BT-Drucksache 15/5641

Strafverfolgung von BAföG-Empfängern

Vom 1. Juni 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5641
15. Wahlperiode 01. 06. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Cornelia Pieper, Hellmut Königshaus,
Ulrike Flach, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-
Michael Goldmann, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Hans-Joachim
Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Gisela Piltz, Dr. Hermann
Otto Solms, Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker
Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Strafverfolgung von BAföG-Empfängern

Einem Bericht des Nachrichtenmagazins „FOCUS“ vom 7. März 2005 zufolge
haben in Deutschland 63 731 Studentinnen und Studenten zu Unrecht Leistung
nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhalten. Die Summe
der Rückzahlungen soll sich auf 251,7 Millionen Euro belaufen. In 13 105 Fäl-
len wurden Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, 16 711 Fälle wurden zur
weiteren Verfolgung den Staatsanwaltschaften übergeben.
Die hohen Fallzahlen legen den Verdacht nahe, dass die Ursachen für den
BAföG-Missbrauch nicht nur in einem fehlenden Unrechtsbewusstsein bei den
Studierenden zu suchen sind, sondern auch in einer unzureichenden Kontrolle
seitens der zuständigen Behörden sowie einer widersprüchlichen Haltung des
Gesetzgebers.
Die Zahl der verwaltungsrechtlichen Entscheidungen über die Vermögens-
anrechnung bei BAföG-Anträgen deuten darauf hin, dass es keine ausreichende
Kontrolle der Angaben der Studierenden gegeben hat. So gab es der Datenbank
Juris zufolge nur 21 Entscheidungen von Verwaltungsgerichten zur Vermögens-
anrechnung beim BAföG, aber 585 Entscheidungen zu der Vermögensanrech-
nung bei Sozialhilfeempfängern. Diese Differenz ist ein Indiz dafür, dass falsche
Angaben über das Vermögen seitens der BAföG-Ämter, wenn nicht toleriert, so
doch zumindest nicht in ausreichendem Maße kontrolliert wurden.
Bedenklich ist in diesem Zusammenhang auch, dass die maßgeblichen Vor-
schriften zum Datenabgleich rückwirkend geändert wurden. Der Datenabgleich
nach § 45d des Einkommensteuergesetzes (EStG) wurde mit Gesetz vom
23. Oktober 2000 (BGBl. I S. 1433) eingeführt. Mit Gesetz vom 20. Dezember
2001 wurde die Inkrafttretensvorschrift geändert. Der Datenabgleich sollte nun
erstmals „für den Veranlagungszeitraum 2002“ anzuwenden sein. Das Inkraft-
treten wurde jeweils in § 52 Abs. 53 EStG geregelt. Mit Gesetz vom 21. Juni
2002 (BGBl. I S. 2010) wurde diese Inkrafttretensvorschrift ersatzlos aufge-
hoben. Nun konnten Abgleiche ohne zeitliche Einschränkung vorgenommen
werden. Die rückwirkende Änderung der Vorschriften ist nicht nur aus rechts-

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systematischen Gründen bedenklich, sie hat bei den Betroffenen zu einer erheb-
lichen Verunsicherung geführt.
Es bleibt daher der Eindruck bestehen, dass die Ursachen für den Missbrauch
bei Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz nur zum Teil den
betroffenen Studentinnen und Studenten angelastet werden können. Der Miss-
brauch wurde begünstigt durch eine Verwaltung, die ihrer Kontrollaufgabe nur
in unzureichendemMaße nachgekommen ist und den Gesetzgeber, dessen Han-
deln keine klare Linie erkennen ließ.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Studentinnen und Studenten wurden bislang nach Kenntnis der

Bundesregierung wegen des missbräuchlichen Bezugs von Leistungen nach
dem Bundesausbildungsförderungsgesetz belangt?

2. Auf welche Summe belaufen sich die zu erwartenden Rückzahlungen auf-
grund des missbräuchlichen Bezugs von Leistungen nach dem Bundes-
ausbildungsförderungsgesetz?

3. Wie viele dieser Fälle wurden nach Kenntnis der Bundesregierung als
Ordnungswidrigkeit geahndet und wie viele wurden strafrechtlich verfolgt?

