BT-Drucksache 16/12415

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltgesetzes (Änderung der Altfallregelung)

Vom 24. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12415
16. Wahlperiode 24. 03. 2009

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic, Sevim Dag˘delen, Kersten
Naumann, Jan Korte, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes
(Änderung der Altfallregelung)

A. Problem

Mit der Altfallregelung nach § 104a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) wollte
der Gesetzgeber „dem Bedürfnis der seit Jahren im Bundesgebiet geduldeten
und hier integrierten Ausländer nach einer dauerhaften Perspektive in Deutsch-
land Rechnung“ tragen (Begründung zu Artikel 1 Nummer 82 des Gesetzent-
wurfs der Bundesregierung zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher
Richtlinien der Europäischen Union, Bundestagsdrucksache 16/5065). Begüns-
tigt werden sollten diejenigen, „die faktisch und wirtschaftlich im Bundesgebiet
integriert sind“.

Die Bedingung einer eigenständigen Lebensunterhaltssicherung erweist sich
vor dem Hintergrund der schwierigen und vom damaligen Gesetzgeber nicht
absehbaren Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage als zu hohe Anforderung, die
dem übergeordneten Ziel einer dauerhaften Perspektive für langjährig in
Deutschland geduldete Menschen zuwiderläuft. Zum Stichtag des 28. Februar
2009 verfügten mehr als vier Fünftel der 35.040 Personen, die eine Aufent-
haltserlaubnis nach der Altfallregelung erhalten hatten, nur über eine Aufent-
haltserlaubnis „auf Probe“, d. h. 28 483 Personen konnten den Nachweis einer
eigenständigen Lebensunterhaltssicherung als Voraussetzung eines dauerhaften
Bleiberechts noch nicht erbringen (vgl. Bundestagsdrucksache 16/12247, Ant-
wort auf Frage 10, S. 6 f.). Angesichts der schwierigen Arbeitsmarktlage in-
folge der globalen Finanzkrise ist nicht damit zu rechnen, dass eine größere
Zahl dieser Personen zum Stichtag des 31. Dezember 2009 eine dauerhafte, ei-
genständige Lebensunterhaltssicherung im Sinne von § 104a Absatz 5 Auf-
enthG wird nachweisen können. Das von politischen Akteuren mit der Altfall-
regelung verfolgte Ziel, bis zu 60 000 Menschen eine dauerhafte Aufenthaltser-
laubnis zu verschaffen (vgl. Plenarprotokoll 16/103, S. 10591), würde damit
bei weitem verfehlt.

Es besteht auch dringender Handlungsbedarf, denn nach § 104a Absatz 5 Satz 5
AufenthG sollen nach der Altfallregelung erteilte Aufenthaltserlaubnisse bei

Verlängerungsanträgen nicht als fortbestehend gelten (Ausschluss der so ge-
nannten Fiktionswirkung). Dies hat zur Folge, dass Menschen mit einer solchen
Aufenthaltserlaubnis zum 1. Januar 2010 unmittelbar ausreisepflichtig werden,
wenn sie keine dauerhafte Lebensunterhaltssicherung nachweisen können, ob-
wohl sie dann bereits seit mindestens achteinhalb bzw. zehneinhalb Jahren in
Deutschland leben. Die Betroffenen müssen ihre Abschiebung fürchten und er-
leiden zudem Nachteile, wenn es später um die Anrechnung von rechtmäßigen

Drucksache 16/12415 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Voraufenthaltszeiten gehen sollte. Auch das von allen Seiten beklagte Phänomen
der „Kettenduldung“ würde sich hierdurch schlagartig verschärfen. Zum
28. Februar 2009 lebten von 102 283 geduldeten Personen 63 218 bereits seit
mehr als sechs Jahren in Deutschland (vgl. Bundestagsdrucksache 16/12247,
Antwort auf Frage 11, S. 7).

