BT-Drucksache 16/11326

Koordinierungsgruppen Terrorismusbekämpfung

Vom 8. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11326
16. Wahlperiode 08. 12. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau, Wolfgang Neskovic, Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke,
Jan Korte, Kersten Naumann und der Fraktion DIE LINKE.

Koordinierungsgruppen Terrorismusbekämpfung

Mit der Einrichtung des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums (GTAZ) haben die
verschiedenen Wege zur Institutionalisierung der Zusammenarbeit der deutschen
Sicherheitsbehörden einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die zuvor in ver-
schiedenen „hybriden Organisationen“, wie die Bürgerrechtszeitschrift „Bürger-
rechte und Polizei/CILIP“ in ihrer Nummer 90 (2/2008) diese Kooperations-
formen nennt, gesammelten Erfahrungen wurden teilweise direkt ins GTAZ
transformiert. So wie das Informationsboard „Netzwerke arabische Mujahedin“,
das unmittelbar in die Arbeitsgruppe „operativer Informationsaustausch“ des
GTAZ überführt wurde.

Andere dieser Hybridorganisationen tauchen gelegentlich in den Medien auf.
Ihre tatsächliche Arbeitsweise bleibt im Normalfall genauso im Verborgenen
wie die Dauer ihrer Existenz, die Effektivität ihrer Arbeit und die Weiterver-
wendung ihrer Arbeitsergebnisse. Diese Kooperationsgremien unterliegen zu-
dem weder in den Ländern noch im Bund einer nachvollziehbaren parlamenta-
rischen Kontrolle und sind auch nicht in den für Geheimdienste zuständigen
Kontrollgremien des Bundes und der Länder Gegenstand der Tätigkeit.

Exemplarisch lassen sich die Probleme anhand der Koordinierungsgruppen
Terrorismusbekämpfung (KGT) beschreiben, deren Ausgangsorganisation nach
einem Beschluss des Arbeitskreises II (AK II) der Innenministerkonferenz
(IMK) 1991 gegründet wurde. Unter dem Dach dieser KGT arbeiteten damals
unter Führung des Bundeskriminalamtes (BKA) die Landeskriminalämter
(LKÄ), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Landesämter für Verfassungs-
schutz (LfV) und die Generalbundesanwaltschaft (GBA) intensiv zusammen.
Anlass der Gründung war das tödliche Attentat der Roten Armee Fraktion (RAF)
auf Detlev Karsten Rohwedder.

Erklärtes Ziel der Kooperation war vor allem die Intensivierung des Informa-
tionsaustauschs der Sicherheitsbehörden anlässlich der damaligen RAF-Aktivi-
täten, widersprüchliche Darstellungen gab es zur operativen Tätigkeit (siehe u. a.
Bundestagsdrucksachen 12/1033 vom 6. Juni 1991, 12/1054 vom 13. August
1991 und 12/5795 vom 28. September 1993).
Nach dem 11. September 2001 wurde unter Führung des BKA eine „Koordinie-
rungsgruppe Internationaler Terrorismus“ (KG-IntTE) eingerichtet, der auch
der Bundesnachrichtendienst (BND), der Militärische Abschirmdienst (MAD)
und das später aufgelöste Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr an-
gehörten. Laut Beschluss des AK II der IMK soll diese Einrichtung „Empfeh-
lungen für bundesweit abgestimmte Polizeimaßnahmen zur Terrorismus-
bekämpfung im Bereich Prävention und Repression“ geben (siehe Antworten

Drucksache 16/11326 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

zu den Fragen von Petra Pau, Bundestagsplenarprotokoll 15/104, 28. April
2004).

In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Gruppe der PDS/Linke Liste aus
dem Jahr 1993 (Bundestagsdrucksache 12/5795 vom 28. September 1993) wird
ein Bericht des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 22. Januar 1992 zi-
tiert, der feststellt, „das Instrument der KGT habe eine weitgehende Akzeptanz
erfahren, was sich u. a. in der Gründung entsprechender Koordinierungsgrup-
pen auf Landesebene widerspiegele“.

