BT-Drucksache 16/12950

Ausbildung in der Wirtschaftskrise - Ziele und Maßnahmen zum Ausbildungsjahr 2009

Vom 7. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12950
16. Wahlperiode 07. 05. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Klaus Ernst, Volker Schneider (Saarbrücken),
Dr. Petra Sitte, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Ausbildung in der Wirtschaftskrise – Ziele und Maßnahmen zum
Ausbildungsjahr 2009

Die Welt erlebt gegenwärtig die tiefste Wirtschaftskrise seit 80 Jahren. Millio-
nenfach sind Arbeitsplätze und Einkommen bedroht. Gleichzeitig befindet sich
die Berufsausbildung in Deutschland bereits seit vielen Jahren in einer struktu-
rellen Krise. Hunderttausende Jugendliche suchen vergeblich nach einem Aus-
bildungsplatz. Eine große Anzahl von Jugendlichen kann ihr bevorzugtes Aus-
bildungsinteresse nicht verwirklichen. Fast 80 Prozent der Jugendlichen ohne
Hauptschulabschluss landeten im Jahr 2006 im Übergangssystem, d. h. in Maß-
nahmen ohne anerkannten Berufsabschluss (vgl. Nationaler Bildungsbericht
2008, Bundestagsdrucksache 16/10206).

Die Situation des Ausbildungsmarktes ist in hohem Maße konjunkturabhängig.
Ein Gesetzesentwurf der Fraktion DIE LINKE. zur Einführung einer Ausbil-
dungsplatzumlage (Bundestagsdrucksache 16/2540), mit der diese Situation
überwunden und eine konjunkturabhängige Finanzierung hätte geschaffen wer-
den können, wurde im Juni 2007 von der Mehrheit des Deutschen Bundestages
abgelehnt. Es ist damit zu befürchten, dass die Wirtschaftskrise nicht zuletzt zu
einem Einbruch des Ausbildungsplatzangebots führen wird.

Die Betriebsbefragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages
(DIHK) „Ausbildung 2009“ hat zu dem Ergebnis geführt, dass die Zahl der
Ausbildungsplätze voraussichtlich bereits im Jahr 2009 um 5 bis 10 Prozent
einbrechen wird. Dem ökonometrischen Prognose- und Simulationsmodell
(PROSIMA) des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zufolge ist in diesem
Jahr mit einem Angebot von etwa 580 000 Ausbildungsplätzen zu rechnen. Dies
entspräche einem Einbruch des Ausbildungsmarktes um etwa 9 Prozent.

Die Bundesregierung vertritt in ihrem Berufsbildungsbericht 2009 die Auffas-
sung, dass ein nur mäßiger Rückgang des Angebots auf etwa 600 000 Ausbil-
dungsplätze anzustreben sei und bei Erreichen als Erfolg zu werten wäre (Bun-
destagsdrucksache 16/12640). Hierüber hinaus hat der Bundesarbeitsminister
Olaf Scholz am 25. April 2009 auf dem Kongress „Junge Generation“, der im
Rahmen der Kampagne „Gutes Leben“ der IG Metall in Berlin stattfand, erklärt,

Ziel sei es, in 2009 ein ebenso hohes Angebot an Ausbildungsplätzen zu realisie-
ren wie 2008. Damals lag das Ausbildungsplatzangebot bei 635 766 Ausbil-
dungsplätzen (vgl. Ausbildungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit). 2007
hatte das Angebot noch bei 644 244 Ausbildungsplätzen gelegen. Mit dem Na-
tionalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs zwischen der Bundes-
regierung und der Wirtschaft sollten zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen
werden. Weitere 100 000 neue Ausbildungsplätze bis 2010 sollen mit dem zum
Ausbildungsjahr 2008/2009 eingeführten Ausbildungsbonus entstehen.

Drucksache 16/12950 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Verfolgt die Bundesregierung in ihrer Ausbildungspolitik das Ziel, dass das
Angebot an Ausbildungsplätzen 2009 mindestens ebenso hoch sein wird wie
im Jahr 2008 (bitte begründen)?

Wenn nein, warum nicht, und welches Ziel verfolgt die Bundesregierung in
Bezug auf das Angebot an Ausbildungsplätzen im Jahr 2009 stattdessen?

2. Wie begründet die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass von den Ju-
gendlichen mit Hauptschulabschluss oder ohne Schulabschluss inzwischen
mehr in das sogenannte Übergangssystem einmünden als in das duale und das
Schulberufssystem, und in Anbetracht von weiterhin weit über 300 000 so ge-
nannten Altbewerberinnen und Altbewerbern auf dem Ausbildungsmarkt,
dass sie es bereits als Erfolg werten will, wenn sich die Chancen der ausbil-
dungsinteressierten Jugendlichen gegenüber 2008 „nicht verschlechtern“
(vgl. Berufsbildungsbericht 2009, S. 20 f.)?

3. Auf welche Daten, Studien oder sonstigen Eindrücke stützt die Bundesregie-
rung ihre Einschätzung, dass entgegen der Ergebnisse von PROSIMA das
Ausbildungsplatzangebot im Jahr 2009 nicht auf etwa 580 000, sondern nur
auf etwa 600 000 Ausbildungsplätze zurückgehen wird?

