BT-Drucksache 16/10311

Globalen Freihandel stärken - Protektionismus bekämpfen

Vom 23. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10311
16. Wahlperiode 23. 09. 2008

Antrag
der Abgeordneten Gudrun Kopp, Markus Löning, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul K.
Friedhoff, Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin,
Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Patrick Meinhardt, Jan
Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Hermann
Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Christoph
Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Guido Westerwelle und der
Fraktion der FDP

Globalen Freihandel stärken – Protektionismus bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

„Freihandel schafft Wohlstand“. Diese einfache Botschaft hat sich insbesondere
in den vergangenen Jahrzehnten täglich bewahrheitet. Auf die zugrunde
liegende Tatsache, dass das Nutzen komparativer Vorteile durch alle Marktteil-
nehmer letztlich auch allen zugute kommt, hat Adam Smith bereits vor mehr als
200 Jahren wie folgt hingewiesen:

„Jeder kluge Familienvater befolgt den Grundsatz, niemals etwas zu Hause an-
zufertigen, was er billiger kaufen kann. Dem Schneider fällt es nicht ein, sich die
Schuhe selbst zu machen, sondern er kauft sie vom Schuhmacher; dem Schuh-
macher andererseits fällt es nicht ein, sich die Kleider selbst herzustellen, son-
dern er gibt sie beim Schneider in Auftrag, und dem Landwirt kommt es nicht in
den Sinn, sich dies oder jenes selbst zu machen, sondern auch er setzt die ein-
zelnen Handwerker in Nahrung. Alle sehen den Vorteil darin, ihre Arbeitskraft
ganz in der Weise zu betätigen, in der sie etwas vor ihren Nachbarn voraus haben
und sich mit einem Teil des Ertrages oder, was dasselbe ist, mit dem Preis dafür
das zu kaufen, was sie darüber hinaus brauchen.“

Dieser natürliche Prozess hat durch die technologisch begründete Senkung zeit-

licher wie räumlicher Distanzkosten, die heute zumeist als Globalisierung be-
schrieben wird, schon immer an Fahrt gewonnen, weil dadurch der zugrunde
liegende Markt an sich gewachsen ist. Diese Globalisierungsprozesse hat es im
Prinzip zu allen Zeiten, allerdings mit unterschiedlicher Dynamik gegeben. Zeit-
weise wurden sie unterbrochen, wie z. B. durch die Weltkriege, zeitweise massiv
beschleunigt, wie z. B. im Rahmen der rasanten Entwicklung elektronischer
Telekommunikationsmedien oder der Luftfahrt. In den vergangenen dreißig

Drucksache 16/10311 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Jahren erlebte die Welt eine Phase einer außergewöhnlichen Beschleunigung
dieses Globalisierungsprozesses. So ist der Weltgüterhandel in den vergangenen
Jahrzehnten kontinuierlich schneller gewachsen als die Weltgüterproduktion.
Wertschöpfungsketten haben sich international in dem Maße vervielfacht wie
die Distanzkosten gesunken sind, so dass früher an einem Ort integrierte Pro-
duktionsprozesse heute weite Räume mit einschließen.

Begleitet und unterstützt wurde dieser Prozess durch politische Maßnahmen, die
insbesondere in der Weiterentwicklung des Allgemeinen Zoll- und Handelsab-
kommen (General Agreement on Tariffs and Trade – GATT) zur Welthandelsor-
ganisation (WTO) ihren Ausdruck fanden. Das Ergebnis war eine einzigartige
Erfolgsgeschichte, im Zuge derer die Zölle der Industrieländer z. B. im verarbei-
tenden Sektor im Rahmen von acht multilateralen Zollsenkungsrunden von
zweistelligen Niveaus auf im Durchschnitt 3 bis 4 Prozent sanken, während der
weltweite Handel sich in fünfzig Jahren vervierzehnfachte. Diese Erfolgsge-
schichte kam – entgegen mancher öffentlicher Verlautbarungen so genannter
Globalisierungskritiker – insbesondere den Entwicklungs- und Schwellenlän-
dern und damit der Armutsbekämpfung zugute. Das Wachstum der Entwick-
lungs- und Schwellenländer lag in den vergangenen fünf Jahren (5 Prozent) dop-
pelt so hoch wie in den Industrieländern (2,5 Prozent), ihr Anteil am Welthandel
wächst stetig, die Auslandsinvestitionen in diesen Ländern haben sich seit 2002
verdoppelt und die Auslandsverschuldung gemessen am BIP dieser Länder ist
gesunken.

