BT-Drucksache 15/918

Ein Verfassungsvertrag für eine bürgernahe, demokratische und handlungsfähige Europäische Union

Vom 6. Mai 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/918
15. Wahlperiode 06. 05. 2003

Antrag
der Abgeordneten Peter Hintze, Peter Altmaier, Dr. Gerd Müller, Michael Stübgen,
VeronikaBellmann, KlausBrähmig, LeoDautzenberg, RolandGewalt, Josef Göppel,
Kurt-Dieter Grill, Michael Grosse-Brömer, Olav Gutting, Ursula Heinen, Michael
Hennrich, Klaus Hofbauer, Volker Kauder, Michael Kretschmer, Gunther Krichbaum,
Patricia Lips,Dr.GeorgNüßlein, FranzObermeier, ThomasRachel, Albert Rupprecht
(Weiden), Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Andreas Schockenhoff, Thomas Silberhorn,
Annette Widmann-Mauz, Matthias Wissmann und der Fraktion der CDU/CSU

Einen Verfassungsvertrag für eine bürgernahe, demokratische und handlungs-
fähige Europäische Union

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
I. Mit der Erarbeitung des Entwurfs für einen Europäischen Verfassungsver-
trag befindet sich die Arbeit des Europäischen Konvents in ihrer entscheiden-
den Phase. Es sollte bis zum Ende der griechischen Präsidentschaft gelingen,
einen Text vorzulegen, mit dem die Weichen für eine umfassende und tiefgrei-
fende Reform der Europäischen Union gestellt werden.
Bereits die heutige Union von 15 Mitgliedstaaten hat die Grenze ihrer Hand-
lungsfähigkeit erreicht. Durch die Erweiterung auf 25 Mitgliedstaaten im Jahre
2004 nimmt der Reformdruck weiter zu: Europa muss bürgernäher, demokrati-
scher und effizienter werden, damit es auch künftig seine Aufgaben zum Wohle
seiner Bürger und Mitgliedstaaten erfüllen kann.
Der Konvent war die richtige Antwort auf diese Herausforderung: Mit seiner
mehrheitlich parlamentarischen Beteiligung und der Öffentlichkeit seiner Arbeit
trägt er demErfordernis nachmehr Transparenz in Europa Rechnung. Reformen,
die diesen Namen verdienen, dürfen auch künftig nicht mehr hinter verschlosse-
nen Türen und allein zwischen den Regierungen ausgehandelt werden.
Der vomKonvent vorzulegende Entwurf sollte alle grundsätzlichenRegelungen,
insbesondere diejenigen zur Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Euro-
päischer Union und Mitgliedstaaten, zur Finanzverfassung, zu den Institutionen
der Europäischen Union und ihren Verfahrensweisen, zur Rolle der nationalen
Parlamente in der Europäischen Union sowie zur Vereinheitlichung und Verein-
fachung der Verträge umfassen und mit der Grundrechtecharta in einen Verfas-
sungsvertrag münden, dem eine Präambel vorangestellt wird, die die grundle-
genden Werte der europäischen Demokratien formuliert und die christliche
Tradition Europas hervorhebt. Europa ist eine Wertegemeinschaft. Der Verfas-
sungsvertrag muss daher die Prinzipien der Demokratie, der Achtung der grund-
legenden Freiheits- und Menschenrechte sowie der Gleichberechtigung von
Frauen und Männern als gemeinsame Werte aller Mitgliedstaaten verankern.

