BT-Drucksache 16/10585

Energiesparen für alle - Kosten senken, Klima schützen

Vom 15. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10585
16. Wahlperiode 15. 10. 2008

Antrag
der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Kerstin Andreae,
Markus Kurth, Sylvia Kotting-Uhl, Cornelia Behm, Bettina Herlitzius,
Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth
(Quedlinburg), Nicole Maisch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Energiesparen für alle – Kosten senken, Klima schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der drastische Anstieg der Energiepreise hat sich zu einem ernstzunehmenden
sozialen Problem entwickelt. Heute müssen Verbraucherinnen und Verbraucher
im Schnitt 50 Prozent mehr für Strom, Gas und Sprit ausgeben als noch vor
sechs Jahren. Einkommensschwache Haushalte trifft diese Preisexplosion be-
sonders stark. Der Zugang zu Strom und Wärme wird für sie zu einer echten
Kostenfrage. Angesichts dieser Entwicklung muss die Politik handeln und dafür
sorgen, dass die Grundversorgung mit Energie für alle erschwinglich bleibt.

Die Preise fossiler Energieträger werden auf absehbare Zeit weiter steigen. Zu
lange haben wir mit der Illusion billiger Energie gelebt, was den Verbrauch
weiter angekurbelt und die Preise in die Höhe getrieben hat. Der Energiehunger
auf der Welt ist ungebrochen und die Vorräte fossiler Energien gehen zur Neige.

Der Staat kann aber bei steigenden Energiepreisen keine hundertprozentige Ab-
hilfe schaffen. Wollte man den Anstieg der Energiekosten dauerhaft aus-
gleichen, wäre der Kollaps der öffentlichen Haushalte programmiert. Deshalb
sind Energiesteuersenkungen, Subventionen oder staatlich bezuschusste Sozial-
tarife keine Antwort. Sie nähren nur die Illusion, der Staat könne die immer teu-
rer werdende fossile Energie wieder „billig“ machen. Wir brauchen stattdessen
nachhaltige Lösungen, die folgende Strategien parallel verfolgen:

Erstens gilt es kurzfristig die Auswüchse der Energieverteuerung abzumildern.
Vor dem Hintergrund der Preissteigerungen gewinnt die Erhöhung des Arbeits-
losengeldes II auf 420 Euro an zusätzlicher Dringlichkeit. Zusätzlich müssen die
Menschen auch direkt und unbürokratisch unterstützt werden, durch Einsparun-
gen ihre Energiekosten zu senken. Denn die billigste Kilowattstunde ist die ein-
gesparte, und zwar dauerhaft. Wir müssen die Menschen in die Lage versetzen,
energiesparende Geräte anzuschaffen, als Mieter von energetisch sanierten Häu-

sern zu profitieren und ihr Verbrauchsverhalten zu verändern.

Zweitens muss die Energieversorgung konsequent auf erneuerbare Energien
und effiziente Technik umsteigen. Klimafreundlich und sozial ist kein Wider-
spruch – im Gegenteil. Nur die Unabhängigkeit von Öl und anderen fossilen
Ressourcen bewahrt unsere Gesellschaft langfristig vor den Auswirkungen ex-
plodierender Preise. Die Sonnenenergie selbst ist sogar kostenlos; Kosten ent-
stehen, wie bei der Wärmedämmung, lediglich bei der Investition. Erneuerbare

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Energien werden dank technischer Innovationen und ansteigender Produktions-
zahlen immer preiswerter, senken die Importabhängigkeit unserer Wirtschaft
und sind der wichtigste Beitrag zum Klimaschutz. Deshalb soll der Ausbau der
erneuerbaren Energien beschleunigt und ihr Anteil am gesamten Energiever-
brauch bis 2020 auf mindestens 30 Prozent gesteigert werden. Langfristig muss
eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien angestrebt werden.

Drittens müssen die Energieversorgungsstrukturen umgebaut werden. Es müs-
sen weit reichende Veränderungen auf den Energiemärkten eingeleitet werden,
die einen fairen Wettbewerb schaffen und die Machtkartelle aufbrechen. Das
verhindert, im Unterschied etwa zu Sozialtarifen, auch ungerechtfertigte Preis-
erhöhungen von Quasimonopolisten.

