BT-Drucksache 16/11008

Klage der Bundesregierung gegen die italienische Republik vor dem Internationalen Gerichtshof in Sachen NS-Opfer-Entschädigung

Vom 20. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11008
16. Wahlperiode 20. 11. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Monika Knoche, Dr. Norman Paech,
Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

Klage der Bundesregierung gegen die Italienische Republik
vor dem Internationalen Gerichtshof in Sachen NS-Opfer-Entschädigung

Medienberichten zufolge will die Bundesregierung vor dem Internationalen
Gerichtshof (IGH) gegen die Italienische Republik prozessieren, um Entschä-
digungsforderungen von Opfern des deutschen faschistischen Terrors abzuweh-
ren. Anlass hierfür sind jüngere Entscheidungen des italienischen Kassations-
gerichtes.

Das gilt zum einen für ehemalige italienische Militärinternierte, denen der
Kassationsgerichtshof mit einer im Juni 2008 veröffentlichten Entscheidung
ausdrücklich die Bahn zu Entschädigungsprozessen öffnete. Am gleichen Tag
hat das Gericht einer Klage von griechischen NS-Opfern stattgegeben, um eine
Vollstreckungsklausel zu erhalten, damit ihre Schadensersatzurteile gegen
Vermögen des deutschen Staates auf italienischem Boden vollstreckt werden
können. Schließlich hat das Gericht im Oktober 2008 eine weitere wichtige
Entscheidung getroffen: Es bestätigte die Verurteilung der Bundesrepublik
Deutschland zur Zahlung von rund 1 Mio. Euro an Familienangehörige von rund
200 Menschen, die im Sommer 1944 von der Wehrmachts-Division „Hermann
Göring“ in der Ortschaft Civitella ermordet worden waren.

Die Bundesregierung ist damit mit ihrem Versuch, sich unter Hinweis auf die
1961 als Globalzahlung geleisteten 40 Mio. DM vergleichsweise billig aus ihrer
historischen Verantwortung zu ziehen, zumindest vor italienischen Gerichten
gescheitert. Dennoch will die Bundesregierung nicht einmal wenigstens die
heute noch lebenden NS-Opfer entschädigen, wie sie in ihrer Antwort auf die
Kleine Anfrage „Entschädigung italienischer und griechischer NS-Opfer“ (Bun-
destagsdrucksache 16/9955) erst vor wenigen Monaten bestätigte.

Stattdessen wurden Gespräche mit der italienischen Regierung geführt, die das
unverhüllte Ziel hatten, die Urteile des Kassationsgerichtes zu umgehen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was genau ist Gegenstand der Klage, die die Bundesregierung vor dem IGH
einlegen will?
2. Klagt die Bundesregierung lediglich gegen das jüngste bekannt gewordene
Urteil des italienischen Kassationsgerichtes, das die Bundesrepublik
Deutschland zur Zahlung von 1 Mio. Euro Schadenersatz wegen des Massa-
kers in Civitella verpflichtete, oder zugleich gegen andere Urteile (ggf. wel-
che; bitte Aktenzeichen u. Ä. angeben und den konkreten Streitgegenstand
kurz benennen)?

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3. Wer genau ist Klagegegnerin bzw. Klagegegner?

4. Von welchen Anwältinnen und Anwälten will sich die Bundesregierung
vertreten lassen (wenn möglich, namentlich nennen)?

5. Welches konkrete Klageziel wird verfolgt, und warum hat sich die Bundes-
regierung zu einer Klage entschlossen?

6. Bis wann will die Bundesregierung die Klageschrift einreichen, und welche
Argumentation will sie dabei vertreten?

7. Entfaltet die Klage vor dem IGH eine aufschiebende Wirkung gegen die in
Italien rechtskräftigen Urteile?

8. Mit welchen Kosten kalkuliert die Bundesregierung das anstehende Verfah-
ren, und aus welchem Etat soll dieses finanziert werden?

