BT-Drucksache 16/132

Zukunft des Lotswesens im Revier Ems und Weser

Vom 1. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/132
16. Wahlperiode 01. 12. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Patrick Döring, Angelika Brunkhorst,
Horst Friedrich (Bayreuth), Jens Ackermann, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle,
Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund Peter Geisen,
Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Markus Löning,
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel,
Dr. Konrad Schily, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP

Zukunft des Lotswesens im Revier Ems und Weser

Seit über drei Jahren wird an der Nordsee im Nord-West Range darüber disku-
tiert, welches Konzept in den Seelotsrevieren Ems und Weser II/Jade umgesetzt
werden soll. Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion (WSD) Nordwest hatte dazu
jeweils auf Erlass des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen vom 23. November 2001 eine Arbeitsgruppe eingerichtet, welche die
Aufgabe hatte, eine Entscheidung der WSD Nordwest vorzubereiten.

Gemäß einer Pressemitteilung der WSD Nordwest vom 11. Juli 2005 sollen auf
den beiden Lotsrevieren künftig SWATH (Small Waterplane Area Twin Hull)-
Tender zum Einsatz kommen.

Diese Entscheidung hat an der Küste für Aufsehen gesorgt und ist kritisiert
worden (siehe u. a. Emder Zeitung vom 5. November 2005 und 8. November
2005, Nordsee-Zeitung vom 23. November 2005, Rundschreiben der Schutz-
gemeinschaft Deutsche Nordseeküste vom 19. Oktober 2005, Schreiben der
EUREGIO DIE WATTEN an die WSD Nordwest vom 16. November 2005).

Die WSD Nordwest hat ihre Entscheidung für das Lotsrevier Ems damit be-
gründet, dass die Kooperationsmöglichkeiten mit dem niederländischen Lots-
wesen durch die SWATH-Technologie, die zum Einsatz kommen soll, verbes-
sert würde. Für das Lotsrevier Weser II/Jade war die Begründung, dass dies die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen unterstütze.

Die Kritik der betroffenen Lotsbrüderschaften zielt vor allem darauf ab, dass
die Entscheidung der WSD-Nordwest (Presseinformation vom 24. Oktober

2005, Emder Zeitung vom 5. November 2005 und 8. November 2005) die Wett-
bewerbssituation der betroffenen deutschen Häfen gefährde und erhebliches zu-
sätzliches Risiko für Havarien und damit für das Naturschutzgebiet Wattenmeer
schaffe.

Drucksache 16/132 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen deshalb die Bundesregierung:

1. Zu welchen Ergebnissen sind die auf Erlass des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen vom 23. November 2002 eingerichte-
ten Arbeitsgruppen der WSD Nordwest gekommen und aufgrund welcher
Datenbasis?

2. Falls die Entscheidungen der WSD Nordwest von den Ergebnissen der
Arbeitsgruppen abweichen, wie lautet die Begründung zu dieser Ab-
weichung?

3. Kann die Anzahl der benötigten Lotsen durch eine effektivere Versetz-
logistik vermindert werden, und falls ja, warum, und falls nein, warum
nicht?

4. Wie lange hat das Stationsschiff der Lotsbrüderschaft Ems „Kapitän Blee-
ker“ noch eine Germanische Lloyd (GL)-Zulassung und wäre eine weitere
Verlängerung unter Berücksichtigung des technischen Zustandes des Schif-
fes realistisch?

5. Befürchtet die Bundesregierung Nachteile z. B. bei der Schiffssicherheit
im Lotsrevier Ems, falls die Einsatzdauer der „Kapitän Bleeker“ verlängert
würde?

6. Wie viel Geld ließe sich einsparen, wenn man die „Kapitän Bleeker“ wei-
tere 5 Jahre einsetzen würde?

7. Wie lange haben die Stationsschiffe der Lotsenbrüderschaft Weser II/Jade
„Gotthilf Hagen“ und „Kapitän König“ noch eine GL-Zulassung und wäre
eine weitere Verlängerung unter Berücksichtigung des technischen Zustan-
des der Schiffe realistisch?