Da der künftige Deutsche Bundestag aus Zeitgründen bis zum 31. Dezember
2009 aller Erfahrung nach keine Gesetzesänderung zur Regelung der Proble-
matik bzw. zur Vermeidung der geschilderten Folgen wird beschließen können,
ist eine gesetzliche Korrektur noch in der 16. Wahlperiode erforderlich.

B. Lösung

Im Rahmen der Altfallregelung erteilte Aufenthaltserlaubnisse werden un-
abhängig vom Nachweis einer eigenständigen Lebensunterhaltssicherung als
Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 Absatz 1 AufenthG verlängert. Diese Rege-
lung soll zugleich dem 17. Deutschen Bundestag die Gelegenheit geben, nach
sorgfältiger Beratung gesetzliche Maßnahmen zur befriedigenden Regelung der
weiterhin bestehenden Problematik verbreiteter „Kettenduldungen“ zu ergrei-
fen, ohne dass sich diese zum 1. Januar 2010 noch einmal verschärft, weil eine
vermutlich fünfstellige Zahl von Menschen ihre Aufenthaltserlaubnis verliert
und in den Status der „Kettenduldung“ zurückfällt.

C. Alternativen

Beibehaltung der jetzigen Regelung, wodurch jedoch der ursprünglich an-
gestrebte Gesetzeszweck nicht erreicht würde.

D. Kosten

1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

Zwar entstehen Kosten in unbekannter Höhe durch die Gewährung von Sozial-
leistungen im Falle der Bedürftigkeit. Diese Kosten würden jedoch zu einem
großen Teil auch ohne die vorgesehene Gesetzesänderung entstehen, da es aus-
schließlich um Personen geht, die bereits in der Vergangenheit über Jahre hin-
weg und ohne eigenes Verschulden nicht abgeschoben werden konnten. Da eine
Arbeitssuche mit einer Duldung erheblich erschwert ist, erhöht die vorgesehne
Gesetzesänderung die Chance, dass die Betroffenen eine Beschäftigung finden
und zukünftig unabhängig von öffentlichen Leistungen leben können. Hier-
durch kommt es mittel- und langfristig zu Einsparungen, auch im Hinblick auf
die vergleichsweise junge Altersstruktur der Betroffenen vor dem Hintergrund
der demografischen Entwicklung in Deutschland.

2. Vollzugsaufwand

Einsparungen durch die Vermeidung aufwändiger Behörden- und Gerichts-
verfahren.

Dr. Gregor Gysi, Oskar L
afontaine und Fraktion
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12415

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes
(Änderung der Altfallregelung)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Das Aufenthaltsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. I
S. 1950), zuletzt geändert durch das Gesetz vom …
(BGBl. I S. …), wird wie folgt geändert:

In § 104a werden die Absätze 5, 6 und 7 aufgehoben und
der neue Absatz 5 wie folgt gefasst:

„(5) Die Aufenthaltserlaubnis wird als Aufenthalts-
erlaubnis nach § 23 Absatz 1 Satz 1 um mindestens zwei
Jahre verlängert.“

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 24. März 2009

reits einmal eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, Die einmal im Rahmen der Altfallregelung erteilte Aufent-

zwischenzeitlich wieder nur geduldet oder sogar abge-
schoben werden. Entsprechende Gesetzentwürfe mit zum
Teil sehr viel weitergehenden Bleiberechtsregelungen

haltserlaubnis wird grundsätzlich und ohne Nachweis einer
eigenständigen Lebensunterhaltssicherung nach § 23 Ab-
satz 1 AufenthG um mindestens zwei Jahre verlängert, um
Drucksache 16/12415 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines

Vor dem Hintergrund der vom damaligen Gesetzgeber nicht
absehbaren schwierigen Arbeitsmarktlage infolge der glo-
balen Finanz- und Wirtschaftskrise ist eine Änderung der
mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz getroffenen Altfall-
regelung erforderlich, um die ursprünglichen Ziele er-
reichen zu können. Die Hochkommissarin der Vereinten
Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, warnte vor einer
Benachteilung von Migrantinnen und Migranten als Folge
der globalen Wirtschaftskrise. Diese seien unter den ersten,
die ihren Job verlören. Die Krise treibe viele in die Illegali-
tät (epd vom 20. Februar 2009).