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Da den nationalen Parlamenten das Letztenscheidungsrecht im Rahmen der Ra-
tifizierung des Verfassungsvertrages obliegt, wird der Deutsche Bundestag die
Arbeiten des Konvents und der anschließenden Regierungskonferenz weiterhin
zeitnah begleiten und im Rahmen seiner Möglichkeiten Einfluss auf den Ver-
lauf der Beratungen nehmen. Der Öffentlichkeit und den Parlamenten der Mit-
gliedstaaten und der Beitrittsländer muss von den Regierungen umfassend die
Möglichkeit zur Mitwirkung, zur Diskussion und zur Bewertung der Ergeb-
nisse eingeräumt werden.
II. Mit dem Verfassungsvertrag erlangt der Prozess der Europäischen Integra-
tion eine neue Qualität. Gleichwohl wird Europa auch in Zukunft auf National-
staaten aufbauen. Ihnen muss die Zuständigkeit für die Verteilung der Aufga-
ben zwischen europäischer und nationaler Ebene vorbehalten bleiben. Die
Bindung der Menschen an ihre Nationalstaaten, die ein wesentliches Ergebnis
europäischer Geschichte ist, bleibt unverzichtbar. Umgekehrt braucht der Na-
tionalstaat Europa, weil jeder Nationalstaat in Europa wichtige Aufgaben nicht
mehr auf sich allein gestellt erfüllen kann. Nation und Europa bedingen sich ge-
genseitig. Die Europäische Union wird kein Staat im herkömmlichen Sinne
sein, sondern etwas Neues. Dafür hat das Bundesverfassungsgericht den Be-
griff des Staatenverbundes geprägt, dessen Mitgliedschaft auf dem Prinzip der
ständigen Freiwilligkeit beruht.
III. In einer Union mit 25 und mehr Mitgliedstaaten werden die wirtschaft-
lichen, gesellschaftlichen und kulturellen Unterschiede erheblich größer sein,
als unter den ursprünglichen sechs Gründungsmitgliedern. Zentrale Entschei-
dungen werden in zahlreichen Handlungsfeldern der wachsenden Vielfalt nur
begrenzt gerecht werden können. Deshalb ist der Zeitpunkt gekommen, in dem
das Verhältnis von Einheit und Vielfalt durch eine Verteilung der Aufgaben ge-
ordnet werden muss. Die Europäische Union muss sich auf europäische Kern-
aufgaben konzentrieren und dort ihre Handlungsfähigkeit sichern. Die Fähig-
keiten, in der Europäischen Union zügig zu entscheiden und zu handeln,
müssen wesentlich verbessert werden. Für die Bürger muss darüber hinaus klar
erkennbar sein, wer für welche Entscheidung verantwortlich ist. Dies wird die
Akzeptanz politischer Entscheidungen fördern. Eine nachvollziehbare und prä-
zise Abgrenzung von Kompetenzen der Mitgliedstaaten und der der Europäi-
schen Union ist daher eine zentrale Aufgabe dieses Reformprozesses und der
Schlüssel zu seinem Erfolg.
IV. Der Deutsche Bundestag ist der Ansicht, dass das Subsidiaritätsprinzip das
maßgebliche Leitprinzip bei der Aufgabenzuweisung ist. Der EU sollen grund-
sätzlich nur solche Aufgaben übertragen werden, die auf der Ebene der Mit-
gliedstaaten nicht ausreichend erfolgreich erledigt werden können. Eine darü-
ber hinausgehende Vergemeinschaftung von Zuständigkeiten bedarf einer
besonderen Begründung. Die erhofften Vorteile europäischen Handelns müssen
gegenüber den möglichen Nachteilen für den hohen Wert der gewachsenen
Vielfalt in Europa abgewogen werden. Nicht jedes Problem in Europa ist auch
eine Aufgabe für Europa.
V. Die Mitgliedstaaten bleiben auch künftig Herren der Verträge und behalten
die Kompetenz-Kompetenz. Grundsätzlich muss daher die Zuständigkeitsver-
mutung bei den Mitgliedstaaten liegen. Eine Zuständigkeit der EU muss aus-
drücklich mittels konkreter und klarer Handlungsermächtigungen begründet
werden. Ausschließliche Kompetenzen sollten als solche im Vertrag gekenn-
zeichnet werden. Mit Ausnahme der ausschließlichen Zuständigkeiten sollte
klargestellt werden, dass die Mitgliedstaaten handeln können, soweit nicht be-
reits die Europäische Union im Rahmen ihrer Kompetenzen Regelungen ge-
troffen hat. Weiterhin muss festgelegt werden, dass vertragliche Zielbestim-
mungen keine Kompetenzen der EU begründen. Zuständigkeiten der EU
müssen erkennbar, vorhersehbar und begrenzt sein.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/918

