BT-Drucksache 16/11078

Ermittlungen gegen ausländische terroristische Vereinigung (§ 129b Strafgesetzbuch)

Vom 24. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11078
16. Wahlperiode 24. 11. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic und der Fraktion DIE LINKE.

Ermittlungen gegen ausländische terroristische Vereinigung
(§ 129b Strafgesetzbuch)

Wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung hat es
seit Inkrafttreten des § 129b des Strafgesetzbuchs (StGB) seit August 2002
über 150 Ermittlungsverfahren gegeben. Für die Verfolgung von Organisatio-
nen aus einem Nicht-EU-Staat ist eine schriftliche Ermächtigung des Bundes-
ministeriums der Justiz erforderlich. Zahlreiche „Erkenntnisse“ in diesen Ver-
fahren stammen von ausländischen Polizeibehörden oder Geheimdiensten. Aus
dem Ausland (z. B. Libanon oder Türkei) kommen auch ordentliche Beweis-
mittel für die deutschen Prozesse wie Zeugen oder Urkunden im Wege der
Rechtshilfe. Das Problem, dass durch Folter oder andere verbotene Verneh-
mungsmethoden erlangte „Beweise“ vor deutschen Gerichten landen, ist offen-
sichtlich, dass Verfassung, nationale Gesetze und ratifizierte internationale
Pakte dies verbieten, unbestritten.

Als praktisches Beispiel für diese Problematik kann der im März 2008 in
Stuttgart-Stammheim vor dem Oberlandgericht Stuttgart angelaufene Prozess
gegen fünf türkische Staatsbürger gelten, denen die Mitgliedschaft innerhalb
einer ausländischen terroristischen Vereinigung (der Revolutionären Volks-
befreiungspartei-Front – DHKP-C) vorgeworfen wird. Unmittelbar nach Ein-
führung des § 129b StGB im August 2002 wurde ein Ermittlungsverfahren
durch die Bundesanwaltschaft eingeleitet. Es kam ab 2003 zu Kontakten mit
Justizorganen der Türkei. Das Bundeskriminalamt (BKA) und die türkische
Generalsicherheitsdirektion tagen zumindest seit 2007 jährlich zweimal zur
DHKP-C. Auf ein deutsches Rechtshilfeersuchen wurden über zehn Ordner mit
türkischen polizeilichen Aussagen, Urteilen, Sachverständigengutachten und
Fotos etc. übersandt. Außerdem wurde der Referatsleiter der DHKP-C der
Anti-Terror-Abteilung der Polizei Istanbul von der türkischen Seite als Zeuge
benannt und vom Stuttgarter Gericht auch schon an einem Tag vernommen.
Ihm konnte nachgewiesen werden, dass gegen ihn zwei Anklagen wegen Folter
im Amt in Istanbul anhängig sind. Es gab auch umfangreiche Beweisanträge
der Verteidigung zur Folterpraxis in der Türkei. Daraufhin wurde die Verneh-
mung des Zeugen, der noch im September 2007 mit Bundesanwaltschaft und
BKA an einem Tisch gesessen hatte, auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.
Den rechtspolitischen Überbau zur Frage der Verwertung von Folteraussagen
und der Kooperation mit Folterstaaten thematisierte der Leiter der Terrorismus-
abteilung der Bundesanwaltschaft, Bundesanwalt Rainer Griesbaum, am
24. September 2008 auf dem 67. Deutschen Juristentag. In einem Referat in der
strafrechtlichen Abteilung des Juristentages bekannte sich Griesbaum zwar zum
Verwertungsverbot von durch Folter erlangten Beweismitteln vor deutschen
Gerichten. Zitiert wird er aber auch mit Aussagen wie „Früchte vom verbotenen

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Baum“ dürften den deutschen Ermittlern nicht generell entzogen werden und
Informationen aus fragwürdigen ausländischen Quellen sollten nicht als
„unrettbar bemakelt“ verworfen werden. Es sei eine Frage der Verhältnismäßig-
keit, inwieweit im konkreten Fall auf solche Quellen zurückgegriffen werden
darf, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ den Bundesanwalt. Dabei müsse einer-
seits das Gewicht des Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften, andererseits aber
auch die Schwere der aufzuklärenden Straftat in die Abwägung einbezogen
werden. Sollten die Informationen nach dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung
verwendbar sein, sollten die Ermittler darauf „strafprozessuale Zwangsmaß-
nahmen“ wie Hausdurchsuchungen oder Telefonüberwachung stützten können.
„Der Rückgriff auf durch ausländische Strafverfolgungsorgane erzielte Beweis-
ergebnisse und – noch weit häufiger – auf durch ausländische Nachrichten-
dienste zur Verfügung gestellte Informationen bildet inzwischen den Regelfall“,
erklärte Griesbaum (http://www.sueddeutsche.de/politik/559/311480/text/).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Ermächtigungen nach § 129b Satz 3 StGB hat das Bundesministe-
rium der Justiz seit Inkrafttreten des Paragraphen erteilt?

a) Wie viele Anträge wurden abgelehnt?

b) Wie viele Rücknahmen einer solchen Ermächtigung gab es?

c) Gegen welche Vereinigungen wurde dabei im Einzelnen vorgegangen
(bitte nach Jahren auflisten)?

2. Welche Kriterien für die Ermächtigung legt das Bundesministerium der
Justiz über den Wortlaut von § 129b Satz 5 („Bei der Entscheidung über die
Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der
Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achten-
den staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völ-
ker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erschei-
nen“) hinaus an?

Welche Fälle können als beispielhaft gelten?

3. Welches Gewicht kommt der Aufnahme einer Organisation in die Anti-
Terror-Liste der Europäischen Union für die Erteilung einer Ermächtigung
nach § 129b Satz 3 StGB zu?

4. Bei wie vielen und welchen Ermittlungsverfahren nach § 129b StGB gab es
Kontakte deutscher Ermittlungs- und Justizbehörden mit Justiz-, Polizei-
und Nachrichtendienstbehörden anderer Staaten (bitte nach Staaten und Ver-
fahren aufschlüsseln)?

5. Welche oder jedenfalls wie viele dieser Fälle wurden der „AG statusrecht-
liche Begleitmaßnahmen“ im „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“
in Berlin-Treptow vorgelegt, weil vorliegendes Beweismaterial für ein
behördliches Ausweisungsverfahren, nicht aber für die Eröffnung eines
Strafverfahrens ausreichte?

6. Gibt es für die Bundesanwaltschaft und das BKA bei der Zusammenarbeit
mit Institutionen anderer Länder und der Stellung von Rechtshilfeersuchen
Kriterien in Bezug auf die Gefahr von Folter und verbotene Vernehmungs-
methoden in diesen Ländern, und wenn ja, welche?

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7. Wie werden die Ausführungen von Bundesanwalt Rainer Griesbaum in der
strafrechtlichen Abteilung des 67. Deutschen Juristentages am 24. Septem-
ber 2008 zu Terrorismusermittlungen, Folter und Verwertungsverboten von
der Bundesregierung bewertet?

a) Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung von Bundesanwalt
Griesbaum, dass es eine „Frage der Verhältnismäßigkeit“ sei, inwieweit
deutsche Ermittler auf möglicherweise unter Folter zustande gekommene
Informationen ausländischer Quellen zurückgreifen dürfen?

b) Sind der Bundesregierung Ermittlungsverfahren in der Bundesrepublik
Deutschland bekannt, in die Informationen ausländischer Strafverfol-
gungsorgane oder Nachrichtendienste einflossen, die mutmaßlich oder
nachgewiesen auf Folter beruhen?

Berlin, den 21. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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