BT-Drucksache 16/12665

Neue Chancen für die berufliche Bildung

Vom 22. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12665
16. Wahlperiode 22. 04. 2009

Antrag
der Abgeordneten Patrick Meinhardt, Uwe Barth, Cornelia Pieper, Jens
Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael
Link (Heilbronn), Dr. Erwin Lotter, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk
Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Gisela Piltz, Frank Schäffler,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Neue Chancen für die berufliche Bildung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der jüngst von der Bundesregierung präsentierte Berufsbildungsbericht 2009
zeichnet noch ein recht positives Bild mit Blick auf die Situation der beruf-
lichen Bildung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Dies mag kaum ver-
wundern, da der Berichtszeitraum noch in die Phase wirtschaftlicher Stabilität
und Prosperität fiel. Die vergleichsweise hohe Zahl an abgeschlossenen Ausbil-
dungsverträgen verdeutlicht dies. Nach Datenlage des Bundesinstituts für Be-
rufsbildung (BIBB) wurden im Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis zum
30. September 2008 bundesweit 616 259 Ausbildungsverträge abgeschlossen.
Der marginale Rückgang bei der Zahl der Verträge im Vergleich zum Vorjah-
reszeitraum ist dabei primär den stark einbrechenden Bewerberzahlen in den
neuen Bundesländern und keineswegs der Unterversorgung an Ausbildungs-
plätzen geschuldet.

Deutsche Ausbildungsbetriebe haben Verantwortung übernommen. Sie tragen
jährlich mit 30 Mrd. Euro rund 80 Prozent der Ausbildungskosten und bilden
nicht selten über den eigenen Bedarf aus. Im Jahr 2008 gab es erstmals seit sie-
ben Jahren schon vor der Nachvermittlung mehr unbesetzte Stellen (19 500) als

unvermittelte Bewerber (14 500). Auch der Umstand, dass die Mehrheit der
Betriebe trotz schwieriger Wirtschaftslage ihr Ausbildungsengagement auf-
recht halten und so den Nachwuchs zu sichern beabsichtigt, verdeutlicht dies.

Doch leider steht zu befürchten, dass sich die positive Entwicklung auf dem
Ausbildungsmarkt aufgrund der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab-
schwächen oder umkehren wird. Die Ergebnisse der jüngsten IHK-Unter-
nehmensbefragung deuten darauf hin, dass das Ausbildungsangebot reduziert

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wird. Dementsprechend meldeten 27 Prozent der Betriebe, im Jahr 2009 weni-
ger Ausbildungsplätze anbieten zu können als im Vorjahr. Dies treffe insbeson-
dere auf exportorientierte Industrieunternehmen zu. Erstaunlich ist dabei, dass
73 Prozent der Unternehmen beabsichtigen, ihr Ausbildungsengagement auf-
recht zu halten oder dies gar zu steigern (vgl. „Ausbildung 2009 – Ergebnisse
einer Online-Unternehmensbefragung“, DIHK).

Unabhängig von der konjunkturellen Situation entscheidet Qualität und das
Ausmaß der Bildung und Qualifizierung unseres Nachwuchses maßgeblich
darüber, ob und wieweit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Gesellschaft auf
Dauer gesichert ist. Es gilt das in jedem jungen Menschen ruhende Potential zu
erschließen und zu fördern. Die häufig fehlende Ausbildungsreife, verschärft
durch die mit der demographischen Entwicklung einhergehenden Bewerber-
zahlen, stellt für den Wirtschaftsstandort Deutschland ein erhebliches Risiko
dar. Die Defizite bei Schulabgängern stellen bei 64 Prozent der Unternehmen
ein größeres Ausbildungshemmnis dar als die unsichere wirtschaftliche Per-
spektive (31 Prozent). Daher ist es essentiell, dass jedem jungen Menschen mit
der bestmöglichen Ausbildung eine Perspektive für sein Leben gegeben wird.
Um diese Perspektive zu eröffnen, ist ein hervorragendes Bildungssystem – von
der frühkindlichen, vorschulischen Bildung bis hin zur Erwachsenenbildung
und dem lebenslangen Lernen – notwendig.

Gerade der beruflichen Bildung kommt dabei für die Sicherung des Fachkräfte-
nachwuchses eine besondere Bedeutung zu. Die duale Berufsausbildung ist seit
Jahrzehnten eine bewährte und wichtige Quelle für den Fachkräftenachwuchs
in der Bundesrepublik Deutschland. Sie garantiert berufliche Qualifikation auf
allerhöchstem Standard. Eine der größten Stärken der beruflichen Ausbildung
besteht in ihrer Verankerung in der beruflichen Praxis. So gelingt es dem dualen
System, Ausbildungsinhalte auf dem neuesten Stand der technischen Entwick-
lung zu halten. Auch finden in Deutschland weit mehr Absolventen einer
betrieblichen Ausbildung im Anschluss daran eine Beschäftigung als Men-
schen in Ländern, in denen rein schulische Ausbildungen dominieren. Dement-
sprechend liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Finnland (20,1 Prozent) oder
Schweden (22,6 Prozent) deutlich über dem Deutschen Niveau von 14,8 Pro-
zent (vgl.: Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften, Dezember
2006). In Deutschland absolvieren rund 60 Prozent eines Jahrganges eine be-
triebliche Ausbildung. Insgesamt werden rund 1,6 Millionen junge Menschen
derzeit so ausgebildet.

