BT-Drucksache 16/12683

Unabhängige Beauftragte zur Untersuchung von Polizeigewalt

Vom 22. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12683
16. Wahlperiode 22. 04. 2009

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Wolfgang Neskovic, Ulla Jelpke, Jan Korte,
Kersten Naumann, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE.

Unabhängige Beauftragte zur Untersuchung von Polizeigewalt

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag ist besorgt, dass der UN-Menschenrechtsaus-
schuss, das Europaratskomitee gegen Rassismus und Intoleranz, der UN-
Ausschuss gegen Folter und die Europaratskommission zur Verhinderung
von Folter und erniedrigender Behandlung oder Strafe immer wieder die
Anwendung ungesetzlicher und unverhältnismäßiger Polizeigewalt in
Deutschland kritisieren muss. In der Anhörung des UN-Menschenrechts-
rates am 2. Februar 2009 wurde zuletzt auf die „exzessive Gewalt“ bestimm-
ter Strafverfolgungsbehörden in Deutschland verwiesen. Organisationen wie
amnesty international dokumentieren seit vielen Jahren Fälle unzulässiger
Polizeigewalt in Deutschland, zuletzt im Bericht „Erneut im Focus. Vor-
würfe über polizeiliche Misshandlungen und den Einsatz unverhältnismäßi-
ger Gewalt in Deutschland“ aus dem Jahr 2004.

2. Der Deutsche Bundestag bedauert, dass der UN-Ausschuss zur Beseitigung
von Rassendiskriminierung wiederholt seine Besorgnis über rassistische
Polizeigewalt in Deutschland äußern und eine Kommission des Europarats
die überproportional vielen Beschwerden über Polizeigewalt von Menschen
mit Migrationshintergrund monieren musste.

3. Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass zahlreiche Experten die Einrichtung
polizeiunabhängiger Beschwerde- und Untersuchungsmechanismen zur
Untersuchung insbesondere auch rassistischer Polizeigewalt in Deutschland
fordern. Die Empfehlung zur Einrichtung eines polizeiunabhängigen Kon-
trollmechanismus ist wiederholt auch von internationaler Ebene – von den
Vereinten Nationen und dem Europarat – an Deutschland ergangen. Zuletzt
hat der Europaratskommissar Thomas Hammarberg in seinem im Juli 2007
veröffentlichten Besuchsbericht zu Deutschland deutlich gemacht, dass die
Polizei in einer demokratischen Gesellschaft bereit sein muss, ihre Maß-
nahmen überwachen zu lassen und für diese zur Verantwortung gezogen zu
werden. Der Europaratskommissar ruft die deutschen Behörden auf, zu

diesem Zweck unabhängige Beobachtungs- und Beschwerdegremien ein-
zurichten.

4. Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass es derartige Einrichtungen bereits
in einigen anderen europäischen Ländern gibt. Beispiele auf europäischer
Ebene sind der „Menschenrechtsbeirat“ in Österreich, die „Police Comp-
laints Authority“ in Großbritannien, der „Police Ombudsman“ in Nordirland
oder der „Inspecção Geral da Administração“ in Portugal. Aufgabe solcher

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Kommissionen ist es, die „Mauer des Schweigens“ und den Korpsgeist im
Rahmen der Polizei zu durchbrechen und so eine bessere Klärung der er-
hobenen Vorwürfe zu ermöglichen. In der Bundesrepublik Deutschland gab
es erste Erfahrungen mit der Einrichtung einer ähnlichen Kommission
zwischen 1998 und 2001 in Hamburg; jedoch kam es sofort nach der Amts-
einführung des rechtspopulistischen Innensenators Roland Schill zur Schlie-
ßung dieser Kommission.

5. Der Deutsche Bundestag bedauert, dass im Mai 2008 Vertreter einer Reihe
von europäischen Staaten unter Federführung des Europarates über die Opti-
mierung diskutierten, ohne das die Bundesrepublik Deutschland teilnahm,
weil es von der Polizei unabhängige Kontrollmechanismen in Deutschland
noch nicht gibt.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im Rahmen der Innenministerkonferenz eine Initiative mit dem Ziel zu star-
ten, in allen Bundesländern und im Bund polizeiunabhängige Beschwerde-
und Untersuchungsmechanismen durch die Einrichtung unabhängiger
Beauftragter zur Untersuchung von Polizeigewalt einzurichten;

2. dem Deutschen Bundestag bis zur Sommerpause eine Konzeption für die
Einrichtung eines unabhängigen Beauftragten zur Untersuchung von Poli-
zeigewalt auf Bundesebene (Gesetzgebungskompetenz für das Bundeskri-
minalamt – BKA – und die Bundespolizei) vorzulegen und diesen Entwurf
mit den Bundesländern abzustimmen;

