BT-Drucksache 16/10844

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung -16/10493- Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (4.VwVfÄndG)

Vom 12. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10844
16. Wahlperiode 12. 11. 2008

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses (4. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
– Drucksache 16/10493 –

Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher
Vorschriften (4. VwVfÄndG)

A. Problem

Bis zum 28. Dezember 2009 ist die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im
Binnenmarkt (ABl. EG Nr. L 376 S. 36) – Dienstleistungsrichtlinie (DLRL) um-
zusetzen. Ziel der Richtlinie ist die Verbesserung des EG-Binnenmarktes für die
grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen. Dafür sollen Dienst-
leister künftig sämtliche zur Aufnahme einer Dienstleistungstätigkeit erforder-
lichen Verfahren und Formalitäten sowie die Beantragung der für die Ausübung
ihrer Dienstleistungstätigkeit erforderlichen Genehmigungen über eine aus ihrer
Sicht einheitliche Stelle („einheitlicher Ansprechpartner“) abwickeln können.
Die Verfahren müssen zudem sowohl über die einheitliche Stelle als auch bei
den zuständigen Behörden auf Wunsch des Dienstleisters elektronisch abzu-
wickeln sein. Weitere verfahrensrechtliche Anforderungen sind die Einführung
umfangreicher Informationspflichten, festgelegter Entscheidungsfristen und
von Genehmigungsfiktionen.

Der Gesetzentwurf setzt allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Anforde-
rungen der Dienstleistungsrichtlinie im Verwaltungsverfahrensgesetz um. Die
verfahrensrechtlichen Verbesserungen sollen auch für Inlandssachverhalte, auf
die die Dienstleistungsrichtlinie keine Anwendung findet, gelten und prinzipiell
für alle Verwaltungsverfahren für anwendbar erklärt werden können. Die Um-
setzung der Dienstleistungsrichtlinie wird zum Anlass genommen, durch eine
maßvolle und zugleich zukunftweisende Anpassung des Verwaltungsverfah-
rensgesetzes die Leistungen der Verwaltung für Bürger und Wirtschaft deutlich
zu verbessern.

B. Lösung

So weit wie möglich werden die verfahrensrechtlichen Anforderungen der
Dienstleistungsrichtlinie im Verwaltungsverfahrensgesetz geregelt, um das
Fachrecht zu entlasten und eine Rechtszersplitterung durch umfangreiche Rege-
lungen in einer Vielzahl von Fachgesetzen zu vermeiden. Nicht verallgemeine-
rungsfähige Vorgaben – etwa die fachspezifische Festlegung von Entschei-

Drucksache 16/10844 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

dungsfristen für die zuständigen Behörden – bleiben dagegen der Regelung im
Fachrecht vorbehalten.

Es wird eine neue besondere Verfahrensart („Verfahren über eine einheitliche
Stelle“) an Stelle der bisherigen Vorschriften über die Beschleunigung von
Genehmigungsverfahren eingeführt, von denen einzelne in den allgemeinen Teil
des Gesetzes übernommen werden. Das „Verfahren über eine einheitliche
Stelle“ ermöglicht zum einen, die Anforderungen der Dienstleistungsrichtlinie
an die Verfahrensabwicklung über einen „einheitlichen Ansprechpartner“ und
weitere verfahrensrechtliche Anforderungen der Richtlinie zu erfüllen. Es kann
aber darüber hinaus grundsätzlich für alle Verwaltungsverfahren, also auch im
Verhältnis Bürger–Verwaltung, angewandt werden. Das Verfahren muss – ähn-
lich wie beim Planfeststellungsverfahren – durch Rechtsvorschrift angeordnet
werden. Mit der gewählten Regelungstechnik werden dessen verfahrensrecht-
liche Regelungen für verbindlich erklärt; die Inanspruchnahme der einheitlichen
Stelle selbst dagegen bleibt optional.

Es werden allgemeine Regelungen über die Genehmigungsfiktion eingeführt,
deren Geltung ebenfalls durch gesonderte Rechtsvorschrift angeordnet werden
muss.

