BT-Drucksache 16/12204

Arbeit in- und ausländischer Sicherheitsbehörden anlässlich des NATO-Gipfels

Vom 9. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12204
16. Wahlperiode 09. 03. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Diether Dehm, Heike Hänsel,
Inge Höger, Norman Paech, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

Arbeit in- und ausländischer Sicherheitsbehörden anlässlich des NATO-Gipfels

Anfang April 2009 findet in Strasbourg sowie im südbadischen Raum ein Gipfel
des Militärbündnisses NATO statt, auf dem dieses zugleich seinen 60. Grün-
dungstag feiert.

Die NATO ist seit dem Ende des Kalten Krieges das stärkste Militärbündnis der
Welt. Mit ihrem Angriffskrieg auf Jugoslawien 1999 hat sie ihren Anspruch auf
globale Vorherrschaft auch unter Bruch des Völkerrechts zementiert. Die
NATO-Strategie sieht Kriegseinsätze weit außerhalb ihres Bündnisgebietes vor.
Das Bündnis betreibt eine offensive Ausdehnungspolitik vor allem im osteuro-
päischen Raum und fordert seine Mitgliedstaaten zu rasanter Aufrüstung auf.

Gegen die „Jubelfeier“ des Bündnisses wird es daher starke und berechtigte Pro-
teste geben. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben schon vor Monaten damit
begonnen, die Proteste zu verunglimpfen. Vor allem das baden-württember-
gische Innenministerium und dessen Verfassungsschutz warnen vor angeblich
gewaltbereiten Demonstrantinnen und Demonstranten. Der Einsatz von rund
14 000 Polizisten ist angekündigt worden. Der Leiter der Kriminaldirektion
Rastatt/Baden-Baden hat angekündigt, „eine Art Schutzglocke“ über die Kern-
stadt Baden-Badens zu legen. Gefangenensammelstellen für Demonstrantinnen
und Demonstranten sind in Vorbereitung. Der Bundeswehr liegen die ersten
Amtshilfeersuchen vor. Protestcamps sind bis heute keine Genehmigungen
erteilt worden, Versammlungsanmeldungen wurden nicht bestätigt. Dies lässt
befürchten, dass der NATO-Gipfel in einem ähnlichen Klima wie der G8-Gipfel
in Heiligendamm stattfinden wird, als Gipfelgegner „zu Feinden erklärt“ wor-
den seien, wie der Anwalt Sönke Hilbrans bei einer Anhörung der Fraktion
DIE LINKE. sagte (junge Welt, 3. Juli 2007).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Angehörige des Bundeskriminalamts, der Bundespolizei, der
Bundeswehr, des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Bundesnachrich-
tendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes sollen anlässlich des
NATO-Gipfels eingesetzt werden (bitte getrennt darstellen und jeweilige

Funktionen und Aufgaben benennen)?

2. Welche Amtshilfeersuchen liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt an die Bun-
deswehr vor?

a) Was ist der jeweilige Inhalt des Ersuchens, wer ist Antragsteller, wie viele
Soldaten sollen mit welchen Funktionen eingesetzt werden, und wie ist
der Bearbeitungsstand des Ersuchens?

Drucksache 16/12204 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

b) Welche Gerätschaften und welche Ausrüstung der Bundeswehr sollen,
verwendet werden?

c) Welche noch ausstehenden Amtshilfeersuchen sind der Bundesregierung
von wem angekündigt worden?

3. Welche Unterstützungsanforderungen nichtbehördlicher Antragsteller an
die Bundeswehr liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor?

a) Was ist der jeweilige Inhalt der Anträge, wer ist Antragsteller, wie viele
Soldaten sollen mit welchen Funktionen eingesetzt werden, und wie ist
der Bearbeitungsstand des Ersuchens?

b) Welche Gerätschaften und welche Ausrüstung der Bundeswehr sollen
verwendet werden?

c) Welche noch ausstehenden Unterstützungsersuchen Dritter sind der
Bundesregierung von wem angekündigt worden?

d) Wie viele Bundeswehrsoldaten werden in Zusammenhang mit dem
NATO-Gipfel außerdem noch eingesetzt werden, mit welchen Aufga-
ben, an welchen Orten, mit welcher Ausrüstung, welchen Gerätschaften,
welcher Bewaffnung?

4. Wird die Bundeswehr in Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel Militäri-
sche Sicherheitsbereiche einrichten oder das Hausrecht übernehmen, und
wenn ja, wann, an welchen Orten, und warum?

5. Welche Amtshilfeersuchen sowie sonstige Unterstützungsanforderungen
liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt an weitere Bundesministerien bzw.
- behörden vor (bitte nach dem Schema von Frage 3 beantworten) bzw. sind
angekündigt worden?