8. Befürchtet die Bundesregierung Nachteile z. B. bei der Schiffssicherheit
im Lotsrevier Weser II/Jade, falls die Einsatzdauer der „Gotthilf Hagen“
und „Kapitän König“ verlängert würde?

9. Wie viel Geld ließe sich einsparen, wenn man die „Gotthilf Hagen“ und
„Kapitän König“ weitere 5 Jahre einsetzen würden?

10. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Lotsbrüderschaften, dass
die Lotsreviere Ems und Weser II/Jade zu den schwierigsten Fahrtwassern
weltweit gehören und welche Konsequenzen für das Lotswesen ergeben
sich daraus?

11. Wie hoch wären die Kosten, wenn sich die WSD Nordwest für das von den
Lotsbrüderschaften empfohlene Monohull-Stationsschiff mit Eindockvor-
richtung für beide Lotsreviere entschieden hätte,

a) in der Anschaffung und

b) bei einem prognostizierten Unterhalt in den nächsten 30 Jahren?

12. Wie hoch sind die Kosten, bei dem von der WSD Nordwest favorisierten
SWATH-Tender

a) in der Anschaffung und

b) bei einem prognostizierten Unterhalt in den nächsten 30 Jahren?

13. Wie hoch werden die Personalkosten beim von den Lotsbrüderschaften be-
vorzugten System mit einem seegestützten Versetzfahrzeug bzw. dem von
der WSD Nordwest bevorzugten System mit einem SWATH-Tender sein,
jeweils getrennt nach den beiden Seerevieren?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/132

14. Trifft es zu, dass für einen SWATH-Tenderbetrieb ab Borkum unter Be-
rücksichtigung von Seemannsgesetz und Tarifverträgen eine gleich große
oder sogar größere Besatzung vorzuhalten ist, als für ein modernes Stati-
onsschiff wie konzeptionell durch die Lotsenbrüderschaften entwickelt?

15. Welche Auswirkungen wird es nach Auffassung der Bundesregierung auf
die Attraktivität der Emshäfen haben, dass der von der WSD Nordwest
favorisierte Lotsversetzdienst ab Borkum künftig umsatzsteuerpflichtig ist,
während der seegestützte Versetzdienst dies nicht ist?

16. Ist im Zusammenhang mit dem Bau des Jade-Weser-Ports und dem Ausbau
des Containerterminals Bremerhaven in Zukunft mit vermehrten Anläufen
von Post-Panamax und Malacca-Max-Schiffen zu rechnen?

17. Trifft es zu, dass die Arbeitsgruppe der WSD Nordwest mit Vertretern der
Lotsbrüderschaft Weser II/Jade zu dem Ergebnis gekommen ist, dass das
Konzept eines Monohull-Stationsschiffes mit Eindockvorrichtung in Ver-
bindung mit verstärktem Hubschraubereinsatz gegenüber anderen disku-
tierten Versetzsystemen, wie dem von der WSD Nordwest jetzt entschiede-
nen, knapp 4 Mio. Euro niedrigere Betriebskosten pro Jahr aufzuweisen
hätte?

18. Trifft es zu, dass die WSD Nordwest im Lotsrevier Ems künftig Schiffen
bis zu einer Länge von 120 Metern gestatten will, ohne Lotsen durch die
Untiefen des Wattenmeeres bis Borkum fahren zu lassen, und wenn ja, wie
beurteilt die Bundesregierung die Befürchtungen, dass dadurch eine erheb-
liche Vergrößerung der Havariegefahr einhergeht?

19. Wie viele Schiffsbewegungen hat es im Lotsrevier Ems in den letzten
10 Jahren bei Schiffen mit einer Länge zwischen 90 und 120 Metern pro
Jahr gegeben?