VI. Die Europäische Union muss im Wesentlichen Zuständigkeiten haben für
die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, für einen einheitlichen Bin-
nenmarkt mit funktionierendem wirtschaftlichen Wettbewerb nach den Grund-
sätzen der sozialen Marktwirtschaft, einheitliche Außenvertretung und gemein-
same Währung, eine reformierte Agrarpolitik und – soweit überwiegend
grenzüberschreitende Dimensionen gegeben sind – für Rechtspolitik, innere Si-
cherheit, Verkehr sowie Umwelt- und Gesundheitsschutz. Ferner sollte die Eu-
ropäische Union eine Zuständigkeit für grenzüberschreitende Regelungen zur
Wahrung der Grundfreiheiten der europäischenVerträge haben, ohne dass daraus
eine Regelungskompetenz für die gesamten Sachbereiche wird. Der Schutz von
Ehe und Familie soll bei der Ausübung dieser EU-Kompetenzen berücksichtigt
werden.
VII. Demgegenüber sollte grundsätzlich alles, was zu den gewachsenen Tradi-
tionen in Zivilisation und Kultur und der so genannten Zivilgesellschaft gehört,
der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben, also z. B. der innere
Staatsaufbau der Mitgliedstaaten einschließlich der kommunalen Selbstverwal-
tung, Familienstrukturen und soziale Sicherheit, Arbeitsmarkt, Zuwanderung,
ehrenamtliche und gemeinnützige Organisationsformen und Tätigkeitsberei-
che, Bildung, Kultur, Sport, Bau- und Wohnungspolitik sowie Städtepolitik und
Stadtentwicklung. EU-Regelungen im Bereich des Strafrechts sollten sich auf
Tatbestände mit gemeinschaftsweiter Auswirkung beschränken. Eine Zustän-
digkeitserweiterung in den Bereichen Sozialpolitik sowie wirtschaftlicher und
sozialer Zusammenhalt lehnt der Deutsche Bundestag ab. In den Verfassungs-
vertrag ist eine Bestimmung aufzunehmen, die die Europäische Union ver-
pflichtet, bei der Ausübung ihrer Kompetenzen die nationale Identität der Mit-
gliedstaaten einschließlich ihrer verfassungsmäßigen und föderalen Strukturen
sowie der kommunalen Selbstverwaltung zu achten.
VIII. Neben vergemeinschafteten Zuständigkeiten wird auch das Instrument
der intergouvernementalen Zusammenarbeit vorläufig unverzichtbar bleiben,
um gemeinsames Handeln in Bereichen zu ermöglichen, zu deren voller
Vergemeinschaftung noch nicht alle Mitgliedstaaten bereit sind. Sie wird nur
wahrgenommen werden können mit den EU-Organen und unter Nutzung und
Weiterentwicklung der Instrumente der verstärkten Zusammenarbeit und der
Nichtbeteiligung.
IX. Neben einer klareren Kompetenzabgrenzung braucht die EU eine grundle-
gende Reform ihrer Institutionen. Die europäischen Entscheidungsprozesse
müssen überschaubar und die politische Verantwortung dafür erkennbar wer-
den. Das Verhältnis zwischen den Institutionen muss nach den Prinzipien der
Gewaltenteilung im Sinne gegenseitiger Kontrolle und des Machtgleichge-
wichts zwischen den Institutionen neu geordnet werden.
X. Künftig sollten die Gesetzgebung einschließlich des Budgetrechts dem Eu-
ropäischen Parlament als Kammer der Bürger und dem Rat als Kammer der
Mitgliedstaaten grundsätzlich gemeinsam zustehen. Im Bereich vergemein-
schafteter Zuständigkeiten soll der Rat seine Entscheidungen künftig grund-
sätzlich mit doppelter Mehrheit (Mehrheit der Mitgliedstaaten und Mehrheit
der Bevölkerungen) treffen. Wenn der Rat als Gesetzgeber fungiert, so tagt er
öffentlich und in fester Zusammensetzung. Das bisherige Rotationssystem bei
der Leitung der Räte muss überwunden werden, da es ist nicht mehr imstande
ist, ein effizientes Funktionieren des Rates zu gewährleisten. Im Europäischen
Parlament sollte jeder Abgeordnete in etwa die gleiche Anzahl von Bürgern re-
präsentieren. Eine Mindestrepräsentanz der kleinen Mitgliedstaaten muss ge-
wahrt bleiben. Politisch verantwortliche Exekutive ist allein die Kommission.
Der Kommissionspräsident, der eine klare Organisations-, Koordinations- und
Richtlinienkompetenz braucht, soll künftig vom Europäischen Parlament auf
Vorschlag des Europäischen Rates gewählt werden. Dabei muss der Europäi-

