BT-Drucksache 16/12559

Anwendung des sogenannten Flughafenverfahrens

Vom 3. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12559
16. Wahlperiode 03. 04. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic, Sevim Dag˘delen, Jan Korte,
Petra Pau, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Anwendung des sogenannten Flughafenverfahrens

Teil des „Asylkompromisses“ von 1992 war die Einführung des so genannten
Flughafenverfahrens. Haben Asylsuchende keine oder gefälschte Papiere oder
kommen aus einem „sicheren Herkunftsstaat“, wird das Asylverfahren noch im
Transitbereich durchgeführt. Kommt das Bundesamt für Migration und Flücht-
linge (BAMF) zu dem Ergebnis, dass der Asylantrag als „offensichtlich unbe-
gründet“ zu gelten habe, wird die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland
verweigert. Dagegen können die Betroffenen in einem extrem verkürzten
Schnellverfahren Rechtsmittel einlegen. Folgt das Gericht dem Bundesamt, er-
folgt unmittelbar die Rückschiebung der oder des Betroffenen, auch wenn eine
richterliche Begründung (noch) nicht vorliegt. Zum Teil ist eine Abschiebung
aufgrund der fehlenden Papiere aber nicht möglich, so dass die Betroffenen zu-
nächst „feststecken“ – sie können den Transit in keine Richtung verlassen.

Da für das Flughafenverfahren enge zeitliche Fristen gelten, ist das BAMF an
einer zügigen Durchführung der Verfahren interessiert. Dabei wird unter Um-
ständen Druck auf Personen ausgeübt, die nach den einschlägigen EU-Richt-
linien als „besonders schutzbedürftig“ zu gelten haben. Am 10. März 2009 be-
richtete die „Frankfurter Rundschau“ vom Fall einer hochschwangeren Minder-
jährigen aus Kamerun, die unter anderem vor sexueller Gewalt gegen sie geflo-
hen war. Erst in letzter Minute wurde die Einreise aus dem Transitgewahrsam
heraus zur Entbindung gestattet. Von seinen ursprünglichen Plänen, die Betrof-
fene dennoch als „nicht eingereist“ zu betrachten, um sie unmittelbar nach der
Geburt ihres Kindes wieder in den Transitbereich verbringen zu können, nahm
das BAMF erst aufgrund des öffentlichen Drucks Abstand. Der Fall sei „an
Ignoranz und Menschenverachtung nicht zu überbieten“, befand eine Flücht-
lingsanwältin, Kirchenvertreter sprachen von einer Verletzung der Menschen-
würde und Missachtung der besonderen Schutzbedürftigkeit der traumatisierten
Schwangeren (ap, 17. März 2009). Wenige Tage später tauchten Meldungen
auf, wonach es sich bei diesem skandalösen Umgang mit besonders schutz-
bedürftigen Menschen keineswegs um einen Einzelfall gehandelt habe. Am
13. März 2009 berichtete die „Frankfurter Rundschau“ vom Fall einer 2007 ein-
gereisten hochschwangeren Eritreerin, die mit ihren beiden Kindern, eines von
ihnen behindert, zunächst tagelang im Transit festgehalten und verhört wurde.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Asylbewerberinnen und Asylbewerber stellten in den Jahren 1999
bis 2008 noch vor ihrer Einreise über einen internationalen Flughafen in der
Bundesrepublik Deutschland einen Antrag, und welche davon hatten nach
Auffassung der zuständigen Behörden ein Alter von

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a) 0 bis 14 Jahren,

b) 15 bis 16 Jahren,

c) 17 bis 18 Jahren,

d) 19 bis 64 Jahren,

e) über 65 Jahren,

und wie wird das Alter im Zweifelsfall von wem ermittelt (bitte nach Jahren,
Geschlecht und Flughäfen auflisten)?

2. Wie viele Flughafenverfahren wurden in den Jahren 1999 bis 2008 durchge-
führt (bitte wie in Frage 1 und nach Jahren, Geschlecht und Flughäfen auf-
listen)?

3. Wie lange war die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Flughafentransit
der 0- bis 18-Jährigen und der über 18-Jährigen (bitte nach Jahren
1999 bis 2008, Geschlecht und Flughäfen auflisten)?

4. Wie lange war die Dauer des Flughafenverfahrens der 0- bis 18-Jährigen
und der über 18-Jährigen (bitte nach Jahren 1999 bis 2008, Geschlecht und
Flughäfen auflisten)?

5. Wie viele der 0- bis 18-Jährigen in der Transitunterbringung waren unbe-
gleitet (bitte nach Jahren 1999 bis 2008, Geschlecht und Flughäfen auflisten)?

6. Wie viele der 0- bis 18-Jährigen im Flughafenverfahren waren unbegleitet
(bitte nach Jahren 1999 bis 2008, Geschlecht und Flughäfen auflisten)?

7. In wie vielen Fällen wurde die Einreise nach einem Asyl-Flughafenverfah-
ren

a) gestattet, weil keine Ablehnung als offensichtlich unbegründet erfolgte
oder weil das BAMF nicht kurzfristig entscheiden konnte,

b) gestattet, weil die 14-Tage-Frist für die verwaltungsgerichtliche Entschei-
dung über den Rechtsschutz gegen die Einreiseverweigerung abgelaufen
war,

c) gestattet, weil kein Haftantrag gestellt wurde oder ein solcher Antrag ab-
gelehnt wurde (bitte differenzieren),

d) nicht gestattet

(bitte nach Jahren 1999 bis 2008, Geschlecht und Flughäfen auflisten)?

8. In wie vielen Fällen, in denen die Einreise nicht gestattet wurde, dauerte der
weitere Aufenthalt der Betroffenen im Transitbereich

a) bis zu zwei Wochen,

b) bis zu drei Monate,

c) bis zu sechs Monate,

d) bis zu zwölf Monate,

e) bis zu 18 Monate,

f) länger als 18 Monate

(bitte nach Jahren 1999 bis 2008, Geschlecht und Flughäfen auflisten)?

9. In wie vielen der Fälle, in denen die Einreise nicht gestattet wurde, erfolgte

a) die „Zurückweisung“ in den Herkunftsstaat (bitte einzeln und nach Jah-
ren 1999 bis 2008 auflisten),

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12559

b) die Überstellung im Rahmen der jeweils geltenden Dubliner Zuständig-
keitsregelungen („Dublin I“ und „Dublin II“) an einen anderen EU-Staat
(bitte nach Jahren 1999 bis 2008 auflisten),

c) die Abschiebung in einen anderen Drittstaat (bitte nach Jahren
1999 bis 2008 auflisten)?

10. Welche Einrichtungen wurden in den Jahren 1999 bis 2008 an den betref-
fenden Flughäfen geschaffen, mit denen ein „kindgerechter“ Aufenthalt im
Transitbereich sichergestellt werden soll, und welche Einrichtungen sind
dies im Einzelnen oder welche sonstigen Vorkehrungen wurden getroffen?

11. Wie viele Fälle gab es insgesamt in den Jahren 1999 bis 2008, in denen
hochschwangere Frauen (für die arbeitsrechtlich der Mutterschutz gelten
würde) die Einreise verweigert wurde (bitte die Summe und nach Jahren
und Bundesländern auflisten)?

12. Wie viele Fälle gab es insgesamt in den Jahren 1999 bis 2008, in denen
Kinder im Flughafentransit geboren wurden (bitte nach Jahren und Flughä-
fen auflisten)?

In wie vielen dieser Fälle wurde ein Asylantrag von Amts wegen für das
Neugeborene gestellt?

Berlin, den 1. April 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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