BT-Drucksache 16/11021

Einsatz von Streitkräften gegen Piraten und Maßnahmen zur Vermeidung von Piraterie vor der Küste Somalias

Vom 24. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11021
16. Wahlperiode 24. 11. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche,
Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Einsatz von Streitkräften gegen Piraten und Maßnahmen zur Vermeidung
von Piraterie vor der Küste Somalias

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat mit inzwischen drei Resolutionen
(UNSR Res. 1814 vom 15. Mai 2008, 1816 vom 2. Juni 2008 und 1838 vom
7. Oktober 2008) die Staaten mandatiert, die Sicherheit vor der Küste Somalias
auch mit militärischen Mitteln zu gewährleisten. Zwar wird in den Resolutionen
betont, dass dabei die Souveränität Somalias gewahrt bleiben muss, die Staaten
vor allem die Übergangsregierung Somalias unterstützen und nur in enger
Abstimmung mit der Übergangsregierung Piraterie unterbinden sollen. Aber
mangels klarer Umsetzungsbestimmungen besteht die Gefahr einer Militari-
sierung der Pirateriebekämpfung und der Instrumentalisierung der Piraterie für
die Beanspruchung von Sonderrechten einiger Industriestaaten bei der Kontrolle
und Überwachung des internationalen Seeverkehrs. Bemerkenswert ist in
diesem Zusammenhang der Anstieg der Militäroperationen in dieser Region.
Ende des Jahres werden voraussichtlich drei unterschiedliche Militärmissionen
Kriegsschiffe am Horn von Afrika im Einsatz haben. Neben den Kriegsschiffen
der Task Force 150 der US-geführten Operation Enduring Freedom (OEF) und
der Standing Naval Maritime Group 2 der NATO soll auch die EU-Mission
„Atalanta“ im Dezember 2008 ihre Arbeit aufnehmen. Letztere löst die bereits
im September eingerichtete EU-Koordinierungszelle EU NAVCO ab.

Der Beschluss des EU-Rates über die Gemeinsame Aktion (GA) über die
Militäroperation der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008 wirft
neben Fragen der politischen Sinnhaftigkeit einer solchen militärischen Opera-
tion auch verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Fragen auf, z. B. über den
Umgang mit gefangen genommenen Personen und die rechtlichen Grundlagen
für eine Beteiligung deutscher Streitkräfte.

Zudem haben die gleichen Staaten und Militärbündnisse, die sich nun an der
militärischen Bekämpfung der Piraterie beteiligen wollen, bislang wenig Initia-
tive gezeigt, sich mit den strukturellen Ursachen und politischen Strategien zur
Vermeidung und langfristigen Bearbeitung der Piraterie vor der somalischen
Küste und weltweit zu befassen. Auch vor diesem Hintergrund sind daher Nach-
fragen angebracht.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Piraterie-Vorfälle sind in den letzten fünf Jahren vor der somali-
schen Küste gemeldet worden und wie häufig waren Schiffe mit Hilfsliefe-
rungen im Auftrag internationaler Hilfsorganisationen und deutsche bzw.
europäische Schiffe betroffen (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren und Zahl der
Transportschiffe, Handelsschiffe, Fischfangflotten und Privatschiffe)?

Drucksache 16/11021 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Wie entwickelte sich der Schiffsverkehr in den nationalen und internationa-
len Gewässern vor der somalischen Küste in den letzten fünf Jahren (bitte
aufgeschlüsselt nach Jahren)?

3. Wie viele Schiffe, inklusive Unterstützungsschiffe, werden im Rahmen von
„Atalanta“ eingesetzt, und in welchen Abständen werden sie abgelöst wer-
den?

4. Nach welchen Kriterien wird die Bundesregierung evaluieren, ob die Betei-
ligung der Bundeswehr an der EU-Militäroperation „Atalanta“ tatsächlich
einen Beitrag zur Minimierung des Piraterierisikos leistet?

5. Welche Formen der Zusammenarbeit mit der NATO Standing Naval Mari-
time Group und der OEF sind neben der Koordination, wie sie bereits im
Rahmen von EU NAVCO erfolgt, geplant, und auf welche Weise wird diese
Zusammenarbeit umgesetzt werden?

6. Welche Aufgaben der EU-Militäroperation werden als gemeinsame Aus-
gaben nach dem ATHENA-Mechanismus abgerechnet (bitte jeweils unter
Angabe der geschätzten Gesamtkosten und des deutschen Anteils)?

7. Auf welche Weise wird die EU die Vorgaben der drei UN-Sicherheitsrats-
resolutionen (1814, 1816 und 1838) und der Gemeinsamen Aktion vom
10. November 2008 umsetzen und gewährleisten, dass die somalische
Übergangsregierung eingebunden wird in die Entscheidungsprozesse, die
Informationsauswertung und Kommunikation bei Einsätzen gegen Piraten?

8. Auf welche Weise wird die EU im Rahmen von „Atalanta“ auch die nicht
anerkannten Institutionen und Behörden von Somaliland und Puntland in
ihre Aktivitäten einbinden?

9. Wie wird die Beteiligung von Drittstaaten an der Gemeinsamen Aktion der
EU geregelt, und mit welchen Staaten wurden bereits Gespräche hinsicht-
lich einer Beteiligung geführt bzw. sind in Vorbereitung?