Der Gesetzentwurf enthält zugleich die entsprechenden fachgesetzlichen Rege-
lungen zur Einführung der Vorschriften zum Verfahren über eine einheitliche
Stelle und zur Genehmigungsfiktion in einigen Berufskammergesetzen.

Annahme des Gesetzentwurfs in geänderter Fassung mit den Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktionen FDP und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

C. Alternativen

Eine Regelung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Anforderungen aus der
Dienstleistungsrichtlinie im jeweiligen Fachrecht hätte erhebliche Nachteile:
Zum einen wäre der Regelungsaufwand um ein Vielfaches höher. Zum anderen
bestünde die Gefahr, dass die Vorgaben der Richtlinie uneinheitlich umgesetzt
werden und zumindest eine Vielzahl im Detail voneinander abweichende Rege-
lungen in den betroffenen Rechtsgebieten entstünden. Das Verfahrensrecht
würde unnötig zersplittert und für den Rechtsanwender unüberschaubar. Ein
solches Regelungsmodell widerspräche auch der von Bundestag und Bundesrat
geforderten Konzentration verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften im
Verwaltungsverfahrensgesetz (Vermeidung von Sonderverfahrensrecht).

Eine auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkte Umsetzung würde zu
einer Spaltung des Verwaltungsverfahrensrechts führen. Sie hätte zudem eine
erhebliche Inländerbenachteiligung zur Folge. Dienstleister aus anderen EU-
und EFTA-Staaten, die ihre Leistungen in Deutschland anbieten wollen, kämen
in den Genuss der Verfahrenserleichterungen, die Dienstleistern innerhalb
Deutschlands vorenthalten blieben.

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

Keine

2. Vollzugsaufwand

Der Gesetzentwurf stellt der Verwaltung lediglich zusätzliche verfahrensrecht-
liche Instrumente zur Verfügung, deren Anwendung aber der gesonderten An-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10844

ordnung durch Rechtsvorschrift bedarf. Erst durch diese noch zu erlassenden
Vorschriften wird gegebenenfalls zusätzlicher Vollzugsaufwand verursacht.

E. Sonstige Kosten

Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreis-
niveau sind nicht zu erwarten.

F. Bürokratiekosten

Es werden für die Wirtschaft keine Informationspflichten neu eingeführt, geän-
dert oder aufgehoben.

Es werden für die Bürger keine Informationspflichten neu eingeführt, geändert
oder aufgehoben.

Für die Verwaltung werden zwölf Informationspflichten neu eingeführt.

Drucksache 16/10844 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/10493 mit nachfolgenden Maßgaben, im
Übrigen unverändert anzunehmen:

Nach Artikel 9 wird folgender Artikel 9a eingefügt:

,Artikel 9a

Änderung des Verwaltungszustellungsgesetzes

Das Verwaltungszustellungsgesetz vom 12. August 2005 (BGBl. I S. 2354)
wird wie folgt geändert:

1. Dem § 2 Abs. 3 wird folgender Satz angefügt:

„§ 5 Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz bleibt unberührt.“

2. § 5 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 4 wird Satz 2 gestrichen.

b) Absatz 5 wird wie folgt gefasst:

„(5) Ein elektronisches Dokument kann im Übrigen unbeschadet des
Absatzes 4 elektronisch zugestellt werden, soweit der Empfänger hierfür
einen Zugang eröffnet; es ist elektronisch zuzustellen, wenn auf Grund
einer Rechtsvorschrift ein Verfahren auf Verlangen des Empfängers in
elektronischer Form abgewickelt wird. Für die Übermittlung ist das Doku-
ment mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signatur-
gesetz zu versehen und gegen unbefugte Kenntnisnahme Dritter zu schüt-
zen.“

c) Nach Absatz 5 werden folgende Absätze 6 und 7 angefügt:

‚(6) Bei der elektronischen Zustellung ist die Übermittlung mit dem
Hinweis, „Zustellung gegen Empfangsbekenntnis“ einzuleiten. Die Über-
mittlung muss die absendende Behörde, den Namen und die Anschrift des
Zustellungsadressaten sowie den Namen des Bediensteten erkennen las-
sen, der das Dokument zur Übermittlung aufgegeben hat.