9. Haben

a) italienische Militärinternierte (IMI),

b) Opfer von Wehrmachts- oder SS-Massakern in Italien,

c) Opfer von Wehrmachts- oder SS-Massakern in Griechenland, die in Ita-
lien ihre Vollstreckungsansprüche geltend machen,

nach Kenntnis der Bundesregierung bereits zu einem früheren Zeitpunkt in-
dividuelle Entschädigungszahlungen erhalten, und wenn ja, wie hoch fielen
diese aus?

Wenn nein, wie kommt die Bundesregierung dann zu ihrer Aussage (zuletzt
auf Bundestagsdrucksache 16/9955), die Opfer seien bereits entschädigt
worden?

10. Sind Alternativen zu einer Klage erwogen worden, und wenn ja, welche,
und was gab den Ausschlag für die Entscheidung, vor den IGH zu ziehen?

11. Welche Ergebnisse erbrachten die Gespräche, die die Bundesregierung mit
der italienischen Regierung über die Urteile des Kassationsgerichtshofes
geführt hat?

a) Wer war an den Gesprächen beteiligt, und wann und wo fanden diese
statt?

b) Welche Position hat die Bundesregierung in diesen Gesprächen vertre-
ten?

c) Hat die Bundesregierung im Rahmen dieser Gespräche Angebote ge-
macht, wenigstens Teilforderungen der NS-Opfer zu erfüllen?

d) Welche Position hat die italienische Regierung in diesen Gesprächen
vertreten?

e) Hat die italienische Regierung der Bundesregierung Empfehlungen ge-
geben, und wenn ja, welche?

f) Hat die italienische Regierung die Bundesregierung zur Klage vor dem
IGH ermutigt oder ihr davon abgeraten?

12. Hat die Bundesregierung erwogen, parallel zu den Gesprächen mit der
italienischen Regierung auch den direkten Kontakt zu den Anwälten der
Kläger, d. h. der NS-Opfer, zu suchen, und wenn nein, warum nicht?

13. Welche Überlegungen haben letztlich dazu geführt, den italienischen Staat
vor dem IGH zu verklagen, anstatt den NS-Opfern Entschädigung zu ge-
währen?
14. Wie vielen Entschädigungsklagen sieht sich die Bundesregierung gegen-
wärtig ausgesetzt (bitte möglichst nach a) ehemaligen Militärinternierten,

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b) Opfern/Angehörigen von Wehrmachts-/SS-Massakern, c) sonstigen Fäl-
len differenzieren), und vor welchen Gerichten werden diese verhandelt
(bitte Aktenzeichen u. Ä. angeben)?

15. Welche derartigen Verfahren sind bereits vor italienischen Gerichten rechts-
kräftig entschieden worden?

a) Welche Entschädigungssummen sind dabei festgelegt worden?

b) Wie hat die Bundesregierung auf die Entscheidungen reagiert?

16. Hinsichtlich welcher Verfahren laufen derzeit Vollstreckungsverfahren
gegen deutsches Vermögen in Italien, und welches deutsche Vermögen ist
hiervon betroffen?

17. Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Weigerung, nähere Angaben zu deut-
schem Vermögen in Italien zu machen (Bundestagsdrucksache 16/9955,
Fragen 6 und 7), und wenn ja, welche Rechtsgrundlage ermöglicht der
Bundesregierung ihrer Ansicht nach, das parlamentarische Fragerecht hier
zu ignorieren?

18. Hält es die Bundesregierung für angemessen, die Entschädigung von NS-
Opfern, denen durch deutsche Soldaten unermessliches Leid zugefügt
wurde, dadurch zu verhindern, dass sie dem Deutschen Bundestag keine
Antworten auf den Umfang deutschen Staatsbesitzes in Italien gibt und da-
mit den Deutschen Bundestag indirekt in Haftung für ihre umstrittene Ver-
weigerungshaltung gegenüber den NS-Opfern nimmt?

Berlin, den 14. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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