Drucksache 15/918 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

sche Rat das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament berücksichti-
gen. Die reformierte Kommission soll zahlenmäßig begrenzt werden, um sie
dauerhaft handlungsfähig zu halten.
XI. Europa muss mittelfristig seine eigene Sicherheit schützen und gemeinsam
mit den Vereinigten Staaten an der Gestaltung einer besseren Weltordnung mit-
wirken können. Dazu braucht Europa die politischen und militärischen Hand-
lungsoptionen, die seiner Größe, seinem Potential, seiner Verantwortung und
seinen Interessen entsprechen. Das Scheitern Europas im Zusammenhang mit
der Irak-Krise unterstreicht die dringende Notwendigkeit, eine gemeinsame
Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu entwickeln, die diesen Na-
men auch verdient. Entscheidend für das Gelingen einer Europäischen Außen-
politik bleibt aber letztendlich der tatsächliche Wille der Europäer, das Gemein-
same den spezifischen Interessen überzuordnen. Voraussetzung dafür ist die
Wiedererlangung gegenseitigen Vertrauens.
XII. Um das Zustandekommen gemeinsamer außenpolitischer Entscheidungen
zu erleichtern, sollten diese künftig nach Möglichkeit mit Mehrheit getroffen
werden. Die Mitgliedstaaten sollten sich verpflichten, in internationalen Fragen
nicht mit einseitigen Festlegungen zu operieren, bevor die EU ihrerseits Gele-
genheit zur Festlegung eines europäischen Standpunktes hatte. Dies gilt auch
für die gemeinsame Positionsfindung der Europäer im Sicherheitsrat der Ver-
einten Nationen.
XIII. Um zu einer echten Stärkung der gemeinsamen Europäischen Sicher-
heits- und Verteidigungspolitik zu gelangen, müssen zunächst die in Helsinki
1999 vereinbarten Leitziele im vollen Umfange verwirklicht werden. Zudem
sollte in dem EU-Verfassungsvertrag auch eine Beistandsklausel aufgenommen
werden, wonach die EU-Staaten mit allen der Union zur Verfügung stehenden
Mitteln einem Mitgliedstaat Unterstützung leisten für den Fall, dass er Ziel
eines terroristischen Anschlages ist. Darüber hinaus sollte eine Verpflichtung
zum gegenseitigen Beistand im Verfassungsvertrag aufgenommen werden, die
derjenigen des WEU-Vertrages entspricht. Die weitere Entwicklung der ESVP
mit gemeinsamer Rüstungsagentur und integrierten militärischen Fähigkeiten
als Teil eines Prozesses, an dessen Ende langfristig die Schaffung einer gemein-
samen europäischen Armee stehen muss, sollte nicht exklusiv auf einige we-
nige Staaten beschränkt sein, sondern allen EU-Mitgliedstaaten offen stehen,
die sich an dieser Politik beteiligen wollen.
XIV. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass sich nach derzeitigem Stand der
Beratungen im Konvent Konsens über folgende Punkte abzeichnet:
l Der Konvent wird der Regierungskonferenz einen einheitlichen Entwurf für