(7) Zum Nachweis der Zustellung nach Absatz 4 und Absatz 5 genügt
das mit Datum und Unterschrift versehene Empfangsbekenntnis, das an
die Behörde durch die Post oder elektronisch zurückzusenden ist. Ein
elektronisches Dokument gilt in den Fällen des Absatzes 5 Satz 1 zweiter
Halbsatz am dritten Tag nach der Absendung an den vom Empfänger hier-
für eröffneten Zugang als zugestellt, wenn der Behörde nicht spätestens an
diesem Tag ein Empfangsbekenntnis nach Satz 1 zugeht. Satz 2 gilt nicht,
wenn der Empfänger glaubhaft macht, dass das Dokument nicht oder zu
einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Der Empfänger ist in den Fällen
des Absatzes 5 Satz 1 zweiter Halbsatz vor der Übermittlung über die
Rechtsfolge nach Satz 2 zu belehren. Zum Nachweis der Zustellung ist
von der absendenden Behörde in den Akten zu vermerken, zu welchem
Zeitpunkt und an welchen Zugang das Dokument gesendet wurde. Der
Empfänger ist über den Eintritt der Zustellungsfiktion nach Satz 2 zu be-
nachrichtigen.‘

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10844

3. § 9 Abs. 2 Satz 3 wird wie folgt gefasst:

„Der Nachweis der Zustellung gemäß Absatz 1 Nr. 4 richtet sich nach § 5
Abs. 7 Satz 1 bis 3 und 5.“‘

Berlin, den 10. November 2008

Der Innenausschuss

Sebastian Edathy
Vorsitzender

Ralf Göbel
Berichterstatter

Siegmund Ehrmann
Berichterstatter

Gisela Piltz
Berichterstatterin

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Silke Stokar von Neuforn
Berichterstatterin

Drucksache 16/10844 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Ralf Göbel, Siegmund Ehrmann, Gisela Piltz, Ulla Jelpke
und Silke Stokar von Neuforn

I. Zum Verfahren
1. Überweisung

Der Gesetzentwurf auf Drucksache 16/10493 wurde in der
183. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Oktober
2008 an den Innenausschuss federführend sowie an den
Rechtsausschuss und den Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung zur Mitberatung überwiesen.

2. Voten der mitberatenden Ausschüsse

Der Rechtsausschuss hat in seiner 116. Sitzung am 10. No-
vember 2008 mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei
Stimmenthaltung der Fraktionen FDP und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN die Annahme des Gesetzentwurfs empfohlen.

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
hat in seiner 73. Sitzung am 12. November 2008 mit den
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der
Fraktionen FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfoh-
len, den Gesetzentwurf in der Fassung des Änderungsantrags
der Koalitionsfraktionen auf Ausschussdrucksache 16(4)496
anzunehmen.

3. Beratungen im federführenden Ausschuss

Der Innenausschuss hat in seiner 78. Sitzung am 10. No-
vember 2008 den Gesetzentwurf abschließend beraten.

Als Ergebnis der Beratungen wurde mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der
Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktionen
FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfohlen, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/
10493 in der Fassung des Änderungsantrags der Koalitions-
fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Ausschussdruck-
sache 16(4)496 anzunehmen. Zuvor wurde der Änderungs-
antrag auf Ausschussdrucksache 16(4)496 mit demselben
Stimmergebnis angenommen.

II. Zur Begründung
Zur Begründung allgemein wird auf Drucksache 16/10493
hingewiesen. Die vom Innenausschuss auf Grundlage des
Änderungsantrags der Koalitionsfraktionen auf Ausschuss-
drucksache 16(4)496 vorgenommenen Änderungen begrün-
den sich im Wesentlichen wie folgt:

Zu Artikel 9a (Änderung des Verwaltungs-
zustellungsgesetzes)

Artikel 9a enthält die erforderliche Anpassung des Verwal-
tungszustellungsgesetzes (VwZG) an Artikel 8 Abs. 1 der
Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 12. Dezember 2006 (EG-Dienstleistungs-
richtlinie).