Vor dem Hintergrund dieser außergewöhnlichen Erfolge und Chancen des
jüngsten Globalisierungsprozesses müssen die handelspolitischen Entwicklun-
gen der vergangenen Jahre besorgt stimmen. Seit dem außerordentlich mühsa-
men Abschluss der Uruguay-Runde 1994 konnte kein WTO-Zeitfahrplan mehr
eingehalten werden. Gescheiterte Ministertreffen in Seattle, Cancún, Hongkong
und Genf folgten, die immer deutlicher machten, dass ein Konsens der inzwi-
schen 153 WTO-Mitglieder alle Beteiligten vor größte Schwierigkeiten stellt.
Gleichzeitig hat die Zahl der bilateralen Handelsabkommen massiv zugenom-
men.

So existierten unter dem GATT (1947 bis 1995) nur 124 gemeldete präferenzi-
elle Handelsabkommen, ihre Zahl hat sich bis heute mehr als verdoppelt. Alle
Mitglieder der WTO sind inzwischen an einem oder sogar mehreren PTAs (Pre-
ferential Trade Agreement) beteiligt. Diese PTAs nutzen den Partnern zwar oft,
führen in der Regel aber zur Diskriminierung von Drittländern und wirken damit
handelsumlenkend. Die Folge sind weltweit steigende Handels- und Transak-
tionskosten, welche die Entwicklungsländer am stärksten treffen. Gleichzeitig
nehmen auch einseitige protektionistische Regelsetzungen wieder zu. Dies ist
insbesondere im Bereich der nichttarifären Handelshemmnisse (Non-tariffs
Trade Barriers – NTB), wie z. B. bei Produktstandards, beim Missbrauch von
Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen sowie diskriminierenden Maß-
nahmen bei der Zollabwicklung, zu beobachten. So hat beispielsweise die Bun-
desregierung auf ihrer Kabinettssitzung vom 20. August 2008 beschlossen, das
Außenwirtschaftsgesetz dahingehend ändern zu wollen, dass sie ein nicht spezi-
fiziertes oder auf bestimmte Branchen begrenztes Prüf- und Untersagungsrecht
bei ausländischen Beteiligungen an deutschen Unternehmen erhält, sofern mehr
als 25 Prozent der Anteile übernommen werden.

Dabei profitiert gerade Deutschland wie kaum ein zweites Land der Erde von of-
fenen Märkten. 2007 konnte zum fünften Mal in Folge die Spitzenposition als
erfolgreichste Exportnation der Erde verteidigt werden. Insgesamt wurden Wa-
ren im Wert von fast 1 Bio. Euro exportiert. Seit Jahren ist der Export auch die
entscheidende Stütze der deutschen Konjunktur. All dies zeigt, dass gerade die

Bundesrepublik Deutschland nicht tatenlos zusehen kann, wie die internationa-
len Bemühungen um den Freihandel langsam aber sicher vor die Wand gefahren

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10311

werden. Zuletzt scheiterten Ende Juli 2008 die Bemühungen, die Doha-Ent-
wicklungsrunde doch noch zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Seit-
her ist eine Verständigung vor den Präsidentenwahlen in den USA äußerst un-
wahrscheinlich. Auch die in den Verhandlungen bereits erreichten Kompro-
misse können bis zu einer endgültigen Einigung nicht umgesetzt werden. Ange-
sichts der herausragenden Bedeutung des freien Welthandels und einer
multilateralen Welthandelsordnung für Deutschland und seine Wirtschaft muss
die Bundesregierung nun auf allen Ebenen in die Offensive gehen, um einen er-
folgreichen Abschluss der Verhandlungen zu erreichen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Europäische Union
den WTO-Grundsatz des „Single Undertaking“ einseitig, unkonditioniert
und unverzüglich suspendiert. In der Folge sind innerhalb der gescheiterten
WTO-Verhandlungen bereits gefundene Kompromisse, wie z. B. der zoll-
und quotenfreie Marktzugang für die Produkte der 50 ärmsten Entwicklungs-
länder zu den Märkten der Industrieländer ab 2008 oder das Auslaufen der
EU-Exportsubventionen für Agrargüter bis 2013, umzusetzen.

2. im Rahmen der europäischen Institutionen eine Politik zu verfolgen, die auf
die vollständige Öffnung des europäischen Marktes für alle Anbieter abzielt.
Zur Realisierung eines diskriminierungsfreien Marktzugangs sind die Ein-
fuhrquoten in allen Bereichen schnellstmöglich abzuschaffen und bestehende
Einfuhrbeschränkungen von der Kommission auf ihre weitere Berechtigung
zeitnah zu prüfen.

