BT-Drucksache 16/11442

Europaweite Razzia gegen illegalisierte Migrantinnen und Migranten

Vom 16. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11442
16. Wahlperiode 16. 12. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic, Sevim Dag˘delen, Jan Korte,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Europaweite Razzia gegen illegalisierte Migrantinnen und Migranten

Die Deutsche Presseagentur berichtete am 6. Oktober 2008 von einer europa-
weiten Polizeiaktion zur „Bekämpfung der illegalen Einwanderung und der
Schleuserkriminalität“, an der 20 Staaten beteiligt waren und die vom 24. bis
zum 29. September 2008 dauerte.

Dabei wurden laut Pressemeldung durch die Bundespolizei 149 „Ausländer ge-
fasst“, die unerlaubt eingereist waren oder sich illegal im Land aufhielten. Zu-
dem wurden 183 Diebstähle, 167 „Schwarzfahrer“, 65 Körperverletzungen und
221 Sachbeschädigungen „wie Graffiti-Schmierereien“ angezeigt. 264 Perso-
nen wurden fest- oder in Gewahrsam genommen.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Aktion durch das neu geschaffene
Bundespolizeipräsidium in Potsdam koordiniert, insgesamt waren 11 100 Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundespolizei beteiligt. „Schleuser seien aller-
dings nicht gefasst worden“, befand ein Sprecher der Bundespolizei lapidar.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Kann die Bundesregierung die vorgenannten Angaben bestätigen, und wel-
che darüber hinausgehenden allgemeinen Informationen zur genannten Poli-
zeiaktion kann sie machen?

2. Welche regionalen Schwerpunkte hatte die beschriebene Polizeiaktion in der
Bundesrepublik Deutschland?

3. Welche Bundesländer und welche Polizeien oder andere Behörden waren in
diesen Bundesländern jeweils mit welcher Personalstärke an der Aktion be-
teiligt?

4. Welche anderen EU-Staaten waren an dieser Aktion beteiligt, wie viele Poli-
zeibeamte oder Bedienstete anderer Sicherheitsbehörden waren in diesen
Mitgliedstaaten beteiligt?

5. Welche Staaten waren in welchem Umfang an dieser Aktion beteiligt, die
nicht Mitglied der Europäischen Union sind, und wie war ihre institutionelle
und operative Einbindung gewährleistet?

6. Wo (in welchem Gremium usw.) und wann wurde die Aktion von wem und
aus welchen Gründen initiiert, und wo wurde sie durch wen koordiniert?

Welcher Umstand begründete überhaupt ein international abgestimmtes Vor-
gehen?

Drucksache 16/11442 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

7. Wie viele deutsche Vollzugsbeamte wurden im Rahmen von unmittelbar
gemeinsamen Aktionen mit den Polizeien benachbarter EU-Staaten im
Grenzraum eingesetzt, und welche Gemeinsamen Lagezentren waren darin
eingebunden?

8. Gab oder gibt es eine gemeinsame Auswertung der Aktion, und wenn ja,
mit welchen Ergebnissen?

9. Hat die Bundesregierung Hinweise zu möglichen diskriminierenden und
verängstigenden Auswirkungen der Massenpolizeiaktion auf legal hier le-
bende Migrantinnen und Migranten und auf das gesellschaftliche Klima in
der Bundesrepublik Deutschland insgesamt (es ist davon auszugehen, dass
während der Polizeiaktion verstärkt Personen „fremdländischen Ausse-
hens“ kontrolliert wurden), und ist sie überhaupt diesem Gesichtspunkt
nachgegangen bzw. hat sie eine solche mögliche Wirkung bei der Planung
der Aktion bedacht?

10. Soll eine solche Aktion wiederholt werden (bitte begründen), und wenn ja,
in welchen Zeiträumen?

11. Auf welchen Rechtsgrundlagen geschah die internationale Zusammenar-
beit, und welche Rechtsgrundlagen waren in der Bundesrepublik Deutsch-
land zur Ermöglichung bzw. Ausführung der Aktion einschlägig?

12. Ist es zutreffend, dass sich die vorgenannten Zahlen allein auf die Bilanz
der Bundespolizei mit Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland bezie-
hen, und wenn ja, wie lauten die Ergebnisse und statistischen Auswertun-
gen der Polizeiaktion in den anderen 19 Staaten?

