BT-Drucksache 16/11024

Neuer Schwung für die Klimaverhandlungen - Poznan zum Erfolg machen

Vom 25. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11024
16. Wahlperiode 25. 11. 2008

Antrag
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Cornelia
Behm, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken,
Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Jürgen Trittin,
Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neuer Schwung für die Klimaverhandlungen – Poznan´ zum Erfolg machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl bietet sich die historische
Chance, ein ambitioniertes internationales Klimaschutzabkommen unter Einbe-
ziehung der Vereinigten Staaten zu erreichen. Voraussetzung dafür ist, dass die
Europäische Union ihrer erklärten Vorreiterrolle im Klimaschutz gerecht wird
und im Dezember 2008 mit einem glaubwürdigen Klimaschutzprogramm in die
wichtigen Klimaverhandlungen in Poznan´ geht. Lässt es Europa in dieser Situa-
tion an der notwendigen Entschlossenheit beim Klimaschutz fehlen, werden sich
weder die Vereinigten Staaten von Amerika noch wichtige Schwellen- und
Entwicklungsländer wie China und Indien für ein ehrgeiziges Nachfolgeabkom-
men zum Kyoto-Protokoll gewinnen lassen.

Deshalb ist es fatal, dass sich die Europäische Union bei den Beratungen über
das europäische Klima- und Energiepaket zerstritten präsentiert. Das Klima-
und Energiepaket wurde zunächst verschoben, nun droht es stark verwässert zu
werden, auch durch die Bundesregierung. Einige Mitgliedstaaten wollen das
Klimapaket offenbar in diesem Jahr gar nicht mehr beschließen und mit leeren
Händen nach Poznan´ fahren. Das käme einem europäischen Offenbarungseid in
der Klimaschutzpolitik gleich. Die Verabschiedung des Klima- und Energie-
pakets noch in diesem Jahr ist von zentraler Bedeutung für den Fortgang der
internationalen Klimaschutzbemühungen. Darauf hat der UN-Generalsekretär
Ban Ki Moon in einem Brief an die Bundeskanzlerin zu Recht hingewiesen.

Die internationale Finanzmarktkrise darf nicht als Vorwand dienen, der Klima-
krise tatenlos zuzusehen. Ein Klimaschutzmoratorium für die Industrie, wie der
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie gefordert hat, ist nicht nur öko-
logisch unverantwortlich, sondern auch ökonomisch kurzsichtig. Denn ein un-
gebremster Klimawandel droht noch viel größere gesamtwirtschaftliche Schä-
den anzurichten als die gegenwärtige Bankenkrise.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse belegen, dass sich der Klimawandel weiter
beschleunigt mit gravierenden Auswirkungen. Das Eis der Arktis schmilzt
schneller als bislang angenommen und der Meeresspiegel kann schon gegen
Ende dieses Jahrhunderts um einen ganzen Meter angestiegen sein. Die Alpen-
gletscher schmelzen weiter ungebremst und die Zahl der Flutkatastrophen und
Wetterextreme hat drastisch zugenommen. Laut Angaben der Vereinten Natio-

Drucksache 16/11024 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

nen gab es allein 2007 weltweit fast 400 große Überschwemmungen, Wirbel-
stürme, Erdbeben und Hitzewellen, von denen 200 Millionen Menschen betrof-
fen waren. 25 Millionen verließen deshalb ihre Heimat. Prognosen sprechen von
bis zu 200 Millionen Menschen, die bis 2050 auf der Flucht vor klimabedingten
Umwelteinflüssen sein werden. In letzter Zeit warnen Wissenschaftler auch ver-
stärkt davor, dass sich gefährliche Krankheitserreger wie Ebola, Tuberkulose
oder Gelbfieber weiter ausbreiten und in neue Regionen vordringen werden. Vor
diesem Hintergrund kann sich die Weltgemeinschaft weitere Verzögerungen
oder gar ein Scheitern der Klimaschutzverhandlungen nicht leisten.

