BT-Drucksache 16/12206

Auswirkungen des "Cartesio"- Urteils des Europäischen Gerichtshofs auf die grenzüberschreitende Sitzverlagerung von Unternehmen

Vom 9. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12206
16. Wahlperiode 09. 03. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Alexander Ulrich, Dr. Lothar Bisky, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether
Dehm, Inge Höger, Dr. Hakki Keskin, Monika Knoche und der Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen des „Cartesio“-Urteils des Europäischen Gerichtshofs
auf die grenzüberschreitende Sitzverlagerung von Unternehmen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasste sich in seinem „Cartesio“-Urteil
(Rs. C-210/06) im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Artikel 234
EG-Vertrag (EGV) mit der beabsichtigten Verlegung des Verwaltungssitzes des
ungarischen Unternehmens Cartesio nach Italien. Das Unternehmen ist eine
nach ungarischem Recht gegründete Kommanditgesellschaft mit Sitz in Baja
(Ungarn). Cartesio wollte seinen Verwaltungssitz nach Italien verlegen, gleich-
wohl aber den Rechtsstatus einer Gesellschaft ungarischen Rechts mit allen
daraus resultierenden Rechten und Pflichten beibehalten. Das ungarische Han-
delsgericht verweigerte dem Unternehmen jedoch die Eintragung in das Han-
delsregister und verlangte eine Liquidation und anschließende Neugründung des
Unternehmens in Italien. Der EuGH hatte sich mit der Frage zu befassen, ob die
ungarische Praxis, wonach einem ungarischen Unternehmen verwehrt wird, sei-
nen Sitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat zu verlegen, mit der Niederlassungs-
freiheit nach Artikel 43 und 48 EGV vereinbar ist.

Der EuGH hat mit seinem „Cartesio“-Urteil vom 16. Dezember 2008 seine
Rechtsprechung in der Rechtssache „Daily Mail“ (Rs. 81/87) bestätigt: Dem-
nach können Artikel 43 und 48 EGV einen EU-Mitgliedstaat nicht daran
hindern, einer inländischen Gesellschaft die Rechtspersönlichkeit abzuerken-
nen, wenn sie ihren Verwaltungssitz in das Hoheitsgebiet eines anderen Mit-
gliedstaates verlegt. Der EuGH äußerte sich jedoch in einem obiter dictum auch
zur Möglichkeit der grenzüberschreitenden Umwandlung einer Inlands- in eine
Auslandsgesellschaft und stellt fest, dass eine Verlegung des Satzungssitzes
ohne vorherige Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft im Herkunftsland
von der Niederlassungsfreiheit gedeckt ist (Verbindungsbüro des Deutschen
Bundestags. Bericht aus Brüssel Nr. 3/2009, S. 6 bis 7).

Weiterhin kündigte die EU-Kommission (KOM) im Rahmen der Folgenabschät-
zung einer 14. Gesellschaftsrechtslinie an, dass sie weitere EU-Rechtsinitiativen
hinsichtlich der grenzüberschreitenden Verlegung des Satzungssitzes von Kapi-
talgesellschaften im Nachgang und in Kenntnis des „Cartesio“-Urteils des
EuGH erwägt (SEK(2007) 17007, S. 6).
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welcher weitere Rechtssetzungsbedarf auf EU-Ebene ist nach Auffassung
der Bundesregierung erforderlich, um die Verlagerung des Verwaltungs- und/
oder des Satzungssitzes von Unternehmen innerhalb der EU zu regulieren?

Drucksache 16/12206 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
2. Wie bewertet die Bundesregierung den Ansatz der EU-Kommission, es Un-
ternehmen im Rahmen des Vorschlags für eine Verordnung zur Europäischen
Privatgesellschaft (KOM(2008) 396 endg.) zu erleichtern, den Register- und
den Verwaltungssitz in unterschiedliche EU-Mitgliedstaaten zu verlegen?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Risiken der missbräuchlichen steuer-,
sozial- und rechtspolitischen Gestaltung der Unternehmensverlagerung so-
wie die effektive Gewährleistung des Gläubigerschutzes im Rahmen des in
Frage 2 zitierten Kommissionsentwurfs?

4. Erwartet die Bundesregierung auf Grundlage des „Cartesio“-Urteils weitere
Initiativen der EU-Kommission zur Erleichterung der grenzüberschreitenden
Sitzverlagerung von Unternehmen, etwa im Rahmen einer 14. Gesellschafts-
rechtsrichtlinie (Antwort bitte begründen)?

a) Welchen Schwerpunkt werden die in Frage 4 angesprochenen Initiativen
nach Einschätzung der Bundesregierung im Hinblick auf die grenzüber-
schreitende Sitzverlagerung von Unternehmen ggf. haben?

b) Welchen Schwerpunkt sollten diese Initiativen nach Auffassung der Bun-
desregierung im Hinblick auf die grenzüberschreitende Sitzverlagerung
von Unternehmen haben?

Berlin, den 9. März 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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