BT-Drucksache 15/5730

Beschäftigungschancen Älterer verbessern

Vom 15. Juni 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5730
15. Wahlperiode 15. 06. 2005

Antrag
der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Klaus Haupt,
Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Günther Friedrich Nolting, Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig
Thiele, Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. ClaudiaWinterstein, Dr. Volker Wissing,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Beschäftigungschancen Älterer verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
In Deutschland hat die Arbeitslosigkeit einen dramatischen Höchststand er-
reicht. Jeder vierte der mehr als fünf Millionen registrierten Arbeitslosen ist älter
als 50 Jahre. Diese Zahl fällt noch deutlich höher aus, wenn man diejenigen mit-
zählt, die sich im Vorruhestand befinden oder der Bundesagentur für Arbeit nach
der sog. 58er Regelung nicht mehr zur Verfügung stehen wollen.
Wer älter als 50 Jahre ist hat bei der schwierigen Wirtschaftslage auf dem
deutschen Arbeitsmarkt kaum noch eine Chance, auf einen neuen Arbeitsplatz
vermittelt zu werden. Die Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-Jährigen ist in
Deutschland mit rund 40 Prozent sehr viel niedriger als in vielen anderen,
beschäftigungspolitisch erfolgreicheren Staaten und liegt deutlich unter dem
OECD-Durchschnitt.
Eine über Jahre verfehlte Tarif- und Arbeitsmarktpolitik hat dazu geführt, dass
Ältere vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden. Statt deren Integration zu för-
dern, richten sich viele tarifliche Regelungen nach dem Alter oder der Dauer der
Betriebszugehörigkeit. Um die Beschäftigungsaussichten Älterer zu erhöhen,
müssen daher alle tariflichen und gesetzlichen Regelungen für den Arbeitsmarkt
auf ihre hemmende Wirkung für die Einstellung älterer Arbeitsloser hin über-
prüft werden. Mögliche Hemmnisse, die einer besseren Integration älterer Er-
werbspersonen in das Erwerbsleben entgegenwirken, müssen beseitigt werden.
Nur wenn sich die Rahmenbedingungen ändern haben auch ältere Menschen
wieder eine reelle Chance, an einer Belebung des Arbeitsmarktes zu partizi-
pieren.
Die Kompetenz und die Lebenserfahrung älterer Arbeitnehmer müssen besser
genutzt werden. Um ältere Menschen in den Arbeitsmarkt besser zu integrieren,
braucht Deutschland eine Steuer-, Wirtschafts-, Tarif- und Arbeitsmarktpolitik,
die zu mehr Wachstum und damit mehr Arbeitsplätzen führt. Kontraproduktive

