BT-Drucksache 16/12526

Entwurf der EU-Kommission zu einer Verordnung über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft und Mitbestimmungsrechte von Beschäftigten

Vom 24. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12526
16. Wahlperiode 24. 03. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Alexander Ulrich, Monika Knoche, Dr. Lothar Bisky,
Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Werner Dreibus, Inge Höger, Dr. Hakki Keskin,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf der EU-Kommission zu einer Verordnung über das Statut der
Europäischen Privatgesellschaft und Mitbestimmungsrechte von Beschäftigten

Am 25. Juni 2008 legte die EU-Kommission den Entwurf einer Verordnung
über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft (EPG) vor. Der Entwurf
soll den Zugang kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) zum euro-
päischen Binnenmarkt erleichtern und ihre Wettbewerbs- und Leistungsfähig-
keit erhöhen. Die EPG soll als neue gemeinschaftliche Gesellschaftsform ver-
ankert werden und „auch größeren Unternehmen und Gruppen zu Gute“ kom-
men (KOM(2008) 396 endg., S. 2).

Die EPG ist im Sinne einer europäischen Gesellschaft mit beschränkter Haf-
tung konzipiert. Ein grenzüberschreitendes Merkmal ist für ihre Gründung
nicht erforderlich. Die EPG soll die Möglichkeit haben, ihren Register- und
ihren Verwaltungssitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten zu unterhalten und
ihren Satzungssitz unabhängig vom Verwaltungssitz in einen anderen Mitglied-
staat zu verlegen. Als Mindestkapital ist lediglich 1 Euro vorgesehen. Das
Registrierungsverfahren kann auch über das Internet vollzogen werden und
eine Überprüfung der Rechtsgültigkeit der EPG findet nur einmalig im Rahmen
dieses Registrierungsverfahrens statt.

Jene Bereiche die vom Verordnungsentwurf nicht geregelt sind, insbesondere
das Arbeits-, Mitbestimmungs- und Steuerrecht unterliegen weiterhin dem natio-
nalen Recht der Mitgliedstaaten. Die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer richten sich nach dem eingetragenen Sitz des
Unternehmens. Eine EPG kann demnach ihren Satzungssitz in einem Land
haben, in denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kein Recht auf Mitbe-
stimmung im Unternehmen haben und dann mehr als 500 Mitarbeiter in Deutsch-
land beschäftigen – ganz ohne Mitbestimmung (Köstler, in: Mitbestimmung,
10/2008). Verlagert ein Unternehmen seinen Satzungssitz in einen europäischen
Mitgliedstaat, müssen in Fällen, in denen mindestens ein Drittel der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer im Herkunftsmitgliedstaat beschäftigt sind, Ver-
handlungen über die Arbeitnehmermitbestimmung stattfinden. Kommt keine
Einigung zustande, gelten die Vereinbarungen über die Mitbestimmung im

Herkunftsmitgliedstaat.

Das Europäische Parlament (EP) verabschiedete am 10. März 2009 im Rahmen
eines Konsultationsverfahrens eine Stellungnahme zum oben genannten Kom-
missionsentwurf. Die Stellungnahme sieht bei der Beschäftigung von Arbeit-
nehmern in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Mitbe-
stimmungsregeln die Anwendung eines komplexen Stufensystems vor, ab dem

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Verhandlungen über die Mitbestimmung stattfinden sollen. Darüber hinaus
wird nun ein grenzüberschreitender Bezug der EPG gefordert. Dieser solle
durch die Mitgliedstaaten bzw. die EU-Kommission innerhalb von zwei Jahren
nach Eintragung der EPG kontrolliert werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

Zum Entwurf einer Verordnung über das Statut der EPG (KOM(2008) 396
endg.)

1. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Einschätzung des Deut-
schen Gewerkschaftsbundes (DGB), wonach „(m)it dem vorliegenden Ent-
wurf eines SPE-Statuts (EPG-Statuts) (…) die Möglichkeit verpasst (wurde,)
ein klares und eindeutiges Bekenntnis zu Fragen der Arbeitnehmermitbe-
stimmung abzugeben“, und dass die inhaltliche Ausgestaltung des Statuts
durch die weitgehende Satzungsautonomie „nur schwer mit einem Mindest-
maß an Rechtssicherheit zu vereinbaren ist“ (Stellungnahme des DGB zur
Europäischen Privatgesellschaft vom 29. Juli 2008)?

Wie unterscheidet sich die Auffassung der Bundesregierung ggf. von oben
zitierter Aussage?

2. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Einschätzung des Unter-
nehmensrechtlers Dr. Roland Köstler (Referatsleiter Wirtschaftsrecht der
Hans-Böckler-Stiftung), wonach der oben genannte Entwurf in Verbindung
mit den EU-weit stark differenzierten Mitbestimmungsrechten für Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer, der „Mitbestimmungsflucht Tür und Tor“
öffnen?

Wie unterscheidet sich die Auffassung der Bundesregierung ggf. von oben
zitierter Aussage?

3. Wie bewertet die Bundesregierung den oben genannten Entwurf im Hinblick
auf die Risiken für die Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern für den Fall, dass eine EPG ihren eingetragenen Sitz in ei-
nem europäischen Mitgliedstaat hat, in dem geringere oder keine Mitbestim-
mungsrechte existieren, dann aber Mitarbeiter in einem Land mit einem
höheren Niveau der Mitbestimmung beschäftigt werden?

Welchen konkreten Änderungsbedarf am oben genannten Entwurf sieht die
Bundesregierung, um Gefahren für eine Schwächung der in Deutschland
geltenden Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern abzuwenden (wenn sie keinen Änderungsbedarf sieht, bitte begründen,
warum)?

4. Wie bewertet die Bundesregierung den oben genannten Entwurf im Hinblick
auf die Risiken für die Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern für den Fall, dass ein Unternehmen seinen eingetragenen
Sitz von Deutschland in einen europäischen Mitgliedstaat verlagert?

Welchen konkreten Änderungsbedarf sieht die Bundesregierung, um die
Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Falle
einer Satzungssitzverlagerung abzusichern (wenn sie keinen Änderungsbe-
darf sieht, bitte begründen, warum)?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Verhandlungen über
die Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach
dem oben genannten Entwurf erst im Zusammenhang mit einer Satzungs-
sitzverlagerung sowie der in Artikel 38 des Entwurfs vorgesehenen Betrof-
fenheitsgrenze (ein Drittel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wer-

den im Herkunftsland beschäftigt) ausgelöst werden?

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Welchen konkreten Änderungsbedarf sieht die Bundesregierung hinsicht-
lich der oben zitierten Regelungen des Kommissionsentwurfs (wenn sie
keinen Änderungsbedarf sieht, bitte begründen, warum)?

6. Geht die Bundesregierung auf Grundlage des Kommissionsentwurfs davon
aus, dass bei Folgeverlagerungen des Unternehmenssitzes erneut über die
Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verhan-
delt werden muss?

7. Wie bewertet die Bundesregierung, dass der oben genannte Entwurf keine
Verfahrensregeln für die Verhandlung zwischen dem Leitungsorgan des Un-
ternehmens und der Vertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
über die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
definiert (etwa wer die Verhandlungspartner sind, ob diese gewählt und mit
welchen Rechten sie ausgestattet werden)?

Welchen konkreten Änderungsbedarf oder nationalen Gesetzgebungs-
bedarf sieht die Bundesregierung, um verbindliche Verfahrensregeln für
die Verhandlung zwischen Arbeitgebern und der Vertretung der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer zu etablieren (wenn sie keinen Änderungs-
bedarf sieht, bitte begründen, warum)?

8. Wie bewertet die Bundesregierung, dass zur Gründung einer EPG nach
dem oben genannten Entwurf kein grenzüberschreitender Bezug notwendig
ist?

Wie bewertet die Bundesregierung den oben beschriebenen Sachverhalt im
Hinblick auf die Möglichkeiten der missbräuchlichen Ausnutzung unter-
schiedlicher Steuer-, Sozial- und Rechtsstandards in den EU-Mitglied-
staaten?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung des oben genannten
Entwurfs seitens der Bundesnotarkammer vom 15. Oktober 2008, wonach
der Statutentwurf „weitgehend angelsächsischen Vorbildern (folgt) und
(…) damit eine Abkehr vom kontinentaleuropäischen Gesellschaftsrecht
ebenso wie vom Gemeinschaftsacquis dar(stellt) bzw. ganz (…) überwie-
gend auf Anforderungen zur Transparenz der Gesellschaftsverhältnisse
(verzichtet) und (…) eine klare Absage an ein verlässliches Registriersys-
tem (bedeute)“?

10. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Einschätzung der
Bundesnotarkammer in der in Frage 9 zitierten Stellungnahme, wonach der
Entwurf der EU-Kommission durch „(d)ie derzeit vorgesehene Trennbar-
keit von Satzungssitz und Hauptverwaltung (…) erhebliche Missbrauchs-
gefahren zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger (berge) und (…) die
Umgehung sozialer und rechtspolitischer Schutzvorschriften der Mitglied-
staaten (ermöglicht)“?

