BT-Drucksache 16/12154

Anwendung des § 129 Strafgesetzbuch gegen Organisierte Kriminalität

Vom 3. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12154
16. Wahlperiode 03. 03. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic und der Fraktion DIE LINKE.

Anwendung des § 129 Strafgesetzbuch gegen Organisierte Kriminalität

Bürgerrechtliche Kritiker sehen im § 129 des Strafgesetzbuches (StGB) „Mit-
gliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ vor allem ein gegen politische Geg-
ner gerichtetes Ermittlungsinstrument, das den Ermittlungsbehörden zahlreiche
Sondervollmachten gibt. Tatsächlich richtete sich der § 129 StGB von 1871 bis
1945 gleichlautend gegen eine „staatsfeindliche Verbindung“. Betroffen waren
während des Sozialistengesetzes im Kaiserreich Funktionäre der Sozialdemokra-
tie und in der Weimarer Republik Funktionäre der KPD. In den 50er Jahren wurde
der nun dem Namen nach gegen „kriminelle Vereinigungen“ gerichtete Paragraph
erneut gegen die KPD angewendet. Auch in den letzten Jahren fand der § 129
StGB Anwendung gegen politische Gruppierungen insbesondere dann, wenn
sich vorangegangene Terrorismusvorwürfe nach § 129a StGB nicht aufrechter-
halten ließen. So werden mutmaßliche Kader der Arbeiterpartei Kurdistans PKK
seit Ende der 90er Jahre nicht mehr wegen § 129a StGB sondern wegen § 129
StGB verfolgt und regelmäßig auch verurteilt. Nach Beschlüssen des Bundesge-
richtshofes wurden 2007 anfangs unter § 129a StGB geführte Ermittlungen we-
gen Farb- und Brandanschlägen auf den § 129 StGB „runtergestuft“. Gegen drei
mutmaßliche Mitglieder der „militanten gruppe (mg)“ wurde deswegen inzwi-
schen Anklage erhoben.

Offen bleibt, wie weit der § 129 StGB gegen schwere Verbrechen im Rahmen der
so genannten Organisierten Kriminalität (OK, nach der gültigen Definition der
gemeinsamen Arbeitsgruppe Polizei/Justiz von 1990) wirksam wird, als deren ty-
pische Ausprägungsformen das Bundesministerium des Innern Rauschgifthandel
und -schmuggel, Schleuser-, Eigentums- und Wirtschaftskriminalität nennt. Nach
dem aktuellen Lagebild „Organisierte Kriminalität 2007“ waren im Jahr 2007 ins-
gesamt 602 Ermittlungsverfahren mit 10 356 Tatverdächtigen in der Bundes-
republik Deutschland anhängig (http://www.bmi.bund.de/nn_165126/Internet/
Content/Themen/Kriminalitaet/DatenundFakten/Organisierte__Kriminalitaet__
de.html).

Kritikern zufolge eigne sich der § 129 StGB kaum für die strafrechtliche Wür-
digung Organisierter Kriminalität, da der hierfür erforderliche Nachweis der
Unterordnung des Einzelnen unter einen für alle verbindlichen Gesamtwillen ent-
weder nicht zu führen sei oder weil OK in der Bundesrepublik Deutschland in an-
deren als in den hierarchischen Strukturen krimineller Vereinigungen stattfinde,

befindet zum Beispiel der Dozent für Politologie an der FU Berlin und Redakteur
der Zeitschrift „Bürgerrechte und Polizei/CILIP“ Norbert Pütter. „Dennoch spielt
der § 129 eine erhebliche Rolle bei der Verfolgung Organisierter Kriminalität, da
mit ihm eine Fülle von Eingriffsermächtigungen verbunden sind. Gelegentlich
wird der Paragraph auch als Zuweisungskriterium innerhalb der Strafverfol-
gungsorgane benutzt. Beides führt dazu, dass OK-Ermittlungen häufig als § 129-
Ermittungen beginnen, es regelmäßig jedoch zu keinen Verurteilungen wegen der

Drucksache 16/12154 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung kommt.“ (Norbert Pütter: Orga-
nisierte Kriminalität, in: Hans-Jürgen Lange, Hg.: Kriminalpolitik, Wiesbaden
2008, S. 161.)

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Beschuldigte nach § 129
StGB wurden seit 1990 entweder vom Generalbundesanwalt eingeleitet oder
von den einleitenden Länder-Staatsanwaltschaften an diesen abgegeben (bitte
nach Jahren aufschlüsseln)?

a) Wie viele dieser Verfahren richteten sich gegen die Organisierte Krimina-
lität (nach der Definition der gemeinsamen Arbeitsgruppe Polizei/Justiz
von 1990)?

b) Wie viele dieser Verfahren richteten sich gegen politisch motivierte Ver-
einigungen (bitte aufschlüsseln nach betroffenen Gruppierungen bzw.
links- und rechtsmotivierten Vereinigungen sowie Vereinigungen mit Aus-
landsbezug)?