Die Politik muss auf die neue Herausforderung mit einer ökologischen und so-
zialen Energiepolitik reagieren. Dazu ist ein umfassendes Maßnahmebündel er-
forderlich, das die sozialen Folgen der Energieverteuerung abmildert und eine
für alle bezahlbare und klimafreundliche Energieversorgung dauerhaft sicher-
stellt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Energiesparen für alle Haushalte zu ermöglichen, indem sie

● nach dem erfolgreichen Vorbild anderer Länder wie Dänemark oder Nor-
wegen einen mit 3 Mrd. Euro ausgestatteten Energiesparfonds einrichtet,
aus dem insbesondere folgende Programme finanziert werden:

– Programme zur energetischen Sanierung von Wohngebäuden in Stadt-
teilen mit einem hohen Anteil einkommensschwacher Haushalte,

– Programme für den Austausch teurer und umweltschädlicher Strom-
heizungen,

– Programme zur Optimierung von Heizungsanlagen sowie zur Installa-
tion hocheffizienter Wärmepumpen,

– Maßnahmen, die das Energiespar-Contracting erleichtern, insbeson-
dere durch Ausfallbürgschaften für Contracting-Unternehmen,

● die Energiewirtschaft zur Bereitstellung finanzieller Mittel für die Aus-
stattung des Energiesparfonds verpflichtet und so die ungerechtfertigten
Gewinne aus der Einpreisung gratis zugeteilter CO2-Zeritifikate ab-
schöpft,

● in Anlehnung an das bewährte Städtebauförderungsgesetz ein Förderge-
setz zur energetischen Stadtsanierung erarbeitet, mit dem eine zielgenaue
Förderung der energetischen Sanierung von Wohngebieten mit einem
hohen Anteil einkommensschwacher Haushalte sichergestellt wird,

● einen jährlichen Energiesparbonus in Höhe von 50 Euro pro Person für
alle Haushalte einführt, der für Produkte und Dienstleistungen, die zur
Einsparung von Energie oder zur Nutzung erneuerbarer Energien beitra-
gen, eingelöst werden kann, z. B. effiziente Geräte, energiesparende
Handwerksleistungen, Energieberatungen oder Spritsparkurse;

2. die Entwicklung und Verbreitung besonders energiesparender Geräte zu för-
dern, indem sie

● sich auf europäischer Ebene dafür einsetzt, dass die verbrauchsärmsten
Modelle einer Produktklasse den Standard setzen, den drei Jahre später
alle Produkte dieser Klasse erfüllen müssen (sog. Top-Runner-Modell),

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10585

● auf EU-Ebene für anspruchsvolle Mindeststandards für den Energiever-
brauch von Geräten sowie eine verbraucherfreundliche Kennzeichnung
besonders sparsamer Geräte eintritt,

● prüft, inwieweit durch eine auf europäischer Ebene diskutierte zeitlich be-
fristete Reduzierung der Mehrwertsteuer auf energiesparende Produkte
sowie Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien die Attraktivität
von Investitionen, Spartechnik und erneuerbare Energie weiter gesteigert
werden kann;

3. den Wärmeverbrauch von Gebäuden zu reglementieren und Anreize zur In-
vestition in energetische Sanierungsmaßnahmen zu schaffen, indem sie

● energetische Mindeststandards für den Heizenergieverbrauch und den An-
teil erneuerbar erzeugter Wärme im Gebäudebestand gesetzlich festlegt,
die nach einer Übergangsphase für alle Gebäude gelten sollen,

● Mietern ein Recht zur Reduzierung der Warmmiete einräumt, wenn der
energetische Zustand ihrer Wohnungen nicht den gesetzlichen Vorgaben
entspricht und ihnen dadurch erhöhte Heizkosten entstehen,

● einen einheitlichen, am Zustand des Gebäudes orientierten Energiepass
verpflichtend vorschreibt;

4. für faire Wettbewerbsbedingungen und Transparenz auf dem Energiemarkt
zu sorgen, indem sie

● die Gründung einer unabhängigen Netzgesellschaft für den Betrieb der
Höchstspannungsnetze mit einer Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen
Hand vorbereitet,

● die Energieversorger verpflichtet, ihre Jahresergebnisse nach Sparten
(Strom, Gas etc.) zu untergliedern und die Kunden jährlich über Kosten-
entwicklung, Investitionen und Unternehmensgewinne zu informieren,

● prüft, ob und ggf. wie die von den Verbraucher- und Umweltverbänden zur
Diskussion gestellten Tarifmodelle für Strom ohne Grundgebühren, mit
vergünstigten Grundkontingenten und progressivem Tarifverlauf zur An-
wendung gebracht werden können;

5. die Energiepreisentwicklung bei Leistungen für einkommensschwache
Haushalte stärker zu berücksichtigen, indem sie

● das Arbeitslosengeld II auf 420 Euro aufstockt und die Grundsicherungs-
leistungen für Energie regelmäßig an die Entwicklung der Energiepreise
anpasst,

● Leistungsbeziehenden einen Anspruch auf kostenlose Energieberatung
einräumt,

● das völlige Absperren von Privathaushalten von der Gas- und Stromver-
sorgung gesetzlich einschränkt und dafür Sorge trägt, dass eine Minimal-
versorgung gesichert bleibt,

● gemeinsam mit den Bundesländern und Kommunen ein Konzept zur flä-
chendeckenden Einführung von Sozialtickets im öffentlichen Personen-
verkehr erarbeitet.

