BT-Drucksache 16/11175

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit - Für eine tatsächliche Chancengleichheit von Frauen und Männern

Vom 2. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11175
16. Wahlperiode 02. 12. 2008

Antrag
der Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, Jens Ackermann,
Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick
Döring, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-
Kasan, Elke Hoff, Birgit Homburger, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Frank Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Rainer
Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit – Für eine tatsächliche Chancengleichheit
von Frauen und Männern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Obwohl mittlerweile 59 Prozent der Hochschulabsolventen Frauen sind, lag der
Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen bundesweit im Jahr 2007
bei 23 Prozent; für 2007 haben sich mithin kaum Veränderungen ergeben (Mit-
teilung des Statistischen Bundesamtes vom 14. November 2008). Im europäi-
schen Vergleich lag Deutschland im Jahr 2006 mit einem Entgeltunterschied von
22 Prozent auf dem viertletzten Platz, gefolgt von der Slowakei, Zypern und Est-
land. Die geringsten Lohnunterschiede weisen Malta, Belgien, Slowenien und
Irland auf. In den Wirtschaftszweigen, in denen viele Frauen tätig sind, fällt der
geschlechtsspezifische Verdienstabstand überdurchschnittlich hoch aus. Dies
gilt insbesondere für die Wirtschaftszweige Unternehmensnahe Dienstleistun-
gen (30 Prozent), Verarbeitendes Gewerbe (29 Prozent), Handel (25 Prozent) so-
wie Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen (24 Prozent). Der Abstand der
durchschnittlichen Bruttostundenverdienste von Männern und Frauen lag 2007
im früheren Bundesgebiet mit 24 Prozent wesentlich höher als in den neuen
Bundesländern mit 6 Prozent. Während der Verdienstabstand bei Berufseinstieg
mit 5 Prozent noch relativ gering ist, nimmt er mit den Jahren zu. In der Gruppe
der 25- bis 29-Jährigen liegt der Lohnunterschied bei 10 Prozent; in der Gruppe

der 35- bis 39-Jährigen erreicht er 22 Prozent (STATmagazin 2008, S. 2). Der
Sechste CEDAW-Bericht (Unterrichtung durch die Bundesregierung, Sechster
Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten
Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW),
Bundestagsdrucksache 16/5807) verweist darauf, dass die Erwerbstätigkeit von
Frauen in Deutschland seit 2002 weiter angestiegen ist (Teil A Artikel 11.1).
Trotz höherer und besserer Schulabschlüsse und fachlich hervorragender Aus-

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bildung insbesondere junger Frauen sei das Arbeitszeitvolumen bei Frauen nach
wie vor deutlich geringer als bei Männern. So sei die Teilzeitquote der abhängig
erwerbstätigen Frauen im Zeitraum von 1991 bis 2004 von 30,2 Prozent auf
42,1 Prozent angestiegen, während sich die Teilzeitquote bei Männern nur um
4,2 Prozentpunkte auf 6,2 Prozent erhöht habe. In den abschließenden Bemer-
kungen des CEDAW-Ausschusses zum 5. Staatenbericht zeigte sich der Aus-
schuss besorgt über die wachsende Anzahl von teilzeitarbeitenden Frauen und
von Frauen in niedrig bezahlten und gering qualifizierten Arbeitsverhältnissen,
das Fortbestehen der Lohndiskriminierung gegen Frauen und die Diskrepanz
zwischen ihrer Qualifikation und ihrem beruflichen Status (Teil B Zu den Zif-
fern 24 und 25). Im öffentlichen Dienst liegt der Frauenanteil in den Dienststel-
len der Bundesverwaltung bei rund 45 Prozent; Frauen finden sich aber nach wie
vor häufiger in Beschäftigungsverhältnissen mit einem geringen Einkommen
und schlechteren Karrieremöglichkeiten. Teilzeitbeschäftigung im Bundes-
dienst war und ist weiterhin Frauensache: 2004 waren 80 161 Beschäftigte in
Teilzeit; 91 Prozent hiervon waren Frauen (Erster Erfahrungsbericht der Bun-
desregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz, Bundestagsdrucksache 16/
3776).