13. Wie viele der genannten 149 „Ausländer“ wurden wegen einer unerlaubten
Einreise bzw. wegen unerlaubten Aufenthalts „gefasst“ (bitte die folgenden
Angaben immer auch nach den Kriterien unerlaubte Einreise/Aufenthalt
differenzieren)?

a) Aus welchen Herkunftsländern kommen wie viele der Betroffenen, und
welchem Geschlecht gehören sie an?

b) Welchen aufenthaltsrechtlichen Status haben die Betroffenen aktuell
bzw. hatten sie vor Verlust eines etwaigen Aufenthaltstitels (Bsp.: „visa-
overstayers“, abgelehnte/„untergetauchte“ Asylbewerber, zuvor nicht
„aktenkundig“/nicht im AZR vermerkt, Widerruf eines Aufenthalts-
titels)?

c) Wie viele der Betroffenen wurden anschließend in Abschiebungshaft
genommen, wie viele sind bereits abgeschoben worden und wohin, bei
wie vielen ist noch eine Abschiebung geplant, wie viele sind „freiwillig“
ausgereist, wie viele haben einen Asylantrag gestellt, wie viele haben
eine Aufenthaltserlaubnis oder Duldung beantragt?

d) Wie viele der Betroffenen haben inzwischen einen Aufenthaltstitel, eine
Duldung oder eine Aufenthaltsgestattung erhalten (bitte differenziert an-
geben, auch nach Staatsangehörigkeiten aufgeschlüsselt)?

e) Gegen wie viele der Betroffenen wurde welche Anklage erhoben, und
liegen bereits Verurteilungen (welche, in welcher Höhe) vor?

14. Aufgrund welchen Vergehens bzw. auf welcher Rechtsgrundlage genau
wurden die 264 Personen fest- oder in Gewahrsam genommen, welche
Staatsangehörigkeiten hatten sie, und sind auch (und wenn ja, in welchem
Umfang), die „149 Ausländer“ hierunter subsumiert?

15. Wie ist es zu erklären, dass bei einer Aktion zur „Bekämpfung der illegalen
Einwanderung und der Schleuserkriminalität“ 183 Diebstähle, 167
„Schwarzfahrten“, 65 Körperverletzungen und 221 Sachbeschädigungen
„wie Graffiti-Schmierereien“ zur Anzeige kamen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11442

a) Wie verlief die Aktion also genau, und wurden die Verstöße gegen das
Aufenthaltsrecht (unerlaubte Einreise/Aufenthalt) nicht vielmehr (dies
liegt zumindest nahe) infolge und anlässlich der Verfolgung der genann-
ten nicht-aufenthaltsrechtlichen Delikte aufgedeckt, und in welchem
Umfang geschah dies?

b) Bei wie vielen der Körperverletzungen handelte es sich um Körperver-
letzungen gegenüber Bundespolizeibeamten, und welche Schwere und
welchen Charakter hatten die (übrigen) Körperverletzungen?

c) Welche Schwere und welchen Charakter hatten die genannten Dieb-
stähle?

d) Welche Schwere und welchen Charakter hatten die genannten Sachbe-
schädigungen, wie hoch war der Anteil von „Graffiti-Schmierereien“?

16. Wie viele „Mannstunden“ sind von der Bundespolizei und den Länderpoli-
zeien für diese Aktion eingesetzt worden?

17. Wie hoch sind die Kosten dieser Polizeiaktion gewesen (bitte auflisten
nach Personalkosten und den weiteren Aufwendungen)?

18. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass rein rechnerisch – bei 11 100
beteiligten Beamten und 149 „gefassten Ausländern“ – 74 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Bundespolizei fast eine Woche lang beschäftigt waren,
um einen (!) Ausländer der unerlaubten Einreise/des unerlaubten Aufent-
halts zu „überführen“, sieht sie hierin ein Missverhältnis, und welche
Schlussfolgerungen zieht sie gegebenenfalls hieraus?

19. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass bei einer europaweiten Polizei-
aktion zur „Bekämpfung der illegalen Einwanderung und der Schleuserkri-
minalität“ mit alleine 11 100 Bundespolizeibeamten über fast eine Woche
hinweg kein einziger „Schleuser“ „gefasst“ werden konnte, und welche
Schlussfolgerungen zieht sie hieraus?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die „Gefahr“ für die Gesellschaft bzw.
die Bundesrepublik Deutschland, die aus 149 unerlaubten Einreisen bzw.
Aufenthalten resultiert, und kann diese „Gefahr“ eine konzertierte, europa-
weite Massenpolizeiaktion mit erheblichem Aufwand und Kosten rechtfer-
tigen (bitte begründen)?

21. Welche zusätzliche Belastung bedeutete dieser Einsatz für die Bundespoli-
zei und ggf. für die Bereitschaftspolizeien der Länder, die in diesem Jahr
bereits besondere Belastungen durch die Fußball-Europameisterschaft der
Herren in der Schweiz und Österreich und vor allem durch den Castor-
Transport im Herbst zu tragen hatten?

Wie sieht die Bundesregierung unter diesem Aspekt das Verhältnis der ein-
gesetzten Mannstunden zum erzielten „Sicherheitsgewinn“?

Berlin, den 15. Dezember 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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