BT-Drucksache 16/1328

Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch

Vom 26. April 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1328
16. Wahlperiode 26. 04. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Karin Binder, Jörn Wunderlich, Dr. Gregor Gysi,
Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch

Nach dem SGB II bilden auch unverheiratete heterosexuelle Paare eine Be-
darfsgemeinschaft mit entsprechenden Einstandspflichten, wenn sie in einer so
genannten eheähnlichen Gemeinschaft leben (§ 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II). Das
Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil von 1992, das 2004 bekräftigt
wurde (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. November 1992, in: NJW
1993, S. 643 ff., BVerfG, Nichtannahmebeschluss des Ersten Senats vom
2. September 2004, FamRZ 2004, S. 1950), festgestellt, dass eine eheähnliche
Gemeinschaft nur dann vorliegt, wenn sich die Partner so füreinander ver-
antwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicher-
stellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Be-
dürfnisse verwenden. Das Sozialgericht Düsseldorf schrieb im April 2005,
dass eine eheähnliche Gemeinschaft nur angenommen werden kann, wenn die
Partner ausdrücklich bestätigen, finanziell – auch in Zukunft – füreinander ein-
stehen zu wollen (SG Düsseldorf, Beschluss der 35. Kammer vom 19. Mai
2005, Az: S 35 AS 112/05 ER). Von Seiten des Gesetzgebers bestehen derzeit
keine klaren Kriterien, nach denen beurteilt werden kann, ob eine eheähnliche
Gemeinschaft und damit eine Bedarfsgemeinschaft vorliegt. In der Praxis
scheint die Definition der eheähnlichen Gemeinschaft zu variieren und auch die
Ermittlung des Vorliegens einer solchen Beziehung unterschiedlich gehandhabt
zu werden. Im Koalitionsvertrag wurde die Überprüfung des Begriffs der Ehe-
ähnlichkeit und die Umkehr der Beweislast für das Vorliegen einer eheähn-
lichen Gemeinschaft im Sozialgerichtsprozess festgeschrieben.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:

1. Von welcher Definition des Begriffs der „eheähnlichen Gemeinschaft“ geht
die Bundesregierung derzeit aus?

2. Worin liegt nach Auffassung der Bundesregierung der Grund für die Ver-
pflichtung „eheähnlicher Gemeinschaften“ zum gegenseitigen Einstehen im
Rahmen von Bedarfsgemeinschaften?

3. Nach welchen Kriterien wird das Vorliegen einer „eheähnlichen Gemein-

schaft“ in der Praxis ermittelt?

4. Wie wird dem Umstand, dass gleichgeschlechtliche Paare, die keine ein-
getragene Lebenspartnerschaft bilden, bisher nicht von der Definition der
Eheähnlichkeit erfasst werden, in der Praxis Rechnung getragen, und sind
der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen gleichgeschlechtliche Paare
trotzdem als „eheähnlich“ behandelt werden/wurden?

Drucksache 16/1328 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
5. Geschieht dies bundeseinheitlich auf Basis von Ausführungsanweisungen
der Bundesagentur für Arbeit oder entscheiden die zuständigen Leistungs-
träger vor Ort über Definition und Ermittlung von eheähnlichen Gemein-
schaften?

6. Welche anderweitigen Definitionen und Dienstanweisungen zum Thema
„eheähnliche Gemeinschaft“ existieren, wenn dies nicht durch eine Aus-
führungsanweisung der Bundesagentur für Arbeit geregelt ist?

7. Anhand welcher Kriterien sehen die Sozialgerichte das Vorliegen einer
eheähnlichen Gemeinschaft als gegeben an?

8. Sind diese Kriterien hinreichend konkret, um die Praxis der Leistungs-
träger bei der Bestimmung eheähnlicher Gemeinschaften anzuleiten?

9. Bestehen derzeit unterschiedliche Definitionen oder Beurteilungen für die
Ermittlung des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft in der Recht-
sprechung der Sozialgerichte?

10. Wie gedenkt die Bundesregierung, den Begriff der „eheähnlichen Gemein-
schaft“ im Rahmen des SGB II zu präzisieren?

Welche Kriterien will sie zugrunde legen?

11. Wie gedenkt die Bundesregierung, gleichgeschlechtliche Partnerschaften,
die nicht in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, zu behandeln?
Welche Kriterien will sie zugrunde legen, um diese zu Bedarfsgemein-
schaften zu erklären?

12. Wie soll die Abgrenzung von „eheähnlichen“ oder „lebenspartnerschafts-
ähnlichen Gemeinschaften“ zu Wohngemeinschaften getroffen werden,
ohne die Intimsphäre der Betroffenen zu verletzen?

13. Wie soll von Seiten der Hilfebeziehenden der Beweis erbracht werden kön-
nen, dass keine „eheähnliche“ oder „lebenspartnerschaftsähnliche Gemein-
schaft“ vorliegt?

14. Wie viele „eheähnliche Gemeinschaften“ befinden sich derzeit im Leis-
tungsbezug des SGB II?

15. Wie viele Personen, die in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben, haben
im Jahr 2005 aufgrund der Anrechnung von Partnereinkommen bzw. Part-
nerinneneinkommen beantragtes ALG II nicht erhalten (bitte, wenn mög-
lich, nach Monaten aufschlüsseln, nach Geschlecht und nach Ost/West
differenzieren)?

Berlin, den 25. April 2006

Katja Kipping
Karin Binder
Jörn Wunderlich
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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