BT-Drucksache 16/11806

Verwendung von Elektroschockwaffen durch deutsche Sicherheitskräfte

Vom 28. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11806
16. Wahlperiode 28. 01. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic, Heike Hänsel, Kersten
Naumann, Petra Pau, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

Verwendung von Elektroschockwaffen durch deutsche Sicherheitskräfte

Elektroschock-Distanzwaffen („Taser“) sind weltweit bei Polizeien, Militärs
und Wachschutzunternehmen in zunehmendem Maße im Einsatz. In der Bun-
desrepublik Deutschland wurden in zahlreichen Bundesländern Probeläufe mit
der Anwendung von Elektroschockwaffen bei den Polizeien durchgeführt.

Die Funktionsweise dieser Waffen basiert darauf, dass an Drähten befestigte
Nadeln auf die Zielperson gefeuert und anschließend Stromstöße von bis zu
50 000 Volt durch den Körper gejagt werden, so dass es zu einer kurzfristigen
Lähmung kommt. In der Entwicklung sind gegenwärtig auch „Liquid-Taser“,
die Stromimpulse mittels leitfähiger Flüssigkeiten übertragen.

Die Hersteller preisen die Waffe als angeblich ungefährliches Instrument, das die
Handlungsmöglichkeiten der Anwender um ein wichtiges „nonletales“ Mittel er-
weitere. Tatsächlich sind Elektroschockwaffen aber hochgefährliche Geräte, wie
Menschenrechtsorganisationen immer wieder betonen. Das französische Netz-
werk Raid-H verweist auf eine Untersuchung in den USA. Nach Angaben der Zei-
tung „Arizona Republic“ seien im Zeitraum von 1999 bis 2005 167 Menschen in
den USA und Kanada nach Angriffen mit einer Taserwaffe gestorben (http://
www.raidh.org/RAIDH-devoile-la-liste-des-167.html). In 27 Fällen hätten Ge-
richtsmediziner erklärt, der Taser sei eine Todesursache, habe zum Tod beige-
tragen oder könne als Todesursache nicht ausgeschlossen werden. Amnesty In-
ternational Schweiz erklärt: „Alleine zwischen 2002 und 2007 hat AI in den USA
und in Kanada mehr als 290 Fälle dokumentiert, bei denen Menschen im Rahmen
eines ‚Taser‘-Einsatzes gestorben sind“ (http://www.amnesty.ch/de/themen/
schweiz/taser/umwerfende-spannung). Besonders riskant scheinen Elektro-
schockwaffen für Personen zu sein, die an Herzkrankheiten leiden oder unter Dro-
geneinfluss stehen.

Da die „Taser“ von der Industrie als ungefährlich bezeichnet werden, ist zu be-
fürchten, dass sich Sicherheitskräfte zu einem vorschnellen Einsatz dieser
Waffe verleiten lassen, ggf. auch um „störende“ Personen schneller zu diszi-
plinieren, als dies mit herkömmlichen polizeilichen Mitteln möglich wäre. Dass
ein Taser-Einsatz kaum nachweisbare Spuren hinterlässt, erhöht das Miss-
brauchspotential, ohne dass das Opfer später den Missbrauch beweisen kann.
Das Antifolterkomitee der UNO hat im November 2007 Bedenken gegen die
Verwendung des Modells „TaserX26“ in Portugal geäußert, weil diese Waffe
derart starke Schmerzen zufüge, dass sie „eine Form der Folter“ darstelle, und
unter bestimmten Umständen „den Tod verursachen kann“ (CAT/C/PRT/CO/4).
Aus diesem Grund forderte das Komitee Portugal auf, den Verzicht auf die
Verwendung dieser Waffe ins Auge zu fassen.

