BT-Drucksache 16/11505

Umsetzung der Empfehlungen des Europarats zur Verbesserung der demokratischen Teilhabe von Migrantinnen und Migranten

Vom 19. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11505
16. Wahlperiode 19. 12. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Hakki Keskin, Monika Knoche, Dr. Lothar Bisky, Dr. Diether
Dehm, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung der Empfehlungen des Europarats zur Verbesserung der
demokratischen Teilhabe von Migrantinnen und Migranten

In ihrer 24. Sitzung am 25. Juni 2008 zum „Stand der Demokratie in Europa“ hat
die Parlamentarische Versammlung des Europarats in Straßburg durch insge-
samt vier mehrheitlich gefasste Beschlüsse die Bedeutung der demokratischen
Teilhabe von Migrantinnen und Migranten am demokratischen Leben in Europa
hervorgehoben. Die wichtige Rolle der migrantischen Bevölkerung für die euro-
päischen Demokratien findet deutlichen Niederschlag in den Entschließungen
1617 und 1618 sowie in den Empfehlungen 1839 und 1840, die in den Aus-
schüssen und im Plenum der Parlamentarischen Versammlung mit großer Mehr-
heit unterstützt wurden1. Auch große Teile der konservativen Fraktion innerhalb
der Parlamentarischen Versammlung des Europarats stimmten den Maßnahmen
zu, die den Mitgliedstaaten zur Verbesserung der demokratischen Beteiligung
ihrer migrantischen Wohnbevölkerung anempfohlen wurden.

Die Bundesrepublik Deutschland ist als Mitgliedstaat des Europarats an einer
Vielzahl von Monitoringmissionen in Transformationsländern beteiligt gewesen
und scheute sich zurecht nicht, vermeintliche oder tatsächliche Missstände und
Defizite in diesen Ländern klar zu benennen.

Mit Verweis auf die demokratiepolitisch zum Teil desaströse Situation in den
europäischen Staaten zieht die Parlamentarische Versammlung des Europarates
nunmehr ihrerseits die Einsetzung von Überwachungsgremien in Erwägung, die
zukünftig die Partizipationsmöglichkeiten von Migrantinnen und Migranten in
den europäischen Einwanderungsländern – auch in der Bundesrepublik
Deutschland – untersuchen sollen.

Die Ermöglichung des erleichterten Zugangs zur deutschen Staatsbürgerschaft,
vor allem durch Zulassung von Mehrstaatigkeit, wurde durch die Parlamentari-
sche Versammlung des Europarates als Integrationsvoraussetzung gefordert.
Wie auch die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Ausländer. Bei bei-
dem handelt es sich jedoch um Forderungen, die auf der integrationspolitischen
Agenda der deutschen Bundesregierung scheinbar keine Rolle spielen.

1
Zugehörige Dokumente:

Der Stand der Demokratie in Europa. Besondere Herausforderungen für die europäischen Demokratien:
Vielfalt und Migration, Empfehlung 1839 (2008);
Der Stand der Demokratie in Europa. Maßnahmen zur Verbesserung der demokratischen Teilhabe von
Migranten; Empfehlung 1840 (2008);
Der Stand der Demokratie in Europa. Besondere Herausforderungen für die europäischen Demokratien:
Vielfalt und Migration; Entschließung 1617 (2008);
Der Stand der Demokratie in Europa. Maßnahmen zur Verbesserung der demokratischen Teilhabe von
Migranten; Entschließung 1618 (2008).

Drucksache 16/11505 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sieht die Bundesregierung nach den Entschließungen und Empfehlungen
der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Handlungsbedarf bei
der Gestaltung der demokratischen Partizipationsmöglichkeiten von Mi-
grantinnen und Migranten in der Bundesrepublik Deutschland?

Wenn nein, bitte begründen.

2. Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen erwägt die Bundesregierung in
welchem Zeitrahmen, um die in den Empfehlungen 1839, 1840 und Ent-
schließungen 1617, 1618 geforderten Verbesserungen hinsichtlich demo-
kratischer Partizipationsmöglichkeiten umzusetzen?

