BT-Drucksache 16/10135

Kosten des Bahnprojektes Stuttgart 21

Vom 15. August 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10135
16. Wahlperiode 15. 08. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Winfried Hermann, Kerstin Andreae, Alexander Bonde,
Birgitt Bender, Dr. Uschi Eid, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Peter Hettlich,
Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Fritz Kuhn, Undine Kurth (Quedlinburg),
Nicole Maisch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kosten des Bahnprojektes Stuttgart 21

Das am 18. Juli 2008 vorgestellte Gutachten der Verkehrsberater Dr. Martin
Vieregg und Karlheinz Rößler zur „Ermittlung der wahrscheinlichen Kosten des
Projektes Stuttgart 21“ wirft erhebliche Bedenken auf, ob dieses Projekt solide
geplant und finanziert ist. In ihrem Gutachten kommen Vieregg und Rößler zu
dem Ergebnis, dass sich die Kosten des Bahnhofsprojektes „Stuttgart 21“ (ohne
die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm) bereits beim Preisstand 2006 auf 5,6 Mrd.
Euro belaufen werden und nicht wie bis dato angenommen auf 2,8 Mrd. Euro.
Sie führen dies auf die zwischenzeitlich vorgenommenen Planungsänderungen,
wie beispielsweise die um 28 Prozent längeren Tunnelstrecken, teurere Tunnel-
bautechniken und die seit 1994 eingetretenen Preissteigerungen zurück. Bis zur
voraussichtlichen Fertigstellung des Projektes im Jahr 2020 errechnen die Gut-
achter sogar mögliche Baukosten in Höhe von 6,9 bis 8,7 Mrd. Euro bei Preis-
steigerungen von 2 bzw. 5,5 Prozent.

Im „Memorandum of Understanding“ zum Projekt Stuttgart 21 vom 19. Juli
2007 haben der Bund, die Deutsche Bahn AG, das Land Baden-Württemberg,
die Landeshauptstadt Stuttgart und der Verband Region Stuttgart festgestellt, es
sei für die DB AG und für den Bund als Alleingesellschafter der DB AG „im
Hinblick für die Zukunft des Unternehmens von besonderem Interesse, dass für
die DB aus der Realisierung des Gesamtvolumens keine unkalkulierbaren Risi-
ken entstehen und das die Wirtschaftlichkeit dargestellt ist“. Das „Memorandum
of Understanding“ sieht Kosten in Höhe von 2,8 Mrd. Euro für das Projekt
„Stuttgart 21“ vor und steht unter dem Zustimmungsvorbehalt „der zuständigen
Gremien und des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) sowie der Haus-
haltsgesetzgeber“. Ein zeitnah abzuschließender Finanzierungsvertrag soll die
Details der Umsetzung des Memorandums regeln.

Die Bundesregierung hat dem „Memorandum of Understanding“ auf der Basis
der Wirtschaftlichkeitsrechnung der DB AG mit Redaktionsschluss vom Sep-
tember 2004 und einem vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung (BMVBS) dazu in Auftrag gegebenen Gutachten vom April 2007 zu-

gestimmt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung das Gutachten von Vieregg-Rößler über
die Finanzierung des Bahnhofsprojektes „Stuttgart 21“ insgesamt und hin-
sichtlich der berechneten Mehrkosten?

Drucksache 16/10135 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Sind die im „Memorandum of Understanding“ definierten Finanzierungs-
beträge in Höhe von 2,8 bzw. 4,1 Mrd. Euro Grundlage für den Finanzie-
rungsvertrag, oder wird dieser deutlich höhere Kosten ausweisen?

Falls ja, wer übernimmt die höheren Kosten zu welchen Anteilen?

3. Wie stellt sich der volkswirtschaftliche Gesamtnutzen für das Projekt Stutt-
gart 21 dar, und wie hoch darf der aus Steuermitteln zu finanzierende Betrag
maximal sein, damit sich noch ein volkswirtschaftlicher Nutzen ergibt?

4. Welches Nutzen-Kosten-Verhältnis für das Projekt Stuttgart 21 wurde zum
Abschluss des „Memorandum of Understanding“ errechnet?“

5. Gibt es für den Bund bzw. die DB AG eine Obergrenze der Kostenbetei-
ligung, und wie hoch ist diese jeweils?

6. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die Deutsche Bahn
AG im Jahr 1994 mit Preisstand 1993 von Baukosten in Höhe von 4,8 Mrd.
DM (entspricht knapp 2,5 Mrd. Euro) für das Projekt „Stuttgart 21“ aus-
ging?

