BT-Drucksache 16/10781

Fortführung der Bilanz zu den Bleiberechtsregelungen von Bund und Ländern

Vom 4. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10781
16. Wahlperiode 04. 11. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Klaus Ernst, Ulrich Maurer, Kersten Naumann,
Katja Kipping und der Fraktion DIE LINKE.

Fortführung der Bilanz zu den Bleiberechtsregelungen von Bund und Ländern

Noch zum Ende des Jahres 2005 lebten in der Bundesrepublik Deutschland über
200 000 Menschen lediglich mit einer „Duldung“, deren Aufenthalt sechs Jahre
und mehr betrug (vgl. Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. Bundestags-
drucksache 16/3446). Durch den parlamentarischen (siehe Gesetzentwurf der
Fraktion DIE LINKE. Bundestagsdrucksache 16/369, Antrag der Fraktion DIE
LINKE. Bundestagsdrucksache 16/3912) und außerparlamentarischen Druck
von Flüchtlingsorganisationen und Kirchen sahen sich zunächst die Innenminis-
ter der Länder, dann auch die Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
im Deutschen Bundestag bewogen, Regelungen zur Lösung des Problems zu
treffen. Zunächst durch einen Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK)
innerhalb des geltenden Aufenthaltsrechts, später durch Beschluss des Deut-
schen Bundestages zur Änderung des Aufenthaltsrechts wurden „Altfall“-Rege-
lungen getroffen, von denen sich die Beteiligten eine große Reduktion der Zahl
langjährig „Geduldeter“ erhofften.

Mittlerweile gelten die „IMK-Regelung“ und die gesetzliche „Altfallregelung“
nebeneinander fort. Da beide Regelungen Ausschlussstichtage bezüglich der
Antragstellung enthalten, wird die Zahl der langjährig geduldeten Personen per-
spektivisch wieder ansteigen. Mit einem erheblichen Zuwachs ist zum Jahres-
wechsel 2009/2010 zu rechnen, weil dann bereits erteilte Aufenthaltserlaubnisse
nicht verlängert werden, wenn die Betroffenen keinen dauerhaft existenzsi-
chernden Lebensunterhalt nachweisen können.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Personen haben bis zum 30. September 2008 eine Aufenthalts-
erlaubnis nach § 104a oder § 104b des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) be-
antragt, und wie viele Familien betraf dies (bitte nach Bundesländern diffe-
renzieren)?

a) Wie viele Anträge hiervon betrafen oder waren Anträge, die bereits nach
der IMK-Regelung vom November 2006 gestellt wurden aber bis zum
Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung noch nicht entschieden waren und

deshalb nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen beurteilt werden
(bitte nach Bundesländern differenzieren)?

b) Wie viele Anträge wurden nach § 104b AufenthG für „integrierte Kinder
von geduldeten Ausländern“ gestellt (bitte nach Bundesländern differen-
zieren)?

Drucksache 16/10781 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

c) Welches waren die zehn am häufigsten vertretenen Herkunftsländer der
Antragsteller und Antragstellerinnen (bitte nach Bundesländern differen-
zieren)?

2. Wie vielen Personen wurden bis zum 30. September 2008 Aufenthaltserlaub-
nisse nach § 104a oder § 104b AufenthG erteilt (bitte nach Geschlecht, Alter
[zumindest: Voll- bzw. Minderjährigkeit], Bundesländern und den zehn
häufigsten Herkunftsländern differenzieren)?

a) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1
Satz 1 i. V. m. § 104a Abs. 1 Satz 2 AufenthG erhalten, weil der Lebens-
unterhalt durch Erwerbstätigkeit bereits gesichert war (bitte nach Bundes-
ländern differenzieren)?

b) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1
Satz 1 AufenthG („auf Probe“) erhalten, weil der Lebensunterhalt durch
Erwerbstätigkeit noch nicht gesichert war (bitte nach Bundesländern
differenzieren)?

c) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 2
Satz 1 AufenthG als bei der Einreise noch minderjährige, inzwischen aber
volljährige Kinder erhalten (bitte nach Bundesländern differenzieren)?

d) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 2
Satz 2 AufenthG als unbegleitete Minderjährige erhalten (bitte nach Bun-
desländern differenzieren)?

e) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104b i. V. m.
§ 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Minderjährige unter der Bedingung der
Zusage einer Ausreise der Eltern erhalten (bitte nach Bundesländern
differenzieren)?