Damit das System der beruflichen Bildung auch in der wirtschaftlichen Krise
funktionsfähig bleibt, muss es auf die anstehenden Herausforderungen an-
gepasst und ausgerichtet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● im Rahmen der Bildungsforschung die Effektivität der derzeitigen Maß-
nahmen zur Unterstützung und Ausprägung der Berufsfähigkeit von Schüle-
rinnen und Schülern zu untersuchen, evaluieren und darzustellen;

● sich im Einvernehmen mit den Ländern dafür einzusetzen, dass insbeson-
dere an den Schulen, die traditionell den Brückenschlag zum System der
beruflichen Bildung bilden, eine sehr viel stärkere Berufsorientierung Ein-
zug erhält. Betriebserkundungen, Praktika und Bewerbertraining müssen
ebenso eine Rolle spielen wie die Ausrichtung der Lehrinhalte und Themen,
die die Bedeutung der Wirtschaft und Technik in den Mittelpunkt rücken;

● die Förderangerbote für Schulabgänger, die nicht unmittelbar in die beruf-
liche Ausbildung übernommen werden, sondern sich im sog. Übergangs-

system (z. B. Berufsvorbereitungsjahr, berufsvorbereitende Bildungsmaß-
nahmen) befinden, sind zu reformieren und an die Bedürfnisse der Aus-
bildungsbetriebe des dualen Systems anzupassen;

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● eine von geschlechtsspezifischen Stereotypen losgelöste Berufswahlberatung
und Berufsorientierung zu unterstützen;

● den Erwerb von beruflichen Abschlüssen durch breitbandige flexible Aus-
bildungsberufe zu unterstützen. Eine kompetenz-, werte- und zielorientierte
Ausbildung, die eine umfassende und flexible berufliche Handlungsfähig-
keit ermöglicht, ist weiterhin als Leitbild der Entwicklung des Berufsbil-
dungssystems in Deutschland zu betrachten;

● die Beibehaltung des Berufsprinzips zu gewährleisten. Auch nach Ein-
führung breitbandiger flexibler Ausbildungsberufe muss die Berufsaus-
bildung die Basis für ein erfolgreiches Berufsleben legen und zugleich der
Startschuss für das lebenslange Lernen in der Arbeitswelt sein. Deshalb
muss die duale Ausbildung für alle Ausbildungsbetriebe attraktiv bleiben;

● dafür Sorge zu tragen, dass am Ende jeder Ausbildung eine anerkannte öffent-
lich-rechtliche Abschlussprüfung steht. Auch in Zukunft muss gewährleistet
sein, dass die Abschlüsse bundesweit einheitlich vor der zuständigen Stelle
erfolgen. So werden keine neuen bürokratischen Lasten verursacht;

● den Erhalt der Dualität der Berufausbildung zu garantieren. Auch in der
Zukunft muss die betriebs- und damit auftragsorientierte Qualifizierung
durch die Organisation der Berufsausbildung im Dualen System gesichert
sein, d. h. eine vernetzte Ausbildung im Verbund zwischen Betrieben,
Berufsschule und Überbetrieblichem Bildungszentrum muss Bestand haben;

● sich gegenüber den Ländern dafür einzusetzen, dass vollzeitschulische Aus-
bildungsgänge angesichts rückläufiger Schulabgängerzahlen zurückgefah-
ren und betriebliche Ausbildungsplätze vorrangig besetzt werden. Vollzeit-
schulische Ausbildungsgänge sollten nur dann genehmigt werden, wenn
sichergestellt ist, dass für die Qualifikation am Arbeitsmarkt Bedarf besteht
und betriebliche Ausbildungsplätze nicht verdrängt werden;

● die überbetrieblichen Bildungszentren in ihrer Arbeit zu unterstützen. Denn
die überbetriebliche Ausbildung ist unverzichtbar, um Aus- und Fort-
bildungsinhalte zu vermitteln, die einzelbetrieblich von kleinen, oftmals
spezialisierten Unternehmen nicht abgedeckt werden können;

● eine bessere Verzahnung von Aus-, Weiter- und Hochschulbildung zu unter-
stützen. Bildungssackgassen darf es nicht geben. Die Durchlässigkeit zwi-
schen den nationalen Bildungsteilsystemen muss maßgeblich verbessert
werden. Die Anschlussfähigkeit der unterschiedlichen Bildungswege ist eine
notwendige Voraussetzung. Durch die curriculare Abstimmung zwischen
Aus- und Weiterbildung, zwischen hochwertigen Berufsbildungsgängen und
akademischen Studiengängen, durch die Verbesserung der Anrechnungs-
möglichkeiten zwischen den Teilsystemen des Bildungssystems und einer
Vermeidung von Doppelqualifizierungen im Berufsbildungs- und Hoch-
schulsystem muss Bildung effizienter gestaltet werden;

● dafür Sorge zu tragen, dass die betriebliche Ausbildung bestmöglich im euro-
päischen Kontext positioniert wird. Die Umsetzung des Europäischen Quali-
fikationsrahmens (EQR) und des Europäischen Leistungspunktesystems
(ECVET) muss einen praktischen Mehrwert für Unternehmen und Auszubil-
dende mit sich bringen. Die herausragende Qualität der deutschen Abschlüsse
hat sich in der entsprechenden Einordnung in den Niveaustufen des Qualifi-
kationsrahmens wiederzufinden.

Berlin, den 21. April 2009
Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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