Drucksache 16/11806 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Europäischen Kommission sind Hinweise bekannt, „dass in mehreren Län-
dern derartige Waffen zum Zwecke der Folter und anderer grausamer, unmensch-
licher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe missbraucht werden“. Sie hat
deshalb im Juni 2005 die Verordnung (EG) Nr. 1236/2005 erlassen, welche die
Ausfuhr von Elektroschockwaffen unter Genehmigungsvorbehalt stellt, aller-
dings nur für die Ausfuhr in Drittländer. Sie hat auch ausdrücklich festgehalten,
dass ein Mitgliedstaat „ein Verbot der Aus- und Einfuhr von Fußeisen, Mehr-
Personen-Fesseln und tragbaren Elektroschock-Geräten beschließen oder auf-
rechterhalten“ könne.

Amnesty International fordert, die Verwendung von Tasern auf solche Fälle zu
beschränken, in denen Polizisten auch die Erlaubnis hätten, tödliche Feuer-
waffen einzusetzen. Außerdem müsse die Verwendung auf speziell geschultes
Personal beschränkt werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Recht- und Zweckmäßigkeit des Ein-
satzes von Elektroschock-Distanzwaffen bei der Polizei, und auf welche Er-
fahrungen stützt sie sich dabei?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die Gesundheits- bzw. Lebensgefähr-
dung, die von Angriffen mit Elektroschockwaffen ausgehen, und auf welche
Untersuchungen und Erfahrungen stützt sie sich dabei?

a) Welche Untersuchungen sind (von wem und mit wessen Finanzierung)
durchgeführt worden, die sich mit Gefährdungen für spezielle Risiko-
gruppen befassen wie (beispielsweise) Kinder und Jugendliche, Senioren,
Personen mit Herz-, Kreislauf- sowie Atemwegsbeschwerden, Personen,
die unter Einfluss von Drogen stehen, Schwangere, und welche Ergeb-
nisse hatten diese Untersuchungen?

b) Bis zu welcher Volt- und Wattstärke gelten Elektroschockwaffen für die
Bundesregierung als unbedenklich, mit welchen gesundheitlichen Folgen
ist bei höheren Werten zu rechnen, und auf welchen Untersuchungsergeb-
nissen basiert diese Bewertung?

3. Welche Untersuchungen bezüglich etwaiger medizinischer Langzeitfolgen
eines Beschusses mit Elektroschockwaffen sind der Bundesregierung be-
kannt, und wer hat diese in Auftrag gegeben und finanziert?

a) Welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus für den Einsatz dieser Waf-
fen?

b) Inwiefern beabsichtigt sie, weitere Untersuchungen in Auftrag zu geben
oder sich an diesen zu beteiligen?

4. In welchen Bundesländern haben nach Kenntnis der Bundesregierung
Modellprojekte bzw. Probeläufe mit Elektroschockwaffen stattgefunden,
und mit welchen Ergebnissen haben diese geendet?

5. Haben bei der Bundespolizei sowie bei der Bundeswehr Modellversuche
bzw. Testläufe mit Elektroschockwaffen stattgefunden, und wenn ja, wann,
und mit welchen Ergebnissen haben diese geendet?

6. In welchen Bundesländern werden derzeit nach Kenntnis der Bundesregie-
rung Elektroschockwaffen bei der Polizei verwendet?

a) Inwiefern gibt es dabei Beschränkungen (etwa auf bestimmte Einheiten
und speziell geschulte Personen)?

b) Inwiefern wird Streifenpolizisten das Führen von Elektroschockwaffen

gestattet?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11806

c) Unter welchen Bedingungen ist der Einsatz von Elektroschockwaffen
gestattet, und inwiefern sind diese Bedingungen weiter gefasst als die-
jenigen für den Einsatz von Schusswaffen?

7. In welchen Bundesländern ist derzeit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
von Ordnungsämtern, die allein oder gemeinsam mit Polizeivollzugsbeam-
ten Streife gehen, das Führen von Elektroschockwaffen erlaubt?