Wie unterscheidet sich die Auffassung der Bundesregierung ggf. von der in
Frage 9 zitierten Aussage?

11. Unterstützt die Bundesregierung den Ansatz der EU-Kommission, dass es
Unternehmen im Rahmen des oben genannten Entwurfs erleichtert werden
soll, den Register- und den Verwaltungssitz in unterschiedliche EU-Mit-
gliedstaaten zu verlegen (bitte begründen)?

12. Wie bewertet die Bundesregierung den oben genannten Entwurf hinsicht-
lich der Risiken der missbräuchlichen steuer-, sozial- und rechtspolitischen
Gestaltung der Unternehmensverlagerung sowie die effektive Gewährleis-
tung des Gläubigerschutzes?

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Welchen konkreten Änderungsbedarf sieht die Bundesregierung, um die
oben zitierten Risiken auszuschließen (wenn sie keinen Änderungsbedarf
sieht, bitte begründen, warum)?

Zur Stellungnahme des Europäischen Parlaments zum Entwurf einer Verord-
nung über das Statut der EPG im Konsultationsverfahren

13. Wie bewertet die Bundesregierung das Stufensystem bzw. die Schwellen-
werte, die in der oben genannten Stellungnahme für die Anwendung der
spezifischen Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern maßgeblich sind, hinsichtlich der Risiken für eine Schwächung
der in Deutschland geltenden Mitbestimmungsrechte sowie ihrer Höhe und
Praxistauglichkeit?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die oben genannte Stellungnahme hin-
sichtlich der fehlenden Regelung für die grenzüberschreitende Wahl von
Mitgliedern in einen Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat?

15. Wie bewertet die Bundesregierung die Vorkehrungen in oben genannter
Stellungnahme hinsichtlich der Informations-, Konsultations- und Mitbe-
stimmungsrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Vergleich
zu den bestehenden Regelungen zur Europäischen Aktiengesellschaft so-
wie zur Europäischen Genossenschaft?

16. Wie bewertet die Bundesregierung die oben genannte Stellungnahme des
Europäischen Parlaments hinsichtlich der Gewährleistung eines grenzüber-
schreitenden Bezugs der EPG und der hierauf gerichteten nachträglichen
Kontrollen eines solchen Bezugs?

a) Welches sind nach Auffassung der Bundesregierung wesentliche Krite-
rien zur Feststellung eines grenzüberschreitenden Bezugs der EPG?

b) In welcher Weise sollten nach Auffassung der Bundesregierung geeig-
nete Kontrollen durch die Mitgliedstaaten bzw. die EU-Kommission er-
folgen?

Allgemeine Fragen

17. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung des DGB nach einer Ergän-
zung des Kommissionsentwurfs um die Auffangregel der Europäischen
Aktiengesellschaft (bitte begründen)?

18. Wird nach Kenntnis der Bundesregierung der Rat Beschäftigung, Sozial-
politik, Gesundheit und Verbraucherschutz bezüglich des EPG-Statuts
federführend sein?

Wenn nein,

a) welche Ratsformation wird nach Kenntnis der Bundesregierung bei der
Behandlung des EPG-Statuts federführend sein, und

b) wäre nach Auffassung der Bundesregierung eine gesonderte Behand-
lung der Artikel 34 und 38 (Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern) im Rat Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesund-
heit und Verbraucherschutz denkbar und wünschenswert?

19. Teilt die gesamte Bundesregierung die Auffassung der Bundesministerin
der Justiz Brigitte Zypries, die auf der Konferenz für Arbeitnehmerver-
treter im Aufsichtsrat börsennotierter Unternehmen von DGB und Hans-
Böckler-Stiftung am 9. Dezember 2009 sagte, dass für sie klar sei, „dass
der europäische Binnenmarkt die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer

nicht gefährden dürfe“ und sie sich daher in Brüssel dafür einsetze, „dass
auch für die Europäische Aktiengesellschaft das bewährte Verhandlungs-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/12526

modell eingeführt wird und es hier keine Abstriche an der Mitbestimmung
gibt“?

20. Bestehen hinsichtlich der in den Fragen 1 bis 18 aufgeworfenen Fragen
unterschiedliche Auffassungen zwischen dem Bundesministerium für
Arbeit und Soziales, dem Bundesministerium der Justiz sowie dem Bundes-
ministerium für Wirtschaft und Technologie?

Wenn ja,

a) welche unterschiedlichen Auffassungen existieren hinsichtlich des
EPG-Statuts innerhalb der Bundesregierung, und

b) wie wird sich die Bundesregierung in den weiteren Verhandlungen in
Bezug auf die umstrittenen Punkte positionieren?

Berlin, den 24. März 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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