BT-Drucksache 15/751

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 48 Abs. 3)

Vom 2. April 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/751
15. Wahlperiode 02. 04. 2003

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Jörg van Essen, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Helga Daub, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Rainer Funke, Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit
Homburger, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Ina Lenke, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Cornelia Pieper,
Dr. Andreas Pinkwart, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Guido Westerwelle,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 48 Abs. 3)

A. Problem
Die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages und die damit zusammen-
hängenden Entscheidungen des Deutschen Bundestages stehen immer wieder
im Mittelpunkt öffentlicher Kritik. Regelmäßig wird der Vorwurf der Selbstbe-
dienung erhoben, denn kein anderer Berufsstand kann über den Umfang und
die Struktur seiner Bezüge selbst entscheiden. Dabei wird übersehen, dass dies
nicht dem Willen der Abgeordneten entspricht, sondern verfassungsrechtlich
vorgegeben ist.

B. Lösung
Mit der Ergänzung des Artikels 48 Abs. 3 Grundgesetz wird die rechtliche
Grundlage für eine vom Bundespräsidenten zu berufende, unabhängige Sach-
verständigenkommission zur Ermittlung und Festsetzung der angemessenen
Abgeordnetenentschädigung geschaffen.

C. Alternativen
Beibehaltung der geltenden Rechtslage.

D. Kosten
Kosten für die Arbeit der Kommission.

Drucksache 15/751 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 48 Abs. 3)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des Grund-
gesetzes ist eingehalten:

Artikel 1
Änderung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
vom 23. Mai 1949 (BGBl. I S. 1), zuletzt geändert durch …,
wird wie folgt geändert:
In Artikel 48 Abs. 3 wird nach Satz 1 folgender neue Satz 2
eingefügt:
„Die Höhe der Entschädigung wird von einer unabhängigen,
vom Bundespräsidenten einzusetzenden Sachverständigen-
kommission festgelegt.“
Die bisherigen Sätze 2 und 3 werden die Sätze 3 und 4.

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 2. April 2003
Jörg van Essen
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Helga Daub
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Jürgen Koppelin

Sibylle Laurischk
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Cornelia Pieper
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Drucksache 15/751 – 3 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Begründung

Zu Artikel 1
Nach Artikel 48 Abs. 3 Grundgesetz haben die Abgeordne-
ten Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit
sichernde Entschädigung. Das ist eine zwingende Konse-
quenz des Artikels 38 Grundgesetz, der Wesen und Auftrag
des Mandats bestimmt und den Abgeordneten von Weisun-
gen und Aufträgen freistellt. Allgemeine, freie und gleiche
Wahlen als Grundvoraussetzung eines demokratischen Staa-
tes erfordern zudem zwingend, dass jeder Wahlberechtigte
sich rechtlich und tatsächlich auch um ein Mandat bemühen
darf und kann und dass nach der Wahl auch die unabhän-
gige, von Aufträgen und Weisungen freie Wahrnehmung
des Mandats gewährleistet ist.
Die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages und die
damit zusammenhängenden Entscheidungen des Deutschen
Bundestages stehen immer wieder im Mittelpunkt öffent-
licher Kritik. Regelmäßig wird der Vorwurf der Selbstbedie-
nung erhoben, denn kein anderer Berufsstand kann über den
Umfang und die Struktur seiner Bezüge selbst entscheiden.
Dabei wird übersehen, dass dies nicht dem Willen der
Abgeordneten entspricht, sondern verfassungsrechtlich vor-
gegeben ist. Der Gesetzgeber hat über die Rechtsstellung
der Abgeordneten – hierzu gehört nicht nur die rechtliche,
sondern auch die materielle Ausgestaltung des Mandats –
durch Gesetz zu befinden.
Der Deutsche Bundestag hat immer wieder versucht, un-
abhängigen Sachverstand zumindest in den Vorbereitungs-
prozess parlamentarischer Entscheidungen über die Ab-
geordnetenentschädigung einzubeziehen, um den Vorwurf
der Selbstbegünstigung zu entkräften. So berief er etwa
1974 zur Frage der Besteuerung der Diäten den Beirat für
Entschädigungsfragen, 1990 ein Gremium unabhängiger
Persönlichkeiten zur Beratung der Bundestagspräsidentin
bei der Überprüfung der für die Mitglieder des Bundestages
bestehenden materiellen Regelungen und Bestimmungen
und zuletzt 1992 die Unabhängige Kommission zur Über-
prüfung des Abgeordnetenrechts. Auswirkungen auf Form
und Ausmaß der öffentlichen Kritik hat die Einschaltung
dieser Gremien aber kaum gehabt. Auch die Berichterstatter
in der gemeinsamen Verfassungskommission von Bundes-
tag und Bundesrat haben erwogen, durch eine Änderung des
Artikels 48 Abs. 3 GG die Entscheidung über die Höhe der
Diäten einer vom Bundespräsidenten einzusetzenden un-
abhängigen Kommission zu übertragen. Die Beratungen
wurden allerdings nicht zu Ende geführt.
Auch die 1995 beschlossene Orientierung der Abgeordne-
tenentschädigung an den Bezügen eines Richters bei einem
obersten Gerichtshof des Bundes oder eines kommunalen
Wahlbeamten auf Zeit hat nicht dazu beigetragen, dem Vor-
wurf der Selbstbedienung die Grundlage zu entziehen. Die-
ser Vorwurf wird so lange erhoben werden, wie die Ent-
scheidung über die Höhe der Diäten in den Händen des
Deutschen Bundestages selbst liegt.
Zudem ist zu beachten, dass das Festhalten an der geltenden
Rechtslage weiter dazu beitragen würde, das Ansehen des