3. Sieht die Bundesregierung nach den Entschließungen und Empfehlungen
der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Handlungsbedarf bei
der Erleichterung des Zugangs zur deutschen Staatsbürgerschaft für Mi-
grantinnen und Migranten in der Bundesrepublik Deutschland?

Wenn nein, bitte begründen.

4. Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen erwägt die Bundesregierung in
welchem Zeitrahmen, um die in den Empfehlungen 1839, 1840 und Ent-
schließungen 1617, 1618 geforderten Verbesserungen hinsichtlich der Er-
leichterung des Zugangs zur deutschen Staatsbürgerschaft für Migrantinnen
und Migranten umzusetzen?

5. Plant die Bundesregierung in diesem Zusammenhang und in Einklang mit
den Forderungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zu-
künftig die Ausweitung der Zulässigkeit doppelter Staatsbürgerschaften?

Wenn nein, bitte begründen.

6. Wenn ja, welche Rolle spielen in diesen Erwägungen insbesondere Perso-
nen türkischer Herkunft, die durch die Annahme/den Beibehalt der türki-
schen Staatsbürgerschaft die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren oder
verloren haben?

7. Plant die Bundesregierung in Einklang mit den Forderungen der Parlamen-
tarischen Versammlung des Europarates die Erleichterung von Einbürge-
rung?

Wenn nein, bitte begründen.

8. Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen – etwa durch die Abschaffung der
so genannten Einbürgerungstests, die von den Betroffenen oft als massives
Erschwernis beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft und als reine
Schikane empfunden werden – wird die Bundesregierung zur Erleichterung
von Einbürgerung ergreifen, um den Forderungen der Parlamentarischen
Versammlung des Europarates zu entsprechen?

9. Entwickelt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der aktuellen Be-
schlusslage in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates eine
neue Position hinsichtlich einer Abschaffung der so genannten Options-
pflicht, mit der Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft im Alter zwi-
schen 18 und 23 Jahren gezwungen werden, sich gegenüber den Behörden
für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden?

Wenn nein, bitte begründen.

10. Wie beurteilt die Bundesregierung die Empfehlungen der Parlamentari-
schen Versammlung an das Ministerkomitee, den Europäischen Ausschuss
für rechtliche Zusammenarbeit (CDCJ) anzuweisen, in allen Mitgliedstaa-

ten die Umsetzung der Standards gemäß der Europäischen Staatsangehörig-
keitskonvention und den Stand der Ratifizierungen zu überprüfen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11505

11. Wie schätzt die Bundesregierung die Empfehlung der Parlamentarischen
Versammlung an das Ministerkomitee ein, die Europäische Kommission für
Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) zu bitten, die verfassungs-
rechtlichen Hemmnisse innerhalb der Mitgliedstaaten zu prüfen, die einer
Gewährung des aktiven Wahlrechts für Migranten – hauptsächlich auf der
kommunalen und regionalen Ebene – entgegenstehen?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Empfehlung der Parlamentarischen
Versammlung an das Ministerkomitee, die Europäische Kommission für
Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) zu bitten, jenen Staaten, in
denen sich das Wahlrecht für Migrantinnen und Migranten in einem prekä-
ren Zustand befindet, bei Bedarf Hilfestellung bei einer Verfassungsreform
zu leisten?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung eine etwaige, aus den in den Fragen 10,
11 und 12 genannten Empfehlungen resultierende Monitoringmission, deren
Gegenstand die mangelnde Partizipation von Migrantinnen und Migranten
in Europa und in der Bundesrepublik Deutschland sein wird?

14. Wird die Bundesregierung über das Straßburger Ministerkomitee die Ein-
richtung einer solchen Kontrollinstanz unterstützen?

15. Wenn ja, welche personellen und/oder organisatorischen und/oder inhalt-
lichen Ressourcen plant die Bundesregierung zur Unterstützung einer sol-
chen Monitoringmission ein?

16. Wenn nein, befürchtet die Bundesregierung negative Folgen für das inter-
nationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in demokratiepoliti-
scher und demokratietheoretischer Hinsicht, wenn sich die Bundesrepublik
Deutschland selbst einer Untersuchung seiner demokratischen Standards
entziehen sollte?

Wenn nein, bitte mit Begründung.

Berlin, den 19. Dezember 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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