7. Welche Veränderungen der Planungen des Projektes „Stuttgart 21“ mit Kos-
ten steigernder und mit Kosten senkender Wirkung gab es seit 1994, und
wie wirken sich diese Veränderungen auf die Kosten des Projektes aus?

8. Seit wann und in welcher Höhe sind diese Kostenänderungen des Projektes
„Stuttgart 21“ der DB AG bzw. dem Bund bekannt, und wurden diese neuen
Zahlen bei den Verhandlungen zwischen Bund, DB AG, Land Baden-
Württemberg, Landeshauptstadt Stuttgart und Verband Region Stuttgart be-
rücksichtigt?

9. Mit welchen inflationsbedingten Kostensteigerungen hat die DB AG nach
Kenntnis der Bundesregierung seit 1993 kalkuliert, und wie hat sich seit-
dem der Index für Baukosten im Tiefbau verändert?

10. Ist in der im „Memorandum of Understanding“ vom 19. Juli 2007 vorgeleg-
ten Kostenschätzung von 2,8 bzw. 4,1 Mrd. Euro bereits ein Inflationsaus-
gleich mit eingerechnet?

Wenn ja, wie hoch ist dieser bzw. entspricht er dem im „Memorandum of
Understanding“ definierten Risikobetrag für das Projekt?

Wenn nicht, warum wurde kein Inflationsausgleich berücksichtigt?

11. Welche Abschnitte des Projektes „Stuttgart 21“ sind nach Kenntnis der
Bundesregierung bereits planfestgestellt, und welche müssen noch planfest-
gestellt werden?

12. Wie gliedert sich die aktuelle Kalkulation der DB AG (2,8 Mrd. Euro) nach
Kenntnis der Bundesregierung auf die einzelnen Planfeststellungsabschnitte
auf?

13. Wie viele Kilometer Tunnelstrecken sind nach Kenntnis der Bundesregie-
rung jeweils den Planungen des Projekts 1994 zugrunde gelegt und wie
viele den aktuellen Planungen?

14. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass sich die Länge der ge-
planten Tunnelstrecken um 28 Prozent und die Länge der bergmännisch zu
erstellenden Tunnelstrecken um 102 Prozent vergrößert hat?

15. Welche Tunnelausbruchkosten je Kubikmeter sieht die aktuelle Kostenbe-
rechnung der DB AG nach Kenntnis der Bundesregierung vor, welche Tun-
nelausbruchkosten je Kubikmeter hat die DB AG für die zweite S-Bahn-
Stammstrecke in München kalkuliert, und welche Gründe benennt die DB

AG für die nach Aussagen der Gutachter Vieregg und Rößler erhebliche
Differenz?

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16. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die bei den Plan-
feststellungsverfahren vorgelegten Planungen nicht den EU-Richtlinien
entsprechen, insbesondere hinsichtlich der Sicherheitsabstände der Quer-
schläge (Fluchtstollen), und ist eine Ergänzung der Planfeststellungsverfah-
ren zur Berücksichtigung der EU-Richtlinien geplant?

17. Beabsichtigt die DB AG nach Kenntnis der Bundesregierung, anstelle der
bei den Planfeststellungsverfahren genehmigten Tunnelbauverfahren, ein
kostengünstigeres Verfahren mit Tunnelbohrmaschinen zu wählen, und
wäre für ein derartiges Verfahren eine Ergänzung der bisherigen Planfest-
stellungsverfahren erforderlich?

18. Sind der Bundesregierung vergleichbare Tunnelanlagen wie der geplante
Tiefbahnhof „Stuttgart 21“ bekannt, die von Hochgeschwindigkeitsver-
kehrszügen (HGV-Zügen) befahren werden und die in der Mitte einen
Bahnhof beinhalten?

19. Wurde untersucht, wie sich die Druckschwankungen im Tunnelbahnhof
„Stuttgart 21“ auf die dort wartenden Fahrgäste auswirken werden?

Wenn ja, mit welchen Methoden wurden die Untersuchungen vorgenom-
men, und was sind die Ergebnisse der Untersuchungen?

Wenn nein, warum wurde darauf verzichtet?

20. Welche Maßnahmen zum Druckausgleich waren im Gotthardt-Basistunnel
für die zunächst geplante Tunnelstation vorgesehen?