3. bei der Konzeption für die Einrichtung unabhängiger Beauftragter zur
Untersuchung von Polizeigewalt insbesondere zu berücksichtigen, dass

a) das Ziel der Einrichtung des/der Beauftragten auf die Prävention von
polizeilichem Fehlverhalten, die Verhinderung von Straflosigkeit für
polizeilich begangene Straftaten, das Aufdecken struktureller Defizite
innerhalb der Polizeiorganisation, die Überforderungen von Polizeibeam-
tinnen und Polizeibeamten sowie das Unterbreiten von Lösungsvor-
schläge für die Optimierung polizeilicher Handlungs- und Organisations-
strukturen ist;

b) Fälle von unverhältnismäßiger oder ungesetzlicher (u. a. rassistischer)
Polizeigewalt beobachtet, recherchiert und dokumentiert werden können.
Die Beauftragten sollen auch Anlaufstelle für die Opfer von Polizei-
gewalt sein, die häufig Angst davor haben, ihre Anzeigen gegen Polizei-
beamtinnen und Polizeibeamten bei der Polizei zu erstatten;

c) die Beauftragten zwar keine parallele Ermittlungsinstanz zur Staatsan-
waltschaft sind, ihnen aber Eingriffsbefugnisse zustehen. Dazu gehört ein
uneingeschränktes und sofortiges Akteneinsichtrecht, ein Betretungsrecht
für dienstliche Räume sowie ein Befragungsrecht. Strafprozessuale
Rechte Betroffener (Zeugen und Beschuldigte) müssen von den Beauf-
tragten beachtet werden und haben Vorrang;

d) sich die Diensträume der Beauftragten in anderen Gebäuden als die
Dienststellen der Polizei sowie des Bundesministeriums des Innern und
der Innenministerien der Länder befinden. Den Beauftragten wird auf-
grund der Vielzahl der Aufgaben ein Mitarbeiterstab eingeräumt. Dieser
darf sich nicht hauptsächlich aus ehrenamtlich tätigen Personen zusam-
mensetzen. Die Beauftragten sollen sich neben einem hauptamtlichen
Mitarbeiterstab auch ehrenamtlichen Sachverstands von Einrichtungen
wie z. B. amnesty international und vom Komitee für Grundrechte und

Demokratie bedienen können;

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e) die Beauftragten nachfolgende Aufgaben haben sollen:

– im Einzelfall unverhältnismäßige oder ungesetzliche Gewaltanwen-
dung der Polizei sowie andere gravierende Fehlverhaltensweisen zu
untersuchen und das Ermittlungsergebnis in eigener Zuständigkeit und
Verantwortung der Staatsanwaltschaft zu übermitteln sowie das Er-
gebnis den Betroffenen mitzuteilen;

– uneingeschränkt als Beschwerdestelle nach polizeilichen Fehlhand-
lungen, aber auch nach fehlerhaftem Führungsverhalten oder diskrimi-
nierenden Verhaltensweisen von Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern inner-
halb der Polizeiorganisation zur Verfügung zu stehen. Relevante
Ergebnisse der Untersuchung von Beschwerdefällen werden von den
Beauftragten in eigener Zuständigkeit und Verantwortung sowie im
Einvernehmen mit den Betroffenen an die Staatsanwaltschaft weiter-
geleitet;

– zu prüfen, ob die strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
und der Polizei zeitnah, effektiv, unparteiisch und dem Sachverhalt
angemessen durchgeführt wurden bzw. werden;

– als neutrale Beobachter von polizeilichen Großeinsätzen (z. B. De-
monstrationsgeschehen), um mit diesem Beobachterstatus auch prä-
ventiv zu wirken;

– in besonderen Fällen die Dokumentation, Verhältnismäßigkeit und
Rechtmäßigkeit von polizeilichen Routinehandlungen zu prüfen;

– regelmäßig dem Parlament über die Tätigkeit zu berichten und
Schlussfolgerungen und Politikvorschläge zu unterbreiten;

4. dem Deutschen Bundestag bis Ende Juni 2009 über die Verhandlungen mit
den Bundesländern und die ersten Schritte auf dem Weg zu unabhängigen
Kommissionen zur Untersuchung von Polizeigewalt und Repression zu
unterrichten.

Berlin, den 21. April 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Der Fall des in Polizeigewahrsam zu Tode gekommenen Oury Jalloh hat einmal
mehr gezeigt, dass die Aufklärung unzulässiger, unverhältnismäßiger staat-
licher Gewaltanwendung mit den vorhandenen Mitteln nur schwer zu erreichen
ist. Wie in zahlreichen anderen Fällen von unzulässiger Polizeigewalt oder
unzulässigem Handeln der Polizei kam es auch in diesem bundesweit beachte-
ten Fall zu keiner wirklichen Aufklärung des Geschehens, bei dem immerhin
ein Mensch im Polizeigewahrsam verbrannte.