4. Teilt die Bundesregierung die in der Anhörung zum Nationalen Bildungsbe-
richt am 9. Februar 2009 von mehreren Sachverständigen geäußerte Einschät-
zung, dass der größte durch die Wirtschaftskrise verursachte Druck auf den
Ausbildungsmarkt erst 2010 zum Tragen kommen wird (bitte begründen)?

5. a) Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um einen Einbruch des
Ausbildungsmarktes infolge der Wirtschaftskrise zu verhindern?

b) Welche spezifischen Maßnahmen plant die Bundesregierung, um zu ver-
hindern, dass die Folgen der Wirtschaftskrise auf dem Ausbildungsmarkt
wesentlich durch bereits heute benachteiligte Gruppen getragen werden
müssen?

6. a) Gibt es Gespräche zwischen dem Bundesministerium für Bildung und For-
schung oder dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Unter-
nehmen mit dem Ziel, dass diese ihre Ausbildungsplatzzahlen im Jahr
2009 nicht reduzieren?

Wenn ja:

b) Mit welchen Unternehmen wurden Gespräche geführt, und mit welchen
Ergebnissen?

c) Wurden die betreffenden Betriebsräte in die Gespräche einbezogen?

d) Welche weiteren Gespräche sind geplant?

e) Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass Ausbildungsplätze durch diese
Maßnahmen nachhaltig gesichert werden und nicht lediglich der Einbruch
des Ausbildungsmarktes auf 2010 verschoben wird?

f) Wie viele Ausbildungsplätze lassen sich nach Einschätzung der Bundes-
regierung durch Gespräche mit einzelnen Unternehmen sichern?

g) Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, falls die Gespräche mit
einzelnen Unternehmen nicht zu einer verlässlichen Stabilisierung des
Ausbildungsmarktes führen?

Wenn nein:

h) Warum nicht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12950

7. a) Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um das Ausbildungs-
platzangebot in der öffentlichen Verwaltung und in Betrieben mit Bun-
desbeteiligung zu steigern und damit wenigstens einen Teil der absehba-
ren Ausbildungsplatzkrise abzufangen?

b) Wie wird sich die Zahl der Ausbildungsplätze in den Bundesministerien
im Jahr 2009 entwickeln?

c) Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass Betriebe wie die Bundes-
agentur für Arbeit, die Deutsche Post AG oder die Deutsche Telekom AG,
in denen sie im Verwaltungsrat vertreten ist, die Zahl ihrer Ausbildungs-
plätze im Jahr 2009 erhöhen (bitte begründen), und wenn ja, mit welchem
Erfolg?

8. Wie kommt die Bundesregierung vor dem Hintergrund des im Jahr 2008 ge-
genüber dem Jahr 2007 um etwa 1,3 Prozent verringerten Angebots an Aus-
bildungsplätzen sowie einer um etwa 1,5 Prozent gesunkenen Anzahl neuer
Ausbildungsverträge zu der Einschätzung, dass die Umsetzung des Ausbil-
dungspakts, dessen Ziel die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze ist, in
diesem Jahr als Erfolg zu werten sei?

9. Wird die Bundesregierung die Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbun-
des (DGB) aufgreifen, eine Übernahmeprämie für Auszubildende aus Insol-
venzbetrieben, die von anderen Unternehmen übernommen werden, einzu-
führen (vgl. beispielsweise FR-online.de vom 1. April 2009) (bitte begrün-
den)?

10. Wird die Bundesregierung die Forderung des DGB aufgreifen, das Sonder-
programm der Bundesagentur für Arbeit für außerbetriebliche Ausbildung
wieder auszubauen und mindestens auf 40 000 Plätze und damit auf das
Niveau vergangener Jahre aufzustocken (vgl. beispielsweise FR-online.de
vom 1. April 2009) (bitte begründen)?

11. a) Auf welche Gründe führt die Bundesregierung zurück, dass die Einfüh-
rung des Ausbildungsbonus bislang „nur schleppend voran“ kommt, wie
der Präsident des BIBB, Manfred Kremer, festgestellt hat (vgl. Pressemit-
teilung des BIBB vom 26. Februar 2009)?

b) Worauf führt die Bundesregierung zurück, dass entgegen dem Ziel, mit
dem Ausbildungsbonus nicht ausbildende Betriebe für die Ausbildung
von Jugendlichen zu gewinnen, bislang fast ausschließlich bereits ausbil-
dende Betriebe den Ausbildungsbonus in Anspruch genommen haben?

c) Worauf führt die Bundesregierung zurück, dass entgegen dem Ziel, mit
dem Ausbildungsbonus insbesondere ostdeutschen Betrieben die Mög-
lichkeit zur Schaffung neuer Ausbildungsplätze zu geben, die ostdeut-
schen Betriebe den Bonus bislang nicht in besonderer Weise nutzen?

d) Teilt die Bundesregierung die vom Präsidenten des BIBB, Manfred
Kremer, geäußerte Einschätzung, dass die angestrebte Schaffung von
100 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen nur mit verstärkten Anstren-
gungen erreichbar ist?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welche zusätzlichen diesbezüglichen Anstrengungen plant die
Bundesregierung?

12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass vor dem Hintergrund der
drohenden Folgen der Wirtschaftskrise für die Berufsausbildung junger
Menschen die Schaffung eines konjunkturunabhängigen Berufsausbil-
dungssystems vorrangiges Ziel der Berufsbildungspolitik sein muss (bitte
begründen)?
Berlin, den 5. Mai 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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