BT-Drucksache 16/10224

Kritik der Vereinten Nationen an der bundesdeutschen Antirassismuspolitik

Vom 12. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10224
16. Wahlperiode 12. 09. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Wolfgang Neskovic, Ulla Jelpke, Ulrich
Maurer, Kersten Naumann und der Fraktion DIE LINKE.

Kritik der Vereinten Nationen an der bundesdeutschen Antirassismuspolitik

Der UN-Ausschuss für die Beseitigung jeder Form des Rassismus bemängelt
die unzureichenden Maßnahmen der Bundesregierung gegen Rassismus. Die
Bundesrepublik Deutschland habe Verpflichtungen aus der „Internationalen
Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassismus“ bislang nicht erfüllt, so
die Kritik des Anti-Rassismus-Ausschusses (CERD) am 15. August 2008 bei
der Sitzung in Genf. „Es war keine gute Vorstellung der Bundesregierung in
Genf. Es fehlte an Erklärungen an allen Ecken und Kanten“ (taz, 18. August
2008), urteilte Yonas Endrias, Vizepräsident der Internationalen Liga für Men-
schenrechte, der auch zur Sitzung angereist war. Nach Ansicht der Internationa-
len Liga für Menschenrechte seien im Rahmen der Anhörung die ungenügen-
den Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland klar geworden.

Der UN-Ausschuss formulierte in seinem Länderbericht zu der Bundesrepublik
Deutschland eine Reihe von konkreten Kritikpunkten, verbunden mit der Er-
wartung an die Bundesregierung, auf diese Kritik zu reagieren.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die grundsätzliche Kritik des Ausschus-
ses, wonach es keine gesetzliche Definition rassistischer Diskriminierung in
der Bundesrepublik Deutschland gibt, und wie steht sie insbesondere zu der
Aufforderung, bei der Fokussierung auf die Bekämpfung von Fremdenhass,
Antisemitismus und Rechtsextremismus nicht die anderen Formen rassisti-
scher Diskriminierung und verbreiteter rassistischer Vorurteile aus dem Blick
zu verlieren?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die vom UN-Ausschuss geübte Kritik an
§ 19 Abs. 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), der eine
unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung
„sozial stabiler Wohnstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen
sowie ausgeglichner wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse“
zulässt und somit nach Ansicht des UN-Ausschusses zur Benachteiligung
von Migrantinnen und Migranten führen kann?
Inwiefern wird die Bundesregierung auf die Kritik des UN-Ausschusses ein-
gehen und gegen diese Form möglicher Diskriminierung vorgehen?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die unter Punkt 20 vom UN-Ausschuss
angeführte Kritik an den geringen Einbürgerungszahlen vor allem bei
Türkinnen und Türken, und wie gedenkt sie, auf die hier geäußerte Kritik zu
reagieren?

Drucksache 16/10224 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Wird sie insbesondere, wie vom Ausschuss vorgeschlagen, die Beibehal-
tung der bisherigen Staatsangehörigkeit bei Einbürgerungen gesetzlich
ermöglichen, wenn nein, warum nicht?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die unter Punkt 19 vom UN-Ausschuss
angeführte Kritik an den in Baden-Württemberg verwandten Fragen im
Einbürgerungsverfahren zur Bewertung der Glaubwürdigkeit des Bekennt-
nisses zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, und beabsichtigt sie
eine Gesetzesinitiative, mit der solche möglicherweise diskriminierenden
Befragungen im Einbürgerungsverfahren ausgeschlossen werden?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die vom UN-Ausschuss formulierte
Kritik, dass Sinti und Roma, unter anderem bei der Bildung sowie auf dem
Arbeits- und Wohnungsmarkt, nach wie vor diskriminiert werden, und in wel-
cher Form wird die Bundesregierung gegen diese Diskriminierung vorgehen?

6. Wie steht die Bundesregierung zur Kritik des UN-Ausschusses, dass Sinti
und Roma Opfer rassistischer Darstellungen in den Medien sind?

Inwiefern wird die Bundesregierung ihre Möglichkeiten nutzen, um solche
Formen rassistischer Darstellung entgegenzutreten?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die vom UN-Ausschuss vor allem an
den Bundesländern Hessen, Baden-Württemberg und Saarland geübte
Kritik, dass der Besuch der Grundschule von Kindern von Asylbewerberin-
nen und Asylbewerbern in diesen Ländern nicht gesichert sei, und wie will
sie auf diese Kritik reagieren?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die vom UN-Ausschuss kritisierte Tat-
sache, dass die Kinder von Familien mit Migrationshintergrund weitest-
gehend allein aufgrund von Sprachproblemen überproportional an Sonder-
schulen vertreten und an weiterführenden Schulen unterrepräsentiert sind?

Wie will die Bundesregierung hier Abhilfe schaffen?

9. Inwieweit trifft die Angabe des UN-Ausschusses zu, dass Ausländer/Aus-
länderinnen, die Opfer von Gewalttaten wurden, meist weniger Geld nach
dem Opferentschädigungsgesetz erhalten als deutsche Staatsbürger/Staats-
bürgerinnen?

Auf welchen gesetzlichen Grundlagen basiert diese Ungleichbehandlung,
und wie will die Bundesregierung hier Abhilfe schaffen?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die kritische Äußerung der UN-Exper-
tinnen und -Experten im Bezug auf das Strafrecht und die hier fehlende
Berücksichtigung rassistischer Tatmotive?

Gedenkt die Bundesregierung hier aktiv zu werden, und wenn ja, was ist
geplant?

11. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der erneuten
Ermutigung des Ausschusses an alle Unterzeichnerstaaten (vgl. Punkt 29),
die so genannte UN-Wanderarbeiter/Wanderarbeiterinnen-Konvention zu ra-
tifizieren, um die Betroffenen vor rassistischer Diskriminierung zu schützen?

12. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Empfehlung
des Ausschusses (Punkt 14), mehr statistische Daten auf freiwilliger und
anonymer Basis zur Identifizierung ethnischer Gruppen entsprechend der
Richtlinien des Ausschusses zu erheben, um rassistische Diskriminierun-
gen besser erkennen zu können?

Berlin, den 10. September 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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