BT-Drucksache 16/10359

Verantwortlichkeiten für die Zustände im Endlager Asse II benennen und Konsequenzen für die Endlagersuche ziehen

Vom 24. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10359
16. Wahlperiode 24. 09. 2008

Antrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Jürgen Trittin, Cornelia Behm, Hans-Josef
Fell, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Bärbel
Höhn, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole
Maisch, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verantwortlichkeiten für die Zustände im Endlager Asse II benennen und
Konsequenzen für die Endlagersuche ziehen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Statusbericht zu den Zuständen im Forschungsendlager Asse II hat unsere
schlimmsten Vermutungen noch übertroffen. Obwohl als Forschungsendlager
konzipiert, wurden in das ehemalige Bergwerk Asse II zwischen 1967 und 1978
125 787 Fässer mit leicht- und mittelradioaktivem Atommüll unterschiedlicher
Herkunft verbracht. Bereits vor der ersten Einlagerung drang Salzlauge von au-
ßen in das Bergwerk. Befragungen ehemaliger Mitarbeiter ergaben nun, dass ein
Teil der Atommüllfässer in feuchte Kammern eingelagert wurde. Damit steht
fest, dass Asse II niemals als Lager, weder als Versuchs- noch als Endlager für
atomare Abfälle, hätte Verwendung finden dürfen.

Durch Akteneinsicht und parlamentarische Befragungen im Niedersächsischen
Landtag musste der Betreiber des Atommülllagers, das Helmholtz Zentrum
München, nun zugeben, dass Teile der eindringenden Lauge radioaktiv ver-
seucht sind. Cäsium 137 ist mehrfach festgestellt worden, die Strahlenwerte
lagen um bis zum 9-fachen über dem zulässigen Grenzwert. Anstatt die konta-
minierte Lauge entsprechend der Strahlenschutzverordnung ordnungsgemäß zu
entsorgen, wurde sie in die tiefste Ebene des ehemaligen Bergwerks gepumpt.
Die Rückholung ist nach Auskunft des Betreibers nicht möglich. Die Gefahren-
situation verschärft sich zusätzlich, da nach heutigem Wissen die Standfestigkeit
des Bergwerks nicht mehr auf Dauer sichergestellt ist.

Darüber hinaus befindet sich offenbar auch hochradioaktives Plutonium unter
den Abfällen; die Angaben über seine Menge differieren zwischen neun und
27 Kilogramm. Die Liste der radioaktiven Stoffe ist lang; Uran und Strontium
sind ebenso darunter wie Radium und Thorium.

Über die Hälfte des eingelagerten Atommülls – was die Radioaktivität betrifft
sogar 89 Prozent – stammen aus der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe

(WAK). Die Vermutung liegt nahe, auch auf Grund des damaligen Drängens des
Kernforschungszentrums Karlsruhe auf schnelle Inbetriebnahme des Lagers
Asse II als Forschungsstandort, dass Energieversorgungsunternehmen (EVU)
über den Umweg WAK die Asse II zur billigen Entsorgung genutzt haben.

Rechtliche Grundlage für die Verbringung der kontaminierten Laugen sollten
Sonderbetriebspläne sein, die zum Teil erst Monate nach Beginn der Arbeiten
bei den niedersächsischen Behörden eingereicht wurden.

Drucksache 16/10359 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Niemand informierte die Öffentlichkeit über mögliche Gefahren. Im Gegenteil:
Die Betreiber ebenso wie das Niedersächsische Ministerium für Umwelt und
Klimaschutz bekräftigten auf mehrfaches Nachfragen stets, dass keine Gefahren
von den Atomabfällen in der Asse II ausgehen.

Fachkundige Bewertungen im Rahmen des von uns angeregten Optionenver-
gleichs haben ergeben, dass unter Annahme ungünstiger Bedingungen bereits in
150 Jahren Radioaktivität aus dem Endlager entweichen könnte, wenn am Schlie-
ßungskonzept des Betreibers festgehalten würde. Danach könnten Radionuklide
ins Grundwasser gelangen und zu weitreichenden Kontaminationen führen.

Es ist offensichtlich, dass die im vergangenen Jahr getroffene Vereinbarung
zwischen dem formal zuständigen Bundesministerium für Bildung und For-
schung und dem Niedersächsischen Ministerium für Umwelt und Klimaschutz
mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
über den vollständigen Austausch von Informationen und Daten nicht eingehal-
ten worden ist. Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit Sigmar Gabriel konnte somit seiner Zusage aus dem vergangenen Jahr
an die Mitglieder des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit des Deutschen Bundestages nicht Folge leisten, wonach alle geplanten und
durchzuführenden Maßnahmen im Forschungsendlager Asse II nur noch nach
atomrechtlichen Maßgaben vorgenommen und vorab durch die Fachleute seines
Hauses geprüft und bewertet werden. Die Schlussfolgerung, die Asse II in die
Zuständigkeit des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit zu übernehmen, war überfällig.

Nun muss es darum gehen, größtmögliche Sicherheit für die Bevölkerung und
die Umwelt herzustellen und alle Möglichkeiten zu prüfen, die Atomabfälle aus
dem „Unsicherheitslager“ Asse II zu bergen und an anderer Stelle sicher endzu-
lagern.

Das politische Gebot der Stunde heißt: alle Verantwortlichen benennen und
politische Konsequenzen ziehen. Asse II sollte der Prototyp für ein Endlager in
Gorleben sein. Die ständigen Wasserzuflüsse, die sich ihren Weg durch das
Steinsalz suchen, machen deutlich, dass Salzformationen nicht grundsätzlich die
günstigsten Bedingungen für die Atommüllendlagerung bieten. Eine ergebnis-
offene Suche, die die verschiedenen verfügbaren Wirtsgesteine miteinander ver-
gleicht, ist mehr denn je zwingend geboten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. alle nötigen Schritte einzuleiten, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft
zu ziehen, die die radioaktive Kontamination verheimlicht und entgegen den
atomrechtlichen und strahlenschutzrechtlichen Vorgaben gehandelt haben;

2. alle Vorkehrungen zu treffen, die die Standfestigkeit des Bergwerks verbes-
sern können, um die umfassende Rückholung der Atommüllfässer zu ermög-
lichen;

3. eine rechtliche Grundlage zu schaffen, auf der die EVU, die von der billigen
Endlagerung des Atommülls profitiert haben, finanziell an der Sanierung der
Asse II beteiligt werden können;

4. Lehren aus dem „Forschungsansatz“ Asse II zu ziehen, Alternativen zum
Wirtsgestein Salz aufzuzeigen und endlich eine ergebnisoffene, verglei-
chende Standortsuche einzuleiten.

Berlin, den 24. September 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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