Drucksache 15/5730 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Schutzbestimmungen für ältere Arbeitnehmer, die sich z. B. in der Kündigungs-
schutzgesetzgebung oder auch im Sozialgesetzbuch im Hinblick auf den Vor-
ruhestand finden, müssen dahingehend geändert werden, dass ältere Arbeitneh-
mer nicht mehr benachteiligt sind. Das gilt auch für sog. Senioritätsprinzipien in
Tarifverträgen.
Zurzeit haben ältere Arbeitslose kaum Aussicht auf eine neue Beschäftigung.
Das SGB II privilegiert bei der Regelung zur Vermögensanrechnung die Anspa-
rungen aus den sog. Riester-Verträgen. Nur diese Altersvorsorgeformen sind
gänzlich aus der Vermögensanrechnung herausgenommen. Andere Anlagefor-
men sind als Altersvorsorge nur bis zu einem Maximalbetrag von 13 000 Euro
geschützt. Das bedeutet für viele ältere Arbeitslose, dass eine über viele Jahre
aufgebaute Altersvorsorge zunächst verwertet werden muss. Hierin liegt eine
Ungleichbehandlung zulasten derjenigen, die sich auf anderem Wege, als mit
einer staatlich geförderten Altersvorsorge, fürs Alter absichern wollten. Bei der
angespannten Arbeitsmarktlage werden sie in der Regel dauerhaft in der
sozialen Grundsicherung verbleiben. Sie haben damit kaum eine Chance, ihre
finanzielle Situation durch Aufnahme einer neuen Beschäftigung zu verbessern
und sich erneut eine Alterssicherung aufzubauen.
Nach den Vorschlägen der FDP-Bundestagsfraktion zur Auflösung der Bundes-
agentur für Arbeit und Ausgestaltung der Arbeitslosenversicherung (Bundes-
tagsdrucksache 15/2421) soll den Versicherten zur Stärkung des Versiche-
rungsprinzips und einer verantwortungsbewussten Inanspruchnahme von Ver-
sicherungsleistungen in der Arbeitslosenversicherung eine Wahlfreiheit bei den
Tarifen eingeräumt werden. Damit könnte die Arbeitslosenversicherung ihre
Leistungen noch genauer auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Versicherten,
und damit auch die älterer Arbeitsloser ausrichten. Beitragszahler könnten über
Wahltarife selbst entscheiden, in welchemUmfang sie im Falle der Arbeitslosig-
keit abgesichert sein wollen. Dazu ist jedoch eine grundlegende organisatorische
Neuausrichtung der Arbeitslosenversicherung und -vermittlung erforderlich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
kurzfristig Fehlanreize und Einstellungshemmnisse für die Beschäftigung älte-
rer Arbeitnehmer zu beseitigen um deren Beschäftigung zu fördern und hierzu
einen Gesetzentwurf unter Maßgabe folgender Eckpunkte vorzulegen:
l Die Altersteilzeit nach demBlockmodell wird unterWahrung des Vertrauens-

schutzes beendet;
l die Rahmenbedingungen für Erwerbstätigkeit neben dem Bezug von Alters-

rente werden verbessert;
l die bei den Agenturen für Arbeit verbreitete Praxis, bei Arbeitslosen über

58 Jahren nachdrücklich für dieWahrnehmung des § 428 SGB III zu werben,
um diese zu „nichtarbeitslosen Leistungsempfängern“ zu machen und so aus
der Arbeitsvermittlung und der Arbeitslosenstatistik zu drängen, wird sofort
beendet;

l die Anspruchsbegründung nach § 428 SGB III wird unter Wahrung des Ver-
trauensschutzes gestrichen;

l das Lebensalter als Kriterium für die Sozialauswahl bei betriebsbedingten
Kündigungen wird gestrichen, da diese Regelung die Reintegration älterer
Arbeitsloser erheblich erschwert;

l es wird ein Optionsmodell bei Kündigungen (Abfindungsregelung statt Kün-
digungsschutz) eingeführt;

l gesetzlich fixierte berufliche Altersgrenzen werden überprüft bzw. gestri-
chen;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5730

l das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärungen von Tarifverträgen
wird abgeschafft und auf Mindestlohnvorschriften verzichtet;

l die Beschäftigungssicherung wird als Kriterium für die Ausgestaltung des
Günstigkeitsprinzips im Tarifvertragsrecht eingefügt;

l für ältere Menschen werden Freiwilligendienste vergleichbar mit dem Frei-
willigen Sozialen und Ökologischen Jahr geschaffen;

l die betriebliche wie private Altersvorsorge wird besser geschützt. Geldwerte
Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen und aufgrund vertraglicher Ver-
pflichtung nicht vor dem Eintritt in den Ruhestand verwendet werden kön-
nen, werden der Altersvorsorge aus den sog. Riester-Verträgen gleichgestellt
und nicht als Vermögen angerechnet;

l ältere Arbeitslose über 55 Jahre, die zuvor Arbeitslosengeld erhalten haben,
erhalten deutlich erhöhte Freibeträge für die Anrechnung vorhandenen Ver-
mögens.

Berlin, den 15. Juni 2005
Dirk Niebel
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Otto Fricke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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