BT-Drucksache 16/11011

Grundrechtseingriffe ohne Rechtsmittel

Vom 20. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11011
16. Wahlperiode 20. 11. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Sevim Dag˘delen, Jan Korte,
Kersten Naumann und der Fraktion DIE LINKE.

Grundrechtseingriffe ohne Rechtsmittel

Wird der Angeklagte im Ausgang eines Strafverfahrens wegen Schuldunfähig-
keit freigesprochen, so stehen ihm nach ganz herrschender Auffassung und in
der verfestigten Praxis keine Rechtsmittel gegen das Urteil zu, selbst wenn das
Gericht offenlässt, ob überhaupt eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige Haupt-
tat vorlag (zu alledem: vgl. BGH 7,153; BGH in NJW 1961/Meyer-Goßner,
Kommentar zur Strafprozessordnung, 48. Aufl., Vor § 296, Rn. 13; anderer
Ansicht: OLG Stuttgart, Urteil v. 22. Mai 1959 – 1 Ss 221/59 oder Jürgen
Kuckein, „Zur Beschwer des Angeklagten bei einem Freispruch wegen Schuld-
unfähigkeit“ in Gedächtnisschrift für Rolf Keller, S. 137 ff.).

Vor dem Rechtsstaatsgebot des Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes werfen
diese Lehre und diese Praxis Zweifel auf.

Erstens ist dem wegen Schuldunfähigkeit Freigesprochenen die Möglichkeit
genommen, die Feststellungen oder Auslassungen des Gerichts zu Tatbestands-
mäßigkeit und/oder Rechtswidrigkeit einer überprüfenden Bewertung im In-
stanzenzug zu unterziehen. Zweitens ist es ihm unmöglich, die als Akt der öf-
fentlichen Gewalt ergehende Bewertung seines Geisteszustandes wieder aus
der Welt zu schaffen. Drittens wird der bemakelte Freispruch im Bundeszen-
tralregister (BZR) beim Bundesamt der Justiz zur Eintragung gebracht, ohne
dass die reine Registerbehörde befugt wäre oder gar verpflichtet werden
könnte, die inhaltliche Richtigkeit der gerichtlichen Feststellungen einer nach-
träglichen Überprüfung zu unterziehen. Gleichwohl erteilt die Registerbehörde
bei Vorliegen der Auskunftsvoraussetzungen Auskunft zu dieser Tat, was sich
in tatsächlicher Hinsicht – etwa im Falle einer Bewerbung als Angestellter oder
Beamter – als neuerliche Belastungen darstellen kann.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung grundsätzlich die geschilderten Defizite
im effektiven Rechtsschutz vor dem Rechtsstaatsprinzip des Artikel 19
Abs. 4 des Grundgesetzes?

2. Ist die Bundesregierung ebenfalls der Auffassung, dass die Effektivität der
Rechtssprechung und die grundsätzlich zu vermeidenden Mehrbelastungen
der Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1955 – 5 StR 499/54),
es unter dem Rechtsstaatsprinzip rechtfertigen, dem Angeklagten Anfech-
tungsmöglichkeiten in Gänze zu versagen (bitte begründen)?

3. Sieht die Bundesregierung Bedarf für gesetzgeberische Abhilfe?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wie wäre diese inhaltlich vorzunehmen?

Berlin, den 14. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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