BT-Drucksache 16/10509

Finanzierung zur Bewahrung des deutschen Filmerbes sicherstellen

Vom 8. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10509
16. Wahlperiode 08. 10. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Dr. Lukrezia
Jochimsen, Volker Schneider (Saarbrücken) und der Fraktion DIE LINKE.

Finanzierung zur Bewahrung des deutschen Filmerbes sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Thema Sicherung des deutschen Filmerbes ist erfreulicherweise gegenwär-
tig Gegenstand im parlamentarischen Verfahren des Deutschen Bundestags. Be-
sonderen Anlass zur Freude gibt, dass unter allen Fraktionen Einigkeit darüber
besteht, dass es sich hier um eine kulturelle Aufgabe von grundlegender Bedeu-
tung handelt.

Aufgrund bislang unzureichender digitaler Speicherverfahren ist davon auszu-
gehen, dass eine Langzeitarchivierung des Filmbestandes in annehmbarer Quali-
tät bis auf weiteres analog erfolgen muss. Ferner sollte im Bemühen um den Er-
halt und die Sicherung des Filmerbes ein starkes Augenmerk auch auf Magnet-
bandaufzeichnungen gelegt werden: Ein Großteil der politischen und gesell-
schaftlichen Prozesse – dazu zählt auch die Videokunst – wurde auf Ton- und
Videobändern aufgezeichnet, die einem dramatisch schnelleren Alterungs- und
Verfallsprozess unterworfen sind als das Medium Film. Magnetbandaufzeich-
nungen sind daher in die Sicherung des audiovisuellen Erbes einzubeziehen.

Bislang ungeklärt ist bedauerlicherweise allerdings, welche Kosten eine Lang-
zeitkonservierung bestehender Archivbestände insgesamt verursachen würde
und wer die finanziellen Mittel dazu aufbringen sollte. Ein Blick auf die große
Zahl zu konservierender Bestände im Einklang mit entsprechenden ersten Kal-
kulationen beteiligter Institutionen zeigt, dass hier ein Finanzbedarf von
90 000 000 Euro und mehr gegeben ist.

Der von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachte Antrag „Das deutsche Filmerbe sichern“ (Bundestags-
drucksache 16/8504) geht demgegenüber davon aus, dass die Bewahrung des
nationalen Filmerbes „ohne zusätzliche Belastungen der öffentlichen Haus-
halte zu realisieren“ sei. Dieser Vorstellung wird von namhaften Experten – so
auch im öffentlichen Expertengespräch des Ausschusses für Kultur und
Medien am 18. Juni 2008 – widersprochen.

Angesichts der notwendigen enormen Finanzmittel bedarf es gemeinsamer An-

strengungen von Filmwirtschaft, öffentlicher Hand sowie der Kinobesucherin-
nen und - besucher. Die Filmproduzenten sollen dazu in Form einer Pflicht-
abgabe für alle neuproduzierten Filme eingebunden werden und somit wesent-
lich zur Bewahrung des zukünftigen Bestandes beitragen. Beiträge zur Restau-
rierung und Archivierung der vorhandenen Bestände sollen zu gleichen Teilen
die öffentliche Hand, die Film- und filmtreibende Werbewirtschaft sowie die
Kinobesucherinnen und - besucher leisten.

Drucksache 16/10509 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im Bundesarchivgesetz eine Regelung für eine Pflichtabgabe zur Einlage-
rung aller öffentlich aufgeführten Filme (Werbe-, Kultur-, Dokumentar-,
Animations-, Kurz- und Spielfilme) im Bundesarchiv–Filmarchiv zu schaf-
fen, die

a) für neuproduzierte Filme mit Produktionskosten von mehr als 1 000 000
Euro in Form eines Separation Masters,

b) für neuproduzierte Filme mit Produktionskosten von bis zu 1 000 000 Euro
zunächst in Form einer Positivkopie und fünf Jahre nach Auswertungsbe-
ginn in Form des Originalnegativs,

c) für neuproduzierte Filme mit Produktionskosten von unter 100 000 Euro
in Form einer Anerkenntnis zur Archivierungspflicht und fünf Jahre nach
Fertigstellung des Films durch Hinterlegung des Originalnegativs

zu leisten ist;