einen Verfassungsvertrag vorlegen und damit verhindern, dass seine Bera-
tungsergebnisse verwässert oder nur als bloße Beratungsgrundlage angese-
hen werden.

l Die Europäische Union wird Rechtspersönlichkeit erhalten, die bisherige
Säulenstruktur des Vertrages wird überwunden.

l Die Grundrechtecharta wird rechtsverbindlich. Der Deutsche Bundestag ist
der Auffassung, dass sie als erstes Kapitel in den Verfassungsvertrag aufge-
nommen werden sollte.

l Die Rechte der Kirchen und Religionsgemeinschaften, die bislang lediglich
in der Erklärung Nummer 11 zum Vertrag von Amsterdam niedergelegt wa-
ren, werden als rechtlich verbindlich in den Verfassungsvertrag aufgenom-
men (Artikel 37)

l Die nationalen Parlamente können künftig im Rahmen eines Frühwarnsys-
tems ihre Bedenken gegen eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzip bereits
zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens in Brüssel deutlich machen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/918

l Das System der Kompetenzausübung wird durch ein eigenes Kapitel im Ver-
fassungsvertrag neu und übersichtlicher geordnet.

l Bei den ergänzenden Maßnahmen der EU sind Harmonisierungen künftig
grundsätzlich ausgeschlossen.

l Die Zahl der EU-Rechtsakte wird reduziert und vereinfacht.
l Entscheidungen des Rates werden künftig grundsätzlich mit doppelter

Mehrheit gefasst, in Gesetzgebungsangelegenheiten tagt der Rat öffentlich.
l Es wird künftig einen Europäischen Außenminister geben, der die Funktio-

nen des für Außenpolitik zuständigen EU-Kommissars und des Hohen Ver-
treters in einer Person vereinigt.

l Die Europäische Kommission wird künftig vom Europäischen Parlament
gewählt, die Zahl ihrer Mitglieder wird reduziert.

XV. Für die abschließende Arbeit des Konvents ist es aus Sicht des Deutschen
Bundestages wichtig, dass darüber hinaus folgende zentrale Forderungen be-
rücksichtigt werden:
l Es ist daran festzuhalten, dass die Begründung oder Änderung von Kompe-

tenzgrundlagen der Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten bedarf, und zwar
hinsichtlich aller Teile des Verfassungsvertrags. Da die konkrete Reichweite
der Zuständigkeiten der EU in Teil II des Verfassungsvertrags bestimmt
wird, ist es unverzichtbar, die Teile I und II des Verfassungsvertrags gemein-
sam zu verabschieden.

l Die EU-Kompetenzen müssen besser abgegrenzt werden, um unkontrol-
lierte Zentralisierung zu verhindern und Eigenverantwortung von Bürgern,
Regionen und Mitgliedstaaten zu sichern. An der Übertragung konkreter Zu-
ständigkeiten auf die EU durch Einzelermächtigung ist deshalb festzuhalten.
Die Kompetenzen der EU können nicht allgemeinen Zielvorgaben oder pau-
schalen Aufgabenkategorien, sondern nur konkreten Einzelermächtigungen
entnommen werden. Es muss in Teil I Artikel 10 Abs. 6 des Verfassungsver-
trages sichergestellt werden, dass die Reichweite von EU-Zuständigkeiten
allein in Teil II bestimmt wird.

l Eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten durch die EU
lehnt der Deutsche Bundestag ab. Es muss wie bisher bei der Koordinierung
durch die Mitgliedstaaten bleiben.