Im konkreten Fall wurden vom Vorsitzenden Richter vor allem die (Nicht)Aus-
sagen der beteiligten Polizeibeamten dafür verantwortlich gemacht, dass es zu
keiner befriedigenden Rekonstruktion des Tathergangs kommen konnte. „Das,
was hier geboten wurde, war kein Rechtsstaat und Polizeibeamte, die in einem
besonderen Maße dem Rechtsstaat verpflichtet waren, haben eine Aufklärung
verunmöglicht. All diese Beamten, die uns hier belogen haben sind einzelne

Beamte, die als Polizisten in diesem Land nichts zu suchen haben.“ (http://
ouryjalloh.wordpress.com/) Mit diesen Worten machte der Richter Manfred

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Steinhoff seinem Unmut über das Aussageverhalten der Polizei Luft, wie er es
auch schon früher im Prozess kritisiert hatte. Zitat aus der Prozessbeobachtung
von Pro Asyl: „Dem Vorsitzenden Richter Manfred Steinhoff platzte angesichts
der offenkundigen Lügen, Widersprüche und Ungereimtheiten mehrmals regel-
recht der Kragen. Er betonte, dass ein demokratischer Rechtsstaat nicht damit
leben könne, dass Polizeibeamte vor Gericht die Unwahrheit sagen. Auch den
Hauptangeklagten ermahnte der Richter mehrmals, seine Einlassungen endlich
zu überdenken. ‚Sie sind Beamter des Landes Sachsen-Anhalt und wir leben in
keiner Bananenrepublik‘, polterte der Richter.“ (http://www.thevoiceforum.org/
node/1014)

Der spektakuläre Fall aus Sachsen-Anhalt ist jedoch kein Einzelfall. In Bremen
unterstellte die Polizei Laya Alama Condé, er sei ein Drogendealer und hätte
Kügelchen verschluckt – mit tödlicher Folge. Im Zuge eines sogenannten
Brechmitteleinsatzes starb Laya Alama Condé 2005. Auf nicht eindeutig
geklärte Weise starben unter anderem N’deye Mareame Sarr, Halim Dener,
Michael Paul Nwabuisi genannt John Achidi, Laye Konde, Zdravko Nikolov
Dimitrov, Aamir Ageeb, Arumugasamy Subramaniam, Dominique Koumadio
in staatlicher bzw. polizeilicher Obhut.

Immer wieder gehen Beschwerden von Menschen bei Flüchtlingsräten und
Opferberatungsstellen ein, die geltend machen, dass sie ohne ersichtlichen
Grund und offenbar anknüpfend allein an die Hautfarbe durch die Polizei
kontrolliert, diskriminiert und gedemütigt werden. Der zuletzt im Jahr 2004
von amnesty international vorgelegte Bereicht zum Thema Polizeigewalt in
Deutschland verdeutlicht die Notwendigkeit der Einrichtung unabhängiger
Kommissionen zur Untersuchung von Polizeigewalt und Repression, wie sie
auch von anderen Fachleuten gefordert wird. In diesem Zusammenhang gibt es
eine ganze Reihe konkreter Vorschläge zur Ausgestaltung solcher Kommissio-
nen, die sich auch an den Beispielen in anderen europäischen Ländern orientie-
ren.

Die Bereitschaft der Polizei in der Bundesrepublik Deutschland, Fehlhandlun-
gen und strukturelle Probleme von außen betrachten zu lassen, ist derzeit nur
gering vorhanden. Sie würde aber ihr Bemühen, begangene Fehler und ab-
sehbare Fehlentwicklungen zu erkennen und zu beseitigen deutlich machen.
Ein Beschwerde- und Untersuchungsgremium, dass sich mit der Anwendung
ungesetzlicher und unverhältnismäßiger sowie insbesondere rassistischer Poli-
zeigewalt beschäftigen soll, muss unabhängig sein, das heißt frei von Einfluss-
nahmen und Weisungen durch die Polizei, Staatsanwaltschaft, Ministerien oder
politisch Verantwortlichen. Solche unabhängige Institutionen können Beauf-
tragte sein, die – wie von amnesty international vorgeschlagen – die Polizei auf
Defizite und Fehlhandlungen aufmerksam machen und zu deren Beseitigung
beitragen. Diese Aufgabe kann mit der Aufarbeitung von Einzelfällen polizei-
lichen Fehlverhaltens erfüllt werden, bei denen er eigeninitiativ, aufgrund von
Beschwerden Betroffener und Zeugen, Medienberichten oder aufgrund von
Hinweisen aus der Polizeiorganisation tätig werden kann.

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