Eine so genannte Landes-KGT ist auch für Baden-Württemberg noch Ende 1996
nachzuweisen, die mehrmals jährlich anlassbezogen zusammentrete (Landtags-
drucksache 12/643 vom 12. November 1996). In der zitierten Landtagsdruck-
sache heißt es weiter, dass „auf Bundesebene […] darüber hinaus ein Informa-
tionsaustausch zwischen dem Bundesministerium des Innern, dem Bundesamt
für Verfassungsschutz, dem Bundeskriminalamt, dem Generalbundesanwalt,
den Landeskriminalämtern und den Landesbehörden für Verfassungsschutz im
Rahmen der Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechts-
extremistischer/-terroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte
(IGR) (erfolgt)“.

Diese IGR ist im Dezember 1992 zunächst als Untergruppe der KGT entstanden
und wurde später als selbständiges Gremium vom BfV geführt (Bundestags-
drucksache 13/854 vom 10. April 1995).

Jörg Schönbohm, Innenminister in Brandenburg, kritisierte im Juni 2005 die
Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im GTAZ als nicht weitgehend genug
und zitiert als Vorbild für eine engere Kooperation die landeseigene Koordinie-
rungsgruppe „Strategische und operative Steuerung von Maßnahmen zur Terro-
rismusbekämpfung (Task Force STOP TE)“ (Presseerklärung des Ministeriums
des Innern Brandenburg Nr. 124/2005).

Fragen zu diesen in Bund und Ländern anlassbezogen entstandenen Gremien
ergeben sich grundsätzlich hinsichtlich ihrer verfassungskonformen Konzeption
und Kontrolle; Fragen ergeben sich auch hinsichtlich ihrer Fortexistenz über den
Ausgangsanlass hinaus. Fortexistenz ist dabei zum einen wörtlich zu verstehen
als Existenz des Gremiums, zum anderen aber auch im Sinne der Fortexistenz
der Ergebnisse der Arbeit, u. a. der personenbezogenen Daten, der Zuordnung
von Ereignissen zu Gruppen, der Personen zu Gruppen usw. in Lagebildern,
Dossiers und Dateien.

Auf „SPIEGEL ONLINE“ vom 8. November 2003 ist beispielsweise von „einer
vertraulichen Analyse“ zu lesen, in der „Geheimdienstler“ Brandanschläge der
„Militanten Gruppe“ als Signal an „andere militante Gruppen“ werteten. „DER
SPIEGEL“ schreibt weiter, dass die Behörden erwägt hätten, „eine Sondersitzung
der „Koordinierungsgruppe Terrorismus“ einzuberufen (http://www.spiegel.de/
panorama/0,1518,273216,00.html). Seit 1994 sei die „Militante Gruppe“ unter
wechselnden Namen im Visier des Verfassungsschutzes (ebda.).

Fünf Jahre nach Wegfall des KGT-Gründungsanlasses – die RAF hatte sich
Anfang 1998 offiziell aufgelöst – existiert demnach die Ur-KGT immer noch.

In einem Prozessbericht zum Berliner Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder
der „Militanten Gruppe“, die im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm von
§ 129a Ermittlungsverfahren betroffen war, heißt es im Oktober 2008, also zehn
Jahre nach Wegfall des Gründunganlasses der KGT, dass als Quelle in den Er-
mittlungsakten mehrfach die KGT genannt werde (http://einstellung.so36.net/
de/prozess/bericht/1124).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11326

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche KGT wurden zeitlich nach dem Bericht des BMI vom 22. Januar
1992 (vgl. Bundestagsdrucksache 12/5795) in Bund und Ländern gegrün-
det?

2. Welche dieser KGT hatte mit welchen ausländischen Sicherheitsbehörden
zusammen gearbeitet, Datenaustausch betrieben oder personelle Beteili-
gungen ermöglicht (bitte einzeln auflisten)?