8. Inwiefern sind Bundespolizisten mit Elektroschockwaffen ausgestattet, und
welche Regelungen und Vorschriften gibt es für den Einsatz?

a) Wie viele Elektroschockwaffen sind im Besitz der Bundespolizei (bitte
nach Modellen aufschlüsseln)?

b) Wie vielen Bundespolizisten ist das Führen von Elektroschockwaffen
gestattet, und inwiefern ist eine spezielle Schulung hierfür erforderlich?

c) Unter welchen Bedingungen ist der Einsatz von Elektroschockwaffen
gestattet, und inwiefern sind diese Bedingungen weiter gefasst als die-
jenigen für den Einschatz von Schusswaffen?

d) Wie oft und unter welchen Umständen haben Bundespolizisten in den
Jahren seit 2000 Gebrauch von Elektroschockwaffen gemacht?

e) Wie vielen im Ausland Dienst tuenden Polizisten ist das Führen von
Elektroschockwaffen gestattet, und unter welchen Bedingungen können
sie eingesetzt werden (bitte nach Einsatzorten, Missionen usw. aufglie-
dern)?

f) Inwiefern sind deutsche oder ausländische Einheiten, die im Rahmen
von FRONTEX-Operationen eingesetzt sind, mit Elektroschockwaffen
ausgestattet?

g) Wie schätzt die Bundesregierung die Bedeutung der weiteren Anschaf-
fung von Elektroschockwaffen im Bereich der Bundespolizei ein, und
wie viele Elektroschockwaffen sollen in den nächsten Jahren beschafft
werden, und für welche Zwecke (bitte die Modelle nennen)?

9. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Verbreitung und An-
wendung von Elektroschockwaffen im Bereich des Justizvollzugswesens?

10. Inwiefern sind Bundeswehrangehörige mit Elektroschockwaffen ausgerüs-
tet?

a) Wie viele Elektroschockwaffen sind bei der Bundeswehr vorgehalten
(bitte nach Modellen aufschlüsseln)?

b) Wie vielen Bundeswehrangehörigen welcher Einheiten ist das Führen
von Elektroschockwaffen gestattet, und inwiefern ist eine spezielle
Schulung hierfür erforderlich?

c) Haben auch solche Soldaten, die nicht den Feldjägereinheiten angehö-
ren, die Berechtigung zum Führen von Elektroschockwaffen?

d) Unter welchen Bedingungen ist der Einsatz von Elektroschockwaffen
gestattet, und inwiefern sind diese Bedingungen weiter gefasst als die-
jenigen für den Einsatz von Schusswaffen (bitte gegebenenfalls nach In-
land oder Einsatzgebieten aufgliedern)?

e) Wie oft und unter welchen Umständen haben Bundeswehrangehörige in
den Jahren seit 2000 Gebrauch von Elektroschockwaffen gemacht?

11. Wie schätzt die Bundesregierung die Bedeutung der (weiteren) Anschaffung
von Elektroschockwaffen im Bereich der Bundeswehr ein, und wie viele
Elektroschockwaffen sollen in den nächsten Jahren für welche Zwecke be-

schafft werden (bitte die Modelle nennen)?

Drucksache 16/11806 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

12. Inwiefern gehen die Vorschriften bei Polizeien und Bundeswehr hinsicht-
lich des Einsatzes von Elektroschockwaffen darauf ein, dass die in Frage 2a
genannten Gruppen einem besonderen Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind?

13. Welche technischen Merkmale weisen die in der Bundesrepublik Deutsch-
land eingesetzten Elektroschockwaffen auf (Spannung, Stärke, Reichweite,
Stromleitung per Kabel oder Flüssigkeit)?

14. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Verbreitung und An-
wendung von Elektroschockwaffen in den EU-Mitgliedstaaten, und inwie-
fern werden Gelegenheiten zum Erfahrungsaustausch genutzt?

15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Verbreitung und An-
wendung von Elektroschockwaffen bei privaten Sicherheitsdiensten und
Privatpersonen in der Bundesrepublik Deutschland, und inwiefern sieht sie
gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Kontrolle und Lizenzierung?

