BT-Drucksache 16/12222

Dioxin und Polychlorierte Biphenyle in der Umwelt

Vom 11. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12222
16. Wahlperiode 11. 03. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder
und der Fraktion DIE LINKE.

Dioxin und Polychlorierte Biphenyle in der Umwelt

Am 19. Februar 2009 fand im Niedersächsischen Umweltministerium eine An-
hörung zum Thema „Dioxin an der Ems“ statt. Dabei wurde deutlich, dass
großflächige Areale mit Polychlorierten Biphenylen (PCB) und Dioxinen zum
Teil schwer belastet sind. Infolgedessen wurden mindestens 15 Flächen im
Außendeichbereich und 13 andere Flächen gesperrt.

Zu den Dioxinen gehören zwei Klassen unterschiedlicher chlorierter Verbin-
dungen, bestehend aus 75 Polychlorierten Dibenzo-p-dioxinen (PCDD) und
135 Polychlorierten Dibenzofuranen (PCDF). Dioxine sind fettlöslich und kön-
nen sich praktisch überall in der Umwelt, auch im Fettgewebe von Menschen
und Tieren, anreichern. Einige Polychlorierte Biphenyle sind ebenfalls fettlös-
lich und haben aufgrund ihres Molekülaufbaus ähnliche chemische, physika-
lische und toxische Eigenschaften wie Dioxine. Diese werden dann dioxinähn-
liche PCB genannt. Während Dioxine als unerwünschte Nebenprodukte bei der
Herstellung chlororganischer Chemikalien oder bei Verbrennungsreaktionen
entstehen, wurden PCB für unterschiedliche Bereiche gezielt hergestellt. Da sie
schwer entflammbar sind, wurden sie im großen Stil in Transformatoren und
Kondensatoren eingesetzt. Verwendet wurden sie als Weichmacher in Lacken
und Klebstoffen, als Flammschutzmittel, als Zusatz von Fugenmassen und in
Farben. Die Gesamtmenge der weltweit hergestellten PCB wird auf bis zu
2 Millionen Tonnen geschätzt.

Während der Anhörung im Umweltministerium stellte sich heraus, dass PCB be-
sonders im Aufwuchs und in Futtermitteln (aus dem Ems-Bereich) ein Problem
darstellen, Dioxine hierbei aber nicht so eine große Rolle spielen. Allerdings
dominieren Dioxine im Boden und im Wasser. Die Ursache ist weitestgehend un-
geklärt. Laut dieser Anhörung gibt es eine Verfügung, Betriebe mit Vordeich-
flächen dann als Risikobetriebe einzustufen, wenn sie Masttiere halten, Futter
für Masttiere anbauen, oder die Bewirtschaftungsempfehlungen nicht beachten.
Der Auslösewert für PCB (überdurchschnittliche Belastung jedoch unterhalb des
Höchstwertes) wurde sowohl bei Schaf- als auch bei Rindfleisch überschritten.
Schafleber gilt aufgrund der hohen PCB und Dioxinwerte als nicht verkehrs-
fähig. Doch nicht nur im Bereich an der Ems lassen sich hohe Dioxinwerte in

Schafslebern finden. Bei einem Schafsleberscreening mit 77 Proben wurden
bei 72 überhöhte Dioxinwerte gefunden. Somit sind offensichtlich auch Tiere
betroffen, die nicht auf den Überschwemmungsflächen gehalten werden. Die
Proben stammen auch aus Gebieten ohne „Hintergrundbelastung“, in denen also
üblicherweise bereits eine Belastung vorliegt.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt eine tägliche Aufnahme
von 1 Pikogramm Dioxinäquivalenten pro Kilogramm Körpergewicht (1 pk/kg

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KG und Tag) nicht zu überschreiten. Die duldbare tägliche Aufnahmemenge
liegt bei 1 bis 4 pg/kg KG und Tag. Dioxine und Dioxinäquivalente sind kanze-
rogen, reproduktionsschädigend, führen zu Missbildungen und schädigen das
Immunsystem.

Niedersachen gab bereits im November 2008 bekannt, dass die meisten Schaf-
leberproben Dioxin- und PCB-Belastungen aufweisen. Auch in Schleswig-Hol-
stein und Mecklenburg-Vorpommern wurden belastete Schaflebern gefunden.
Im Rahmen des Verkehrsverbots für nicht sichere Lebensmittel werden Schaf-
halter infolge der hohen Leberbelastung aufgefordert, die Lebern eigenverant-
wortlich zu verwerfen.