Tatsächlich tritt die internationale Klimapolitik auf der Stelle. Die vergangenen
internationalen Klimakonferenzen verliefen angesichts der Dringlichkeit viel zu
schleppend. Die Klimakonferenz in Bali war nur knapp an einem völligen Schei-
tern vorbeigeschrammt. Statt der notwendigen Bennennung konkreter CO2-Re-
duktionsziele bis 2020 gab es lediglich einen unverbindlichen Verweis auf das
Jahr 2050 und die Verständigung auf einen Zeitplan für die Aushandlung eines
konkreten Klimaschutzplanes.

Auch der vergangene G8-Gipfel in Japan brachte klimapolitisch keinen Fort-
schritt. Bereits im Juni 2007 hatten die G8-Staaten unter deutscher Präsident-
schaft vereinbart, mindestens eine Halbierung des globalen CO2-Ausstoßes bis
2050 „ernsthaft zu prüfen“. In Japan wurde aus der Prüfung in der Abschluss-
erklärung ein ebenso unverbindliches „Teilen der Vision“, die CO2-Emissionen
bis 2050 um 50 Prozent zu reduzieren.

In Poznan´ braucht es endlich neuen Schwung für die Klimaverhandlungen. Dort
müssen die Weichen gestellt werden, damit nächstes Jahr 2009 in Kopenhagen
ein ambitioniertes Kyoto-Folgeabkommen beschlossen werden kann. Die Indus-
trieländer müssen vorangehen und beweisen, dass sie ohne Wenn und Aber ihre
Klimaschutzmaßnahmen umsetzen und forcieren. Das heißt für die Europäische
Union konkret mindestens eine 30-prozentige Reduktion der Treibhausgasemis-
sionen bis 2020 bezogen auf 1990 und für Deutschland eine Reduktion um min-
destens 40 Prozent im genannten Zeitraum. Dabei muss klar sein, dass der über-
wiegende Teil der Reduktionen in den Industriestaaten selbst erzielt werden
muss. Diese dürfen sich nicht über fragwürdige CDM-Projekte (CDM: Clean
Development Mechanism) im Ausland aus der Verantwortung zum Klimaschutz
im eigenen Land entziehen können.

Fortschritte sind auch beim internationalen Waldschutz unverzichtbar. Die Zer-
störung der Urwälder trägt ca. 20 Prozent der vom Menschen produzierten
Treibhausgase bei. Das ist mehr als die Belastungen durch den weltweiten Ver-
kehr. Deshalb war es überfällig, den Schutz von Wäldern in die internationalen
Klimaverhandlungen einzubeziehen, wie es mit dem Mandat von Bali gesche-
hen ist. Die Reduktion von Emissionen aus der Entwaldung und Schädigung von
Wäldern (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation/REDD) ist
auch eine für den Erhalt der biologischen Vielfalt wichtige Initiative. Zudem be-
legen der Stern-Report (2006) und der von der britischen Regierung erst kürzlich
vorgelegte Elisch Review „Climate Change: Financing Global Forests“ (2008),
dass die Drosselung der weltweiten Entwaldung einer der kostengünstigsten
Wege ist, zum Klimaschutz beizutragen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. darauf zu drängen, dass sich die Europäische Union vor der Klimakonferenz
in Poznan´ darauf verständigt, ihre Treibhausgasemissionen bis 2020 ohne
Vorbedingungen um 30 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, und diesem
Ziel durch die Einigung über ein daran ausgerichtetes Klima- und Energie-
paket Glaubwürdigkeit verleiht;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11024

2. sich auf der Klimakonferenz in Poznan´ dafür einzusetzen, dass die Verhand-
lungen auf der Grundlage eines konkreten Zeitplans zügig vorangetrieben
werden mit dem Ziel, spätestens 2009 in Kopenhagen ein Kyoto-Folgeab-
kommen für den Zeitraum nach 2012 zu vereinbaren;

3. sich für deutlich abgesenkte Emissionsobergrenzen der Industrieländer (An-
nex-I-Staaten) einzusetzen mit dem Ziel einer Reduzierung der Treibhaus-
gasemissionen der Industriestaaten bis 2020 um mindestens 25 bis 40 Prozent
gegenüber 1990;

