BT-Drucksache 16/10012

Einbeziehung von Europol in ESVP-Missionen und Nutzung von für polizeiliche Zwecke erhobenen Daten zur Durchsetzung außenpolitischer Ansprüche der EU

Vom 18. Juli 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10012
16. Wahlperiode 18. 07. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Inge Höger, Dr. Norman Paech, Petra Pau,
Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Einbeziehung von Europol in ESVP-Missionen und Nutzung von für polizeiliche
Zwecke erhobenen Daten zur Durchsetzung außenpolitischer Ansprüche der EU

Bislang galt für die Arbeitsweise der Europäischen Union, dass die polizeiliche
und justizielle Zusammenarbeit getrennt von den vergemeinschafteten Berei-
chen der Europäischen Kommission und den intergouvernmentalen Strukturen
des Europäischen Rates erfolgen soll. Mit Unterstützung des Rates der Euro-
päischen Union hatte die slowenische EU-Ratspräsidentschaft eine Initiative
ergriffen mit dem Ziel, einen Informationsaustausch zwischen Europol und den
zivilen Mechanismen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
(ESVP) zu entwickeln. Nach Auffassung des Europäischen Rates soll die
Zusammenarbeit zwischen den für die internen und die externen Aspekte der
Sicherheit Verantwortlichen intensiviert werden. Der Entwurf einer Verwal-
tungsvereinbarung über den Austausch nicht personenbezogener Daten ist im
Juni 2008 vom Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten bestätigt
worden und soll von den Mitgliedstaaten zügig umgesetzt werden. Außerdem
sollen die Mitgliedstaaten bis Ende 2008 Möglichkeiten prüfen, auch personen-
bezogene Daten auszutauschen.

Zur Begründung der Dringlichkeit der Maßnahmen verweist der Rat insbeson-
dere auf die vom Kosovo ausgehende Kriminalität innerhalb der EU (EU Dok
5466/1/08). Dies kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vorge-
sehenen Maßnahmen den Charakter von Europol erheblich verändern würden.
Bislang dient Europol der Bekämpfung grenzüberschreitender, schwerer organi-
sierter Kriminalität innerhalb der EU und nicht der Durchsetzung außenpoliti-
scher Ziele der EU. Aufgabe der ESVP ist hingegen nicht die Kriminalitätsbe-
kämpfung innerhalb der EU. Hinzu kommt, dass viele der zivilen Mechanismen
der ESVP de facto Polizeieinsätze in Kriegs- und Krisengebieten sind und/oder
in Verbindung mit militärischen EU-Missionen stattfinden, wie z. B. derzeit in
Afghanistan, Bosnien oder der DR Kongo.

Die Bedenken gegen diese Form der Zusammenarbeit verstärken sich noch an-
gesichts der zu erwartenden Ausweitung der Zugriffsrechte von Europol auf das
im Aufbau befindliche Schengener Informationssystem SIS 2 und die Daten von
Visa-Antragsteller/-innen und Asylantragsteller/-innen (VIS und EURODAC).
Ähnlich den Entwicklungen in einigen Mitgliedstaaten droht diese Initiative nun
auf europäischer Ebene die Trennung zwischen Instrumenten zur Gewährleis-
tung der inneren und der äußeren Sicherheit weiter aufzuheben und dabei
sowohl das Recht auf Datenschutz als auch die parlamentarische Kontrolle
weiter einzuschränken.

Drucksache 16/10012 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welche nationalen, europäischen und internationalen Datenbestände
haben ESVP-Missionen gegenwärtig schreibenden und lesenden Zugriff
(bitte detailliert ausführen unter Angabe der jeweiligen Instanzen und
Rechtsgrundlagen)?

2. Welche Position hat die Bundesregierung bei der Ausarbeitung der Verwal-
tungsvereinbarung für Kooperationsmechanismen zwischen Europol und
den zivilen ESVP-Missionen vertreten, und wie bewertet sie den Entwurf,
der im Juni dem Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten
(Coreper) vorgelegt wurde (bitte begründen)?

3. Welchen Zeitrahmen sieht die Bundesregierung für die Zustimmung des
Rates und für die nationale Umsetzung der Verwaltungsvereinbarung?

4. Welche Vorteile erhofft sich die Bundesregierung für die Anwendung der
zivilen Mechanismen der ESVP durch den Austausch von Informationen
mit Europol?

5. Welche Vorteile erhofft sich die Bundesregierung für die Arbeit von Euro-
pol durch den Austausch von Informationen mit den zivilen ESVP-Missio-
nen?