3. Von wann bis wann arbeiteten sie auf welcher Rechtsgrundlage gemäß den
Aufgaben und der Zusammensetzung, die bei ihrer Gründung gegolten
haben?

4. Welche anlassbezogenen Arbeitsgruppen haben die jeweiligen KGT mit
welchen Zielen und Aufgaben eingerichtet (bitte einzeln auflisten)?

5. Wie wurde im Rahmen der verschiedenen KGT das Problem der unter-
schiedlichen Rechtsgrundlagen zur Datenerfassung und Verarbeitung bei
den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden gelöst?

6. Auf welche Weise und auf wessen Anordnung wurden Einsetzung, Ein-
stellung oder Auflösung der KGT jeweils vorgenommen?

7. Welche Richtlinien oder gesetzliche Vorgaben regelten den KGT-internen
und -externen Datenaustausch der verschiedenen Sicherheitsbehörden?

8. Galt, ggf. gilt, für alle KGT in Bund und Ländern die Aussage der damali-
gen Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Gruppe
der PDS/Linke Liste (Bundestagsdrucksache 12/1033) „eigene Dateien
werden von der KGT nicht geführt“?

Wenn nein, von welcher KGT wurden welche „eigenen Dateien“ geführt?

9. Wer ist heute verantwortlich für die Richtigkeit, Korrektur und Löschung
der von den einzelnen KGT in den Jahren 1991 bis 2003 in Erfüllung ihrer
damaligen Aufgaben in den jeweiligen Dateien eingestellten Daten, Dossiers,
Lagebildern und sonstigen Unterlagen?

10. Welche Behörden waren jeweils an diesen Koordinierungsgruppen in Bund
und Ländern beteiligt?

11. Welche der Bund- oder Landes-KGT wurde nach Kenntnis der Bundes-
regierung parlamentarisch und datenschutzrechtlich kontrolliert (bitte in
Stichworten auch die Ergebnisse aufführen)?

12. In welcher Form wurden die Erfahrungen der ursprünglichen KGT-Bund in
das GTAZ überführt?

13. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des heutigen GTAZ haben zu
irgendeinem Zeitpunkt für eine Bundes- oder Landes-KGT gearbeitet?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Innenministers des Landes
Brandenburg, Jörg Schönbohm, dass die Zusammenarbeit von Polizei und
Nachrichtendiensten im GTAZ nicht weitgehend genug seien, und welche
Landes-KGT praktiziert nach Kenntnis der Bundesregierung eine über die
im GTAZ übliche Kooperation hinausgehende Form der Zusammenarbeit?

15. Welche KGT existieren derzeit in Bund und Ländern, welche Konzeption
und Zielsetzung liegt ihnen zugrunde, und welche Behörden arbeiten in ih-
nen jeweils zusammen?

16. Welche KGT hat im Bund im Jahre 2003 existiert, in welcher Zusammen-
setzung hat sie in welchen Intervallen getagt, welche konkrete Zielsetzung
hat sie verfolgt, welche Verbindlichkeit hatten ihre Beschlüsse, und welche

Behörde war federführend?

Drucksache 16/11326 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
17. Welche Art von Beschlüssen konnte die KGT fassen, und welchen Grad
der Verbindlichkeit hatten die Beschlüsse im Allgemeinen und konkret je-
weils für welche Beteiligten?

18. Hat die von „SPIEGEL ONLINE“ am 8. November 2003 erwähnte Sitzung
der KGT stattgefunden?

Wenn ja, wer hat sie einberufen, und war die „Militante Gruppe“ tatsäch-
lich Thema der Sitzung?

19. Existiert die unter Frage 16 nachgefragte KGT heute noch, ggf. auch in
abgeänderter Form?

Wenn nein, warum nicht, wann wurde sie auf wessen Initiative hin auf-
gelöst, und welche Behörde ist derzeit verantwortlich für die im Rahmen
der KGT-Arbeit angefallenen Daten, Dateien und sonstigen Materialien?

Berlin, den 4. Dezember 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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