Der Personenkreis der zuvor langjährig geduldeten Men-
schen ist auf dem Arbeitsmarkt unter anderem wegen der
häufig – auch rechtlich bedingten – jahrelangen Erwerbs-
losigkeit, aber auch angesichts der schwierigen Anerken-
nung von im Ausland erworbenen Qualifikationen benach-
teiligt. Die mit der Wirtschaftskrise zusammenhängenden
zusätzlichen Probleme, eine lebensunterhaltssichernde Be-
schäftigung zu finden, sind den Betroffenen nicht anzu-
lasten. Auch das Grundsatzurteil des Bundesverwaltungs-
gerichts vom 26. August 2008 zur Berechnung des im
Aufenthaltsrecht nachzuweisenden Einkommens hat die
Hürden zur Erlangung eines dauerhaften Bleiberechts nach-
träglich noch einmal erhöht. Die ursprüngliche Bedingung
einer eigenständigen Lebensunterhaltssicherung als Voraus-
setzung für ein dauerhaftes Bleiberecht erweist sich vor die-
sem Hintergrund als unverhältnismäßig. Um das Ziel der
Altfallregelung einer Aufenthaltsperspektive für langjährig
geduldete und integrierte Menschen erreichen zu können, ist
den geänderten Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen.
Ohne die vorgeschlagene Gesetzesänderung könnten Zehn-
tausende ihre Aufenthaltserlaubnis zum 1. Januar 2010 ver-
lieren, obwohl sie dann bereits seit mindestens achteinhalb
bzw. zehneinhalb Jahren in Deutschland leben und ihnen
mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Perspektive
eines Daueraufenthalts eröffnet worden ist.

28 483 Personen, d. h. über vier Fünftel derer, die eine Auf-
enthaltserlaubnis nach der Altfallregelung erhalten haben,
konnten bis zum 28. Februar 2009 keine eigenständige
Lebensunterhaltssicherung nachweisen. Wie viele Personen
darüber hinaus einen bereits nachgewiesenen Arbeitsplatz
infolge der Wirtschaftskrise wieder verloren haben, ist un-
bekannt, aber auch bei diesen droht eine Nichtverlängerung
der Aufenthaltserlaubnis zum 31. Dezember 2009.

Die Änderung der Altfallregelung soll dem Gesetzgeber
aber auch die Möglichkeit eröffnen, in der nächsten Wahl-
periode eine grundsätzliche Neuregelung des Aufenthalts-
gesetzes zur Vermeidung von „Kettenduldungen“ und zur
Verankerung einer dauerhaft wirksamen Bleiberechtsrege-
lung zu treffen, ohne dass potentiell Bleiberechtigte, die be-

humanitären Kriterien folgende Bleiberechtsregelung und
gesetzliche Maßnahmen zur Vermeidung von „Kettendul-
dungen“ werden im Übrigen seit Jahren von zahlreichen ge-
sellschaftlichen Initiativen, Flüchtlings- und Selbstorganisa-
tionen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Gewerkschaften und
vielen Einzelpersonen gefordert.