l Die Finanzierung der Europäischen Union muss weiterhin auf Beiträgen der
Mitgliedstaaten beruhen. Eine EU-Steuer ist abzulehnen. Die Einstimmig-
keit beim Eigenmittelbeschluss muss beibehalten werden.

l Die Flexibilitätsklausel (Artikel 16) soll Maßnahmen für unvorhergesehene
Notfälle außerhalb einer Rechtsharmonisierung ermöglichen. Hierauf ge-
stützte Rechtsakte müssen einstimmig verabschiedet und zeitlich befristet
werden.

l Erforderlich ist eine Verbesserung der verfahrensrechtlichen Absicherung
des Subsidiaritätsgrundsatzes. Den Regionen ist hierzu ein eigenständiges
Klagerecht zum Schutz ihrer Gesetzgebungsbefugnisse einzuräumen. Unab-
dingbar ist, dass beide Kammern der nationalen Parlamente in das Früh-
warnsystem zur Subsidiaritätskontrolle einbezogen werden und beide Parla-
mentskammern unabhängig vom Mitgliedstaat ein unmittelbares Klagerecht
zur Rüge von Subsidiaritätsverstößen vor dem EuGH erhalten.

l Die Präambel des Verfassungsvertrages soll einen Gottesbezug enthalten.
Zumindest ist deutlich auf die religiösen Werte hinzuweisen, die eine der
Grundlagen der Union bilden.

Drucksache 15/918 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

l Die Methode der offenen Koordinierung erschwert die Bemühungen um
eine verbesserte Kompetenzabgrenzung. Mit der Offenen Koordinierung
trifft die EU faktische Vorgaben für die Mitgliedstaaten auch in Bereichen,
in denen sie nicht zuständig ist (z. B. Bildung). Sollte die Methode der offe-
nen Koordinierung in den Verfassungsvertrag aufgenommen werden, muss
sie außerhalb von EU-Kompetenzen auf Informations- und Erfahrungsaus-
tausch beschränkt sein.

l Im Bereich Einwanderung ist klarzustellen, dass die Mitgliedstaaten weiter-
hin berechtigt sind, über das Maß der Einwanderung und den Zugang von
Drittstaatsangehörigen zu ihrem nationalen Arbeitsmarkt zu entscheiden.

XVI. Die Legitimation europäischer Rechtsetzung wird sich auch in Zukunft
nicht losgelöst von der Kontrolle der jeweiligen Vertreter im Ministerrat durch
die nationalen Parlamente ergeben. Dieser Legitimationsstrang steht nicht in
Konkurrenz zur notwendigen Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments
auf der europäischen Ebene. Die Übertragung von weiteren Rechtsetzungkom-
petenzen auf die Europäische Union und deren Ausübung durch die Organe der
EU erfordert effizientere Mitwirkungs- und Kontrollrechte der nationalen Par-
lamente. Im Zuge des Ratifizierungsverfahrens des europäischen Verfassungs-
vertrages muss das Beteiligungsverfahren von Bundestag und Bundesrat nach
Artikel 23 GG daher neu geregelt werden. Dabei ist sicherzustellen, das der
Deutsche Bundestag bei zentralen europäischen Entscheidungen und Gesetzge-
bungsvorhaben besser als bisher in die Erarbeitung der deutschen Verhand-
lungsposition eingebunden wird.

Berlin, den 6. Mai 2003
Peter Hintze
Peter Altmaier
Dr. Gerd Müller
Michael Stübgen
Veronika Bellmann
Klaus Brähmig
Leo Dautzenberg
Roland Gewalt
Josef Göppel
Kurt-Dieter Grill
Michael Grosse-Brömer
Olav Gutting
Ursula Heinen
Michael Hennrich
Klaus Hofbauer

Volker Kauder
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Patricia Lips
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Thomas Rachel
Albert Rupprecht (Weiden)
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Andreas Schockenhoff
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