Deutschen Bundestages bei den Bürgern immer wieder zu
beeinträchtigen und das Vertrauen in das Parlament und
seine Tätigkeit zu schwächen. Das Vertrauen der Bevölke-
rung in die Entscheidungen der Politik zählt zu den wesent-
lichen Voraussetzungen für das Funktionieren der parlamen-
tarischen Demokratie.
Deshalb ist Artikel 48 Abs. 3 GG zu ergänzen, um die recht-
liche Grundlage für eine unabhängige, vom Bundespräsi-
denten zu berufende Sachverständigenkommission zu
schaffen. Die Verlagerung von Entscheidungen aus dem
Parlament heraus, sei es auf das Bundesverfassungsgericht,
sei es auch die Bundesbank, ist der Verfassung nicht fremd.
Die Kommission wird vom Bundespräsidenten, der zu über-
parteilicher Amtsführung verpflichtet ist und der hohes
Ansehen genießt, berufen. Auf diesem Weg kann das Ver-
trauen der Bürgerinnen und Bürger in eine an objektiven
Maßstäben orientierte Entscheidung über die Höhe und An-
passung der Abgeordnetenentschädigung wiedergewonnen
und das Ansehen des Deutschen Bundestages gestärkt wer-
den. Hierzu ist eine grundlegende strukturelle Reform uner-
lässlich.
Die gegen eine Änderung des Grundgesetzes vorgebrachte
Argumentation stützt sich auf eine Ausführung des Bundes-
verfassungsgerichts aus dem Jahr 1975 (E 40, 296, 316 f.).
Dieses hatte dargelegt, auch Artikel 48 Abs. 3 GG zähle zu
den „Essentialien des demokratischen Prinzips“ und sei
dementsprechend für den Gesetzgeber unantastbar. Diese
Formulierung ist jedoch missverständlich, da der durch Ar-
tikel 79 Abs. 3 GG geschützte unabänderliche Kern des
Grundgesetzes bei verfassungssystematischer Betrachtung
nicht berührt wird.
Ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip (Artikel 20
Abs. 2 GG) liegt nicht vor, weil die Kompetenz zur Festset-
zung der Abgeordnetenentschädigung durch eine souveräne
Entscheidung des Gesetzgebers in einem Einzelfall und in
eigener Sache auf die Kommission übertragen wird. Nur die
Entscheidung über die Anpassung der Leistungen wird vom
Parlament auf die Kommission verlagert. Dem Parlament
verbleibt die Kompetenz, Grundentscheidungen durch ent-
sprechende Vorgaben im Abgeordnetengesetz selbst zu
schaffen. Im Abgeordnetengesetz müssen die materiellen
Vorgaben getroffen werden, welche Bestandteile aufgrund
der verfassungsrechtlichen Stellung des Abgeordneten
zwingend zur Abgeordnetenentschädigung gehören. Das
sich aus Artikel 38 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 77 Abs. 1 und
Artikel 110 Abs. 2 Satz 1 GG ergebende Recht des Parla-
ments über die auf einer Grundentscheidung des Parlaments
aufbauende Anpassung der Entschädigungsleistung zu ent-
scheiden, kann nicht dem verfassungsänderungsfesten
Kernbereich gemäß Artikel 79 Abs. 3 GG des Demokratie-
prinzips zugerechnet werden. Dies entspricht auch der sehr
restriktiven Interpretation von Artikel 79 Abs. 3 GG durch
das Bundesverfassungsgericht.
Zu Artikel 2
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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