In der 84. Sitzung des Innenausschusses des Deutschen
Bundestages am 28. Januar 2008 bestand bei einer Bewer-
tung der Umsetzung der Altfallregelung im Übrigen Einig-
keit darüber, dass die Hürden für die Erteilung einer Aufent-
haltserlaubnis nach § 104a AufenthG nicht niedrig gewesen
seien. Auch die Frage der Notwendigkeit einer Überarbei-
tung der Altfallregelung angesichts der geänderten Arbeits-
marktlage wurde erörtert. Die Bundesregierung betonte je-
doch, dass es keine Änderungen am Gesetz geben dürfe, so-
lange die Frist für die Antragstellung noch laufe, um nicht
den „Anreiz“ wegzunehmen, sich eine Arbeit suchen zu
müssen. Von einer solchen aufrechtzuerhaltenden „An-
reizwirkung“ kann jedoch spätestens seit dem 1. April 2009
nicht mehr ausgegangen werden. Ohnehin besteht unabhän-
gig vom Aufenthaltsgesetz eine sozialrechtliche Verpflich-
tung zur Arbeitssuche in Fällen des Bezugs öffentlicher
Leistungen.

Zumindest in Fällen eines langjährigen Aufenthalts er-
scheint die Verknüpfung der Frage eines Aufenthaltsrechts
mit der dauerhaft eigenständigen Lebensunterhaltssicherung
– über die Forderung nach einem Bemühen um eine Be-
schäftigung hinaus – als unverhältnismäßig. Der frühere
Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Gottfried
Mahrenholz, hat in diesem Zusammenhang darauf hin-
gewiesen, „dass der Wunsch des Staates, Sozialkosten zu
sparen, nicht gegen den Schutz der Menschenwürde aus-
gespielt werden darf“. Im Konfliktfalle rangiere „immer die
Achtung der Menschenwürde an erster Stelle“. Auch wenn
soziale Sicherungssysteme geringfügig belastet würden, sei
„jeder einzelne Mensch […] erst einmal eine humanitäre
Verpflichtung im Sinne des Paragrafen 1 des Aufenthalts-
gesetzes“ (Hannoversche Allgemeine ZEITUNG vom
18. Februar 2009).

Ein Gesetzgebungsverfahren in der 17. Wahlperiode könnte
die geschilderten Probleme aller Erfahrung nach schon aus
zeitlichen Gründen nicht bis zum Stichtag des 31. Dezem-
ber 2009 lösen. So nahm der Deutsche Bundestag in der
16. Wahlperiode nach der Wahl vom 18. September 2005
seine Gesetzgebungstätigkeit erst in der vierten Sitzung am
30. November 2005 auf.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1
wurden bereits vorgelegt (vgl. die Bundestagsdrucksachen
16/218, 16/369 und 16/2563). Eine wirksame und vor allem

die Perspektive eines Daueraufenthalts zu sichern. Dies gilt
auch für zunächst „auf Probe“ erteilte Aufenthaltserlaub-

Deutscher Bundestag – 16. ucksache 16/12415
Wahlperiode – 5 – Dr

nisse und für Aufenthaltserlaubnisse nach der Bleiberechts-
regelung der Innenministerkonferenz aus dem Jahr 2006.
Die Ausnahmeregelungen in Absatz 6 sind damit gegen-
standlos geworden. Die Verlängerung um „mindestens“
zwei Jahre soll es den Behörden ermöglichen, durch leicht
variierende Gültigkeitsdauern spätere Vorsprachetermine
zeitlich strecken zu können, um nicht innerhalb eines nur
sehr kurzen Zeitraums eine Vielzahl von Anträgen bear-
beiten zu müssen, wie es zum Jahreswechsel 2009/2010
infolge der alten Regelung nach § 104a Absatz 5 Satz 1
AufenthG (Gültigkeit bis zum 31. Dezember 2009) der Fall
sein wird.

Die Ermächtigungsgrundlage für die Länder nach Absatz 7
ist von keinem Bundesland in Anspruch genommen worden
und damit ebenfalls gegenstandslos.

Die Neuformulierung des Absatzes 5 bewirkt auch, dass die
so genannte Fiktionswirkung von Verlängerungsanträgen
nach § 81 Absatz 4 AufenthG auch im Rahmen der Altfall-
regelung gilt. Eine inhaltliche Begründung für die Aus-
schlussregelung nach Satz 5 des alten Absatzes 5 findet sich
in dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts-
und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union
nicht.

Zu Artikel 2

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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