3. Wie viele der in Frage 1 benannten Anträge wurden bis zum 30. September
2008 abgelehnt, und wie viele Personen/Familien waren betroffen (bitte nach
Bundesländern differenzieren)?

a) Welche genaueren Angaben zu den Gründen der Ablehnung liegen der
Bundesregierung vor, etwa zu den Nummern 1 bis 6 des § 104a Abs. 1
Satz 1 AufenthG (Wohnraum, Sprachkenntnisse, Schulbesuch der Kinder,
Täuschungen bzw. Behinderungen, Extremismus- bzw. Terrorismusver-
dacht, Straftaten; bitte nach Bundesländern differenzieren)?

b) Wie viele Anträge wurden insbesondere deshalb abgelehnt, weil davon
ausgegangen wurde, dass der Nachweis einer eigenständigen Lebens-
unterhaltssicherung auch nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis „auf
Probe“ nicht erreicht werden kann (alters-, krankheitsbedingt usw.; bitte
nach Bundesländern differenzieren)?

c) Wie viele Anträge wurden insbesondere deshalb abgelehnt, weil ein in der
häuslichen Gemeinschaft lebendes Familienmitglied Straftaten begangen
hat, und wie viele Personen waren betroffen (vgl. § 104a Abs. 3 Satz 1
AufenthG; bitte nach Bundesländern differenzieren)?

d) Wie viele Anträge wurden insbesondere deshalb abgelehnt, weil die gefor-
derten Aufenthaltszeiten nicht erfüllt waren (bitte nach Bundesländern
differenzieren)?

4. Wie viele Anträge auf eine Aufenthaltserlaubnis nach §104a oder § 104b
AufenthG sind noch nicht entschieden worden, und welche Erkenntnisse hat
die Bundesregierung für die Gründe dafür (bitte nach Bundesländern
differenzieren)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10781

5. Mit wie vielen Anträgen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach
§ 104a oder § 104b AufenthG rechnet die Bundesregierung bis zum Aus-
laufen der Regelung am 31. Dezember 2009?

6. Wie viele Menschen befinden sich zum Stichtag 30. September 2008 in der
Bundesrepublik Deutschland, deren Aufenthalt lediglich geduldet bzw. ge-
stattet wird, und wie viele hiervon sind nach dem 30. September 2002, dem
30. Juni 2001 bzw. 30. Juni 1999 eingereist (bitte nach Herkunftsländern
und Bundesländern auflisten)?

7. Wie viele Personen sind seit dem 1. Januar 2005 aus einem Aufenthaltstitel
in die Duldung „gefallen“, nachdem bspw. ihr Asyl- oder Flüchtlingsstatus
widerrufen wurde (bitte nach Herkunftsländern und Bundesländern auf-
listen)?

8. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass nach einem Urteil des Bundes-
verwaltungsgerichts vom 26. August 2008 die Mindestverdienstgrenzen
zum Nachweis der geforderten eigenständigen Lebensunterhaltssicherung
je nach Fallkonstellation um mehrere hundert Euro gestiegen sind, und wel-
che Konsequenzen zieht die Bundesregierung hieraus (vgl. Angaben des
Flüchtlingsrats Nordrhein-Westfalen in der „Schnellinfo 9/2008“)?

9. Sieht die Bundesregierung bzgl. des in Frage 8 angesprochenen Urteils
gesetzgeberischen Handlungsbedarf, um der Intention des Gesetzgebers bei
Einführung der „Altfallregelung“ zum Durchbruch zu verhelfen (bitte
begründen)?

10. Wie viele Aufenthaltserlaubnisse aufgrund der IMK-Bleiberechtsregelung
wurden bis zum 30. September 2008 erteilt (bitte nach Bundesländern und
den zehn stärksten Herkunftsländern differenzieren), und wie viele dieser
Aufenthaltserlaubnisse haben noch Bestand bzw. wurden widerrufen?

11. Wie steht die Bundesregierung angesichts der unterhalb der ursprünglichen
Erwartungen bleibenden Zahlen erteilter Aufenthaltserlaubnisse und der
Forderungen von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen zu Gesetzes-
änderungen, mit denen der Kreis der Bleibeberechtigten erweitert würde,
etwa durch

a) Aufhebung des Ausschlussstichtages bezüglich der Antragstellung
(„permanente“ Bleiberechtsregelung),

b) Wegfall des Fehlens einer dauerhaften eigenständigen Lebensunterhalts-
sicherung als Kriterium, das in Absehung von anderen bereits erbrachten
Integrationsleistungen allein schon zum Ausschluss führt?

Berlin, den 3. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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