BT-Drucksache 16/13337

Polizeiliche Repressalien und Verletzung der Versammlungsfreiheit anlässlich des NATO-Gipfels (Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 16/12768)

Vom 11. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13337
16. Wahlperiode 11. 06. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic, Heike Hänsel, Inge Höger,
Monika Knoche und der Fraktion DIE LINKE.

Polizeiliche Repressalien und Verletzung der Versammlungsfreiheit anlässlich
des NATO-Gipfels (Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 16/12768)

In Zusammenhang mit den Protesten gegen den NATO-Gipfel Anfang April in
Strasbourg/Baden-Baden kam es zu vielfachen Grundrechtseinschränkungen
und Übergriffen durch eingesetzte Polizeibeamte. Der umfassenden Aufklärung
der Polizeimaßnahmen entzieht sich die Bundesregierung. In ihrer Antwort auf
eine entsprechende Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache
16/12966) verweigert sie Ausführungen zur Polizeitaktik in Strasbourg unter
Hinweis auf die Zuständigkeit der französischen Behörden, zu denen sie, die
Bundesregierung, „keine Stellung“ nehmen wolle.

Die bloße Angabe von Zahlen und Fakten sowie die Information über mit den
französischen Behörden getroffene Absprachen stellt aber keine „Stellung-
nahme“ dar. Möglichst umfangreiche Informationen sind vielmehr geboten,
weil es auch um die Kontrolle des Verhaltens deutscher Behörden bzw. ihrer
Vertreter geht. Schließlich haben in Strasbourg auch mehrere tausend deutsche
Staatsbürger demonstriert, die mit deutscher Unterstützung mit Wasserwerfern
und Tränengas beschossen worden sind. Hieraus resultiert eine Verantwortung
der Bundesregierung, ein Verstecken hinter der französischen Einsatzführung
ist unangemessen.

Hinterfragt werden muss auch die Praxis der Datenweitergabe an französische
Behörden. So liegen der Fraktion DIE LINKE. Berichte von Demonstrantinnen
und Demonstranten vor, die sich vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich gegen
Ausreiseuntersagungen durch die Bundespolizei gewehrt hatten. Beim erneuten
Versuch, die Grenze nach Frankreich zu übertreten, sollen Bundespolizisten
französischen Grenzbeamten dann empfohlen haben, diesen Personen, denen
man die Ausreise nicht mehr verbieten konnte, nunmehr die Einreise nach
Frankreich zu untersagen. Teilweise hätten deutsche und französische Kräfte
den gleichen Computer benutzt, so dass sich der Verdacht der illegalen Daten-
weitergabe aufdrängt. Unabhängig davon würden Urteile deutscher Gerichte
durch solch ein Verhalten ad absurdum geführt.

Fragen wirft ebenfalls die Aussage der Bundesregierung auf, es seien keine

Kräfte des Technischen Hilfswerks (THW) in Strasbourg eingesetzt gewesen.
Der Fraktion DIE LINKE. liegen Augenzeugenberichte und Fotos vor, die
Boote mit der Aufschrift „THW Lörrach“ zeigen, die französische Polizisten
transportiert haben.

Drucksache 16/13337 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit treffen Informationen der Fraktion DIE LINKE. zu, denen zu-
folge Bundespolizisten mündliche Informationen über solche Demonstran-
tinnen und Demonstranten, die vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart ihr
Recht auf Ausreise erstritten hatten, an französische Grenzsicherungskräfte
übermittelt haben mit dem Effekt, diese zum Aussprechen eines Einreisever-
botes zu motivieren?

a) Auf welcher Rechtsgrundlage haben Bundespolizisten dabei gehandelt?

b) Wurden die französischen Kräfte dabei darauf hingewiesen, dass die be-
treffenden Demonstranten in deutschen Polizeidateien gespeichert sind?

c) Hält die Bundesregierung eine solche Praxis, französischen Kräften eine
Einreiseverweigerung zu empfehlen, für legitim, da sie ja darauf hinaus-
läuft, gerichtliche Entscheidungen faktisch zu unterlaufen?

2. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, Ausreiseunter-
sagungen seien nicht nur ein juristisches Problem, dessen Nachprüfung Sache
der Verwaltungsgerichte ist, sondern auch ein politisches Problem, und wenn
ja, ist die Bundesregierung nun bereit, detaillierte Gründe für die 121 erteilten
Ausreiseuntersagungen anzugeben, und wenn nein, warum nicht?