2. im Filmförderungsgesetz (FFG) Regelungen zur Bewahrung des Filmerbes
aufzunehmen und sicherzustellen, dass dazu

a) aus dem Bundeshaushalt jährlich Mittel in Höhe von 6 000 000 Euro
bereitgestellt werden;

b) Beiträge in Höhe von jährlich 6 000 000 Euro aus einer Abgabe der Film-
und filmtreibenden Werbewirtschaft bereitgestellt werden;

c) auf jede Kinokarte eine zweckgebundene Abgabe in Höhe von 5 Cent er-
hoben wird;

d) vor Ablauf der Fünfjahresfrist des FFG eine Überprüfung erfolgt, ob diese
Regelungen im Folgezeitraum fortzuführen sind.

Berlin, den 7. Oktober 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10509

Begründung

Bislang liegen keine genauen Zahlen über die Archivbestände insgesamt vor.
Nach einer Befragung von entsprechenden Institutionen ergibt sich das folgende
Bild:

Bundesarchiv–Filmarchiv 148 000 Filmkopien

Deutsche Kinemathek (SDK) 13 000 Filmkopien

Deutsches Filminstitut (DIF) 14 000 Filmkopien

Murnau-Stiftung 6 000 Filmkopien

DEFA-Stiftung 9 000 Videokassetten *

IWF Wissen und Medien
gGmbH 30 000 Filmkopien ** 9 600 Videokopien**

Chronos-Media GmbH 10 000 Filmrollen

Deutsches Filmmuseum,
Frankfurt am Main 7 000 Filmkopien

Filmmuseum Düsseldorf 5 000 Filmkopien

Filmmuseum München 5 000 Filmkopien

Filmmuseum Potsdam 2 000 Filmkopien ***

Haus des Dokumentarfilms,
Stuttgart 11 000 Filmkopien

Deutsches Rundfunkarchiv
(DRA) 100 000 Videokopien

251 000 Filmkopien 118 600 Videokopien.

In die Liste nicht aufgenommen wurden Bestandszahlen aus Landesarchiven
und Bildstellen. Beispielsweise besitzt das Bayerische Hauptstaatsarchiv Archi-
valien in Filmform mit 150 000 Einheiten, das Landesarchiv Berlin Bestände im
Umfang von 3 300 000 Filmmetern (627 laufende Meter), das LWL-Medien-
zentrum für Westfalen 3 000 Filme und Filmteile, das Sächsische Staatsarchiv
9 558 Lauffilme und das Landesarchiv Schleswig-Holstein 350 Filme.

Die Angaben zum Umfang der Bestände sagen allerdings nicht unmittelbar
etwas aus über den Erhaltungszustand des Materials, den Umfang von Material
zu gleichen Titeln, das Vorhandensein von Material zum gleichen Titel in meh-
reren Archiven sowie den bereits auf Film langfristig gesicherten Anteil an Alt-
beständen. Sie können deshalb nicht zur Grundlage von Hochrechnungen für die
Kosten der Langzeitarchivierung insgesamt benutzt werden. Auch sind entspre-
chende Restaurierungs- und Umkopierkosten abhängig vom Material (Nitro-
cellulose, Triacetat, Polyester) und Format (vorwiegend 35 mm und 16 mm),
wobei die Bearbeitung von seltenen Formaten (70 mm, 9,5 mm u. a.) in den
meisten Fällen in Deutschland nicht mehr möglich ist. Die Kostenbreite pro
Film reicht daher von 2 500 Euro zur archivarischen Sicherung einer kurzen
35-mm-Schwarz-weiß-Produktion über 25 000 bis 40 000 Euro für abendfül-
lende Farbproduktionen bis hin zu aufwendigen fotochemischen und digitalen
Restaurierungsarbeiten mit Ausbelichtung eines Bildnegativs im sechsstelligen