21. Wird die Bundesregierung als Eigentümerin der DB AG, die DB AG zu ei-
ner Überprüfung der von ihr bisher mit 2,8 Mrd. Euro bezifferten Kosten für
das Projekt „Stuttgart 21“ auffordern und gegebenenfalls auf der Grundlage
aktueller Kostenberechnungen ein neues unabhängiges Wirtschaftlichkeits-
gutachten für das Projekt Stuttgart 21 in Auftrag geben?

Falls nicht, warum hält die Bundesregierung dies nicht für erforderlich?

22. Wie gewährleistet die Bundesregierung als Eigentümerin der DB AG die
Wirtschaftlichkeit des Projektes „Stuttgart 21“, falls sie nicht über eine ge-
samtwirtschaftliche Beurteilung des Projektes aus Sicht des BMVBS bzw.
des Bundeshaushaltes verfügt?

23. Wird die Bundesregierung den geplanten Finanzierungsvertrag für das Pro-
jekt „Stuttgart 21“ solange zurückstellen, bis dessen derzeit mit 2,8 Mrd.
bzw. 4,1 Mrd. Euro bezifferte Kosten überprüft und auf den aktuellen Pla-
nungsstand gebracht worden sind?

24. Wie begründet die DB AG angesichts des Gutachtens von Vieregg und Röß-
ler gegenüber der Bundesregierung die Aussage, dass das Bauvorhaben
„Stuttgart 21“ eines der am besten geplanten Projekte der DB AG sei (DB
Presseinformation vom 18. Juli 2008), obwohl dafür ein Risikozuschlag
von ca. 50 Prozent benötigt wird?

25. Wie begründet die Bundesregierung, dass das Projekt „Stuttgart 21“ laut
„Memorandum of Understanding“ mit Gemeindeverkehrsfinanzierungs-
gesetz (GVFG)- und Regionalisierungsmitteln in Höhe von 685 Mio. Euro
finanziert werden soll, obgleich der Nutzen für den Regional- und Nahver-
kehr gering (nur eine zusätzliche Stadtbahnhaltestelle) bzw. teilweise sogar
nachteilig (Aufgabe des integralen Taktfahrplanes) ist?

26. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass die Verwendung von
Nahverkehrsmitteln dieses Volumens für den Bau eines vorrangig dem
Fernverkehr gewidmeten Bahnhofs eine Zweckentfremdung der Mittel dar-

stellt?

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27. Liegt der Bundesregierung die Zustimmung der zuständigen Gremien, des
BMF und der Haushaltsgesetzgeber zum Finanzierungsvertrag vor, wie es
der Vorbehalt im „Memorandum of Understanding“ vorsieht?

Wenn ja, wie wird die Zustimmung jeweils begründet bzw. welche Gründe
sprechen dagegen?

28. Welche Steigerungen der Trassen- und Bahnhofsgebühren sind bei höheren
Kosten für das Projekt „Stuttgart 21“ für die DB-Tochter „Betrieb und
Mobilität“ zu erwarten, die nach dem Willen der Bundesregierung teilpriva-
tisiert werden soll?

29. Von welchen Einnahmen an Stations- und Streckengebühren geht die DB
AG bzw. der Bund als 100-Prozent-Eigentümer der Infrastrukturgesell-
schaften der DB AG aus?

30. Kann die Bundesregierung Großprojekte der DB AG aus den letzten zehn
Jahren benennen, bei denen die ursprünglich prognostizierten Kosten ein-
gehalten wurden, und wenn ja, welche?

31. Wie haben sich die Kosten der Großprojekte Berlin-Hauptbahnhof inkl.
Berliner Knoten, die Neubaustrecken Köln–Frankfurt am Main sowie
München–Ingolstadt–Nürnberg entwickelt von den ersten Planungsstudien
zum Entscheidungszeitpunkt des Deutschen Bundestages (Bundesver-
kehrswegeplan – BVWP) bis zur Schlussabrechnung?

Was waren jeweils die Gründe der großen Kostensteigerungen?

32. Welche Konsequenzen im Hinblick auf Kostenentwicklung und Bau-
management werden aus den Erfahrungen beim Bau des Berliner Haupt-
bahnhofs sowie den bisherigen Erfahrungen des Leipziger Citytunnels für
das Projekt „Stuttgart 21“ gezogen?

Berlin, den 15. August 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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