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hält als Ursachen
für die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern in einem Positionspa-
pier vom März 2008 fest, dass häufigere Berufsunterbrechungen aufgrund fami-
liärer Verpflichtungen die Karrierechancen von Frauen und damit die Verdienst-
unterschiede erhöhten und dass das Berufswahlverhalten von Frauen nach wie
vor eingeschränkt sei. Frauen arbeiteten häufiger in Kleinbetrieben, die ein im
Vergleich zu Großbetrieben niedrigeres Verdienstniveau hätten. Frauen hätten
insgesamt eine familiär bedingte geringere Mobilität als Männer. Jüngere
Frauen seien besser qualifiziert als ihre männlichen Altersgenossen, hätten aber
insgesamt eine schlechtere Schul- bzw. Berufsausbildung als ihre männlichen
Kollegen. Auch das Steuer- und Sozialversicherungsrecht setze noch immer fal-
sche Anreize für die klassische Alleinverdienerehe, in der der Mann arbeitet und
die Frau zu Hause bleibt.

Nach Artikel 141 Abs. 1 des EG-Vertrags stellt jeder Mitgliedstaat die Anwen-
dung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher
oder gleichwertiger Arbeit sicher. Im Jahr 1975 hat der Rat bereits eine erste
Richtlinie, die Richtlinie 75/117/EG, angenommen, die die Angleichung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes
des gleichen Entgelts für Männer und Frauen betrifft. Am 25. Juli 2007 legte die
Europäische Kommission eine Mitteilung zur Bekämpfung des geschlechtsspe-
zifischen Lohngefälles vor (KOM(2007) 424 endg.); am 23. Januar 2008 folgte
der Bericht der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Euro-
päischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur
Gleichstellung von Frauen und Männern (KOM(2008) 10 endg.). In der Mittei-
lung wird ausgeführt, dass das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern zum
Teil durch objektive Unterschiede bei den einzelnen Personen (Alter, Bildungs-
niveau, Berufserfahrung), beim Beschäftigungstyp (Beruf, Art des Vertrags oder
Arbeitsbedingungen) oder bei den Unternehmen (Branche oder Unternehmens-
größe) bedingt sein kann. Durch objektive Unterschiede und offensichtlich dis-
kriminierende Praktiken allein lasse sich das fortbestehende Lohngefälle jedoch
nicht erklären. Zu einem überdurchschnittlichen Lohngefälle komme es auch in
Unternehmen der Privatwirtschaft (25 Prozent), allerdings falle es im Einzelfall
je nach Unternehmen bzw. Beschäftigung sehr unterschiedlich aus. So nehme
beispielsweise mit der Größe des Unternehmens, zunehmendem Alter und stei-
gendem Bildungs- bzw. Qualifikationsniveau auch das Lohngefälle zu. Es lasse
sich also sagen, dass sich Qualifikation und Erfahrung bei Frauen weniger stark

im Gehalt niederschlagen als bei Männern. Die Sektoren mit dem stärksten

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11175

Lohngefälle seien im Übrigen die Industrie, die Unternehmensdienstleistungen
und das Finanzwesen.