20. Wie viele Unfälle und Beinahe-Unfälle hat es in den letzten 10 Jahren im
Lotsrevier Ems bei Schiffen zwischen 90 und 120 Metern Länge gegeben?

21. Trifft es zu, dass der Einsatz des SWATH-Tenders von der geplanten
Station auf Borkum im Lotsrevier Ems ohne eine Lotsbefreiung der Schiffe
zwischen 90 und 120 Metern praktisch nicht möglich wäre?

22. Welche Transferzeiten und welchen Brennstoffverbrauch hat die WSD
Nordwest zwischen Schutzhafen und Versetzgebiet kalkuliert?

23. Über welche Eisklasse verfügt der SWATH-Tender und welche Lösung
sieht die WSD Nordwest vor, falls durch Vereisung des Schutzhafens oder
des Versetzungsgebietes kein Lotsverkehr stattfinden kann?

24. Welche Wartezeiten entstehen voraussichtlich für die tideabhängige Groß-
schifffahrt bei Umsetzung des Lotskonzeptes der WSD Nordwest für das
Lotsrevier Ems aufgrund des Pendelverkehrs des SWATH-Tenders zwi-
schen Borkum und Westerems auf Grundlage der Schiffsbewegungen der
letzten 5 Jahre?

25. Welche Auswirkungen wird der Pendelverkehr des SWATH-Tenders zwi-
schen Borkum und Westerems (einfache Wegstrecke 17 sm) für die Lotsen
und die ohne Lotsen fahrenden oft übermüdeten Schiffsführer der Feeder-
schiffe (bis 120 m) haben und wird die STCW-Fatigue-Richtlinie eingehal-
ten werden können?

26. Welche Kosten prognostiziert die Bundesregierung im Lotsrevier Ems bei
der Realisierung der Entscheidung der WSD Nordwest für die Nutzung
niederländischer Assistenz-Dienste auf Grundlage welcher Vereinbarungen
mit welchen niederländischen Behörden?

Drucksache 16/132 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

27. Trifft es zu, dass die Vorlaufzeit bei Bestellung eines niederländischen
Versetzschiffes 4 Stunden beträgt und dass der niederländische Tender nur
21 Stunden pro Tag verfügbar ist und welche Auswirkungen hat dies auf
die Lotstätigkeit?

28. Bis zu welcher Wellenhöhe können der niederländische Tender und der ge-
plante SWATH-Tender Versetzungen vornehmen und wie lange ist die Vor-
warnzeit für solche Wellenhöhen in Westerems?

29. Welche Lösung sieht die Bundesregierung für die Kunden der Emder Lot-
senbrüderschaft vor, die wie Schleppzüge, U-Boote und andere Fahrzeuge
mit sehr niedrigem Freibord nicht vom SWATH-Tender und dem nieder-
ländischen Versetzfahrzeug bedient werden können?

30. Wer entscheidet bei der Bestellung eines niederländischen Versetzschiffes,
welche Lotsung prioritär ist bei gleichzeitiger Anforderung des Versetz-
schiffes für einen niederländischen Hafen und welche Wartezeiten können
für den Schiffsverkehr nach Emden entstehen?

31. Welche Kosten prognostiziert die Bundesregierung bei den zu erwartenden
Hubschraubereinsätzen auf dem Lotsrevier Ems auf Basis der Entschei-
dung der WSD Nordwest als auch auf Basis der Vorschläge der Lotsbrü-
derschaft Ems?

32. Können Schiffe bei der Besetzung mit Hubschraubern eine höhere Fahrt-
geschwindigkeit beibehalten als bei der Versetzung mit Tendern und ist
durch die höhere Versetzgeschwindigkeit mit Vorteilen für die Kunden
durch Zeiteinsparung zu rechnen?

