BT-Drucksache 15/760

Für einen wirksamen Wettbewerbsschutz in Deutschland und Europa

Vom 2. April 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/760
15. Wahlperiode 02. 04. 2003

Antrag
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Gudrun Kopp, Daniel Bahr (Münster),
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike
Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Joachim Günther
(Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt,
Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb,
Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Dirk Niebel,
Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto
(Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Andreas Pinkwart,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Dieter Thomae, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP

Für einen wirksamen Wettbewerbsschutz in Deutschland und Europa

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die von der Bundesregierung vorgelegten Eckpunkte der bevorstehenden
7. GWB-Novelle beinhalten im Wesentlichen den Systemwechsel vom Erlaub-
nisprinzip hin zur Legalausnahme im Kartellrecht. Damit soll das deutsche
Recht an das europäische Wettbewerbsrecht und die zum 1. Mai 2004 in Kraft
tretende EG-Durchführungsverordnung zur Anwendung der Artikel 81 und 82
des EG-Vertrages angepasst werden.
Grundsätzlich wird mit dieser Rechtsangleichung das Per-se-Kartellverbot, das
für Prof. Dr. Ludwig Erhard ein Kernelement des deutschen Wettbewerbsrechts
war und für das er leidenschaftlich gestritten hat, aufgegeben. Weniger leiden-
schaftlich hat sich allerdings die Bundesregierung in der vergangenen Legisla-
turperiode in den Verhandlungen über das neue EU-Wettbewerbsrecht für die-
ses Fundamentalprinzip des deutschen Wettbewerbsrechts eingesetzt. Sie
wollte oder konnte keine Überzeugungsarbeit auf europäischer Ebene für das
ordnungspolitisch klare und rechtlich einwandfreie Erlaubnisprinzip leisten.
Aber ordnungspolitische Zusammenhänge und wirksamer Wettbewerb haben
diese Bundesregierung nie interessiert.
Die Folge ist nun, dass Unternehmen, die sich dem Wettbewerb stellen, zu-
nächst rechtlich genauso behandelt werden wie Unternehmen, die sich zu
einem Kartell zusammengeschlossen haben. Das gilt übrigens auch für die so
genannten hard-core-Kartelle.
Das System der Legalausnahme überlässt die Beurteilung, ob ein Kartell er-
laubnisfähig ist oder nicht, der Selbsteinschätzung der Kartellmitglieder. Da
die Selbsteinschätzung sich eher am betriebswirtschaftlichen Vorteil als am

Drucksache 15/760 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

volkswirtschaftlichen Nutzen orientieren wird, werden rechtliche Grenzen aus-
getestet und die Kartellbildung im Zweifelsfall gefördert. In jedem Fall wird
die Rechtsunsicherheit deutlich zunehmen.
Klar ist auch, dass mit der neuen EG-Durchführungsverordnung der Vorrang
des europäischen Rechts wesentlich ausgeweitet wird. Deshalb ist die Anpas-
sung des GWB im Bereich der horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbe-
schränkungen an das europäische Recht eine logische Konsequenz. Denn sonst
würden zukünftig wettbewerbswidrige Absprachen zweier regional tätiger
Handwerksmeister einem strengeren Recht unterliegen als die Absprachen
mehrerer deutscher Industrieunternehmen, die ihre Waren auch im EU-Ausland
absetzen.
Jetzt geht es nur noch darum, die ordnungspolitischen Versäumnisse der Bun-
desregierung aus der Vergangenheit abzufedern und in Europa für eine Tren-
nung zwischen Wettbewerbsgesetzgebung und Anwendung zu sorgen.
Auch muss verhindert werden, dass die GWB-Novelle zur industriepolitischen
Spielwiese der Bundesregierung wird. Die Pläne der Bundesregierung, die
Ministererlaubnis (§ 42 GWB) zu stärken, sind besonders kritisch zu begleiten.
Die Ministererlaubnis räumt der Politik die Möglichkeit ein, eine Fusion nicht
generell unter wettbewerbspolitischen Aspekten zu betrachten, sondern auch
andere politische Erwägungen einzubeziehen. Dieses Instrument muss aber ge-
rade in der Sozialen Marktwirtschaft, deren Kernelement der wirksame Wett-
bewerb ist, mit Bedacht und vor allem nach strengen demokratischen Grund-
sätzen eingesetzt werden.
Generell bleibt festzuhalten: Der neue rechtliche Stellenwert von Kartellen
wird Wirkungen auf die Einstellung von Wirtschaft und Gesellschaft zu Wett-
bewerbsbeschränkungen haben. Das Unrechtbewusstsein bei Verstößen gegen
die Prinzipien des wirksamen Wettbewerbs wird so möglicherweise weiter
schwinden. Das ist bedenklich. Denn damit geht das Verständnis für markt-
wirtschaftliche Zusammenhänge, das bei der Bundesregierung sowieso unter-
entwickelt ist, weiter verloren. Die Schwelle für marktwidrige Eingriffe sinkt
dann abermals.

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf:
1. Die Bundesregierung setzt sich für ein von der Europäischen Kommission

unabhängiges Europäisches Kartellamt ein. Jetzt muss alles getan werden,
dass das neue europäische Wettbewerbsrecht im Sinne des wirksamen Wett-
bewerbs streng und kompromisslos angewendet wird. Das gewährleistet
eine Exekutivbehörde nach dem Vorbild des Bundeskartellamtes besser als
diejenigen, die das neue Recht verfasst haben. Ein Europäisches Kartellamt
würde auch eine – zwar nur symbolische, aber dringend erforderliche – Stär-
kung der Wettbewerbsgedanken bewirken.

2. Die Bundesregierung unterstützt das Bundeskartellamt in seinem Bemühen,
für mehr Rechtsklarheit infolge des Systemwechsels vom Erlaubnisvorbe-
halt zur Legalausnahme zu sorgen. Die vom Präsidenten des Bundeskartell-
amtes, Ulf Böge, angebotene Hilfe in schwierigen Beurteilungsfällen und
die Bereitschaft entsprechende Vorgespräche zu führen sind vorbildlich. Der
Mangel an Rechtssicherheit kann auf diese Weise zumindest abgemildert
werden.

3. Die Bundesregierung unterlässt alle Versuche, die Ministererlaubnis nach
§ 42 GWB in ihrer gerichtlichen Überprüfbarkeit einzuschränken. Die
Rechtsstaatlichkeit muss voll gewahrt bleiben. Sonst droht die Gefahr, dass
die Ministererlaubnis der demokratischen Kontrolle entzogen wird und einer
willkürlichen Handhabung unterliegen kann. Nur wenn das Instrument der

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Ministererlaubnis in einer Wettbewerbswirtschaft die Ausnahme bleibt,
dann hat es seine Legitimation. Alle Versuche, Klagemöglichkeiten einzu-
schränken, schwächen den Wettbewerb und damit die Soziale Marktwirt-
schaft.

Berlin, den 2. April 2003
Rainer Brüderle
Gudrun Kopp
Daniel Bahr (Münster)
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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