2. In wie vielen vom Generalbundesanwalt eingeleiteten oder von den einleiten-
den Länder-Staatsanwaltschaften an diesen abgegebenen Ermittlungsverfah-
ren nach § 129 StGB seit 1990 kam es zu einer Anklageerhebung nach § 129
StGB bei wie vielen Beschuldigten (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

a) Wie viele Anklageerhebungen richteten sich gegen die Organisierte Kri-
minalität (nach der Definition der gem. Arbeitsgruppe Polizei/Justiz von
1990)?

b) Wie viele Anklageerhebungen richteten sich gegen politisch motivierte
Vereinigungen (bitte aufschlüsseln nach betroffenen Gruppierungen bzw.
links- und rechtsmotivierten Vereinigungen sowie Vereinigungen mit Aus-
landsbezug)?

3. In wie vielen vom Generalbundesanwalt eingeleiteten oder von den einleiten-
den Länder-Staatsanwaltschaften an diesen abgegebenen Ermittlungsverfah-
ren nach § 129 StGB seit 1990 kam es zu einer Verurteilung nach § 129 StGB
bei wie vielen Angeklagten (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

a) Wie viele Verurteilungen betrafen den Bereich der Organisierten Krimi-
nalität (nach der Definition der gem. Arbeitsgruppe Polizei/Justiz von
1990)?

b) Wie viele Verurteilungen betrafen politisch motivierte Vereinigungen (bitte
aufschlüsseln nach betroffenen Gruppierungen bzw. links- und rechtsmoti-
vierten Vereinigungen sowie Vereinigungen mit Auslandsbezug)?

4. In wie vielen vom Generalbundesanwalt eingeleiteten oder von den einleiten-
den Länder-Staatsanwaltschaften an diesen abgegebenen Ermittlungsverfah-
ren nach § 129 StGB seit 1990 kam es zu einem Freispruch nach § 129 StGB
bei wie vielen Angeklagten?

a) Wie viele Freisprüche betrafen den Bereich der Organisierten Kriminalität
(nach der Definition der gem. Arbeitsgruppe Polizei/Justiz von 1990)?

b) Wie viele Freisprüche betrafen politisch motivierte Vereinigungen (bitte
aufschlüsseln nach betroffenen Gruppierungen bzw. links- und rechtsmo-
tivierten Vereinigungen sowie Vereinigungen mit Auslandsbezug)?

5. Wie sind die Fragen 1 bis 4 in Bezug auf § 129-StGB-Verfahren der Länder-
Staatsanwaltschaften zu beantworten, soweit diese Verfahren von der Bundes-
regierung erfasst werden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12154

6. In wie vielen der seit 1990 unter dem Anfangsverdacht der Bildung einer
„kriminellen Vereinigung“ nach § 129 StGB eingeleiteten Ermittlungsver-
fahren gegen Organisierte Kriminalität wurde dieser Vorwurf im Verlauf der
Ermittlungen zugunsten anderer Straftatbestände fallen gelassen (bitte nach
Jahren und den zehn häufigsten Straftatbeständen aufschlüsseln)?

7. In wie vielen Fällen wurden Verdachtsfälle von Organisierter Kriminalität
anderweitig erledigt, indem über entsprechende Absprachen in der AG Status
beim „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“ eine Ausweisung der
Verdächtigen erwirkt wurde (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

8. Erkennt die Bundesregierung eine im Vergleich zu anderen Straftatbeständen
weit überdurchschnittliche Diskrepanz zwischen der Zahl der eingeleiteten
Ermittlungsverfahren nach § 129 StGB und der Zahl der eröffneten Haupt-
verfahren, und wenn ja, wie erklärt sie sich diese Diskrepanz?

9. Welche sind die nach Kenntnis der Bundesregierung im Bereich der OK typi-
schen oder vorrangig anzutreffenden Organisationsformen?

a) Inwieweit werden diese Organisationsformen durch den Vereinigungsbe-
griff des § 129 StGB erfasst?

b) Welche anderen Strafrechtsparagraphen können Anwendung finden,
wenn der § 129 StGB diese Organisationsformen nicht erfasst?

10. Inwieweit sieht die Bundesregierung im § 129 StGB ein geeignetes Mittel zur
Verfolgung von Straftaten der Organisierten Kriminalität?

11. Welche der bei Ermittlungen nach § 129a StGB zur Verfügung stehenden
Eingriffsermächtigungen stehen den Ermittlungsbehörden bei Ermittlungen
wegen § 129 StGB nicht zur Verfügung?

Berlin, den 2. März 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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