6. Ist von Seiten der Bundeswehr, des französischen Militärs und/oder weite-
rer Staaten bzw. der NATO der Einsatz von AWACS-Flugzeugen (AWACS
– Airborne Early Warning and Control System) und/oder, Aufklärungs-
drohnen beabsichtigt, und wenn ja, von wem genau und innerhalb welchen
Zeitraums (bei Drohnen: wie viele)?

7. Inwiefern sind Strukturen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit in Zu-
sammenhang mit dem NATO-Gipfel bereits tätig geworden, sollen noch
tätig oder in Bereitschaft gehalten werden?

Welche Kreis-, Bezirksverbindungs- und Landeskommandos sind davon in
welchem Umfang betroffen (bitte detailliert darstellen)?

8. Inwiefern ist das Technische Hilfswerk in Zusammenhang mit dem NATO-
Gipfel bereits tätig geworden, soll noch tätig oder in Bereitschaft gehalten
werden?

9. Welche Gesamtkosten fallen in Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel für
den Bund an, und aus welchen Ressorts werden diese bestritten (bitte detail-
liert darstellen)?

10. Welche genauen Aufgaben sollen das Bundeskriminalamt und die Bundes-
polizei beim Einsatz zum NATO-Gipfel übernehmen (bitte getrennt auf-
listen)?

11. Zwischen welchen Behörden wurde, nachdem feststand, dass der NATO-
Gipfel in Strasbourg sowie in der südbadischen Region stattfinden wird, auf
welchen Sitzungen und wann die Sicherheitskonzepte entwickelt, und wel-
che Stellen waren daran beteiligt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12204

12. Wie viele Vertreter des Bundeskriminalamts, der Bundespolizei und der
Bundeswehr sind in welcher Weise und seit wann in die Arbeit der Beson-
deren Aufbauorganisation (BAO) „Atlantik“ eingebunden, und in welche
Einsatzabschnitte dort?

13. Inwiefern wird die Bundesregierung über die polizeilichen Sicherheitsstra-
tegien des Landes Baden-Württemberg sowie der französischen Behörden
informiert, und welche Kenntnis hat die Bundesregierung hinsichtlich der

a) beabsichtigen Zahl der eingesetzten deutschen Polizeibeamten,

b) beabsichtigten Zahl der eingesetzten französischen Polizei- sowie Gen-
darmeriebeamten,

c) Bereithaltung von Gefangenensammelstellen sowie deren Beschaffen-
heit (mobil, stationär),

d) geplanten Überwachung eines Protestcamps in Strasbourg?

14. Welche Personendateien, insbesondere so genannte Störerdateien, welcher
deutscher Sicherheitsbehörden werden im Rahmen der Sicherung des
NATO-Gipfels herangezogen, und inwiefern erhalten französische Behör-
den bzw. dritte Stellen (welche?) Kenntnis von solchen Datensätzen sowie
deutsche Behörden Kenntnis von Personendatensätzen (welchen) französi-
scher oder dritter (welcher?) Stellen?

15. Inwiefern ist das Bundeskriminalamt am Akkreditierungsverfahren für
Journalistinnen und Journalisten beteiligt (bitte ggf. nach einzelnen
Tagungsorten Strasbourg, Kehl, Baden-Baden u. a. getrennt darstellen), und
auf welche Dateien stützt sich das Bundeskriminalamt dabei?

16. Wie viele Vertreter des Bundeskriminalamts, der Bundespolizei und der
Bundeswehr sind in den in Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel tätigen
Planungs- und Vorbereitungsgremien, Stabsbereichen, Sachbereichen, Füh-
rungszentren, Lage- und Analysestäben in welcher Weise, und seit wann
eingebunden, und was sind dort ihre konkreten Aufgaben?

17. Hat das Bundeskriminalamt in Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel eine
Datei mit Datensätzen zu Personen, Gruppen und Objekten eingerichtet,
und wenn ja, mit welcher Bezeichnung, wie viele Datensätze (getrennt nach
Personen, Gruppen und Objekten) enthält diese, seit wann wird sie geführt,
und was ist Grundlage für die Einspeisung dieser Daten?

a) Auf welcher Rechtsgrundlage basiert die Errichtungsanordnung?

b) Aus welchen Quelldateien welcher Sicherheitsbehörden werden Daten
in diese Datei eingespeist?

18. Inwiefern fließen in die Arbeit des Bundeskriminalamts im Zusammenhang
mit dem NATO-Gipfel auch Erkenntnisse aus der Datei „G8“ ein, und wie
viele Datensätze enthält diese (bitte getrennt nach Personen, Gruppen und
Objekten darstellen)?

19. Hat sich das „Gemeinsame Terrorabwehrzentrum“ in Berlin in Lagesitzun-
gen und Arbeitsgruppen mit der Sicherheitslage beim NATO-Gipfel be-
fasst, und wenn ja, wann, und wie oft?

Unter welchen Aspekten spielten die geplanten Proteste gegen den Gipfel
eine Rolle?