Für den Anwendungsbereich der EG-Dienstleistungsricht-
linie schreibt Artikel 8 Abs. 1 EG-DLR vor, eine vollständi-

ge elektronische Verfahrensabwicklung zu ermöglichen.
Dieser Vorgabe wird das geltende Verwaltungszustellungs-
recht nicht hinreichend gerecht, da der Nachweis der Zustel-
lung elektronischer Dokumente an die Rücksendung einer
Empfangsbestätigung durch den Empfänger geknüpft ist.
Dadurch hängt die Möglichkeit der Behörde, den Zugang
eines Dokuments zu beweisen, von der Mitwirkung des
Empfängers ab. Um künftig bei der Zustellung auf elektro-
nischem Wege eine Beweisführung über den Zugang der Er-
klärung ohne Mitwirkung des Empfängers zu ermöglichen,
sieht Artikel 9a eine Zustellungsfiktion vor, wenn der Emp-
fänger eine elektronische Verfahrensabwicklung verlangt,
aber seine Mitwirkung daran verweigert. Für die Fälle, in
denen ein Zugang nicht oder verspätet erfolgt, lässt die
Regelung im Hinblick auf die Beweisnot des Empfängers
eine Glaubhaftmachung dieser Umstände genügen, die an
nur geringe Anforderungen geknüpft wird.

Die mit Artikel 9a beabsichtigte Verbesserung der rechtsver-
bindlichen elektronischen Zustellung knüpft an die heute
bestehenden technischen Möglichkeiten der Kommunikation
mit E-Mails an: Die herkömmliche elektronische Versen-
dung von Dokumenten durch E-Mail ist unsicher. E-Mails
kann man mit wenig Aufwand auf dem Weg abfangen, wie
Postkarten mitlesen und in ihrem Inhalt verändern, ohne dass
dies für den Adressaten der E-Mail feststellbar ist. Insoweit
ist davon auszugehen, dass bei der elektronischen Versen-
dung von Dokumenten ein gegenüber der herkömmlichen
postalischen Versendung wesentlich erhöhtes Transportrisiko
für die Beteiligten besteht.

Im Einzelnen

Zu Nummer 1 (§ 2 Abs. 3 VwZG)

Nach dem bisherigen § 2 Abs. 3 VwZG hat die Behörde ein
Wahlrecht zwischen den einzelnen in den §§ 3 bis 5 VwZG
geregelten Zustellungsarten. Die Ergänzung schließt dieses
Wahlrecht aus, wenn auf Grund einer Rechtsvorschrift ein
Verfahren auf Verlangen des Antragstellers elektronisch ab-
gewickelt wird. In diesen Fällen ist die Behörde verpflichtet,
ein elektronisches Dokument zuzustellen. Auf die Begrün-
dung zu § 5 Abs. 5 wird insoweit hingewiesen.

Zu Nummer 2 (§ 5 VwZG)

Zu Buchstabe a (§ 5 Abs. 4 VwZG)

Die bisherige Regelung über den Zustellungsnachweis bei
dem in § 5 Abs. 4 Satz 1 VwZG bezeichneten Adressaten-
kreis wird systematisch mit der entsprechenden Vorschrift
für die elektronische Zustellung an jedermann in Absatz 7
Satz 1 zusammengeführt. Der bisherige § 5 Abs. 4 Satz 2
wird daher aufgehoben. Auf die Begründung zu Absatz 7
Satz 1 wird ergänzend hingewiesen.

Zu Buchstabe b (§ 5 Abs. 5 VwZG)

Satz 1 ergänzt die bisherige fakultative elektronische Zustel-
lung durch eine obligatorische elektronische Zustellung.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/10844

Ebenso wie bei der fakultativen elektronischen Zustellung
nach dem bisherigen § 5 Abs. 1 Satz 1 VwZG setzt die nun-
mehr vorgesehene Verpflichtung der Behörde zur elektro-
nischen Zustellung die Eröffnung eines Zugangs voraus.
Hierbei gelten die auch bei der bisherigen fakultativen Zu-
stellung entwickelten Maßstäbe. Ob ein Zugang eröffnet
worden ist, richtet sich damit im Einzelfall nach der Ver-
kehrsanschauung, die sich mit der Verbreitung elektro-
nischer Kommunikationsmittel fortentwickelt. Zum Schutz
Privater kann danach derzeit bei Bürgern (anders als bei
Firmen oder Rechtsanwälten) in der Regel nur dann von
einer Zugangseröffnung ausgegangen werden, wenn gegen-
über der Behörde die Bereitschaft zur elektronischen Ver-
fahrensabwicklung erklärt wird.