Seit 1988 gilt in der Bundesrepublik Deutschland eine Höchstmengenregelung
für bestimmte PCB-Verbindungen in Lebensmitteln. Für Dioxine in Futter- und
Lebensmitteln gibt es seit 2002, für dioxinähnliche PCB seit 2006 EU-weit
Höchstwerte. Am 26. Februar 2009 wurde hinsichtlich der Dioxin- und PCB-
Belastung auf Bundesebene beschlossen, dass Schafslebern nicht in den Verkehr
gebracht werden dürfen. Beschlüsse für Entschädigungen bzw. Ausgleichzah-
lungen für die betroffenen Landwirte gab und gibt es nicht. Während des Fach-
gesprächs am 26. Februar 2009 im Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit (BMU) wurde deutlich, dass auch Bayern und
Nordrhein-Westfalen in Proben erhöhte Dioxin- und PCB-Belastungen feststell-
ten. Nunmehr soll geprüft werden, ob „die zuständigen Stellen eine bundesweite
Empfehlung für einen eingeschränkten Verzehr von mit Dioxinen belasteter
Schafleber geben sollen“ (http://www.bmu.de/pressemitteilungen/aktuelle_
pressemitteilungen/pm/43278.php). Das Problem der Schadstoffbelastung von
Schafslebern ist offensichtlich kein regionales, sondern ein bundesweites.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen Bundesländern wurden erhöhte Dioxin- und PCB-Belastungen
festgestellt (bitte aufschlüsseln nach Region, Boden- oder Gewässerbelas-
tung und nach Tierarten)?

2. Was sind „natürlich“ mit Dioxinen und PCB belastete – also hintergrund-
belastete – Regionen, und wie kam/kommt es zu dieser Hintergrundbelas-
tung?

3. Welche Regionen in der Bundesrepublik Deutschland gelten als „natürlich“
mit Dioxinen und PCB belastet, sind demzufolge also hintergrundbelastet?

4. Was sind die gesundheitlichen Folgen der Dioxin- und PCB-Belastung beim
Menschen?

5. Was sind die Höchstwerte für Dioxine und PCB in Nahrungsmitteln, Futter-
mitteln und in der Umwelt?

6. Wurde der Auslösewert für dioxinähnliche PCB noch in anderen Nahrungs-
mitteln als in Schafsleber überschritten, und wenn ja, in welchen, und wann
war das?

7. Was sind die Ursachen für die Dioxin- und PCB-Belastung von beispiels-
weise Schaflebern?

8. Inwieweit sind die hohen Dioxin- und PCB-Werte in Nutztieren auf belas-
tete Futtermittel zurückzuführen?

9. Warum sind die hohen Dioxin- und PCB-Werte erst jetzt bekannt geworden,
zumal der Einsatz insbesondere von Dioxinen bereits vor Jahrzehnten be-
gann, eine aktuelle Flächenbelastung erst seit dem letzten Jahr also eher
unwahrscheinlich ist?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12222

10. Wie hoch ist der durchschnittliche Verzehr an Schafsleber in der Bundes-
republik Deutschland, und in welchen Produkten und welcher Menge ist
Schafsleber verarbeitet zu finden?

11. Wie steht die Bundesregierung zu einem sofortigen bundesweiten Rückruf
sämtlicher derzeit auf dem Markt befindlicher Schafslebern und Schafs-
leberprodukte und einem zunächst befristeten Inverkehrbringungsverbot
im Sinne eines vorbeugenden Verbraucherschutzes, bis das Bundesamt für
Risikobewertung zu einer Einschätzung der gesamtem Gefahrenlage ge-
kommen ist?

12. Hält es die Bundesregierung für angebracht, auf Dioxine und PCB beson-
ders empfindlich reagierende Bevölkerungsgruppen wie Schwangere, Stil-
lende, Säuglinge und Kinder vor der Aufnahme von Schafslebern und
Schafsleberprodukten zu warnen bzw. die Verwendung in den entsprechen-
den Produkten zu verbieten?

13. Sieht die Bundesregierung vor, im Ergebnis des Fachgespräches im BMU
am 26. Februar 2009 zur Verbesserung und Absicherung der Datenlage
durch ein bundesweites Monitoringprojekt, auch andere Tierarten wie
Rinder, Schweine und Geflügel zu untersuchen, und wenn ja, in welchem
Umfang, und wenn nein, warum nicht?

14. Inwieweit ist die Bevölkerung über das Ausmaß, die Zahl und die genaue
Angabe der mit Dioxinen und PCB belasteten Flächen in der Bundes-
republik Deutschland informiert, und welche Vorsichtsmaßnahmen – bei-
spielsweise hinsichtlich des Getreideanbaus und der Weidehaltung von
Nutztieren – wurden bzw. werden getroffen?

15. Hat die Bundesregierung Kenntnisse über mögliche Grund- und Ober-
flächenbelastungen mit Dioxinen und PCB insbesondere in Gebieten, in
denen der Boden überdurchschnittlich hoch belastet ist?

16. Hat die Bundesregierung Kenntnisse über Trinkwasserbelastungen mit
Dioxinen und PCB?

17. Welche Möglichkeiten der Flächensanierung gibt es für mit Dioxinen und
PCB belastete Gebiete?

18. Wie hoch ist die Belastung der Bevölkerung mit Dioxinen und PCB, und
inwieweit wurden bzw. werden die Folgen dieser Belastung als Umwelt-
schädigungen erkannt (bitte ggf. mit statistischen Angaben)?

19. Sieht es die Bundesregierung vor, im Falle eines regionalen oder bundes-
weiten Inverkehrbringungsverbotes von Schaflebern die Landwirte zu ent-
schädigen, und wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 10. März 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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