Berlin, den 15. Oktober 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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Begründung

Energiesparen ist einer der schnellsten Wege, um den Geldbeutel von hohen
Energiekosten zu entlasten. Angesichts der gestiegenen Energiepreise und des
drohenden Klimawandels ist die Bereitschaft dazu, wie selten zuvor, groß. Doch
fehlende Informationen über Produkte, mangelhafte Kennzeichnung und hohe
Anschaffungskosten bei energieeffizienten Geräten hindern viele Verbrauche-
rinnen und Verbraucher daran, ihren Wunsch nach einem sparsamen Umgang
mit Energie in die Tat umzusetzen. Gerade für einkommensschwache Haushalte
sind Investitionen in Energiespartechnik häufig unerschwinglich, obwohl sie
eine Entlastung bei ihren Energierechnungen am dringendsten bräuchten.

Wir wollen eine breite gesellschaftliche Energiesparoffensive starten, von der
einkommensschwache Haushalte besonders profitieren und die zugleich Im-
pulse für zukunftsfähige Produkte und innovative Unternehmen setzt.

Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auch auf eine Senkung des Heizenergie-
bedarfs gelegt werden. Immer noch gibt es viel zu wenige energetisch sanierte
Wohnungen. Dabei besteht im Gebäudebereich ein immenses Potenzial, Energie
und Kosten einzusparen. Denn drei Viertel der Haushaltsenergie wird allein für
das Heizen aufgewandt. In vielen Altbauten liegt der Heizenergiebedarf über
250 kWh pro Quadratmeter und Jahr. Durch eine Sanierung ließe sich dieser
Wert halbieren.

Doch in Deutschland kommt die Gebäudesanierung nur sehr schleppend voran.
Bei Beibehaltung der aktuellen Sanierungsquote würde es 150 Jahre dauern bis
der gesamte Gebäudebestand auf einen vernünftigen energetischen Standard ge-
bracht ist. Durch verbindliche Gebäudeeffizienzstandards, zusätzliche Sanie-
rungshilfen für Vermieter und Hauseigentümer und verbesserte Mieterrechte
kann dieser Prozess entscheidend beschleunigt werden.

Nur Energiesparen innerhalb des fossilen und atomaren Energiesystems ist noch
keine ausreichende Lösung. Wer im kommenden Jahr seine Heizenergie um
z. B. ein Viertel senkt, was durchaus sehr ambitioniert ist, muss beim erwarteten
weiteren Anstieg der Heizöl- und Erdgaspreise mit dennoch höheren Heizkosten
rechnen, obwohl er sparsamer heizt. Die Verbraucher können aus der fossilen
Kostenfalle rauskommen, wenn sie den verbleibenden Energieverbrauch nicht
mehr mit knappen fossilen Energien decken, sondern vollständig auf erneuer-
bare Energien umstellen. Es ist Aufgabe des Staates, den Menschen bei ihrer
persönlichen Energiewende zu helfen, indem er Anreize für die Umstellung auf
erneuerbare Energien setzt, Hemmnisse abbaut und durch die Beendigung der
Subventionierung für fossile Energien deutlich zeigt, dass er in diesen keine Zu-
kunft mehr sieht.

Ein solches Investitionsprogramm brächte nicht nur eine Entlastung der Haus-
halte und eine Verringerung des Energieverbrauchs und der CO2-Emission, es
würde darüber hinaus maßgeblich zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplät-
zen in Industrie, Gewerbe und Handwerk beitragen.

Die weltweit hohe und ungebrochene Nachfrage nach Energie ist der Haupt-
grund für steigende Preise. Ein Teil des Preisanstiegs ist aber auch „hausge-
macht“, weil in nicht funktionierenden Märkten Unternehmen ihre Marktmacht
ausnutzen und ungerechtfertigte Preiserhöhungen durchsetzen oder Spekulanten
die Preise in die Höhe treiben. Wir brauchen daher eine neue Politik, die das
Energiekartell aufbricht und die Macht der Energielobby zurückdrängt.

Die galoppierenden Energiekosten bergen enormen sozialen Sprengstoff. Sie
überfordern die finanziellen Möglichkeiten einer wachsenden Zahl einkom-
mensschwacher Haushalte und belasten die Kommunen, die überwiegend die
steigenden Heizkostenrechnungen von Hartz-IV-Haushalten finanzieren. Immer

mehr Haushalte können die Energiekosten nicht mehr selbst aufbringen und

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10585

laufen Gefahr, vom Strom- und Gasbezug ausgeschlossen zu werden. Ohne Zu-
gang zu Energie ist jedoch eine akzeptable Lebensqualität und Teilhabe am ge-
sellschaftlichen Leben nicht mehr gewährleistet. Neben der Förderung des
Energiesparens ist es deshalb auch erforderlich, bei der Berechnung der Sozial-
leistungen die steigenden Strompreise zu berücksichtigen, eine Minimalversor-
gung mit Strom und Gas sicherzustellen sowie die Mobilität durch Sozialtickets
zu gewährleisten.

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