10. Aufgrund welcher völkerrechtlichen oder anderen gesetzlichen Grundlagen
können beteiligte Drittstaaten zur Einhaltung der Pflichten, die in der
Gemeinsamen Aktion festgelegt sind, verpflichtet werden?

11. Unter welchen Umständen und auf welcher Rechtsgrundlage darf die Bun-
deswehr nach Auffassung der Bundesregierung

a) ein Piratenschiff oder ein von Piraten gekapertes Schiff entern, und unter
welchen Umständen darf dabei Gewalt angewendet werden?

b) ein Piratenschiff beschießen und ggf. versenken?

c) ein Piratenschiff oder ein von Piraten entführtes Schiff außerhalb des
Einsatzgebietes verfolgen?

d) flüchtige Piraten auch an Land verfolgen?

e) Piraten festsetzten oder festnehmen?

12. Wie vereinbart die Bundesregierung den Einsatz deutscher Streitkräfte zur
Pirateriebekämpfung, obwohl das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der
Vereinten Nationen von 1982 Piraterie als Kriminalität einstuft, für deren
Bekämpfung verfassungsrechtlich die Polizei zuständig ist?

13. Nach welchen Kriterien wird im Rahmen von „Atalanta“ entschieden, wel-
che Schiffe als schutzbedürftig eingestuft werden und Anspruch auf Geleit-
schutz haben, und welchen Einfluss haben die Eigentümer der Schiffe auf
diesen Entscheidungsprozess?

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14. Sollen Streitkräfte der Bundeswehr auf Schiffen mit Hilfslieferungen inter-
nationaler Hilfsorganisationen oder anderen als schutzbedürftig eingestuf-
ten Schiffen eingesetzt werden?

a) Wenn ja, auf welcher verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen
Grundlage?

b) Wenn ja, welche Waffen oder Waffensysteme sollen an Bord dieser
Schiffe gebracht werden, und für welche Maßnahmen sind sie jeweils
vorgesehen?

c) Wenn ja, welchem Recht wären die deutschen Streitkräfte, die auf diesen
Schiffen eingesetzt werden, unterstellt, dem deutschen Recht, dem des
jeweiligen Flaggenstaates oder Dritten (bitte mit Begründung)?

15. In welchen Fällen ist Deutschland für die Strafverfolgung von Personen
zuständig, die seeräuberische Handlungen oder bewaffnete Raubüberfälle
begangen haben oder unter Verdacht stehen, solche begangen zu haben?

16. Unter welchen Bedingungen und auf welcher rechtlichen Grundlage ist es
für die Bundeswehr bzw. die Bundesregierung möglich, festgenommene
Piraten an Drittstaaten zu überstellen, und wie gewährleistet die Bundes-
regierung, dass an Drittstaaten überstellte Personen keinerlei Risiko die
Menschenrechtsnormen verletzender Behandlung inklusive der Todesstrafe
ausgesetzt werden?

17. Welche Informationen und Daten werden im Rahmen der Überwachung
ermittelt, und an wen werden diese zu welchen Zwecken weitergegeben?

18. Welche internationalen Fangflotten, insbesondere aus der EU, haben in den
letzten fünf Jahren vor der Küste Somalias in der Exclusive Economic Zone
(EEZ) gefischt?

19. Wie wird gewährleistet und kontrolliert ob diese Schiffe über eine gültige
Lizenz zum Fischen in der EEZ Somalias haben?

20. Auf wie viele Tonnen wird der legale und der illegale Fischfang vor der
EEZ Somalias geschätzt, und wie viele Tonnen werden davon in Europa
weiterverkauft und verarbeitet?

21. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Verarmung
der somalischen Fischer, insbesondere durch den Fischfang internationaler
Flotten auf somalischem Territorium, und der Zunahme der Piraterie?

22. Welche Maßnahmen schlägt die Bundesregierung vor, um den somalischen
Fischern wieder zu Fischfangquoten zu verhelfen, die ihre ökonomische
Situation verbessern?

23. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Zunahme
von Piraterie-Vorfällen vor der somalischen Küste und der sich kontinuier-
lich verschlechternden Bürgerkriegssituation in Somalia?

24. Welche nichtmilitärischen Maßnahmen zur Vermeidung von Piraterie ha-
ben die EU und Deutschland in den letzten zehn Jahren am Horn von Afrika
unternommen?

25. Welche Überlegungen gibt es innerhalb der EU und auf Seiten der Bundes-
regierung zur Verbesserung der Fähigkeiten der somalischen Behörden zur
Pirateriebekämpfung und in der Region insgesamt?

26. Welche nichtmilitärischen Maßnahmen sind im Rahmen der EU oder von
Seiten der Bundesregierung geplant, um die strukturellen Ursachen von
Piraterie zu beseitigen?

Drucksache 16/11021 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
27. Welche zivilen Maßnahmen sind im Rahmen der EU oder von Seiten der
Bundesregierung geplant, um eine Stabilisierung der politischen, wirt-
schaftlichen und humanitären Situation in Somalia zu befördern und zu
unterstützen?

Berlin, den 24. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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