6. Inwiefern ist das Prinzip der Trennung von inneren und äußeren, polizei-
lichen und militärischen Aufgaben durch die Einbeziehung von Europol in
zivile ESVP-Missionen, die bekanntlich zum Teil stark mit militärischen
ESVP-Missionen kooperieren, zu vereinbaren?

7. Ist eine Kooperation zwischen Europol und der European Gendarmerie
Force (EGF), die sowohl als Teil von zivilen als auch von militärischen
ESVP-Missionen eingesetzt werden kann, geplant?

Wenn ja, wie wird bei dieser Kooperation die Trennung von polizeilichen
und militärischen Aufgaben vereinbart?

8. Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung der Austausch von Daten
zwischen Europol und zivilen ESVP-Missionen mit dem verfassungsrecht-
lichen Gebot der Zweckbindung erhobener Daten zu vereinbaren,
insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass Europol Daten zur Aufrecht-
erhaltung der inneren (EU-)Sicherheit erhebt, die ESVP aber eine
Angelegenheit der (EU-)Außenpolitik ist?

9. Mit welchen Maßnahmen wird die Bundesregierung die Umsetzung der
erwähnten Verwaltungsvereinbarung unterstützen (bitte ggf. falls möglich
den Wortlaut etwa geplanter gesetzlicher bzw. untergesetzlicher Regelun-
gen angeben), und bis wann, und in welcher Form will sie den Deutschen
Bundestag hierüber unterrichten?

10. Zu welchen Ergebnissen ist die Bundesregierung bei der Prüfung der Mög-
lichkeiten, Mechanismen für den Austausch personenbezogener Daten zwi-
schen Europol und zivilen ESVP-Missionen zu entwickeln, gekommen,
bzw. bis wann will sie die Prüfungen abschließen?

11. Unter welchen Voraussetzungen und für welche Zwecke sollen nichtperso-
nenbezogene Daten seitens Europol an welche Stellen ziviler ESVP-Mis-
sionen weitergegeben bzw. von diesen abgerufen werden können?

12. Welche Position vertritt die Bundesregierung bezüglich der Frage, unter
welchen Voraussetzungen und für welche Zwecke personengebundene
Daten seitens Europol an welche Stellen ziviler ESVP-Missionen weiter-
gegeben bzw. von diesen abgerufen werden können?
13. Welche datenschutzrechtlichen Mindeststandards müssen nach Auffassung
der Bundesregierung bei dieser Zusammenarbeit eingehalten werden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10012

a) Welche Speicherfristen sollen für die von Europol übermittelten Daten
bei den zivilen ESVP-Missionen gelten, und wer soll dort über die Ein-
haltung des Datenschutzes wachen?

b) Ist beabsichtigt, den zivilen ESVP-Missionen Datenschutzbeauftragte
zuzuordnen, und wenn ja, ab wann?

14. Will sich die Bundesregierung bei der Erörterung von Möglichkeiten für die
Übermittlung personenbezogener Daten an zivile ESVP-Missionen dafür
einsetzen, dass

a) Bürgerinnen und Bürger der EU über die Datenübermittlung unterrichtet
werden müssen, und welche Regelungen prüft die Bundesregierung
hierzu?

b) Bürgerinnen und Bürger der EU ein Auskunfts- sowie Berichtigungs-
und Löschungsrecht hinsichtlich sie betreffender, von zivilen ESVP-
Missionen gespeicherter Daten erhalten, und wenn ja, welche Regelun-
gen bestehen hierzu bzw. welche sind geplant?

Falls nein, warum nicht?

15. Beabsichtigt die Bundesregierung, Initiativen zu entfalten, um die Einhal-
tung datenschutzrechtlicher Standards hinsichtlich der Datenübermittlung
durch Europol zu verbessern, und wenn ja, welche?

Welche Bedeutung soll hierbei Eurojust zukommen?

16. Hält die Bundesregierung zukünftig die Weitergabe von SIS 2, EURODAC
und VIS-Daten an zivile ESVP-Missionen für gerechtfertigt, und wenn ja,
wie begründet sie dies sachlich und unter dem Gesichtspunkt der Zweckbin-
dung erhobener Daten?

17. Wie kann die Bundesregierung gewährleisten, dass die durch Europol über-
mittelten Daten von den Angehörigen der zivilen ESVP-Missionen nicht an
die Angehörigen von

a) EU-Streitkräften,

b) Nicht-EU-Streitkräften,

c) Behörden des Stationierungslandes

übermittelt werden, und welche Kontrollinstanzen sollen hierfür geschaffen
werden?

Berlin, den 16. Juli 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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