegen Schuldunfähigkeit sind derzeit im Bundes-
zentralregister eingetragen?

5. Wie viele waren es in den Jahren 2000 und 1995?

6. Wie viele Anträge auf Berichtigung von Eintragungen der in Rede stehen-
den Art lagen dem Bundeszentralregister im Zeitraum von 1995 bis 2007
vor?

Wie hoch ist die Anzahl der stattgegebenen Anträge?

Berlin, den 19. Juni 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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