Zur Begründung der Verpflichtung der Behörde zur elektro-
nischen Zustellung sieht die Vorschrift zusätzlich vor, dass
eine Rechtsvorschrift die elektronische Abwicklung des Ver-
fahrens auf Verlangen des Empfängers vorschreibt. Das Ver-
langen nach elektronischer Verfahrensabwicklung tritt damit
bei der obligatorischen elektronischen Zustellung als zusätz-
liche Voraussetzung neben die Zugangseröffnung.

Nach Satz 2 setzt die elektronische Übermittlung von Doku-
menten zusätzlich zu der nach dem bisherigen Recht erfor-
derlichen qualifizierten elektronischen Signatur (§ 5 Abs. 5
Satz 2 VwZG) voraus, dass das elektronische Dokument ge-
gen unbefugte Kenntnisnahme Dritter zu schützen ist. Dies
entspricht der parallelen Regelung in § 174 Abs. 3 Satz 3 der
Zivilprozessordnung (ZPO).

Zu Buchstabe c (§ 5 Abs. 6 und 7 VwZG)

Zu Absatz 6

Absatz 6 regelt die formellen Anforderungen an die elektro-
nische Zustellung in Anlehnung an § 174 Abs. 2 Satz 2 der
Zivilprozessordnung. Danach hat die zustellende Behörde
die Übermittlung mit dem Hinweis „Zustellung gegen Emp-
fangsbekenntnis“ einzuleiten. Ferner müssen Absender und
Empfänger sowie der Bedienstete der absendenden Behörde,
der das Dokument zur Übermittlung aufgegeben hat, erkenn-
bar sein. Durch diese Anforderungen wird für den Empfän-
ger des Dokuments erkennbar, dass es sich bei der Übermitt-
lung des elektronischen Dokuments um eine förmliche
Zustellung der absendenden Behörde handelt.

Zu Absatz 7

Satz 1 fasst die in dem bisherigen § 5 Abs. 4 Satz 2 und
Abs. 5 Satz 3 VwZG getroffenen Regelungen über den Nach-
weis der Zustellung zusammen. In Ergänzung des bisherigen
Rechts stellt die Vorschrift klar, dass dem Empfänger das
Empfangsbekenntnis postalisch oder elektronisch zurückzu-
senden ist. Elektronisch kann das Empfangsbekenntnis auch
als Telekopie übermittelt werden. Wird das Empfangsbe-
kenntnis als elektronisches Dokument erteilt, bedarf es nach
§ 3a Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes einer quali-
fizierten Signatur nach dem Signaturgesetz. Diese Signatur
ersetzt in diesem Fall die Unterschrift des Zustellungsemp-
fängers.

Wird auf Verlangen des Empfängers das Verfahren elektro-
nisch abgewickelt, schafft Satz 2 eine Zustellungsfiktion für
die Fälle, in denen der Empfänger das Empfangsbekenntnis

nicht zurücksendet und dadurch seine Mitwirkung an der Zu-
stellung verweigert.

Ist dem Empfänger das elektronisch übermittelte Dokument
nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen, lässt
Satz 3 für den Nachweis die Glaubhaftmachung durch den
Empfänger genügen. Danach muss der Empfänger, um den
Eintritt der Zustellungsfiktion abzuwenden, eine überwie-
gende Wahrscheinlichkeit der behaupteten entscheidungs-
erheblichen Tatsachen dartun; Gewissheit braucht nicht ver-
schafft zu werden. In der Regel wird schon der schlüssige, in
sich stimmige Vortrag des Empfängers und das Fehlen be-
sonderer Gründe, die für die Unglaubwürdigkeit des Vor-
trags sprechen, für die Feststellung des Sachverhalts genü-
gen.