16. Welche Firmen in der Bundesrepublik Deutschland stellen Elektroschock-
Distanzwaffen her bzw. verbreiten sie (bitte Modelle angeben)?

17. Welche Firmen oder Institute sind an der Entwicklung bzw. Erforschung
von Elektroschockwaffen beteiligt?

a) Inwiefern erhalten sie dabei Unterstützung durch den Bund (aus wel-
chem Etat)?

b) Inwiefern gibt es Kooperationen mit Bundesbehörden (welchen, wel-
cher Art)?

c) Welche Firmen wurden vertraglich vom Bund mit der Forschung und
Entwicklung im Bereich der Elektroschock-Distanzwaffen beauftragt,
und wie hoch sind die hierbei kalkulierten Kosten?

d) Inwiefern unterstützen deutsche Behörden die Entwicklung und Erfor-
schung von Elektroschockwaffen im Ausland (bitte darlegen, welche
Unternehmen bzw. Institute unterstützt werden, in welchem Land sich
diese befinden und wie die Art der Unterstützung aussieht)?

e) Welche Forschungen mit welchen Forschungszielen werden derzeit be-
trieben?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit der Ratsverordnung
1236/2005, und auf welche konkreten Zahlen und Erfahrungen stützt sie
sich dabei?

a) Wie viele Genehmigungsanträge auf Ausfuhr von Elektroschockwaffen
sind von wem seit Inkrafttreten der Ratsverordnung gestellt worden,
und für wie viele Elektroschockwaffen sollten dabei Genehmigungen
eingeholt werden?

b) Wie viele dieser Anträge wurden bewilligt, zurückgezogen, abgelehnt,
und wie viele befinden sich noch im Genehmigungsverfahren?

c) Für wie viele Elektroschockwaffen wurde eine Ausfuhrgenehmigung er-
teilt (bitte nach Bestimmungsländern aufgliedern)?

d) Wie viele Elektroschockwaffen sind tatsächlich ausgeführt worden, und
in welche Bestimmungsländer?

e) Müssen die Bestimmungsländer eine Endverbleibsgarantie abgeben,
und wie ist gewährleistet, dass diese eingehalten wird bzw. überprüft
werden kann?

f) Wie hoch ist nach Einschätzung der Bundesregierung die illegale (unge-
nehmigte) Ausfuhr von Elektroschockwaffen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/11806

19. Wie viele Elektroschockwaffen sind seit dem 1. Januar 2000 in EU-Mit-
gliedstaaten exportiert worden (bitte nach einzelnen Staaten auflisten)?

20. Beabsichtigt die Bundesregierung, Gesetzinitiativen zu entfalten mit dem
Ziel, einen Verstoß gegen die Genehmigungspflicht für Ausfuhren von
Elektroschockwaffen nicht mehr nur als Ordnungswidrigkeit, sondern als
Straftat zu deklarieren, um die abschreckende Wirkung zu vergrößern, und
wenn nein, warum nicht?

21. Beabsichtigt die Bundesregierung, von der Möglichkeit eines Ausfuhrver-
bots für Elektroschockwaffen Gebrauch zu machen, oder strebt sie weitere
Einschränkungen für deren Ausfuhr an, und wenn nein, warum nicht?

22. Beabsichtigt die Bundesregierung, eine Anzeigepflicht für den Export von
Elektroschockwaffen an EU-Mitgliedsländer einzuführen, und wenn nein,
warum nicht?

23. Aus welchen Gründen macht die Bundesregierung in ihrem Rüstungs-
exportbericht keine Angaben zur Ausfuhr von Elektroschockwaffen und
anderen Gütern, die zur Vollstreckung der Todesstrafe, zu Folter oder ande-
rer, grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder
Strafe verwendet werden können?

Berlin, den 22. Januar 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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