3. sich auf europäischer Ebene insbesondere dafür einzusetzen, dass die Europä-
ische Union binnen fünf Jahren – wenn nötig, einseitig und unkonditioniert –
auf die Erhebung von Einfuhrzöllen auf industrielle und landwirtschaftliche
Produkte verzichtet.

4. an der Reform der europäischen Agrarpolitik mit dem Ziel mitzuwirken, dass
ab 2013 durch den weiteren Abbau von Subventionen, Mengen- oder Preisin-
terventionen noch größere Spielräume für eine unternehmerische Landwirt-
schaft in der Europäischen Union geschaffen werden. Insbesondere muss
durch eine konsequent degressive Ausgestaltung dieser Instrumente sicher-
gestellt werden, dass alle Marktteilnehmer sich auf das Ende dieser Interven-
tionspolitik einstellen können.

5. durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie im Deutschen
Bundestag einen jährlichen Bericht über die Entwicklungen im Bereich der
Welthandelsordnung und die diesbezüglichen Initiativen der Bundesregie-
rung vorzulegen.

6. den Entwurf des 13. Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
und der Außenwirtschaftsverordnung zurückzuziehen.

7. darauf hinzuwirken, dass die Marktzugangsdatenbank (MADB) der EU-
Kommission zu einem wirksamen Instrument der Erfassung von globalen
Handelshemmnissen ausgebaut wird. Hierzu ist insbesondere eine zeitnahe
Erfassung und permanente Aktualisierung erforderlich.

8. sich dafür einzusetzen, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu-
künftig nach dem Grundsatz „in dubio pro notification“ eine weitgehende
Notifizierung von Subventionen und anderen internen Stützungsmaßnahmen
bei der WTO nach den ASCM-Standards (agreement on subsidies and coun-
tervailing measures) vornehmen. Kurzfristig bedarf es daher nationaler Ver-
fahrensregeln für Bund, Länder und Gemeinden.

Drucksache 16/10311 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
9. im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit stärker als bisher darauf hinzuweisen,
welche positiven Effekte eine am Freihandel orientierte Welthandelsordnung
nicht nur für die Exportnation Deutschland, sondern vor allem auch für die
Bekämpfung der Armut in der Welt hat. Insbesondere der häufig unreflektier-
ten Kritik einzelner Nichtregierungsorganisationen an der WTO sollte von
der Bundesregierung entschiedener als bisher begegnet werden.

Berlin, den 23. September 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Begründung

Angesichts der gegenseitigen Blockaden im Rahmen der WTO-Verhandlungen
über einen erfolgreichen Abschluss der Doha-Runde ist es an der Zeit, dass ins-
besondere die Industrieländer sich klar werden über ihre eigenen Interessen.
Letztlich geht es immer um die Frage, ob es wirklich nützlich ist, Handelsbe-
schränkungen aufrechtzuerhalten, nur weil andere dasselbe tun. Die Erfahrung
zeigt deutlich, dass dem nicht so ist. Jedwede Zölle und nichttarifären Handels-
hemmnisse sind in etwa genauso sinnvoll wie das Errichten einer Mauer um das
eigene Land. Protektionismus nutzt immer nur einigen wenigen – auf Kosten der
Allgemeinheit. Aus der Sicht von Nordamerikanern und Europäern ist deshalb
letztlich fast jedes Abkommen besser als gar keines. Langfristig schaden tarifäre
wie nichttarifäre Handelshemmnisse nur den eigenen Verbrauchern. Deutsch-
land sollte sich deshalb dafür einsetzen, mit dieser Politik ein für alle Mal zu
brechen, und zwar zur Not auch einseitig und unkonditioniert.

International würde ein solcher Schritt auch alle anderen Industrie-, Entwick-
lungs- und Schwellenländer massiv unter Druck setzen, ihrerseits auf Zölle und
andere Handelshemmnisse zu verzichten. Das jahrelange Warten darauf, dass
andere endlich tun, was ohnehin gut für sie ist, muss ein Ende haben. Deutsch-
land als so genanntem Exportweltmeister stünde es gut zu Gesicht, würde es
– durchaus auch im eigenen Interesse – sich dafür einsetzen, dass es Europa ist,
das diesen ersten entscheidenden Schritt geht, der es anderen ermöglicht, ihre
wahren Interessen zu verfolgen.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.