Diese Minderung des Beweismaßes trägt der bestehenden
Beweisnot des Empfängers bei den heute gängigen E-Mails
Rechnung: Der Beweis, dass eine Nachricht nicht oder ver-
spätet eingegangen ist, ist kaum zu erbringen, da in der Regel
entweder die dafür notwendigen Protokolldateien nicht vor-
liegen oder aber der Nutzer eines E-Mail-Dienstes keinen
Zugriff von dem Betreiber (Provider) darauf erhalten wird,
weil dieser damit telekommunikationsgeheimnisrelevante
Daten auch anderer Nutzer offenbaren müsste.

Zum Schutz des Rechtsunkundigen enthält Satz 4 eine Ver-
pflichtung der zustellenden Behörde, den Empfänger zu be-
lehren, dass die Zustellungsfiktion eintritt, wenn der Emp-
fänger eine elektronische Verfahrensabwicklung verlangt,
aber seine Mitwirkung an der elektronischen Zustellung ver-
weigert. Hierdurch soll der Empfänger vor einem Rechts-
verlust geschützt werden, den er bei Versäumung einer Frist
erleiden würde. Dies entspricht der Beratungs- und Aus-
kunftsverpflichtung nach § 25 des Verwaltungsverfahrens-
gesetzes. Sofern die Zustellung tatsächlich erfolgt ist, macht
ein Verstoß gegen diese Belehrungsverpflichtung, ebenso
wie im Fall der fiktiven Auslandszustellung nach dem gel-
tenden § 9 Abs. 3 Satz 3 VwZG, die Zustellung nicht unwirk-
sam.

Satz 5 beinhaltet eine Aufzeichnungspflicht der dort genann-
ten Angaben zum Zweck der Beweisfähigkeit der Behörde.
Bestreitet der Empfänger die Zustellung, begründet der Ver-
merk vollen Beweis dafür, dass die Behörde das Dokument
zu der im Vermerk bezeichneten Zeit und an den dort ange-
gebenen Zugang, an den Empfänger gesendet hat. Die for-
melle Beweiskraft erstreckt sich dagegen nicht darauf, dass
das Dokument zugegangen ist.

Nach Satz 6 ist der Empfänger, der eine elektronische Ver-
fahrensabwicklung verlangt, von dem aber die Behörde kein
Empfangsbekenntnis erhalten hat, in geeigneter Form über
den Eintritt der Zustellungsfiktion zu benachrichtigen. Mit
dieser Regelung soll erreicht werden, dass der Empfänger in
den Fällen, in denen das elektronisch übermittelte Dokument
nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist, Ge-
legenheit erhält, den Eintritt der Zustellungsfiktion abzu-
wenden. Leitlinie für die Entscheidung der Behörde, in wel-
cher Form die Benachrichtigung erfolgt, ist es daher, die
Information des Empfängers über den Eintritt der Zustel-
lungsfiktion sicherzustellen. Welche Form der Benachrichti-
gung hierzu geeignet ist, ist je nach den Umständen des kon-
kreten Falles zu entscheiden. Grundsätzlich reicht die
formlose postalische oder elektronische Übersendung aus;
eine Zustellung ist nicht notwendig.

Drucksache 16/10844 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Zu Nummer 3 (§ 9 VwZG)

Es handelt sich um eine Folgeänderung zu der Änderung in
Nummer 2 Buchstabe c. Mit der Vorschrift wird die Rege-
lung über den Nachweis der elektronischen Zustellung im
Ausland in § 9 Abs. 2 VwZG, die bislang auf die Fälle be-
schränkt ist, in denen ein Empfangsbekenntnis übermittelt
wird, um den Hinweis zur Nachweisführung in Fällen der
Zustellungsfiktion ergänzt.

Berlin, den 10. November 2008

Ralf Göbel
Berichterstatter

Siegmund Ehrmann
Berichterstatter

Gisela Piltz
Berichterstatterin

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Silke Stokar von Neuforn
Berichterstatterin

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.