4. Wie viele Verfahren waren bzw. sind vor deutschen Gerichten im Zusam-
menhang mit dem missbräuchlichen Bezug von Leistungen nach dem Be-
rufsausbildungsförderungsgesetz anhängig?

5. Welche Unterschiede gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen
den einzelnen Bundesländern bei der Verfolgung des missbräuchlichen Be-
zugs von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, und
wie beurteilt die Bundesregierung die Vorgehensweise in den einzelnen
Bundesländern?

6. Wie viele Studentinnen und Studenten wurden wegen des missbräuchlichen
Bezugs von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zu
einer Strafe von mehr als 90 Tagessätzen verurteilt?

7. Welche Gründe haben die Bundesregierung veranlasst, die Vermögensfrei-
beträge für Leistungen nach dem BAföG erst 2001 anzuheben?

8. War aus Sicht der Bundesregierung der Freibetrag in Höhe von 3 000 Euro
bis zum Jahr 2001 noch zeitgemäß, und wie begründet die Bundesregierung
ihre diesbezügliche Auffassung?

9. Hält die Bundesregierung in Anbetracht der in 2001 erfolgten drastischen
Anhebung des Freibetrages von ca. 3 000 Euro auf 5 200 Euro die Strafver-
folgung von Studentinnen und Studenten, deren Vermögenswerte sich unter
dem aktuell gültigen Wert befinden für verhältnismäßig, und wie begründet
sie ihre diesbezügliche Auffassung?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung Forderungen, wie sie z. B. seitens der
ehemaligen nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerin erhoben wur-
den, den BAföG-Freibetrag auf 8 000 bis 10 000 Euro heraufzusetzen?

11. Was wären die ungefähren finanziellen Auswirkungen auf den Bundeshaus-
halt, wenn diese Forderung erfüllt würde?

12. War nach Ansicht der Bundesregierung die Kontrolle der Vermögensanga-
ben bei der Beantragung von Leistungen nach dem Bundesausbildungs-
förderungsgesetz ausreichend, und wie begründet die Bundesregierung ihre
diesbezügliche Auffassung?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5641

13. Wie beurteilt die Bundesregierung den Einwand, dass der Zusatz „nach
eigener Prüfung durch den Antragsteller“ auf den alten BAföG-Formularen
sich missbrauchsfördernd ausgewirkt haben könnte, und welche Initiativen
hat die Bundesregierung unternommen, um diesen Zusatz möglichst früh-
zeitig zu streichen?

14. Welche Initiativen hat die Bundesregierung unternommen, um möglichst
frühzeitig bei den Betroffenen ein Unrechtsbewusstsein bzgl. des miss-
bräuchlichen Bezugs von BAföG-Leistungen zu erzeugen, bzw. warum
sind entsprechende Maßnahmen unterblieben?

15. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um künftig bereits
bei der Antragsstellung für Leistungen nach dem BAföG sicherzustellen,
dass eine ausreichende Kontrolle der Vermögensangaben erfolgt und ein
missbräuchlicher Leistungsbezug ausgeschlossen werden kann?

16. Welche Gründe haben die Bundesregierung dazu veranlasst, nicht schon im
Juli 2001, nachdem eine Überprüfung der Vermögensangaben durch eine
Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Bildung und For-
schung und den obersten Landesbehörden für Ausbildungsförderung mög-
lich geworden war, mit einer konsequenten Überprüfung zu beginnen, und
wie viele Fälle von BAföG-Missbrauch sind seit Juli 2001 hinzugekom-
men?

17. Welche Initiativen hat die Bundesregierung im Zeitraum vor der Rüge
durch den Bundesrechnungshof unternommen, um den missbräuchlichen
Bezug von BAföG-Leistungen zu bekämpfen, und wie viele diesbezügliche
Verfahren wurden vor dem Zeitpunkt der Rüge durch den Bundesrech-
nungshof eingeleitet?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung den Einwand, dass es sich bei der Ab-
schaffung der Inkrafttretensvorschrift nach § 52 Abs. 53 EStG um eine
rückwirkende Maßnahme handelt, und ergeben sich daraus nach Ansicht
der Bundesregierung Konsequenzen für laufende Strafverfahren, z. B. im
Hinblick auf ein eventuelles Verwertungsverbot?

Berlin, den 1. Juni 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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