20. Mit welchen internationalen bzw. ausländischen Sicherheitsbehörden haben
welche bundesdeutschen Sicherheitsbehörden in welchem Rahmen Infor-
mationen zum Schutz des NATO-Gipfels und über zu erwartende Protestak-

tionen ausgetauscht?

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Welche Kooperationseinrichtungen auf europäischer und bilateraler Ebene
sind in Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel tätig bzw. welche sind hier-
für eingerichtet worden?

21. Welche bundesdeutschen Sicherheitsbehörden haben wie und mit wie vie-
len Beamten die Aufklärung über die Gefahren des internationalen Terroris-
mus im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel in Zusammenarbeit mit in-
ternationalen Sicherheitsbehörden betrieben, und inwiefern ist die BAO
Atlantik hieran beteiligt bzw. eingebunden?

22. Inwiefern haben sich das Situation Center sowie das deutsch-französische
Lagezentrum in Kehl mit dem NATO-Gipfel beschäftigt, und welche Auf-
gaben soll das Lagezentrum während des Gipfels wahrnehmen?

23. Wie ist bezogen auf den NATO-Gipfel die Zusammenarbeit mit auslän-
dischen Sicherheitsbehörden generell und mit französischen Sicherheitsbe-
hörden im Besonderen geregelt?

24. Wie viele deutsche Bundeskriminalamts-, Bundespolizei- und Bundes-
wehrvertreter sollen auf französischem Boden eingesetzt werden, und wel-
che Befugnisse haben sie dort, und gehört dazu eine Waffentrageerlaubnis?

25. Wie viele Angehörige französischer und weiterer ausländischer Sicherheits-
behörden (incl. Militär; die Sicherheitsbehörden bitte einzeln benennen und
getrennt darstellen) sollen auf deutschem Boden eingesetzt werden?

a) Welche Befugnisse haben sie dabei?

b) Gehört dazu eine Waffentrageerlaubnis?

c) Werden die ausländischen Beamten von deutschen Beamten begleitet,
und wenn ja, von Länderpolizeien, der Bundespolizei oder dem Bundes-
kriminalamt?

d) Auf welchen Ebenen, in welcher Funktion werden die ausländischen
Beamten eingesetzt?

26. Welche konkreten Hinweise auf tatsächliche terroristische Bedrohungen
liegen den bundesdeutschen Sicherheitsbehörden in Zusammenhang mit
dem NATO-Gipfel vor?

27. Inwiefern werden antimilitaristische Organisationen, die zu Protestaktionen
aufrufen, bzw. potentielle Demonstrantinnen und Demonstranten vom
Bundeskriminalamt, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, der General-
bundesanwaltschaft und ggf. anderen Sicherheitsbehörden des Bundes
beobachtet, um welche Organisationen handelt es sich dabei, und warum
werden diese beobachtet?

Verfügen die Behörden über konkrete Anhaltspunkte über bevorstehende
Straftaten, und wenn ja, welche?

28. Auf welche Weise ist die Deutsche-Bahn-AG-eigene Security in die Sicher-
heitsmaßnahmen eingebunden, und inwieweit wird auf das allgemeine
Bahn-Personal in Zügen und auf Bahnhöfen zur Informationsbeschaffung
für die Sicherheitsbehörden zurückgegriffen?

29. Beabsichtigt die Bundesregierung, das Land Baden-Württemberg aufzu-
fordern, die Grundrechte von Demonstrantinnen und Demonstranten zu
wahren, um solche Ereignisse wie während des G8-Gipfels 2007 in Hei-
ligendamm wie großräumige Demonstrationsverbote, Käfighaltung von
Gipfelgegnern, Verweigerung des Zugangs von Strafverteidigern zu Fest-
genommenen usw. zu vermeiden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/12204

30. Ist beabsichtigt, das Schengen-Abkommen zu suspendieren und Grenzkon-
trollen an den deutsch-französischen bzw. deutsch-schweizerischen Gren-
zen durchzuführen, und wenn ja, an welchen, und innerhalb welchen Zeit-
raums?

31. Inwiefern hat sich das Situation Center mit dem NATO-Gipfel beschäftigt?

32. Welche Kosten sind im Bereich des Bundeskriminalamts, der Bundespoli-
zei, dem Bundesamt für Verfassungsschutz für Tätigkeiten in Zusammen-
hang mit dem NATO-Gipfel kalkuliert?

33. Welche Gesamtkosten werden schätzungsweise in Zusammenhang mit dem
NATO-Gipfel insgesamt entstehen, und welche werden auf die deutsche
Seite zukommen (bitte detailliert darstellen)?

34. Welche Informationen hat die Bevölkerung der besonders betroffenen Re-
gionen und Städte über die bevorstehenden Sicherheitsmaßnahmen erhalten,
und inwieweit beteiligt sich die Bundesregierung an diesen Informationen?

Berlin, den 9. März 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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