BT-Drucksache 16/12948

Haltung der Bundesregierung zu Nährwertkennzeichnung und Ampelmodell

Vom 7. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12948
16. Wahlperiode 07. 05. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Karin Binder, Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann,
Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Haltung der Bundesregierung zu Nährwertkennzeichnung und Ampelmodell

Nachdem sich neben Verbraucherorganisationen wie die Verbraucherzentrale
Bundesverband e. V. – vzbv und foodwatch e. V. zunehmend mehr gesellschaft-
liche Institutionen, u. a. Krankenkassen, die Bundesärztekammer oder der Bun-
deselternrat, für eine Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln ausgesprochen
hatten, einigte sich im September 2008 die Verbraucherschutzministerkonfe-
renz (VSMK) auf ein gemeinsames Vorgehen. In ihrem Beschluss forderte sie
die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene für eine verpflichtende
Nährwertkennzeichnung einzusetzen, welche u. a. „den Gehalt der einzelnen
Nährwerte in den Farben grün, gelb und rot kennzeichnet“. Auch der damalige
Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst
Seehofer (CSU), sprach sich daraufhin für eine verpflichtende Nährwertkenn-
zeichnung mit farblicher Unterlegung aus. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er
stets für das vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz (BMELV) mit entwickelte „1+4“-Modell auf freiwilliger Basis
plädiert, welches von Teilen der Ernährungsindustrie bereits praktiziert wird.
Gleichzeitig machte Bundesminister Horst Seehofer deutlich, dass er bei der
Nährwertkennzeichnung weiterhin auf die für Frühling 2009 geplante Rege-
lung auf EU-Ebene setzt. Sollte es dort aber kein Vorankommen geben, sei
auch eine verpflichtende nationale Regelung von farbig unterlegten Nähr-
wertangaben vorstellbar.

Im November 2008 unterrichtete die Bundesregierung den Bundestagsaus-
schuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz über ihre Position
zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des
Rates betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel“. In ihrem
Bericht tritt sie „für eine praktikable und übersichtliche Ausgestaltung der
Nährwertkennzeichnung“ ein. Die Bundesregierung befürwortet dort „eine
obligatorische Nährwertkennzeichnung, die die Angabe der sechs Elemente
Brennwert, Gehalt an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlehydrate, Zucker und
Salz vorsieht. Von darüber hinausgehenden Festlegungen im Rahmen der obli-
gatorischen Nährwertkennzeichnung sollte abgesehen werden“.

Anfang Februar 2009 präsentierte foodwatch e. V. eine repräsentative Emnid-

Umfrage, laut der 67 Prozent der Befragten für eine Ampelkennzeichnung von
Lebensmitteln sind. 64 Prozent fordern notfalls einen deutschen Alleingang,
falls es nicht bald zu einer einheitlichen EU-weiten Lösung kommen sollte.
(Quelle: www.foodwatch.de/kampagnen__themen/ampelkennzeichnung/
foodwatch_umfrage/index_ger.html)

Ungefähr zeitgleich lud die Ende Oktober 2008 angetretene Bundesministerin
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner (CSU), Ver-

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treterinnen und Vertreter der Ernährungsindustrie, des Handels und der Ver-
braucherzentralen zu einem Spitzentreffen. Bei dieser als Meinungsaustausch
über unterschiedliche Modelle der Nährwertkennzeichnung deklarierten Zu-
sammenkunft stellte die Bundesministerin klar, dass sie noch in keiner Weise
festgelegt sei. Weiterhin schlug sie nach kontroverser Debatte vor, zur Vorbe-
reitung einer Entscheidung und insbesondere der in Brüssel von deutscher Seite
einzubringenden Position zeitnah eine Arbeitsgruppe unter Federführung des
BMELV einzuberufen.

Nach dem Spitzentreffen erklärte Bundesministerin Ilse Aigner, dass sie eine
Ampelkennzeichnung für vorerst gescheitert hält und „dass es in Deutschland
nur eine freiwillige Lösung geben könne, solange das Verfahren auf europäi-
scher Ebene laufe“ (Quelle: http://das-ist-drin.de/blog/archives/980-Ampel-
hin.-Ampel-her.html). Laut Medienberichten setzt die Bundesministerin auf das
„1+4“-Modell, welches sie auch als Vorschlag für die verpflichtende Nährwert-
information auf EU-Ebene einbringen will.

Mitte März 2009 hat das EU-Parlament die Beratungen über den Verordnungs-
vorschlag zur Kennzeichnung von Lebensmitteln bis nach der Europawahl aus-
gesetzt. Die Mehrheit im zuständigen Ausschuss folgte damit einem Antrag der
CDU-Europaabgeordneten und Berichterstatterin Dr. Renate Sommer. Ur-
sprünglich war eine Regelung für Frühling 2009 vorgesehen. Nun wird die ge-
plante Verordnung vermutlich erst im Herbst weiter behandelt. Die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion begrüßte diese Entwicklung ausdrücklich und bekräftigte,
dass sich damit ihre Haltung durchgesetzt habe.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen
der von der Verbraucherorganisation foodwatch e. V. in Auftrag gegebenen
Emnid-Umfrage zur Ampelkennzeichnung von Ende Januar 2009?

2. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache,
dass sich in Deutschland neben Verbraucherorganisationen wie vzbv und
foodwatch e. V. zunehmend mehr gesellschaftliche Institutionen, u. a. Kran-
kenkassen, die Bundesärztekammer oder der Bundeselternrat, für eine Am-
pelkennzeichnung aussprechen?

3. Welche Organisationen wurden nach welchen Kriterien zum Spitzentreffen
mit Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ilse Aigner am 3. Februar 2009 eingeladen, und welche Vertreterinnen und
Vertreter haben daran teilgenommen (bitte mit Namen und Funktion)?

4. Sind weitere Spitzentreffen geplant?

Fall ja, wie viele, wann und mit welchem Ziel?

5. Wann und wie oft soll sich die von Bundesministerin Ilse Aigner auf dem
Spitzentreffen angekündigte Arbeitsgruppe unter Federführung des BMELV
treffen?

6. Welche Organisationen und Personen will das BMELV nach welchen
Kriterien an der Arbeitsgruppe beteiligen?

7. Welche konkreten Inhalte sollen dort besprochen werden (bitte aufschlüs-
seln)?

8. Welche Ziele sollen mit der Arbeitsgruppe in welchem Zeitraum erreicht
werden?

9. Wie sehen die Arbeitsstrukturen zur Vor- und Nachbereitung der Arbeits-

gruppe im Detail aus?

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10. Wie gestaltete bzw. gestaltet sich der konkrete Meinungsbildungsprozess
der Bundesregierung über den EU-Verordnungsvorschlag zur Kennzeich-
nung von Lebensmitteln in der Vergangenheit und perspektivisch?

Welche Arbeitsstrukturen existieren dafür?

11. Welche Position zur Nährwertkennzeichnung hat die Bundesregierung im
Detail bislang auf europäischer Ebene vertreten, und welche wird sie zu-
künftig vertreten?

12. In welcher Form vertrat bzw. vertritt die Bundesregierung die von der
VSMK gemeinsam von Bund und Ländern geforderte Nährwertkennzeich-
nung mit Ampelfarben in der Öffentlichkeit, gegenüber Vertreterinnen und
Vertretern von Verbänden und Wirtschaft sowie bei entsprechenden Bera-
tungen auf europäischer Ebene (Rat der Europäischen Union)?

Hat sich die Position der Bundesregierung diesbezüglich in den letzten Mo-
naten verändert, und falls ja, wodurch, und in welcher Form?

13. Was hat die Bundesregierung bisher konkret unternommen, um die von der
VSMK im September 2008 beschlossene Form der Nährwertkennzeich-
nung auf EU-Ebene voranzubringen?

14. Welche Termine gab es in dieser Sache seit September 2008 auf Ebene des
Rates der Europäischen Union mit Beteiligung der Bundesregierung, und
was sind die seitherigen Diskussionsergebnisse?

15. Wie bewertet die Bundesregierung die rechtliche Zulässigkeit der Einfüh-
rung von Nährwertkennzeichnungsvorschriften durch die Mitgliedstaaten,
die über die im Januar 2008 durch die EU-Kommission vorgelegten Vor-
schriften im Verordnungsentwurf zur Lebensmittelkennzeichnung hinaus-
gehen?

16. Welche vergleichbaren Beschränkungen national weitergehender Maßnah-
men zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher bzw. zur Verbesse-
rung der Informationen der Verbraucherinnen und Verbraucher durch gel-
tendes europäisches Recht sind der Bundesregierung bekannt?

17. In wessen Interesse ist es nach Auffassung der Bundesregierung, wenn der
europäische Gesetzgeber die Einführung von weitergehenden bzw. ver-
braucherfreundlicheren Kennzeichnungsvorschriften durch die Mitglied-
staaten einschränkt bzw. untersagt?

18. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussetzung der Beratungen über
den Verordnungsvorschlag zur Kennzeichnung von Lebensmitteln bis nach
der Europawahl?

19. Welche Auswirkungen hat die vorgenannte Aussetzung der Beratungen
seitens des Europäischen Parlaments auf die entsprechenden Beratungen in
der EU-Kommission sowie im Rat der Europäischen Union?

20. Beabsichtigt die Bundesregierung angesichts der Zeitverzögerung auf
europäischer Ebene und auf nationaler Ebene im Sinne einer verpflichten-
den Nährwertkennzeichnung aktiv zu werden (bitte mit Begründung)?

21. Trifft es noch immer zu, dass Bundesministerin Ilse Aigner im Hinblick auf
die unterschiedlichen Modelle der Nährwertkennzeichnung noch in keiner
Weise festgelegt ist – wie auf dem Spitzentreffen Anfang Februar 2009 ge-
äußert?

Berlin, den 6. Mai 2009
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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