Auf nationaler Ebene folgt ein Verbot der Lohndiskriminierung aus Artikel 3 des
Grundgesetzes sowie aus § 2 Abs. 2 und § 8 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbe-
handlungsgesetzes; verboten sind sowohl mittelbare als auch unmittelbare Dis-
kriminierungen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend legte im November 2005 den „Gender Datenreport 1. Datenreport zur
Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland“
vor und gab im Januar 2008 eine Broschüre mit dem Titel „Fair P(l)ay. Entgelt-
gleichheit für Frauen und Männer Leitfaden zur Durchsetzung des Grundsatzes
des gleichen Entgelts bei gleicher und gleichwertiger Arbeit“ heraus; im April
2008 wurde die Studie „Sinus Sociovision Entgeltungleichheit zwischen Frauen
und Männern, Einstellungen, Erfahrungen und Forderungen der Bevölkerung
zum ‚gender pay gap‘“ veröffentlicht. In dieser Studie wird festgestellt, dass die
Entgeltungleichheit in der Bevölkerung als unzeitgemäß und diskriminierend
angesehen wird (S. 38).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die vorhandenen Studien zu Entgeltgleichheit auszuwerten und die Ergeb-
nisse zusammenzuführen sowie Forschungsvorhaben zu unterstützen, die
sich mit den Ursachen der Entgeltungleichheit in Deutschland befassen, um
auf Grundlage dieser Analysen Vorschläge zur Behebung der Lohnungleich-
heit vorzulegen;

2. Stereotype bei Bildung, Ausbildung und Beschäftigung zu bekämpfen und im
Rahmen der Berufsberatung gemeinsam mit den Ländern darauf hinzuwir-
ken, dass Mädchen und junge Frauen auf Wirtschafts- und Ausbildungs-
zweige hingewiesen werden, in denen bislang vor allem Männer tätig sind,
und junge Männer auf berufliche Tätigkeiten in Bereichen, in denen bislang
vor allem Frauen tätig sind;

3. angesichts der Notwendigkeit lebenslangen Lernens eine modularisierte Aus-,
Fort- und Weiterbildung zu schaffen, damit Frauen und Männer sich während
und nach Familienphasen weiterqualifizieren können; Übergänge und Wei-
terqualifizierungen zwischen den einzelnen Berufen sind zu erleichtern;

4. Geschlechtergerechtigkeit als Leitprinzip im öffentlichen Dienstrecht, dem
insoweit eine Vorbildfunktion und Vorreiterrolle zukommt, umzusetzen, um
diskriminierungsfreie und familiengerechte Arbeitsverhältnisse auch im
öffentlichen Dienst zu ermöglichen und Programme zu entwickeln, damit
Teilzeitbeschäftigung für Männer selbstverständlich wird;

5. Modelle für Teilzeitlösungen von Führungskräften zu erarbeiten, damit Teil-
zeitbeschäftigte nicht vom beruflichen Aufstieg ausgeschlossen werden;

6. gemeinsam mit den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und den Unterneh-
men Modelle für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für
Frauen und Männer u. a. durch Arbeitszeitkonten und eine andere Arbeitsor-
ganisation zu erarbeiten und für diese gezielt zu werben;

7. das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz dahingehend zu ändern, dass
gemeinsame Teilzeit und Kinderbetreuung durch beide Eltern dadurch ge-
fördert wird, dass der gesamte Elterngeldanspruch und die Elternzeit nicht
bereits mit dem siebten Lebensmonat des Kindes, sondern erst mit dem
14. Lebensmonat enden;

8. das geltende System der Steuerklassen insbesondere in Verbindung mit
Steuerklasse V abzuschaffen, damit es sich für Frauen auch finanziell lohnt,

nach einer familienbedingten Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wieder in

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den Beruf zurückzukehren, und bei der Besteuerung von Ehegatten ein An-
teilsverfahren einzuführen, nach dem das Finanzamt den voraussichtlichen
Durchschnittssteuersatz der Ehegatten ermittelt; dieser kann im Lohnsteuer-
abzugsverfahren für beide Ehegatten gleichermaßen berücksichtigt werden;

9. sich gemeinsam mit den Unternehmen und Sozialpartnern wie auch im
öffentlichen Dienst für eine Verdienststrukturerhebung und Überprüfung von
Stellenbeschreibungen einzusetzen, um auf dieser Grundlage etwa Lohn-
findungssysteme und gegebenenfalls unterschiedliche Verfahren der Arbeits-
bewertung mit Blick auf ihre Auswirkungen auf die Entgeltgleichheit zu
überprüfen.

Berlin, den 2. Dezember 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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