* Nur Bestände aus dem Archiv bei der DEFA-Stiftung. Dazu zählen das Zeitzeugen-Archiv Thomas
Grimm bei der DEFA-Stiftung, das Cintec-Archiv, der Filmbestand des Ministeriums für Auswärtige
Angelegenheiten, zudem im Auftrag der Stiftung produzierte Interviews mit Künstlerinnen und Künst-
lern der DEFA. Nicht mitgezählt sind 12 000 Titel des DEFA-Filmstocks im Eigentum des Bundes-
archivs.
** Jeweils ohne Vertriebskopien.
*** Inklusive Videokopien.

Drucksache 16/10509 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Bereich (z. B. Metropolis, 1927, ca. 120 Minuten, 166 000 Euro; Die Nibelun-
gen, 1924, ca. 300 Minuten, 365 000 Euro).

Dass zur Bewahrung des deutschen Filmerbes ein anzunehmender Finanzbedarf
von 90 000 000 Euro und mehr realistisch ist, zeigen jedoch Aussagen von
entsprechenden Institutionen. Das Bundesarchiv–Filmarchiv beispielsweise
veranschlagt die Kosten für die Restaurierung und Umkopierung von allein
68 000 Cellulosenitratfilmen in seinem Bestand auf über 50 000 000 Euro. Die
Chronos-Media GmbH benennt für die Umkopierung ihres Filmbestands im
Umfang von 10 000 Filmrollen Kosten in Höhe von mehr als 5 000 000 Euro,
die sich durch Berücksichtigung von Skaleneffekten durch Umkopierung in gro-
ßer Zahl auf ca. die Hälfte reduzieren ließen.

Das Bundesarchiv-Filmarchiv kalkuliert ferner die zusätzlichen Kosten (Sach-
kosten für die Archivierung inkl. Lagerung, Kosten für die Einrichtung einer
Registrierungsdatenbank und Personalkosten) für eine umfängliche Pflicht-
archivierung mit ca. 935 000 Euro (zu Kostensätzen von 2007). Für eine im An-
schluss erfolgende flächendeckende Nutzbarmachung des deutschen Filmerbes
mit öffentlichen Mitteln werden weitere 16 000 000 Euro veranschlagt.

Auf der Einnahmenseite erbringt die Finanzierung zur Bewahrung des deutschen
Filmerbes im Fünfjahreszeitraum des FFG 90 000 000 Euro: 30 000 000 Euro
durch einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt von jährlich 6 000 000 Euro;
30 000 000 Euro durch eine Abgabe der Film- und filmtreibenden Werbe-
wirtschaft in Höhe von jährlich 6 000 000 Euro; 30 000 000 durch eine zweck-
gebundene Abgabe für jede Kinokarte in Höhe von 5 Cent jährlich anzuneh-
menden Einnahmen von 6 000 000 Euro (berechnet nach Angaben der Film-
förderungsanstalt und auf Basis von 125 400 000 Kinobesucherinnen und - besu-
chern in 2007, http://www.ffa.de/downloads/marktdaten/1_Fuenf_Jahre_Blick/
02bis07_jahresabschluss.pdf).

Für neuproduzierte Filme mit Produktionskosten von mehr als 1 000 000 Euro
entstünden den Filmproduzenten Kosten in Höhe von 50 000 Euro für die
Pflichtabgabe in Form eines Separation Masters. Dieses Format entspricht den
Empfehlungen des Wissenschafts- und Technologierats der Academy of Motion
Pictures Arts and Sciences (AMPAS) in Los Angeles. Für neuproduzierte Filme
mit Produktionskosten zwischen 100 000 Euro bis 1 000 000 Euro entstünden
lediglich Kosten für eine Positivkopie in Höhe von 4 000 bis 6 000 Euro. Für die
Abgabe der ohnehin zu produzierenden Negativkopie fünf Jahre nach Auswer-
tungsbeginn würden keine weiteren Kosten anfallen. (Diese Angaben beziehen
sich auf Filme in Spielfilmlänge.)

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.