4. auf eine gemeinsame langfristige Vorstellung (shared vision) zum Klima-
schutz hinzuarbeiten, die neben einem globalen Treibhausgasreduktionsziel
von mindestens 50 Prozent bis 2050 auch Prinzipien einer gerechten Auftei-
lung der weltweiten Klimaschutzbemühungen umfasst, unter Berücksich-
tigung der historischen Verantwortung der Industriestaaten für den Klima-
wandel, der unterschiedlichen Klimaschutzkapazitäten zwischen Nord und
Süd und der Gleichberechtigung aller Menschen mit Blick auf ihre Treib-
hausgasemissionen;

5. das Klimaprotokoll im Interesse eines wirksamen Klimaschutzes weiterzu-
entwickeln, insbesondere durch

a) die völkerrechtlich verbindliche Verankerung empfindlicher Sanktionen
oder Vertragsstrafen für den Fall der Nichterreichung der festgelegten
Emissionsobergrenzen,

b) die Vereinbarung von konkreten Reduktionsverpflichtungen für einzelne
Emissionssektoren, insbesondere Einigung auf Minderungspflichten für
den internationalen Flug- und Schiffsverkehr,

c) die Festschreibung verbindlicher internationaler Zielvorgaben für den Ab-
bau bestehender weltweiter klimaschädlicher Subventionen,

d) die Weiterentwicklung der projektbezogenen Mechanismen CDM (Clean
Development Mechanism) und JI (Joint Implementation) mit dem Ziel,
Missbrauch wirksam zu unterbinden und die ökologische Effizienz der
Projekte sicherzustellen,

e) die Anerkennung von CO2- Speichern und -Senken und projektbezogenen
Mechanismen wie CDM oder JI nur als zusätzliche Reduktionsmaßnah-
men, wenn sie nicht die Erfüllung notwendiger eigener Minderungsziele
der Industrieländer (Annex-I-Staaten) unterlaufen;

6. sich dafür einzusetzen, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer schritt-
weise und unter Anerkennung ihres Rechts auf wirtschaftliche und soziale
Entwicklung in das Klimaprotokoll einbezogen werden mit Hilfe abgestufter
Verpflichtungen, wie etwa sektorspezifischer Ziele oder Zielmarken zur Ver-
besserung der Energieproduktivität und zum Ausbau erneuerbarer Energien;

7. sich für einen deutlichen Ausbau eines wirksamen Finanzierungsmechanis-
mus zur Unterstützung der Entwicklungsländer bei Maßnahmen zur Anpas-
sung an den Klimawandel einzusetzen und den auf Bali beschlossen Anpas-
sungsfonds zu unterstützen und finanziell angemessen auszustatten;

8. sich für Programme zur Wiederaufforstung von degradierten Flächen und zur
Bindung von Kohlenstoff in Böden einzusetzen, die sich nach den Kriterien
einer naturnahen Forstwirtschaft richten sowie zum Erhalt der biologischen
Vielfalt beitragen;

Drucksache 16/11024 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
9. sich für die Weiterentwicklung der Finanzierungsinstrumente zum Schutz
der Urwälder und zur Kompensation vermiedener Entwaldung (REDD) ein-
zusetzen durch

a) die Anerkennung von REDD nur als zusätzlicher Maßnahme zu den not-
wendigen Treibhausgasreduktionen in den Industriestaaten,

b) die stärkere Zusammenarbeit der Klimarahmenkonvention mit der Kon-
vention über die biologische Vielfalt (CBD), um die notwendigen Syner-
gien zwischen dem Klima- und Biodiversitätsschutz und somit den Er-
halt der biologischen Vielfalt sicherzustellen,

c) die Berücksichtigung der globalen Ziele der Armutsbekämpfung und
Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung bei der Implementierung von
REDD durch unter anderem die Partizipation der lokalen Bevölkerung
und Gemeinschaften vor Ort,

d) die Implementierung eines effektiven und prüfbaren Monitoring-, Verifi-
zierungs- und Berichtssystems;

10. ergänzend zur Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls die bilaterale und
multilaterale Technologiekooperation, insbesondere im Bereich der erneu-
erbaren Energien, der Energieeinsparung und der Energieeffizienz, erheb-
lich zu intensivieren;

11. sich dafür stark zu machen, dass alle Entwicklungsländer an den Klimaver-
handlungen aktiv teilnehmen können, und zu diesem Zweck bestehende
Fonds entsprechend auszustatten.

Berlin, den 25. November 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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