3. Aus welchen Quellen stammen die in Antwort zu Frage 28f auf Bundestags-
drucksache 16/12966 genannten 433 „aus dem Ausland“ übermittelten Per-
sonalien?

a) Aus welchen Staaten und von welchen Stellen dort stammen diese Daten
genau?

b) Welche Gewissheit hat die Bundesregierung, dass es sich bei den darin
bezeichneten Personen tatsächlich um „potentiell gewaltbereite“ handelt,
und welche Maßnahmen hat sie ergriffen, um diese Gewissheit sicher zu
erlangen?

c) Auf welcher Rechtsgrundlage beruhen Empfang, Speicherung, Nutzung
und Weitergabe dieser Daten?

d) Sind diese Daten von deutscher Seite aus angefordert worden oder un-
aufgefordert eingegangen?

e) Bei welcher deutschen Behörde sind diese Daten eingegangen, und wer-
den sie dort weiterhin gespeichert, und wenn ja, unter welcher Bezeich-
nung, in welcher Form (Liste, Datei o. Ä.), für welchen Zweck und mit
welcher Speicherfrist?

f) Sind diese Daten mittlerweile auch noch an andere ausländische Behör-
den übergeben worden oder ist dies noch beabsichtigt (beispielsweise an
italienische Behörden in Zusammenhang mit dem G8-Gipfel), und wenn
ja, an welche?

4. Zu welchem Zweck erhielt die Bundespolizei am 3. April 2009 Listen zu
115 Personen, die in Strasbourg festgenommen worden waren?

a) Hat die Bundespolizei diese Listen angefordert oder unaufgefordert zuge-
stellt bekommen?

b) Wo befindet sich diese Liste bzw. die Daten heute, und zu welchem
Zweck, und auf welcher Rechtsgrundlage?

5. Hatten die Wasserwerfereinheiten der Bundespolizei, die am 4. April 2009
Demonstrantinnen und Demonstranten in Strasbourg mit Wasser und Trä-
nengas beschossen, Gelegenheit, die Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßig-

keit dieser Maßnahme eigenständig zu prüfen, und wenn ja, wer genau hat
diese Prüfung vorgenommen, und mit welchem Ergebnis?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13337

6. Waren Bundespolizisten auch daran beteiligt, jene friedlichen Demonstran-
tinnen und Demonstranten mit tränengasvermischtem Wasser zu beschie-
ßen, die am Vormittag des 4. April 2009 versuchten, zur angemeldeten
Auftaktkundgebung auf der Rheininsel zu gelangen?

7. Waren Polizistinnen und Polizisten der Bundesländer ebenfalls in Stras-
bourg eingesetzt, und wenn ja, wie viele, an welchen Orten, mit welchen
Aufgaben, aus welchen Bundesländern, und inwiefern waren sie am Ein-
satz gegen Demonstrantinnen und Demonstranten beteiligt?

8. Wie kommt es, dass die Bundesregierung nach eigenen Angaben „keine
Informationen“ über Tätigkeiten der schweizerischen Luftwaffe in Zusam-
menhang mit dem NATO-Gipfel hat, obwohl zum einen die Schweizer
Tageszeitung „blick“ vom 5. April 2009 über den Einsatz von Drohnen und
zum anderen das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölke-
rungsschutz und Sport (VBS) in einer Pressemitteilung vom 3. April 2009
über Maßnahmen der Luftsicherung informierte?

9. Sind deutsche Sicherheitsbehörden von französischer Seite darüber unter-
richtet worden, wie viele französische Polizisten, Militär- und Gendarme-
rieangehörige anlässlich des NATO-Gipfels eingesetzt wurden?

10. Sind deutsche Sicherheitsbehörden von französischer Seite darüber unter-
richtet worden, wie die Einsatzstrategie gegen Demonstrationen und Pro-
testaktionen gestaltet werden sollte?

11. Sind deutsche Sicherheitsbehörden am 3., 4. und 5. April 2009 zeitnah über
die polizeilichen Maßnahmen in Strasbourg unterrichtet worden?

12. Weigert sich die Bundesregierung weiterhin, Angaben zu machen zu

a) der Zahl der von französischer Seite eingesetzen Polizisten, Militär- und
Gendarmerieangehörigen,

b) der von den französischen Behörden verfolgten Strategie gegen De-
monstrationen und Protestaktionen, insbesondere der Umstände, unter
denen Demonstrantinnen und Demonstranten unter Wasser- und Tränen-
gasbeschuss genommen wurden,

und wenn ja,

c) aus welchem Grund?

d) Inwiefern sieht sie bereits in den Informationen über Zahlen und Fakten
eine „Stellungnahme“?

e) Wie bewertet die Bundesregierung das Recht des Parlaments, über Maß-
nahmen der Bundespolizei, auch über Unterstützungsmaßnahmen, die
sie anderen Polizeikräften bei der Bekämpfung von Demonstrationen
gibt, Auskunft zu erlangen?

f) Befürchtet die Bundesregierung diplomatische Verwicklungen, wenn sie
Einzelheiten über das Vorgehen der französischen Polizei gegen De-
monstrantinnen und Demonstranten mitteilt?

13. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass Boote mit der Aufschrift
„THW Lörrach“ am 4. April 2009 auf dem Kanal entlang der Straße „Quai
des Belges“ französische Polizisten transportiert haben, und wenn ja, wie
ist das mit der bisherigen Aussage der Bundesregierung vereinbar, das
THW habe keine Kräfte in Strasbourg eingesetzt?

Berlin, den 8. Juni 2009
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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