33. Kann im Bereich des Elbe-Range-Systems bei Beibehaltung der jetzigen
Sicherheitsstandards, z. B. Besetzung von beladenen Tankern spätestens
bei der Tonne „Elbe 3“ bis Windstärke 10, auf den Einsatz des Hubschrau-
bers verzichtet werden?

34. Kann durch den Einsatz der Tender im Ansteuerungsbereich Weser II/Jade
und der Deutschen Bucht die Versetzung des Lotsen bei Beibehaltung der
jetzigen sicheren Versetzpositionen bis Windstärke 10 garantiert werden
und auf die Vorhaltung eines Hubschraubers verzichtet werden, falls nein,
wie hoch sind die Vorhaltekosten für den Hubschrauber?

35. Kann durch den Einsatz des Hubschraubers im Bereich der Weser II/Jade
Ansteuerung und der Deutschen Bucht auf den ständigen Einsatz eines
Tenders beim Stationsschiff verzichtet werden?

Wenn ja, wie hoch sind die Einsparungen durch den Wegfall des ständig
besetzten Tenders?

36. Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung mit dem Probebetrieb des
SWATH-Tenders auf dem Lotsrevier Ems gemacht?

37. Reicht bei dem von der WSD Nordwest favorisierten System für das Re-
vier Weser II/Jade ein SWATH-Tender aus, um einen ständig verfügbaren
Versetzbetrieb zu gewährleisten, und wie soll dies sichergestellt werden?

38. Stellt der Versetzvorgang mit den kleinen Versetzbooten, die im Revier
Weser II/Jade vorgesehen sind, ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für die
Lotsen dar, und wenn ja, aus welchen zwingenden Gründen muss dieses
erhöhte Risiko eingegangen werden?

39. Liegen Erfahrungsberichte von Lotsen vor, aus denen hervorgeht, dass bei
schlechtem Wetter (Wind Beaufort 7) die Versetzung mit SWATH-Tendern
im Mündungsbereich der Weser nicht mehr durchgeführt werden konnten

und welche Schlussfolgerungen sind daraus gezogen worden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/132

40. Welche Verbesserungen der Lotsenlogistik ergeben sich aus dem Einsatz
des SWATH-Systems auf dem Revier Weser II/Jade und ergeben sich da-
durch, über den Wegfall der Lotsenstation Helgoland hinaus, Rationalisie-
rungspotenziale?

41. Können auf den Stationsschiffen in SWATH- und Monohullbauweise die
gleiche Anzahl von Ausbildungsplätzen für den maritimen Nachwuchs zur
Verfügung gestellt werden, und wenn nein, warum nicht?

42. Trifft es zu, dass das Versetzen mit den SWATH-Tendern an der Ems
zwangsmäßig 3 sm weiter seewärts stattzufinden hat, um ein sicheres An-
bordkommen des Lotsen (IMO Resolution: Pilot Boarding Area) bei 10 kn
benötigter SWATH-Versetzgeschwindigkeit zu ermöglichen, was zu höhe-
ren Lotskosten der Schifffahrt führen würde, und dass dadurch die Ruhe-
zeiten (der Tenderbesatzungen) gemäß IMO-Resolution A 960 nicht mehr
zu erfüllen sind und welche Konsequenzen hat dies für den Lotsbetrieb?

43. Ist es richtig, dass der Verkehr durch Einsatz des Hubschraubers im An-
steuerungsbereich des Reviers Weser II/Jade weiträumiger entzerrt werden
kann und besonders große Schiffe bereits vor Erreichen des Ansteuerungs-
bereiches besetzt werden können und damit die Forderung der IMO-Reso-
lution A 960 optimal erfüllt wird, und wenn ja, welche Konsequenzen zieht
die Bundesregierung daraus?

Berlin, den 30. November 2005

Hans-Michael Goldmann
Patrick Döring
Angelika Brunkhorst
Horst Friedrich (Bayreuth)
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Markus Löning
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Dr. Konrad Schily
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Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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